350 _ Strafrecht.

präsidenten von Le Loele aufgehoben. Nach dem Gesagten besteht kein
Anlass von dieser Praxis abzugeben.

3. Zum Verschulden muss dabei, was inbezug auf denselben Artikel
der Vollziehungsverordnung ebenfalls bereits ausgesprochen worden
ist (Urteil i. S. Giolivano vom 21. Oktober 1920), wie bei anderen
Verwaltungsdelikten, inbezug auf die das Gesetz eine ausdrückliche
Verweisung auf den allgemeinen Teil des Bundesstrafrechts nicht enthält,
Fahrlässigkeit genügen und es ist diese beim Vorliegen des objektiven
Tatbestandes solange zu vermuten, als nicht der Angeschuldigte
die Vermutung durch den Nachweis besonderer Entschuldigungsgründe
entkräitet. Solche haben aber hier nicht namhaft gemacht werden können.
Die Berufung auf die. grossen Mengen ausländischer Weine, die in
ungeeichten Fässern und Flaschen nach der Schweiz gelangen, ist schon
deshalb unbehelflich, weil es sich dabei um eine in Abs. 4 des streitigen
Art. 12 der Vellziehungsverordnung ausdrücklich vorgesehene Ausnahme von
dem allgemeinen Grundsatze des Abs. 1 handelt. ( Von der Eiehpflicht sind
befreit diejenigen ausländischen Transportfässer, welche ausschliess
lich dem Verkehr zwischen ausländischem und in--

ländischem Handel dienen und nicht in den schweize -

rischen internen Verkehr treten, sowie die auslän dischen Originalgebinde,
sofern der Verkauf des In halts nebst Gebinde stattfindet und pro Gebinde
be rechnet wird. ) ss

Demnach erkennt der Kassaiionsizof:

Die Kassationsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Bezirksgerichts
Zürich 3. Abtlg. vom 19. November 1920 aufgehoben und die Sache zu neuer
Entscheidung an das Bezirksgericht zurückgewiesen.

... ___ ___ __

OFDAG Offset-, Formularund Fotodruck AG 3000 BernSTAATSRECHT DROIT
PUBLICl. GLEICHHEIT VOR DEM GESETZ (RECHTSVERWElGERUNG)ÉGALITÉ DEVANT
LA LOI (DENI DE JUSTICE)

48. Urteil vom 1. Oktober 1921 i. S. Butler gegen Obergeric'ht Luzern.

Art. 80 BG über die Krankenund Unfaiiversicherung. Die Auslegung,
wonach die Unfallversicherungsanstalt die hier vorgesehene Revision
der Invalidenrente wegen Verminderung des Grades der Erwerbsunfähigkeit
(Besserung des Zustandes des Versicherten) auch dann, vorbehältlich der
Weiterziehung durch den Betroffenen, von sich aus vornehmen kann, wenn
die erste Rentenfestsetzung endgültig dureh das Versicherungsgericht
erfolgt war, und dazu nicht von diesem eine Aenderung seines Urteils
zu verlangen braucht, wonach das Urteil über die Höhe der Beute
also einen vollstreckharen Titel nur bis zum Erlasse einer solchen
Revisionsvert'iigung der Anstalt gibt, ist nicht willkürlich und verstösst
auch nicht gegen Art. 61
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 61 Zivilschutz - 1 Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
1    Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
2    Der Bund erlässt Vorschriften über den Einsatz des Zivilschutzes bei Katastrophen und in Notlagen.
3    Er kann den Schutzdienst für Männer obligatorisch erklären. Für Frauen ist dieser freiwillig.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Schutzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV. Befugnis des Rechtsöflnungsrichters zu
prüfen, ob es sich wirklich um eine Rentenrevision nach Art. 80 des
Gesetzes und nicht bloss um ein unzulässiges anüekkommen auf die frühere
Beurteilung des Falles bei gleichgebliebenem Tatbestande handle.

A. Der Rekurrent Beutler, Sägereihandlanger in Walliswil Wangen erlitt am
27. Juni 1918 einen Betriebsunfall, bestehend in der Verletzung von vier
Fingern der rechten Hand. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt
in Luzern (im Folgenden Anstalt genannt) anerkannte, anschliessend an
ein Gutachten des Prof.

