die Beurteilung der Beschwerdegründe zuständigen ordentlichen kantonalen
Instanzen durchlaufen habe. Demgemäss 'wurden dann auch die Beschwerden
wegen Verletzung der Pressfreiheit und der Handels-· und Gewerbefreiheit
an diese Voraussetzung geknüpft (AS 45 I S. 246; 46 I s. 274). Dasselbe
muss nun wohl für die Beschwerde wegen Missachtung der derogatorischen
Kraft des Bundesrechts gelten, zum mindesten dann, wenn es sich, wie im
vorliegenden Fall,}nicht um einen Kompetenzkonflikt zwischen Behörden
verschiedener Kantone oder zwischen Bundesund Kantonsbehörden handelt. Zu
diesem Schluss führt insbesondere die Erwägung, dass weitaus in den
meisten Fällen gegen die Anwendung kantonalen anstatt eidgenössischen
Rechtes auf eidgenössischem Boden bloss mit der zivilrechtlichen
Beschwerde oder der Berufung Schutz gesucht werden kann, und das
Organisationsgesetz diese Rechtsmittel in Art. 58 und 87 ausdrücklich
nur gegenüber letztinstanzlichen kantonalen Entscheiden zulässt. -
16. Urteil vom 2. Juni 19221. s. staats-www des Kantons Zürich gegen
Englard.
Frage der Legitimation von Behörden, speziell der Staatsanwaltschaft,
zur staatsrechtlichen Beschwerde.
A. Durch Verfügung vom 8. Oktober 1919 hat die Direktion der Polizei
des Kantons Zürich den Beschwerdegegner Englard in Anwendung von Art. 28
Abs. 2 der bundesrätlichen Verordnung vom 21. November 1917 betreffend
die Grenzpolizei und die Kontrolle der Ausländer aus dem Gebiete der
Schweiz ausgewiesen und ihm die Rückkehr in die Schweiz ohne ausdrückliche
Bewilligung der zürcherischen Polizeidirektion verboten mit der Androhung
ihn im Uebertretungsfalle Organisation dei-,Bundesrechtspflege. N° 16. 10?
dem Strafrichter zur Bestrafung wegen Ungehorsams nach § 80 des
zürcherischen StGB zu überweisen. Als Englard am 2. März 1921 mit einem
vom Schweizerischen Konsulate in Leipzig Visierten Passe wieder in
die Schweiz einreiste, wurde er von den schaffhauserischen Behörden
verhaftet, nach Zürich übergeführt und daselbst wegen Ungehorsams
gegen eine amtliche, von kompetenter Stelle erlassene Verfügung in
Strafuntersuchung gezogen.
Das Bezirksgericht sprach ihn durch Urteil vom 15 April 1921
frei. (... Urteilsbegründung.. .)
,Infolge Berufung der Staatsanwaltschaft hat das zürcherische
Obergericht durch Urteil vom 2. Juni 1921 unter Aufhebung des
erstinstanzlichen Entscheides den Angeklagten des Ungehorsams gegen
eine amtliche, von kompetenter Stelle erlassene Verfügung schuldig
erklärt und zu einer Geldbnsse von Fr. 60.und der Bezahlung der Kosten
verurteilt. (...Urteilshegründung...)
B. -Auf eine Nichtigkeitsbeschwerde des Angeschuldigten hin hob das
zürcherische Kassationsgericht am 12. Dezember 1921 das ohergerichtliche
Urteil auf
_und sprach den Angeklagten von Schuld und Strafe
frei unter Belastung der Gerichtskasse mit den Kosten.
(... Urteilsbegründung. .)
C. _ Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich beim Bundesgerichte einerseits einen staatsrechtlichen Rekurs,
anderseits eine strafrechtliche Kassationsbeschwerde eingereicht. Im
staaterechtlichen Verfahren beantragt sie Aufhebung des angefochtenen
Urteils wegen Verletzung des Art. 4
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 4 Langues nationales - Les langues nationales sont l'allemand, le français, l'italien et le romanche. |
Beurteilung an das zürcherische Kassationsgericht. Die Verletzung des
Art. 4
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 4 Langues nationales - Les langues nationales sont l'allemand, le français, l'italien et le romanche. |
kantonaler Gesetzesbestimmungen (§ 24 Ziffer 8 des Gesetzes betr. die
Organisation des Regierungsrates, des § 80 deszürcherischen StGB und des §
328 der zürcherischen StPO).
