470 Staatsrecht.

54. Urteil vom 29. Dezember 1922 i. S. Morandini & MS gegen Luzern,
Erziehungsrat und Regierungsrat.

Willkür liegend in der grundsätzlichen Verweigerung der Zulassung von
Jugendvorstellungen in den Lichtspieltheatern, während das einschlägige
kantonale Gesetz die Jugendlichen nur von den gewöhnlichen Vorstellungen
überhaupt ausschliesst, Sondervorstellungen für solche auf Grund
einzuholender Bewilligung der Erziehungshehörde unter den zum Schutze
der Jugend nötigen Kautelen dagegen ,gestattet. '

A. § 17 des luzernischen Gesetzes betreffend das Lichtspielwesen' und
Massnahmen gegen die Schundliteratur vom 15. Mai 1917 lautet:

Jugendlichen Personen, welche das achtzehnte Altersjahr noch nicht
vollendet haben, ist auch in Begleitung erwachsener Angehöriger oder
anderer erwachsener Personen der Besuch der ständigen oder wandernden
Lichtspieltheater oder anderer Unternehmungen, welche gewerbsmässig
Lichtspielaufführungen veranstalten, verboten. Die Inhaber derartiger
Betriebe dürfen die genannten jugendlichen Personen zu den Vorstellungen
nicht zulassen. .

Ausgenommen von diesem Verbote sind besondere Vorstellungen für
Jugendliche, welche von den Inhabern der Lichtspieltheater mit Bewilligung
des Erziehungsrates veranstaltet werden können. Der Erziehungsrat erlässt
die zum Schutze der Jugend als geboten erscheinenden Vorschriften unter
Vorbehalt der regierungsrätlichen Genehmigung.

Die Vollziehungsverordnung des Regierungsrates vom 16. Februar 1916
bestimmt hiezu:

§ 31. Der Inhaber eines Lichtspieltheaters, welcher Vorstellungen für
Personen unter achtzehn Jahren veranstalten will, hat mindestens vier
Tage vorher die Bewilligung des Erziehungsrates einzuholen.

Er hat seinem Gesuche ein Programm der Vorstel--Handelsund
Gewerbefreiheit. N° 54. 471

langen beizulegen und sich darüber auszuweisenfl dass die einzelnen
Stücke des Programms die Genehmigung der kantonalen Filmkommission
erhalten haben.

Der Erziehungsrat prüft das Gesuch inbezug auf die vorzuführenden Bilder,
ihre Titel, Texte und die Reklamebilder; er wird, wo dies zweckmässig
erscheint, anordnen, dass das Programm vor der Bewilligung ihm vorgeführt
werde. Er Wird vor seinem Entscheide den Präsidenten der Schulpflege
über die Zweckmässigkeit der Vorführung einvernehmen. .

§ 32. Die Erlaubnis zur Aufführung wird nur erteilt, wenn die Vorstellung
für jugendliche Personen

eei net erscheint. EUR Dir Erziehungsrat wird dafür sorgen, dass die
Zahl der Jugendvorstellungen sich in mässigen Schranken hält. . z

Jugendvorstellungen müssen abends Sieben Uhr beendigt sein. . .

B. Die Rekurrentin Firma Morandini & Cie ist Inhaberin eines
konzessionierten ständigen Lichtspieltheaters an der Pilatusstrasse in
Luzern. Sie hatte schon im Frühjahr 1922 zweimal an den Erziehungsrat das
Gesuch gestellt, eine Anzahl Jugendvorstellungen' veranstalten zu dürfen,
an denen der Film Joseph und seine Bruder (in Ägypten) aufgeführt werden
sollte, beide Male aber einen ablehnenden Bescheid erhalten. Nachdem
dann inzwischen die Firma Burkhardt-Film die Erlaubnis zur Vorführung
des Films Die Erschaffung der Welt anlässlich des eidgenössischen
Sängerfests in der Sangerfesthalle mit Zutritt Jugendlicher erhalten
hatte, erneuerte die Rekurrentin am 24. Juli ihr Begehren. Am 4. August
teilte ihr der Erziehungsrat indessen mit, dass er an seinem früheren
Beschlusse festhalte. Wie nur schon unterm 11. April ahhin betont
haben, sind Wir grundsätzliche Gegner des Kinobesuches seitens der
Schuljugend. Von diesem Grundsatz bringt uns kein Film-titel und keine
Empfehlung ab. Wenn wir ausnahms-

472= ' . ' 'Stàatsrecht.

weise einer Fihnaufführung in einem Lokale, das nicht für regelmässige
Kinovorstellungen bestimmt ist, zustimmten, so bedeutet dies keineswegs
ein Abgehen von unserer" Praxis. _