AS 47 I 1921 24

352 staatsrecht-

-Howaid in Bern, ihre Entschädigungspflicht unter Annahme einer
Verminderung der Erwerbsfähigkeit um 10 %. Auf Klage des Rekurrenten
verurteilte jedoch das Versicherungsgericht des Kantons Bern, ge-stützt
auf die gerichtliche Expertise, Welche den Invaliditätsgrad höher,
auf 15 bis 20 % anschlug, unter Zugrundelegung des Mittels aus diesen
Zahlen (IV;/5%), am 2. Mai 1919 die Anstalt, an den Kläger eine monatlich
vorauszahlbare Invalidenrente von 20 Fr., beginnend mit dem 15. September
1918, zu entrichten. Nachdem die Anstalt diesen Betrag während einiger
Monate ausgerichtet hatte, teilte sie am 10. Dezember 1919 dem Rekurrenten
durch eingeschriebenen Brief mit, dass sie infolge eines neuen Gutachtens
des Prof. Howald vom 19. November, in Anwendung von Art. 80

des BG über die Krankenund Unfallversicherung-

seine Rente mit Wirksamkeit ab 1. Januar 1920 von 17 1/2 auf 10 %
oder monatlich 11 Fr. 70 Cts. herabsetze. Der Rekurrent weigerte sich,
die Herabsetzung anzunehmen, und hob am 3. März 1920 für 80 Fr., vier
Monatsraten zu 20 Fr. per 1. Dezember 1919, 1. Januar, 1. Februar und
1. März 1920 Betreibung an. Die Anstalt schlug für den 35 Fr. 10 cm.;
d. h. drei Monatsrenten

von 11 Fr. 70 Cts. übersteigenden Betrag Recht ver..

In der Verhandlung vor dem Amtsgerichtsvizepräsideuten von Luzern
Stadt als Rechtsöffnungsrichter anerkannte der Reknrrent, die Rente per
1. Dezember 1919 mit 20 Fr. noch erhalten zu haben. Für die weiteren

in Betreibung gesetzten 60 Fr. erteilte der Amtsgerichts '

Vizepräsident am 28. April 1920 die definitive Rechtsòffnung
mit der Begründung, dass die Anstalt, wenn sie von Art. 80
Unfallversicherungsgesetz Gebrauch machen wolle, vom bernischen
Versicherungsgericht die Revision seines Urteils vom 2. Mai 1919 zu
begehren habe und nicht die Rechtskraft des ergangenen Richterspruches
einseitig von sich aus Wieder umstossen könne. Aux Weiterzug durch die
Anstalt hob jedoch die schuld-Gleichheit vor dem Gesetz. N° 48. 353

hetreihungsund Konkurskommission des luzernischen Obergerichts am 16. Juli
1920 diesen Entscheid auf und wies das Rechtsöffn-ungsgesuch ab. Nach
Art. 80 Unfallversicherungsgesetz, so wird in den Erwägungen ausgeführt,
könne die Invalidenrente bei nach der Festsetzung eingetretener
Veränderung des Grades der Erwerbsfähigkeit in den ersten drei
Jahren seit der Festsetzung jederzeit und später noch je bei Ablauf
des sechsten und neunten Jahres revidiert werden. Es werde damit,
in weiterem Ausbau schon in der Haftpilichtgesetzgebung enthaltener
Ansätze (Rektifikationsvorbehalt), der Grundsatz aufgestellt, dass
dieser Teil der Versicherungsleistungen nicht fest, sondern in seinem
Umfang dem jeweils tatsächlich bestehenden Invaliditätsgrade angepasst
sein solle, was zur Folge habe, dass auch die Rechtskraft des die Rente
testsetzenden Beseheides von vorneherein nur eine beschränkte, durch
den Nichterlass einer Revisionsverfügung bedingte sei. Wie die erste
Rentenfestsetzung von der Anstalt auszugehen habe, unter Vorbehalt des
Rechtes des Versicherten, gegenüber derselben den Richter anzurufen, so
müsse dies aber auch für die Revision der Rente gelten. In den Fällen,
wo es anlässlich der ursprünglichen Festsetzung überhaupt zu'. keinem
gerichtlichen Spruche gekommen sei, weil der Versicherte-den Bescheid
der Anstalt angenommen (nicht weitergezogen) habe, sei eine andere Lösung
sowieso nicht denkbar. Wenn für "den Fall, wo die zu revidierende Rente
infolge einer solchen Weiterziehung vom Richter bestimmt worden sei,
etwas anderes gelten sollte, so hätte dies zum Ausdruck gebracht werden
müssen. Art. 80 laute aber ganz allgemein. Wie er sich demnach m a t e r
i e l l auf alle Invalidenrenten, die von der Anstalt und die gerichtlich
bestimmten, beziehe, so biete er auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass
form ell für die Revision im einen oder anderen Falle ein anderer Weg
einzuschlagen sei. Für

