346 , Strafrecht.

XI. ORGANISATION DER BUNDESRECHTSPFLEGE

ORGANISATION JUDICIAIRE FEDERALE

Vgl. Nr. 36 und 39. Voir n° 36 et 39.

B. STRAFRECHT DBOIT PÉNAL

MASS UND GFEWICHT POIDS ET MESURES

47. Urteil des Kessationahofe vom 28. April 1921 i. S. Bundesanwaltschaft
gegen Reiniger. Vollziehungsverordnung zum BG über Mass und Gewicht,

Art. 12. Die Vorschrift, dass die hier genannten Flüssigkeiten bei
fassweisem Verkauf nur in geeichten Fässer-n

abgegeben werden dürfen, gilt auch für 'den Fall, dass der _

Käufer das Fass stellt.

A. Der Kassationsbeklagte Heiniger ist am 12. Oktober 1920 vom
Polizeirichter der Stadt Zürich wegen Uebertretung des Bundesgesetzes
über Mass und Gewicht Art. 25 und der dazu gehörigen bundesrätlichen
Vollziehungsverordnung Art. 12, in der Fassung vom 4. September 1914, mit
10 Fr. gebüsst werden, weil er Most in einem ungeeichten Fasse an einen
gewissen Hirschi in Zürich geliefert hatte. DasMass und Gewicht N° 47. 347

betreffende Fass war Eigentum des Käufers Hirschi, der es dem
Kassationsbeklagten unter Angabe des Fassungsvermögens (Rauminhalts)
zum Füllen geschickt hatte. '

Auf das Begehren des Kassationsbeklagten um gerichtliche Beurteilung hob
das Bezirksgericht Zürich durch Urteil vom 19. November 1920 die Busse
auf, da die angerufene Verordnungsbestimmung trotz ihres weitergehenden
'Wortlauts nach ihrer ratio doch nur den Fall des Verkaufs in einem
Gebinde des Verkäufers, nicht denjenigen treffen wolle, wo letzteres
vom Käufer selbst gestellt worden sei.

B. Gegen dieses nach kantonalem Prozessrecht letztinstanzliche Urteil hat
das eidgenössische Justiz-. und Polizeidepartement namens des Bundesrates
durch Vermittlung der Bundesanwaltschaft die Kassations beschwerde ans
Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage auf Aufhebung und Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz zu neuer Enscheidung.

C. Der Kassationsbeklagte Heiniger hat Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Kassationshoi zieht in Erwägung :

I. Der streitige Art, 12 der Vollziehungsverordnung vom 12. Januar 1912
zum Bundesgesetz über Mass und Gewicht in der abgeänderten Fassung des
Bundesratsbeschlusses vom 4. September 1914 lautet in Absatz 1 : _

Wein, Obstwein, Spirituosen und Bier dürfen bei fassweisem Verkauf nur in
geeichten Fässern abge geben werden. Die Eichung besteht bei den Fässern :

a) in der Bezeichnung des Taragewichts, dem Stem pelzeichen. und der
Jahrzahl, wenn sieh der Verkauf nach dem Gewicht vollzieht.

b) in der Angabe des Ranminhalts, dem amtlichen Stempel und der Jahrzahl,
wenn sich der Verkauf nach Volumen vollzieht, oder

348 Strafrecht.

c) in beiden Angaben bei freier Wahl der Verkaufs art.

Er lässt demnach, wie das Bezirksgericht zugibt, nach seinem Wortlaut
die Eichpflicht eintreten, sobald ein Fass aus dem internen Gebrauch in
der Privatwirtschaft des Eigentümers heraustritt und im Verkehre zur
Erfüllung eines nach Gewicht oder Volumen geschlossenen Kaufvertrages
über eine der genannten Flüssigkeiten verwendet wird : ein Unterschied
danach, welcheder Parteien es gestellt hat, der Verkäufer oder Käufer,
wird nicht gemacht. Dass die Vorschrift so ausgelegt über das Gesetz
hinausgehen Würde, ist nicht behauptet worden. Angesichts des Art. 25 des

letzteren, der den Grundsatz, dass im Handel und '

Verkehre nur geeichte Längenund Hohlmasse, Gewichte usw. zur Verwendung
kommen dürfen , ebenfalls in allgemeiner Fassung und ohne Einschränkung
aufstellt, mit Recht nicht. Die Ueberprüfung der Rechts-heständigkeit
einer bundesrätlichen Vollziehungsverordnung durch das Bundesgericht hat
sich aber darauf zu beschränken, ob die rechtliche Grundlage zu derselben
im Gesetz vorhanden ist: eine Nachprüfung des Verordnungsinhalts auf
seine Notwendigkeit und Zweckmässigkeit steht ihm nicht zu (AS 39 I
S. 410 Erw. 2). _