Eine Beschwerde der Firma Morandini & Cie wies der Regierungsrat des
Kantons Luzern mit Entscheid vom 9. zugest. 29. September 1921 ab. Er
stellte Zunächst fest, dass der Erziehungsrat über die Bewilligung von
Jugendvorstellungen abschliessend entscheide und ein Rekurs gegen seinen
Entscheid im Lichtspielgesetze nicht vorgesehen sei. Es könne daher
höchstens die .Aufsichtsbeschwerde nach § 180 des Erziehungsgesetzes
inBetracht kommen. Ein Einschreiten des Regierungsrates in diesem
Verfahren

wäre aber nur im Falle der Willkür möglich. Nun wende die
Erziehungsbehörde den § 17 des Gesetzes und die dazu gehörenden
Ausführungsbestimmungen allerdings sehr einschränkend an. Doch
liessen eich dafür triftige Gründe anführen. Der Kinobesuch sei für
die moralische Entwicklung vieler jüngerer Personen und zwar auch im
Alter über 18 Jahren von unheilvollem Einflusse. Wenn der Erziehungsrat
sich bestrebe den Jugendlichen den Weg zum Kino nach Möglichkeit zu
erschweren, so entspreche dies der ganzen Tendenz des Gesetzes. Eine
willkürliche Anwendung desselben liege daher nicht vor. Sie sei auch in
der Bewilligung einer Jugendaufführung in der Luzerner Festhütte nicht
zu erblicken : es ergehe sich daraus einmal, dass der Erziehungsrat
Jugendvorstellungen in beschränktem Masse zulasse, andererseits, dass
er in wirksamer Weise die Absicht verfolge, die Jugendlichen vom Besuche
der eigentlichen Lichtspieltheater fernzuhalten.

C. Am 21. November 1922 hat darauf die Firma Morandini & Cie den
staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht wegen Rechtsverweigerung
(Missachtung klaren Rechtes) und Verletzung der Gewerbefreiheit
,ergriffen. Der Film Joseph und seine Brüder habe

Handelsund Gewerbefreiheit. N° 54. 473

schon im Jahre 1920 die Kontrolle durch die luzernische Filmkommission
bestanden und vom Kontrollbeamten das Zeugnis erhalten, dass er wegen
seiner hervorragenden technischen u. künstlerischen Eigenschaften und in
seinem Inhalt sich wesentlich an die Bibel anlehnend auch zur Vorführung
in eigentlichen Jugendvorstellungen wärmstens empfohlen werden könne.
Im gleichen Sinne hatten sich Persönlichkeiten, denen auf diesem Gebiete
ein massgebendes Urteil zukomme, so n. a. der Erzbischof von Mailand
und die kantonalen Zeitungen jeder Richtung ausgesprochen. Indem der

s Erziehungsrat nicht aus einem der in § 17 des Licht-

spielgesetzes und gg 31 u. 32 Vollziehungsverordnung vorgesehenen
Gründe, sondern einfach deshalb, weil er grundsätzlicher Gegner des
Besuches der Lichtspieltheater durch die Jugend sei, die Erlaubnis zur
Vorführung verweigere, handle er offenbar gesetzwidrig und willkürlich,
und den Regierungsrat, der diesen Entscheid gedeckt habe, treffe
der gleiche Vorwurf. Das Gesetz sehe sogar gerade die Bewilligung von
Jugendvorstellungen nur zu Gunsten der konzessionierten Lichtspieltheater
und nicht irgend einer Person vor, die sich einen Projektionsapparat
miete und · damit 'Wander-oder Gelegenheitsvorstellungen in Räumen gebe,
für welche die den Lichtspieltheatern zum Schutze der Besucher gemachten
bauund feuerpolizeilichen Auflagen nicht gelten und die in dieser Hinsicht
keinerlei Sicherheit bieten. Durch die Zulassung von Jugendaufführungen
in solchen Räumen und ihr Verbot in den eigentlichen Lichtspieltheatern
werde daher der Wille des Gesetzes ins Gegenteil verkehrt.

Die Beschwerdebegehren lauten :

1. Der Entscheid des Regierungsrates vom 4. August betreffend das Gesuch
der Rekurrentin vom 24. Juli sei aufzuheben.

2. Der in diesem Entscheid und im Entscheid des Regierungsrates vom
9. September eingenommene

474 Staatsrecht.

Standpunkt hinsichtlich der Handhabung des § 17 des Lichtspielgesetzes
und der §§ 31 u. 32 der Vollziehungsverordnung dazu sei als willkürlich
zu erklären und es seien die beiden Behörden anzuhalten, diese Praxis
aufzugeben.