354 Staatsrecht.

diese Auslegung spreche auch Art. 9 der Verordnung Nr. II des Bundesrates
über die Unfallversicherung vom 3. Dezember 1917, wo der Rentenansprecher,
der eine Rentenfestsetzung der Anstalt nicht anerkennen wolle,
bei Vermeidung der Verwirkung seiner weitergehenden Ansprüche auf den
Weg der Klage verwiesen werde. Rentenfestsetzung sei aber auch die
revisionsweise Festsetzung. Wenn die Verordnung dafür keine besonderen
Vorschriften aufstelle, sondern die Klägerrolle allgemein und ohne
Einschränkung dem Rentenansprecher zuweise, so dürfe daraus wiederum
geschlossen werden, dass er es in allen Fällen sei, der klagend vorzugehen
habe, dass also auch _bei gerichtlich bestimmten Renten die Anstalt die
Revision von sich aus verfügen könne und der Versicherte seinerseits
neuerdings das Versicherungsgericht anzurufen habe, wenn er mit ihr
nicht einverstanden sei.

B. Gegen den Entssicheid der Schuidbetreibungsund Konkurskommission hat
Beutler die staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht ergriffen mit
dem Antrage auf Aufhebung. Er gibt zu, dass auch gerichtlich bestimmte
Invalidenrenten der Revision nach Art. 80 Unfallversicherungsgesetz
unterliegen, erblickt

aber in der Annahme, dass _auch in diesem Falle die

Anstalt die Revision von sich aus vornehmen könne, eine Verletzung
allgemein anerkannter Rechtsgrundsätze. Im Prozesse vor dem
Versicherungsgericht stünden sich der Versicherte und die Anstalt als
gleichberechtigte Parteien gegenüber. Die Auffassung der Vorinstanz
hätte also zur Folge, dass eine Partei das ihr gegenüber ergangenc Urteil
einseitig wieder aufheben könnte. Die Unfallversicherungsanstalt Würde
damit zur Rechtsmittelinstanz über den Versicherungsgerichten, sogar dem
EidgenössiSchen Versicherungsgericht und zum Richter in eigener Sache
gemacht. Eine so überraschende Neuerung müsste im Gesetze unzweideutig
ausgesprochen sein, um als Wille des--Gleicbheit vor dem Gesetz. l 43. 355

selben gelten zu können. Dies sei aber keineswegs der Fall. Auch Art. 9
der Verordnung II vom 3." Dezember 1917 vermöge die bekämpfte Ansicht
nicht zu stützen. Die Behauptung, dass die Revision einer Rente im Sinne
von Art. 80 Unfallversicherungsgesetz ebenfalls Rentenfestsetzung sei
und deshalb unter jene Verordnungsvorsehrift falle, enthalte eine peiitio
principr'i. Denn zu entscheiden sei ja gerade, ob die Anstalt auf Grund
von Art. 80 des Gesetzes berechtigt sei, eine gerichtlich bestimmte
Rente V o n s i c h a u S zu revidieren. Erst wenn dies bejaht werden
müsste, könnte sich die weitere Frage erheben, ob im Falle einer solchen
Revision Art. 9 der Verordnung II Anwendung finde. Müsse das Urteil des
bernischen Versicherungsgerichts noch heute als so rechtskräftig gelten,
Wie am ersten Tage, so verstosse aber die Verweigerung der Rechtsöffnnng
gegen Art. 61
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 61 Zivilschutz - 1 Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
1    Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
2    Der Bund erlässt Vorschriften über den Einsatz des Zivilschutzes bei Katastrophen und in Notlagen.
3    Er kann den Schutzdienst für Männer obligatorisch erklären. Für Frauen ist dieser freiwillig.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Schutzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV, das verfassungsmässige Recht des Beschwerdeführers,
die Vollstreckung dieses rechtskräftigen Zivilurteils im ganzen Gebiete
der Eidgenossenschaft zu verlangen. Es werde dadurch ausserdem Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.