108 Staatsrecht.' si
D. Der Beschwerdegegner Englard beantragt, den Rekurs abzuweisen, die
Kosten dem Kanton Zürich aufzuerlegen und ihm, dem Beschwerdegegner,
eine angemessene Prozessentschädigung zuzusprechem-
Das Kassatjonsgeiicht des Kantons Zürich als heschwerdeheklagte Behörde
stellt durch seinen Referenten m der vorwürfigen Strafsache den Antrag,
die Beschwerde wegen mangelnder Legitimation des Beschwerdeführers
eventuell aber als materiell unbegründet abqueisen. '
Das Bundesgericht zieht in Erwägung :
1. Die Legitimation der zürcherisc e Waltschaft zur Beschwerde ist zwar
nicht vokn goes-LETTgegner Englard, wohl aber vom Kassationsgerichte
als beschwerdebeklagter Behörde bestritten werden und das Bundesgericht
hat sie zudem von Amtes wegen zu prufen. In Uebereinstimmung mit der
bisherigen Rechtsprechung (AS V Nr. 8 S. 27 [28 und namentlich 33 I Nr. 58
m Sachen Kig) ist der rekurrierenden staatsanwaltschaft das Recht zur
Beschwerdeführung abzuerkennen: Die Beschwerde, die sich materiell auf den
Art. 4
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 4 Langues nationales - Les langues nationales sont l'allemand, le français, l'italien et le romanche. |
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sein ; um eine sonstige im staatsrechtlichen Verfalirens zu erledigende
Streitigkeit kann es sich bei dem vorliegenden Anstande zwischen der
Staatsanwaltschaft und dem Kassationsgerichte nicht handeln. Nun räumt der
Art. 178
SR 101 Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999 Cst. Art. 4 Langues nationales - Les langues nationales sont l'allemand, le français, l'italien et le romanche. |
und Korporationen ein, als ein Rechtsmittel gegen Rechtsverletzungen ,
die sie durch behördliche Verfügungen gad Erlasse erlitten haben, also
ein Rechtsmittel nrclr das em Rechtssubjekt gegen einen dnrechtmässigen
Eingriff der öffentlichen Gewalt in seine persönliche Rechtssphäre
geschützt werden soll. Danach kann aber nicht auch ,der Staat als Inhaber
dieser Gewalt oder Treue als sein Organ handelnde Behörde beschwerde-
rechtigt sein ;f weder er noch die Behörde als solcheOrganisation der
Bundesrechtspflege, N° 16. 109
kònnen durch die von dieser selbst herriihrenden, als staatliche
-Wiliensakte geltenden Verfügungen und Erlasse Rechtsverletzungen
erleiden. Der Staat gehört nicht zu den in der Ziffer 2 als
beschwerdeberechtigt bezeichneten Korporationen. Mag er auch korporativen
Charakter haben, so unterscheidet er sich von ihnen dadurch, dass alle
rechtliche Macht von ihm ausgeht und in ihm vereinigt ist, soweit er
sie nicht an die ihm unterstellten Bürger und Korporationen als Träger
privaten oder öffentlichen Rechtes delegiert hat. Auch den öffentlichen
Korporationen, namentlich den Gemeinden als Gebietskörperschaften,
die mit einer die staatliche Kompetenz beschränkenden Autonomie
aus-gestattet sind, hat die Praxis das Recht zur Beschwerdeführung nach
Art. 178 eingeräumt (vgl. 40 I Nr. 30 S. 278 und die dort genannten
Präjudizien) und es rechtfertigt sich diese ausdehnende Auslegung des
Artikels dadurch, dass die Autonomie der Gemeinden und der öffentlichen
Selbstverwaltungskörper im allgemeinen, gleich wie die selbständige
Rechtssphäre privater Einzeloder Kollektivpersonen, durch staatliche
Verfügungen oder Erlasse Rechtsverletzungen erleiden kann. Den Art. 178
aber auch da anzuwenden, wo sich weder staat und Privater, noch Staat
und die zur Wahrung ihrer Autonomie auftretende öffentliche Korporation
gegenüberstehen, sondern verschiedene Behörden des Staates selbst,
liesse sich mit der Natur und dem Zwecke der Beschwerde des Art. 178
als eines Rechtsmittels zum Schutze einer individuellen Rechtssphäre
nicht mehr vereinbaren. Die Beschwerde nähme dann den Charakter eines
Rechtsmittels zu Lösung von Konflikten, namentlich Kompetenzkonilikten
zwischen verschiedenen staatlichen Behörden an. Dabei ist zu bemerken,
dass die Personen, die als Mitglieder oder einzeln die behördlichen
Funktionen versehen, durch den Konflikt als solchen in ihrer eigenen
Rechtssphäre nicht berührt werden und daher nicht etwa für sich zur
Beschwerde legitimiert
US ' ' Staatsrecht. .'
