B. EXPROPFHTIONSRECHT EXPROPRIATION
17. Urteil vom 18. Februar 1922 i. S. Hubschmid Frey gegen
Schweiz. Bundesbahnen. VVegnahme eines über den allgemeinen
Benützungsanspruch der Anstösser hinausgehenden Rechtes auf Gebrauch
und Fortbestand eines Strassenstückes ? Der Entzug der Mög-
lichkeit des Gemeingebrauches kann nach Art 1 Expr.-G. einen
Entschädigungsanspruch nicht begründen.
A. Die Rekürrehtin, Witwe Hubschmid Frey, ist Eigentümerin einer mit
einem Wohnund Geschäftshaus überbauten Liegenschaft am südwestlichen
Ende der Station Oberrieden.
Die Bundeshahnen haben in Verbindung mit der Erstellung der Doppelspur
zwischen Thalwil und Richterswil an den Stationsanlagen in Oberrieden
erhebliche bauliche Veränderungen vorgenommen : das Aufnahms-
gebäude wurde von der Seeseite auf die Bergseite der --
Geleise verlegt, Während der Güterschuppen auf der seeseite belassen
wurde; der Niveauübergang der Horngasse bei der Liegenschaft 'der
Rekurrentin ist aufgehoben und durch parallel zur Bahn angelegte
Strassen und Wege, sowie durch eine Unterführung für Fussgänger und
Karren ersetzt worden.
B. Während der öffentlichen Auflage des Umhanprojekts, die im November
1912 stattfand, hat der {seither verstorbene) Ehemann der Rekurrentin,
Johannes Huhschmid, das Begehren um gänzliche Uebernahme der Liegenschaft
durch die Bundesbahnen zum Preise von 70,000 Fr. gestellt, eventuell eine
Inkonvenienzforderung von 30,000 Fr. angemeldet.Expropriationsrecht. N°
17. 113
In dem Verfahren vor der Eidg. Schätzungskommission des II. Kreises
wurde das Begehren um Abnahme der ganzen Liegenschaft fallen gelassen
und die Minderwertsforderung auf 25,000 Fr. ermässigt. Zur Begründung
derselben berief sich die Rekurrentin' auf folgenden, am 26. März 1903
von Hubsehmid mit dem Gemeinderat Oberrieden abgeschlossenen Vertrag : ·
1. Jobs. Hubsehmid hat in Sachen des dato bei der Tit. Bundesbahn
liegenden Plänchens betr. die Verbreiterung der Bahnüberfahrt bei der
Horngasse mit Abänderung des Strassengebietes daselbst bezüglich seinan
dortigen Bauprojekte mindestens 3 Meter von dem in benanntem Plänchen
durch seinen Grundbesitz bis Grenze Müllers Reben zu erstellenden, blau
eingezeichneten Strassenstücke zurückzuweichen, resp. hievon diesen
Abstand zu nehmen.
n 2. Das für die Erstellung dieses Strassenstückes benötigte Land
tritt Hr. Jobs. Hubschmid per Quadratfuss à 45 Rp. der Gemeinde ab,
und übernimmt derselbe diesfalls unentgeltlich den erforderlichen Aushub
und die Wegschaffung des entbehrliche-n Materials, resp. Ab-
fuhr nach der ihm angewiesenen Haabe beim Sternen...
3. Für denFall, dass die laut betr. Plänchen vorgesehene Ausrundung des
Strassengebietes stattfinden sollte, so tritt Hr. Hubschmid das benötigte
Land per
uadratfuss à 40 R . ab....
Q 4. Die Bezahlng des abgetretenen Landes erfolgt nach Vollzug der von
Hm. Hubsehmid auf seine Kosten übernommenen Arbeiten.
5. Die Gemeinde verpflichtet sich, sobald Hr. Hubschmid den Erdaushub
beendigt hat, in dem betreffenden Strassenstücke Steinbett und Bekiesung
erfolgen zu lassen.
Die Rekurrentin machte geltend, die Liegenschaft verliere die ihr durch
diesen Vertrag zugesicherte, wertvolle 'St'rassenverbindung, weil die
Bundesbahnen den hiekur erforderlichen Boden für Bahn-Zwecke in Anspruch
8 ASVI 1923
.114 ._Expropriationsrecht. N° Y}.