BV verletzt, indem der angefochtene Entscheid des Obergerichts jeder
ernsthaften rechtlichen Begründung entbehre.

C. Die Schuldhetreibungsund Konkurskommission des Obergerichts Luzern
und die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt haben Abweisung der
Beschwerde beantragt.

D. Das Bundesgericht hat zunächst am 22. Dezember 1920beschlossen,
den Meinungsaustausch nach Art. 194
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG mit dem Bundesrate über die
Kompetenzfrage zu eröffnen, von dem Gesichtspunkte ausgehend, dass
der Streit als ein solcher über die Anwendung eines Bundesgesetzes
administrativer Natur im Sinne von Art. 189 Abs. 2 ebenda angesehen werden
könne, in welchem Falle auch die Rüge der materiellen Rechtsverweigerung,
begangen durch willkürliche Auslegung

der betreffenden Vorschriften, kraft Kompetenzattrak--

356 Staatsrecht.

tion vom Bundesrate zu beurteilen wäre. Durch Zuschrift vom 3. August
1921 hat jedoch der Bundesrat erwidert, dass er die Beschwerde als
in die Zuständigkeit des Bundesgerichts fallend betrachte, da nach
Art. 189 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OG auch wegen unrichtiger Anwendung von Bundesgesetzen
polizeilichen und administrativen Inhalts der Bundesrat nur insoweit
angerufen werden könne, als nicht diese Gesetze oder die gesetzlichen
Bestimmungen über die Organisation der Bundesrechtspflege abweichende
Vorschriften enthalten. Nach der Bundesgesetzgebung finde aber eine
Weiterziehung von Rechtsöffnungsurteilen an eine Bundesinstanz zur
Prüfung der Frage, ob die Norm, auf welche der geltend gemachte Anspruch
sich stützt, richtig angewendet worden ist , nicht statt. Es könne daher
in Rechts-

öifnungssachen nur die Verletzung der Verfassung

und von Staatsverträgen gerügt werden, wofür das Bundesgericht und nicht
der Bundesrat zuständig sei.

Das Bundesgericht zieh! in Erwägung :

1. Die Gegenstand der Beschwerde bildende Frage, von wem die Revision
einer durch Urteil des Versicherungsgerichts bestimmten Invalidenrente
im Sinne von Art. 80 Unfallversicherungsgesetz auszugehen hat, ob die
Anstalt dazu vom Gericht eine Aenderung seines Urteils verlangen muss
oder die Nenfestsetzung der Rente selbst vornehmen kann, mit der Wirkung,
dass der Versicherte gegen die neue Festsetzung, um sie zu

beseitigen, seinerseits wieder den Rechtsmittel (Klage-) siss

weg zu betreten hat, kann vom Bundesgericht nicht frei, sondern nur
aus dem Gesichtspunkte des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV (der Willkür und Verletzung klaren
Rechtes)

nachgeprüft werden. Eine weitergehende Ueberprüfungss

befugnis lässt sich auch aus dem vom Rekurrenten angerufenen
Art. 61 ebenda, der Tatsache, dass es sich um die Vollstreckung einer
gerichtlichen Entscheidung ausserhalb des Kantons, wo sie gefällt worden
ist,Gleichheit vor dem Gesetz. N° 48. 357