sein können (30 I Nr. 43 S. 248 und dortige Zitaten
31 I Nr. 49 S. 275; 33 I Nr. 58 S. 369 ("-70); ihre Legitimation muss
sich aus einem besondernsiin ihrer Person gegebenen Interesse ableiten
lassen (30 I S. 248 f.). Zur Entscheidung von Konflikten zwischen
Behörden kann nun freilich das Bundesgericht als. Staatsgerichtshof,
wenn auch nicht auf Grund von Art. 178, dann zuständig sein,. wenn es
sich um Behörden verschiedener Kantone oder eines Kantons und des Bundes
handelt (s. besonders Art. .175 Ziffern 1 und 2 OG). Eine Zu-
ständigkeit für innerkantonale Konflikte ,aber ,lässt _
sich aus dem OG nicht entnehmen ; solche müssen Vielmehr nach den dafür
geltenden Verfassungsund Gesetzesbestimmungen und vor den dafür bestimmten
kantonalen Behörden (Grossrat etc.) ihre Erledigung finden. '
Bei der Staatsanwaltschaft im besondern rechtfertigt sich eine
andere Lösung der Legitimationsfrage auch nicht etwa deshalb, weil
mit ihrer Mitwirkung im Strafprozass die Verfolgung des staatlichen
Strafanspruches formell den Charakter ,eines dem Zivilprozesse ähnlichen
Prozessverfahrens zwischen Parteien vor einem Richter annimmt. Der
prozessualischen Unterscheidung zwischen dem öffentlichen Ankläger,
der den' Strafanspruch geltend macht, und dem Straftichter, der ihn
beurteilt, liegt keine Verschiedenheit der Rechtssubjekte zu Grunde,
wie im Zivilprozesse im Verhältnis sowohl des Klägers als des Beklagten
und im Strafprozesse im Verhältnis des Angeklagten zum Richter als
staatlicher Behörde. Staatsanwaltschaft und Strafrichter sind vielmehr nur
verschiedene Organe des Staates als eines einheitlichen Rechtssubjektes,
die bei der Ausübung der Strafgerichtsbarkeit verschiedene, aber
einander ergänzende Funktionen versehen: der Staatsanwalt dieWahrung
des staatlichen Interesses an der wirksamen Durchsetzung des möglichen,
aber noch nicht feststehenden Strafanspruchs, der Strafrichterc die
Wahrung des staatlichenOrganisation der umsomehr-passe NO 16. ss m
Interesses an einer gerechten Behandlung auch des Angeklagten
und daher an einer unparteiischen Prüfung des geltend gemachten
Anspruchs. Das frelsprechende Urteil, das der Richter fällt, die
Verfügung, die er mit ihm trifft, kann für den Staat, auch soweit
er vorher im Straiprozesse durch den Staatsanwalt gehandelt hat,
keine von ihm erlittene Rechtsverletzung nach Art. 178 bilden. Es
ist ein Rechtsakt des staates selbst, bei dessen Zustandekonnnen. die
Staatsanwaltschaft in vorbereitender Weise, wenn auch mit der Absicht
auf einen anderen Erfolg, ebenfalls mitgewirkt hat. Unter Umständen
kann es der Staatsanwalt als dem objektiven Rechte zuwider vor einer
obern kantonalen Strafbehörde anfechten, oder auch vor Bundesgericht,
soweit diesem die Strafrechtspflege obliegt, nicht aber vor Bundesgericht
als Staatsgerichtshof und mit dem Anspruch auf den verfassungsmässigen
Schutz individuellen Rechtes.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird wegen mangelnder Legitimation der
besehwerdeführenden Partei nicht eingetreten.Vgl. auch Nr. 7 und 12. Voir
aussi no 7 et 12.