3. Der Erziehungsrat habe der Rekurrentin die Aufführung des Filmwerkes
(( Joseph als JugendvorStellung Während acht Tagen zu bewilligen.

4. Er sei anzuhalten, in Zukunft Jugendvorstellungen im Sinne der
angerufenen Erlasse nur noch den Lichtspieltheaterbesitzern zu gestatten.

D. Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat Abweisung des Rekurses
beantragt. Er verweist auf die Begründung seines Entscheides vom
9. September und fügt bei : Die sittlichen Gefahren des Kinobesuches
für die Jugend könnten durch die Filmzensur wohl gemildert, aber
nicht beseitigt werden. Es sei daher kein Fanatismus, wenn die
Erziehungsbebörden den Jugendlichen das Anfsuchen des Kinos möglichst
erschweren. Offenbar mache die Rekurrentin auch nicht wegen des

geringen Gewinns, der ihr durch die Abweisung ihres

Gesuchs entgehe, so grosse Anstrengungen um dessen Zulassung zu erkämpfen,
sondern weil sie die erzieherische Wirkung der angefochtenen Praxis
für das spätere Verhalten der Jugendlichen dem Kino gegenüber fürchte.
Auf alle Fälle müsste dem Erziehungsrate die Möglichkeit vorbehalten
werden, den Film Josef noch zu prüfen = die vorgelegten günstigen
Zeugnisse könnten nicht ohne weiteres massgebend sein, zumal man nicht
wisse, in welchem Umfang der gleiche Film an anderen Orten aufgeführt
werden sei. Auch könne keine Rede davon sein, die Vorführung für acht
Tage zu bewilligen, und dazu noch ohne Einschränkung hinsichtlich des

Alters der Besucher. Erhielte die Rekurrentin eine so _

weitgehende Erlaubnis, so müsste sie auch den Inhabern der anderen
fünf konzessionierten Lichtspieltheater in der Stadt eingeräumt werden,
was offenbar zu weit führen würde.Handelsund Gewerbefreiheit.-N° 5 1. 475

Das Bundesgericht :iehi in Erwägung:

l. _Die Rekurrentin ist als Inhaberin eines nach Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV
grundsätzlich freien Gewerbebetriebes zum staatsrechtlichen Rekurse
gegen polizeiliche Einschränkungen, wie die hier in Frage stehende,
welche ihr in der Ausübung ihres Gewerbes auferlegt we1den, entgegen den
in der Beschweideantwort geäusserten Zweifeln ohne Frage legitimiert. Ob
daneben ein Beschwerderecht auch den Eltern zukäme, deren Kindern der
Zutritt zu Lichtspielaufführungen verwehrt wird , ist unerheblich.

2. Gegenstand der Prüfung kann hiebei immerhin nur sein, ob
der Rekurrentin die Bewilligung zu den von ihr nachgesuchten
Jugendvorstellungen ohne offenbare Missachtung des kantonalen
Gesetzesrechts und Verletzung von Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV aus den Gründen versagt
werden durfte, wie sie in den angefochtenen Entscheidungen des
Erziehungsrats und des Regierungsrats angeführt sind. Die Frage, ob
allenfalls das Gesuch aus anderen Gründen abgewiesen werden könnte, muss
offen bleiben. Auch verkennt die Reknrrentin das Wesen des Rechtsmittels
des staatsrechtlichen Rekurses, wenn sie bei diesem Anlasse die weitere
Feststellung begehrt, dass Jugendvorstellungen künftig nur noch den
Inhabern konzessionierter Lichtspieltheater und nicht anderen Unternehmern
und Personen gestattet werden dürfen. Ein Entscheid darüber, ob sich aus
dem Gesetze eine entsprechende Beschränkung he11eiten lasse, könnte nur
im Anschluss an die eine1 solchen anderen Pe1son tatsächlich erteilte
konkrete Bewilligung erwirkt wei den, obei dahingestellt bleiben mag,
ob die Rekurrentin zu deren Anfechtung befugt wäre. Die heute allein
in Betracht kommenden Entscheide vom 4. August und 9. September 1922
beziehen sich aber ausschliesslich auf die Abweisung des von der
Rekurrentin gestellten Gesuches um Bewilligung von Jugendvorstellungen.