nehmen. Deshalb sei die Legitimation zur Stellung einer
Entschädigungsfordemng im Expropriations'verfahren gegeben, obwohl
die Rekurrentin kein Land abzutreten habe. Ihre Legitimation ergehe
sich aber auch aus Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen. |
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1 | Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen. |
2 | Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584 |
die Bahn hart an der Grenze der Liegenschaft Abgrabungen vornehme,.'und
dadurch die nachbarlichen Rechte der Reknrrentin verletze. Endlich liege
ein Expropriationsfall deswegen vor, weil das Recht auf einen Notweg
(Art. 694
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 694 - 1 Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen. |
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1 | Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen. |
2 | Der Anspruch richtet sich in erster Linie gegen den Nachbarn, dem die Gewährung des Notweges der früheren Eigentums- und Wegeverhältnisse wegen am ehesten zugemutet werden darf, und im weitern gegen denjenigen, für den der Notweg am wenigsten schädlich ist. |
3 | Bei der Festsetzung des Notweges ist auf die beidseitigen Interessen Rücksicht zu nehmen. |
C. Die Bundesbahnen bestritten in erster Linie, dass die Voraussetzungen
für die Geltendmachung einer Entschädigungsforderung gegeben seien. Denn
Hubschmid habe durch die Abtretung des Landabschnittes an die Gemeinde
kein Privatrecht an dem Strassenstüek
erworben, sondern dieses sei öffentliches Gebiet geworden.-
Ebensowenig treffen die Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen. |
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1 | Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen. |
2 | Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584 |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
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1 | Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
2 | Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597 |
Grenze einer Liegenschaft gestellt werden dürfen. Auch die Voraussetzungen
für einen Notweg fehlen vollständig. Im übrigen erleide die Rekurrentin
durch die neuen Verhältnisse durchaus keinen Schaden.
. D. Durch Entscheid vom 26. Juni/13. Juli 1920 hat die
Schätzungskommission die Begehren der Rekurrentin abgewiesen , mit
der Begründung, dass die Bahn in die Rechte derselben nicht eingreife;
ein'Expropriationsfall, der zur Stellung einer Entschädigungsforderung
legitimiere, liege daher nicht vor.
E. Gegen den Entscheid der Schätzungskommission hat die Rekurrentin die
Beschwerde an das Bundesgericht'ergiffien, mit dem Antrag, sie sei zur
Stellung einer Entschädigungsforderung legitimiert zu erklären, und es sei
diese Forderung auf 25, 000 Fr. festzusetzen. Die Rekurrentin behauptet,
es stehe ihr ein privatrechtlicher Anspruch auf unbeschwerte Benutzung des
an die Gemeinde abgetretenen Vorplatzareals zu , durch die Enteignung
dieser Parzelle falle zugleich das auf dieseExpropriationsrecht. N
° 17.115
Benutzung gerichtete Recht in Abtretung, womit ihre Legitimation als
Expropriatin gegeben sei Für den Bestand eines solchen Privatrechts beruft
sich der Rekurs auf den Vertrag vom 26. März 1903, sowie auf das Zeugnis
von alt Gemeindepräsident A. Schäppi. Die Liegenschaft erleide durch
die Bahnumbauten eine bedeutende Werteinbusse, weil sie ihrer bisherigen
Vorzüge einer direkten und äusserst bequemen Zufahrt verlustig gehe.
F. Die Bundesbahnen haben beantragt, der Rekurs sei als unbegründet zu
erklären und der Entscheid der sehätzungskommission zu bestätigen. Sie
führen aus,die Gemeinde Oberrieden' habe das fragliche Areal von Hubschmid
vorsorglich für den Fall erworben, dass die von ihr projektierte Strasse
erstellt würde. Gemäss übernommener Verpflichtung habe die Gemeinde
den Platz sofort mit Steinbett und Bekiesung versehen, sodass er von
Hubschmid tatsächlich als Strassenstück habe benutzt werden können ;
ein Privatrecht, das nun durch die Bahn eXpropriiert werden müsste,
sei aber an dem abgetretenen Landabschnitt zu Gunsten Hubschmids nie
be-gründet worden. '
G. Die Instruktionskommission hat sich auf die Prüfung der rechtlichen
Vorfrage beschränkt, ob ein Enteignungsfall vorliege. Gestützt auf einen
am 10. März 1921 vorgenommenen Augenschein, mit vorsorglicher Einvernehme
des als Zeugen angerufenen A. Schäppi, hat sie die Frage verneint,
und demgemäss am 5. November 1921 folgenden Urteilsantrag erlassen :
Der Rekurs wird abgewiesen.
H. Während die Bundesbahnen erklärt haben, dass sie den Urteilsantrag
annehmen, hat die Rekurrentin die Beurteilung der Sache durch das
Bundesgericht verlangt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung :
1. Es fragt sich, ob der Rekurrenün an dem Strassenstück vor ihrer
Liegenschaft ein Recht zusteht, vermöge dessen sie legitimiert ist,
im vorliegenden Verfahren
116 Expropriati onsreeht. N° 17.
als Expropriatin aufzutreten und gegenüber den Bundesbahnen
Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Ein dingliches Recht
beansprucht die Rekurrentin selber nicht; sie leitet aber aus dem
am 26. März 1903 zwischen Hubschmid und dem Gemeinderat Oberrieden
abge-schlossenen Vertrags ein persönliches Recht auf Bestand und Benützung
des fraglichen Strassenstücks her. Es ist richtig, dass die Gemeinde
Oberrieden durch diesen Vertrag die Verpflichtung übernommen hat, das
Areal vor dem Hubschmid'schen Hause sofort, d. h. ohne die Erstellung
der für später in Aussicht genommenen Strassenverbindung abzuwarten,
mit Steinbett und Bekiesung zu versehen, es also in einen Zustand zu
stellen, welcher dessen Benützung als Strassenstück gestattete. Als
Gegenleistung verpflichtete sich Hubschmid, den vorgesehenen Bau von
der Strassenflucht abzurücken; die Rekurrentin behauptet ferner, der
Boden sei zu einem besonders billigen Preise an die Gemeinde abgetreten
worden. Dass aber Hubschmid ein besonderes, über den allgemeinen
Benützungsanspruch der 'Anstösser hinausgehendes Recht, sei es ein
privates oder ein subjektives öffentliches , an dem Strassenstück
erworben habe, welches ihm den Bestand desselben garantierte, ist,
wie die Instruktionskommission zutreffend ausgeführt hat, weder dem
Vertrag, noch den Aussagen des früheren Gemeindepräsidenten A. Schäppi
zu entnehmen. Es könnte sich höchstens fragen, ob aus der Verpflichtung
der Instandstellung gefolgert werden dürfe, dass die Gemeinde Oberrieden
gegenüber Hubschmid implizite die weitere Verpflichtung eingegangen
habe, das Strassenstück unter allen Umständen in jenem Zustande zu
erhalten. Allein auch ein solches stillschweigend zugesichertes Recht
auf Fortbestand kann nicht angenommen werden, weil hiefür schlüssige
Anhaltspunkte fehlen. Ebensowenig ergibt sich aus dem vom Vertreter
der Rekurrentin heute eingelegten Grundprotokollauszug, dass ihr das
beanspruchte Recht zustehen Anderseits spricht der Umstand, dasssi
Expropriafionsrechtss N° 17. 117
bei der Abtretung der Parzelle an die Bundesbahnen die Gemeindeorgane
von einem speziell zu Gunsten Hubschmids begründeten Recht auf Gebrauch
und Fortbestand des Strassenstücks nichts haben verlauten lassen,
und die Abtretung entgegen der in der Rekursschrift aufgestellten
Behauptung an' keine Bedingung geknüpft wurde, gegen die Darstellung der
Rekurrentln. Auch kann nicht eingewendet werden, dass es zur blossen
Emräumung des Gemeingebrauches einer vertraglichen Regelung nicht
bedurft hätte : diese war deswegen erforderlich, weil die Strasse als
solche einstweilen noch nicht angelegt werden sollte ; um Hubschmid
die Möglichkeit zu verschaffen, den abgetretenen Boden tatsächlich
als Anstösser zu benützen, musste also die Gemeinde Oberrieden die
Verpflichtung übernehmen, das erste Strassenstück sofort auszubauen.
2. Es ist daher der Schätzungskommission beizustimmen, dass
die Rekurrentin zur Stellung einer Entschädigungsforderung im
EXpropriationsverfahren nicht legitimiert ist. Denn das Bundesgericht
hat wiederholt ausgesprochen, dass nach Art. 1 Expr.-G. die Wegnahme
der Möglichkeit des Gemeingebrauches an öffentlichen Strassen nicht
geeignet ist, einen Anspruch auf Entschädigung zu begründen (vgl. BGE
20 S. 66; 23 S. 11.6 und die dortigen Zitate), wie überhaupt ein bloss
faktischer Nachteil zur Substanziierung einer solchen Forderung nicht
genügt, sondern ein Eingriff in ein auf unbewegliche Sachen bezügliches
Recht vorliegen muss. Ob der Entzug eines persönlichen Gebrauchsrechts
oder eines subjektiven öffentlichen Rechts durch die Bundesbahnen der
Rekurrentin die Stellung einer Expropriatin verliehen haben Würde, ist
nicht zu untersuchen. Dass endlich die Rekurrentin ihre Legitimation nicht
auf die im ZGB und im Zürcher. EG zu demselben enthaltenen Bestimmungen
über Nachbarrecht und Notweg gründen kann, hat die Schätzungskommission
zutreffend ausgeführt; dieser Standpunkt ist denn auch. in der bundes--
118 Expropriationsrecht. N° 17.
gerichtlichen Instanz nicht mehr aufgenommen worden. Der Rel-mrs muss
deshalb in Uebereinstinunung mit der Instruktionskommission abgewiesen
werden, ohne dass auf die'Frage einzutreten ist, ob der Rekurrentin
aus der Neugestaltung der Stationsanlagen und der Strassenverbindungen
wirklich ein schaden entstehe.
Demnach erkennt das Bundesgericluf :
Der Urteilsantrag der Instruktionskommission vom 5. November 1921 wird
zum Urteil erhoben.
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