handelt, nicht herleiten. Einmal ist schon fraglich, ob die Entscheidungen
der Versicherungsgerichte über Versicherungsleistungen der Anstalt an
den Versicherten überhaupt als Zivilurteile im Sinne des Art. 61 gelten
können (siehe dazu unten Erw. 2). Sodann gewährleistet der letztere auch
unter dieser Voraussetzung die interkantonale Vollstreckbarkeit nicht
allen gerichtlichen Entscheidungen, sondern nur denjenigen, welche
eine rechtskräftige Feststellung des zu vollstreckenden Anspruchs
enthalten. Gerade darum, ob und inwiefern diese Wirkung dem Spruch des
Versicherungsgerichts eigne, wodurch es einem Versicherten wegen eines
Unfalls eine Invalidenrente zuerkennt, d. h. ob und inwiefern darin eine
die Anstalt bindende Bestimmung des Umfanges ihrer Leistungspflichten
auch für die Zukunft liege, dreht sich aber hier der Streit. Darauf gibt
Art. 61
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 61 Zivilschutz - 1 Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
1    Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
2    Der Bund erlässt Vorschriften über den Einsatz des Zivilschutzes bei Katastrophen und in Notlagen.
3    Er kann den Schutzdienst für Männer obligatorisch erklären. Für Frauen ist dieser freiwillig.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Schutzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV keine Antwort. Sie kann nur den einschlägigen Bestimmungen
des Krankenund Unfallversicherungsgesetzes selbst, also Normen
entnommen werden, deren Anwendung, weil sie einfaches Gesetzes-,
nicht Verfassungsrecht darstellen, der Kognition des Bundesgeriehts
im staatsrechtlichen Besehwerdeverfahä ren bloss in der gedachten
Beschränkung untersteht.

2. Nun behauptet der Rekurrent mit Recht nicht, dass der Entscheid der
Vorinstanz klare positive Bestimmungen dieses Gesetzes oder der dazu
gehörigen Verordnungen verletze. Die Rüge aber, dass er gegen allgemein
anerkannte Prozessgrundsätze verstosse, indem er einer Partei die
Möglichkeit gebe, den gegen sie ergangenen Richterspruch von sich aus
wieder zu beseitigen und sich zum Richter in eigener Sache zu machen,
läuft auf dasselbe hinaus, was der Rekurs in anderem Zusammenhang
der Vorinstanz vorwirft, nämlich eine petilio principii. Es wird dabei
übersehen, dass, gleichwie die Schweizerische Unfallversicherungs-anstalt
selbst, trotz Ausrüstung mit dem Rechte der Persönlichkeit, nach
Entstehung und Organisation

358 Staatsrecht.

(Art. 41 bis 51 des Gesetzes), doch kein Rechtssubjekt privatrechtlichen
Charakters, sondern eine öffentliche Anstalt des Bundes ist, welche
einen staatlichen Wohlfahrtszweck, die Fürsorge für gewisse Kategorien
von Personen gegen die wirtschaftlichen Folgen von Unfällen, verfolgt, so
auch das Verhältnis zwischen Anstalt einerseits, versicherungspflichtigen
Betriebsinhabern und Arbeitern andererseits dem öffentlichen, nicht dem
Privatrecht angehört, indem sich der Kreis der Beitragspflichtigen und
Versicherten wie der Umfang ihrer Rechte gegenüber der Anstalt unabhängig
von ihrem Willen nicht auf Grund Vertrags, sondern kraft einseitigen
gesetzlichen Befehls ausschliesslich nach dem Vorhandensein gewisser
objektiver Tatbestände bestimmt. Dem entspricht es aber, dass auch die
Erklärung der Anstalt, wodurch sie einem Versicherten die Leistungen
bekannt gibt, die sie ihm wegen eines Unfalls gewähren will, nicht bloss
die Bedeutung einer Offerte besitzt, die anzunehmen oder abzulehnen dem
Versicherten freisteht, sondern einer seine Rechtsstellung bestimmenden
Verwaltungsverfügung, die mangels Anfechtung auf dem hiefür vorgesehenen
Rechtsmittelwege für ihn verbindlich wird. Auf diesem Boden steht
unzweideutig der von der Vorinstanz herangezogene Art. 9 der Verordnung
II vom 3. Dezember 1917, dessen Rechtsbeständigkeit in der Beschwerde
nicht bestritten wird, wenn er für die gerichtliche Klage gegen die
Erledigung von Versicherungsansprüchen durch die An--

stalt einschliesslich der Rentenfestsetzungen be?