476 Staatsrecht.

3. § 17 des kantonalen Gesetzes vom 15. Mai 1917 schliesst, die
Jugendlichen bis zum vollendeten achtzehnten Altersjahre nur vom
Besuche der. gewöhnlichen (gewerbsmässigen) Lichtbilderaufführungen
aus. Er gestattet dagegen und zwar ausdrücklich auch den Inhabern der
Lichtspieltheater die Veranstaltung besonderer J ugendvorstellungen,
indem er bestimmt, dass solche mitBewilligung des Erziehungsrates unter
den zum Schutze der Jugend nötigen, vom Erziehungsrate festzusetzenden
Einschränkungen abgehalten werden können. Auf demselben Boden
steht die regierungsrätliche Vollziehungsverordnung, die in § 31
zunächst die formellen Erfordernisse umschreibt, die vom Inhaber eines
Lichtspieltheaters bei einem derartigen Gesuche zu erfüllen sind, um dann
in § 32 die materiellen Bedingungen aufzuzählen, von denen die Bewilligung
abhängig gemacht werden soll. Der Wortlaut des Gesetzes ist denn auch
in dieser Beziehung so klar, dass eine andere Vollziehungsvorschrift,
welche darauf gegangen wäre, die Inhaber der Lichtspieltheater von
der Veranstaltung solcher Vorstellungen überhaupt auszuschliessen, als
offenbarer Widerspruch zum Gesetz und Übergriff der vollziehenden in
das Gebiet der gesetzlichen Gewalt hätte angesehen werden müssen. Dem
Erziehungsrate steht es demnach frei, an den Inhalt des Programms
strenge Anforderungen zu stellen und auch Filme, die an sich nach den
allgemeinen Normen des § 27 des Gesetzes nicht zu beanstanden wären,
dennoch auszuschliessen, wenn sie aus erzieherischen Gründen für den
besonderen Zweck der Vorführung an Jugendliche nicht geeignet sind.
Er kann ferner die Zahl der Vorstellungen, die in einem Betriebe und am
betreffenden Orte überhaupt stattfinden dürfen, in weitgehendem Masse
beschränken, wobei allerdings im Interesse der Rechtsgleichheit die
einzelnen Unternehmungen grundsätzlich auf gleiche Stufe werden gestellt
werden müssen und nicht einem Betriebe dieHandelsund Gewerbetreiheit. N°
54. 477

Bewilligung zu einer bestimmten Aufführung wird versagt werden dürfen,
weil in anderen vorher schon eine genügende Anzahl von Jugendvorstellungen
stattgefunden habe. Endlich wird, wie dies § 32 Abs. 3 der Verordnung
vorsieht, auch die Dauer der Vorstellung beschränkt und verlangt werden
dürfen, dass sie sich nicht in den Abend hinein erstreckt. Dagegen
geht-es schlechterdings nicht an, das an sich den formellen Erfordernissen
des Gesetzes entsprechende Gesuch eines Lichtspieltheaterinhabers ohne
Prüfung des Vorstellungsgegenstandes u. s. w. einfach deshalb abzulehnen,

weil Jugendvorstellungen in den eigentlichen Licht-

spieltheatern überhaupt nicht gestattet werden.

Ob sich hinlängliche sachliche Gründe für ein solches gänzliches Verbot
des Besuchs der Lichtspieltheater durch die Jugend geltend machen
liessen, um es als verfassungsrechtlich zulässig erscheinen zu lassen,
ist nicht zu untersuchen. Selbst wenn es der Fall wäre, kann darauf
solange nichts ankommen, als das kantonale Gesetz auf einem anderen
Boden steht und die Jugendlichen vom Zutritt zu diesen Betrieben nicht
schlechthin ausschliesst, sondern ihn nur auf bestimmte besonders für
sie veranstaltete Vorstellungen mit eigens ausgewähltem Programm und in
begrenzter Zahl beschränkt. An diese Regelung ist, solangeISie nicht durch
Revision des Gesetzes selbst abgeändert wird, die Vollziehungsbehörde
auf alle Fälle gebunden und kann sie nicht, ohne sich der Verletzung
klaren Rechts und damit der Willkür schuldig zu machen, auf dem Wege
der administrativen Praxis durch eine andere ersetzen, welche auf der
entgegengesetzten Voraussetzung des Ausschlusses der Jugend von den
Lichtspieltheatern schlechthin beruht. _ .

Der Rekurs ist deshalb in dem Sinne gutzuherssen, dass der Rekurrentin
die nachgesuchte Bewilligung nicht überhaupt von vorneherein, sondern
nur dann versagt werden darf, wenn sich dies aus einem der

AS 48 I si 1922 33

478 ss Staatsrecht.

oben umschriehenen, in § 32 der Vollziehungsverordnung aufgeführten
Gründe rechtfertigen sollte.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen und es werden
die angefochtenen Entscheide des Erziehungsrates und des Regierungsrates
des ,Kantons Luzern vom 4. August und 9. September 1922 aufgehoben.