stimmte Fristen vorsieht, nach deren Ablauf die Verwirkung der
weitergehenden Ansprüche des Versicherten eintritt. Es ergibt
sich daraus zugleich das Wesen der in Art. 120 ff. des Gesetzes
eingesetzten Versicherungsgerichte. Ihre Stellung ist nicht diejenige des
Zivilrichters, der einen Forderungsstreit zwischen zwei gleichgeordneten
Rechtssubjekten entscheidet, sondern eines Verwaltungsgerichts, das die
von der zunächst zu-Gleichheit vor dem Gesetz. N° 48. 359

ständigen Verwaltungsinstanz, den Organen der Anstalt erlassene
Verfügung auf ihre Gesetzmässigkeit und Angemessenheit nachzuprüfen
hat, der Spruch, wodurch dies geschieht, der Umfang der streitigen
Versicherungsleistungen festgesetzt wird, nichts von jener Verfügung
inhaltlich Verschiedenes, sondern gleich ihr ein öffentliche Leistungen
zuteilender Verwaltungsakt. Die Besonderheit liegt nur im Verfahren, in
dem er erlassen worden ist, und den dadurch den Betroffenen gebotenen
besonderen Garantien richtiger Beurteilung. Sachlich aber kann er, wo
er die Zuerkennung einer Invalidenrente wegen dauernder Verminderung der
Erwerbskähigkeit im Sinne von Art. 76 ff. des Gesetzes zum Gegenstand hat,
infolge des in Art. 80 ebenda aufgestellten Grundsatzes der Variabilität
dieser Renten von vorneherein nicht auf die Feststellung einer ein
für alle Male gegebenen, festen Leistungspflicht der Anstalt, sondern
nur darauf gehen, dass nach dem Masse der Erwerbsunfähigkeit, wie es
zur Zeit der Klageerhebung oder Urteilsfällung verlag, und unter der
Voraussetzung des Gleichbleibens dieses Zustandes eine Rentenforderung
in der zuerkannten Höhe rechtlich begründet sei. Es lässt sich deshalb
auch der Standpunkt vertreten, dass er nur in dieser Beschränkung für
die Anstalt eine verbindliche Bestimmung ihrer Rechtsstellung enthalte,
während das Recht derselben bei später eintretender Veränderung des Grades
der Erwerbsfähigkeit eine neue Verfügung zu erlassen, weil dieser neue
Sachverhalt überhaupt nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung
gebildet, dadurch unberührt bleibe. Der Schluss mag nicht zwingend
sein und es mag sich daneben mit guten Gründen auch die andere Ansicht
verteidigen lassen, dass selbst als Akt der Verwaltungsrechtspflege der
Entscheid des Versicherungsgerichts mangels einer ausdrücklichen das
Gegenteil bestimmenden Norm für die öffentliche Verwaltung, (1. h. die
Anstalt solange massgebend bleiben müsse, als nicht im Wege der Auf--

360 staats-echt

hebung desselben durch das Gericht selbst die Grundlage zu neuem Handeln
geschaffen sei. Die oben angestellten Betrachtungen in Verbindung mit
den Erwägungen der Vorinstanz selbst genügen aber auf alle Fälle, um
die entgegengesetzte Auffassung, wie sie dem angefochtenen Entscheide zu
Grunde liegt, vor dem Vorwurfe der Willkür zu schützen und sie als noch
in den Rahmen einer zulässigen Gesetzesauslegung gehend erscheinen zu
lassen. Dass es sich dabei keineswegs um eine Singularität sondern um
eine Regelung handelt, die sich auch anderwärts mit Rücksicht auf die
Eigenart der Verhältnisse auf diesem Gebiete aufgedrängt hat, zeigt das

Beispiel der deutschen Reichsversicherungsordnung : auch .