III. NIEDERLASSUNGSFREIHEITLIBERTÉ D'ÉTABLISSEMENT

53. Urteil vom 15. Dezember 1922 i. S. Frei gegen St. Gallen.

A r t. 45 B V. Die Niederlassung darf nicht wegen Entziehung der
bürgerlichen Ehren und Rechte infolge blosser fruchtloser Pfändung
oder in Kantonen, wo die Armenpflege der Heimatgemeinde obliegt wegen
Unterstützungsbedürftigkeit oder deswegen verweigert werden, weil die in
Frage stehende Person von der bisherigen Wohngemeinde unter Zusicherung
der Arbeitslosenunterstützung für die m der neuen bestehende Karenzzeit
abgeschoben worden ist.

A. Der Rekurrent, Bürger von Mogelsberg, wohnte früher in Walzenhausen
und erhielt dort die Arbeitslosenunterstützung. Er zog dann nach
St. Margrethen, nachdem ihm der Gemeinderat von Walzenhausen versprochen
hatte, die Unterstützung weiter zu gewähren, solange er sie am neuen
Aufenthaltsort noch nicht erhalte.

Der Gemeinderat von St. Margrethen verweigerte ihm

aber die Niederlassung, und eine hiegegen erhobene Beschwerde wies der
Regierungsrat des Kantons St. Gallen am 1. September 1922 mit folgender
Begründung ab:Niederlassungsfreiheit. N° 55. 479

Gemäss Art. 45 der Bundesverfassung hat jeder Schweizer das Recht, sich
innerhalb des schweizerischen Gebietes an jedem Orte niederzulassen, wenn
er einen Heimatschein oder eine andere gleichbedeutende Ausweisschrift
besitzt. Dieser Grundsatz erfährt aber durch die nachfolgenden
Bestimmungen dieses Artikels gewisse Einschränkungen, so unter anderm
dadurch, dass demjenigen, der der öffentlichen Wohltätigkeit des
neuen Vohnortes zur Last fällt, die Niederlassungsbewiiligung wiederum
entzogen werden kann. Aus demselben Grunde kann dem Niederlassungskanton
vernünftigerweise nicht das Recht bestritten werden, die Niederlassung
zu verweigern, wenn es klar auf der Hand liegt, dass der Einziehende
auf fremde Unterstützung angewiesen ist (BURCKHARDT, Kommentar, Seite
413). Nun geht aus den Vorlagen hervor, dass Jakob Frei nicht in der
Lage ist, sich und seine Familie ohne fremde Hülfe in St. Margrethen
durchzubringen, ansonst seine frühere Wohngemeinde ihm nicht
noch. während der Karenzzeit die Arbeitslosenunterstützung zukommen
lassen müsste. Nach den verfassungsrechtlichen Bestimmungen genügt
nun aber diese Unterstützung nicht, um Jakob Frei die Niederlassung in
St. Margrethen zu hewilligen, weil Arbeitslosenunterstützungen Während
der Karenzzeit in diesem Sinne unzulässig sind und weil eine solche
Zahlung nur eine zeitlich beschränkte ist, da angenommen werden muss,
dass mit dem_ Ablauf der Karenzzeit diese Unterstützung in Wegfall
kommt. Anders würde die Sache liegen, wenn Walzenhausen gemäss Art. 9
des Bundesratsbeschlusses betreffend Arbeitslosenunterstützung dauernd
einen Zuschlag zu dem für Frei nicht ausreichenden Verdienste bewilligt
hätte. Dies im Zusammenhang mit den frühern fruchtlosen Betreibungen
lässt die angefochtene Niederlassungsverweigerung dureh die Gemeinde
St. Margrethen aus armenrechtlichen Gründen begründet erscheinen.

B. 'Gegen diesen Entscheid hat Frei am 20. Oktober
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 48 I 470
Datum : 29. Dezember 1922
Publiziert : 31. Dezember 1922
Quelle : Bundesgericht
Status : 48 I 470
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 470 Staatsrecht. 54. Urteil vom 29. Dezember 1922 i. S. Morandini & MS gegen Luzern,


Gesetzesregister
BV: 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
regierungsrat • film • weiler • zahl • veranstalter • frage • tag • bundesgericht • verfassungsrecht • bewilligung oder genehmigung • unternehmung • wiese • mass • gemeinderat • wille • erwachsener • filmkommission • filmvorführung • entscheid • sozialhilfe
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