hier geht die Revision der Unfallrente wegen Veränderung der Verhältnisse,
die für die Feststellung mass-

gebend gewesen waren, gleichgültig welche Instanz die .

ursprüngliche Festsetzung endgültig getroffen hatte, stets wieder
vom Träger der Versicherung., der Berufsgenossenschaft aus und es
ist Sache des Versicherten, der sie nicht annehmen will, dagegen die
Rechtsmittelinstanzen (Spruchbehörden) anzurufen (55 608, 955, 1115, 1583,
1591, 1606, 160? Abs. 3 RVO). Voraussetzung wird dabei allerdings sein
müssen, dass wirklich eine Rentenrevision nach Art. 80, des Gesetzes,
d. h. einer Neufestsetzung der Rente wegen seither eingetretener
Verminderung des Grades der Erwerbsunfähigkeit, Besserung des Zustandes
des Verletzten vorliegt. Nur in diesem Falle und nicht wegen ursprünglich
unrichtiger

Beurteilung der Entschädigungsfrage nach dem damals ssss

vorhandenen Tatbestande kann die Invalidenrente nach dem Gesetze
nachträglich herabgesetzt werden; Widersetzt sich die Anstalt der gestützt
auf ein formell rechts--

kräftiges Urteil des Versicherungsgerichts begehrten--

Rechtsöffnung mit der Begründung, dass dasselbe inzwischen durch den
Erlass einer Revisionsverfügung dahingefallen sei, so wird deshalb auch
der Rechtsöffnungsrichter für sich die Prüfung der Frage in An-Gleichheit
vor dem Gesetz. N° 48. 361

spruch nehmen dürfen und müssen, ob man es wirklich mit einer
Rentenrevision im Sinne des Art. 80 und nicht einfach mit einem
unzulässigen Zurückkommen auf die ursprüngliche Erledigung des Falles bei
gleichgebliebenem Tatbestande zu tun hat. Gerade im vorliegenden Falle
bestehen nach dieser Richtung ernstliche Bedenken, indem die Fassung
der Mitteilung der Anstalt an den Rekurrenten vom 10. Dezember 1919
die Vermutung nahelegt, es handle sich bei dem darin erwähnten neuen
Gutachten des Prof. Howald nicht sowohl um die Feststellung neuer von
den früheren abweichender Untersuchungsergebnisse, einer Aenderung
im Zustande des Verletzten, als einfach um die Erklärung, dass der
Gutachter auch gegenüber der gerichtlichen Expertise an seiner früheren,
niedrigeren Schätzung des Grades der Invalidität festhalte. Indessen ist
die Einrede, dass die Revisionsverfügung vom 10. Dezember 1919 deshalb
das Urteil des bernischen Versicherungsgerichts vom 2. Mai 1919 nicht zu
beseitigen vermöge, vor den kantonalen Instanzen nicht erhoben worden,
sodass letztere keinen Anlass hatten, ihre Kognition hierauf auszudehnen,
und die Annahme, dass man vor einer gültigen Rentenrevision im Sinne
von Art. 80 des Gesetzes stehe, auch aus diesem Gesichtspunkte nicht
als willkürlich beanstandet werden kann.

Demnach erkennt das Bundesgericht : Die Beschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 47 I 351
Datum : 01. Oktober 1921
Publiziert : 31. Dezember 1921
Quelle : Bundesgericht
Status : 47 I 351
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 350 _ Strafrecht. präsidenten von Le Loele aufgehoben. Nach dem Gesagten besteht


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
61
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 61 Zivilschutz - 1 Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
1    Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
2    Der Bund erlässt Vorschriften über den Einsatz des Zivilschutzes bei Katastrophen und in Notlagen.
3    Er kann den Schutzdienst für Männer obligatorisch erklären. Für Frauen ist dieser freiwillig.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Schutzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
OG: 189  194
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
versicherungsgericht • invalidenrente • 1919 • bundesgericht • bundesrat • vorinstanz • frage • weiler • wille • rechtsmittel • norm • monat • vermutung • richtigkeit • entscheid • rechtsmittelinstanz • verwirkung • mass • rechtssubjekt • verfügung
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