2. Wenn die Vorinstanz zur Begründung ihrer vom Wortlaut abweichenden
einschränkenden Auslegung ausführt, Zweck der gesetzlichen Bestimmungen
über Mass und Gewicht sei der Schutzwdes Käufers vor Täuschung durch
den Verkäufer, dieses Schutzbedürfnis entfalle aber, wo der Käufer
selbst das Mass bezw. Gebinde stelle, es könne daher Art. 12 der
Vollziehungsverordnung diesen Fall nicht treffen wollen, so stellt sie
damit etwas als feststehend hin, was erst noch zu

,beweisen wäre. Eine Täuschung ist ebensogut umgekehrt in der Weise
möglich, dass der Käufer über das Fassungsvermögen des von ihm gestellten
Gebin-Mass und Gewicht N° 47. 349

des dem Verkäufer unrichtige Angaben macht. Die Fälle, in welchen der
Käufer und nicht der Verkäufer das Fass stellt, sind auch abgesehen
von den bei gewissen besonderen Geschäftsarten, wie Kauf neuen Weins
ab der Presse usw. herschenden lokalen Gebrauchen im Handel mit Wein
und Obstwein in kleineren Mengen keineswegs selten. Ein Grund, das
Interesse des Verkäufers, vor Täuschungen der erwähnten Art durch den
Vertragsgegner bewahrt zu werden, als weniger schutzwürdig zu betrachten
denn dasjenige des Käufers, ist nicht einzusehen. Solange Gesetz und
Verordnung selbst für das Gegenteil keine Handhabe bieten, muss deshalb
auch angenommen werden, dass sie beide Teile in gleichem Masse schützen
wollen, (1. h. dass ihr Zweck die Gewährleistung der Sicherheit des
Verkehrs mit nach Mass oder Gewicht verkauften Waren überhaupt, nicht
nur zu Gunsten einer Vertragspartei ist. Selbst wenn der eigentliche,
primäre Zweck der Schutz des Käufers wäre, konnten doch hinreichende
in der Erleichterung der Kontrolle liegende Zweckmässigkeitsgründe
dafür bestehen, die Bestimmung auf den fassweiscn Verkauf schlechthin,
ohne Unterschied der Eigentumsverhiiltnisse am Fass auszudehnen. Die
Notwendigkeit, jedesmal darüber Erhebungen einzustellen, welchen,
Partei das zur Lieferung benutzte Fass. gehöre, wiirde nicht nur
die Tätigkeit der Kontrollorgane sehr erschweren, sondern bei der
Möglichkeit von Kollusionen zwischen Käufer und Verkäufer häufig die
Vollziehung der Vorschrift auch in den von ihr wirklich betroffenen
Fällen verunmöglichen. In diesem Sinne hat deundas Bundesgericht in
einem Falle, wc Wein in einem dem Käufer gehörenden ungeeichten Fasse
geliefert worden war, schon einmal entschieden (Urteil vom 5. November
1918 in Sachen Droz) und das auf der heute vom Bezirksgericht Zürich
vertretenen entgegengesetzten Auslegung beruhende freisprechende Urteil
des GerichtsAS &? I 1921 23

350 . Strafrecht.

präsidenten von Le Locle aufgehoben. Nach dem Gesagten besteht kein
Anlass von dieser Praxis abzugeben.

3. Zum Verschulden muss dabei, was inbezug auf denselben Artikel
der Vollziehungsverordnung ebenfalls bereits ausgesprochen worden
ist (Urteil i. S. Giolivano vom 21. Oktober 1920), Wie bei anderen
Verwaltungsdelikten, inbezug auf die das Gesetz eine ausdrückliche
Verweisung auf den allgemeinen Teil des Bundesstrafrechts nicht enthält,
Fahrlässigkeit genügen und es ist diese beim Vorliegen des objektiven
Tatbestandes solange zu vermuten, als nicht der Angeschuldigte
die Vermutung durch den Nachweis besonderer Entschuidigungsgründe
entkräftet. Solche haben aber hier nicht namhaft gemacht werden können.
Die Berufung auf die. grossen Mengen ausländischer Weine, die in
ungeeichten Fässern und Flaschen nach der Schweiz gelangen, ist schon
deshalb unbehelflich, weil es sich dabei um eine in Abs. 4 des streitigen
Art. 12 der Vollziehungsverordnung ausdrücklich vorgesehene Ausnahme
von dem allgemeinen Grundsatze des Abs. l

handelt. ( Von der Eiehpflicht sind befreit diejenigen,

ausländischen Transportfässer, welche ausschliess lich dem Verkehr
zwischen ausländischem und in-

ländischem Handel dienen und nicht in den schweizes

rischen internen Verkehr treten, sowie die auslän dischen Originalgebinde,
sofern der Verkauf des In halts nebst Gebinde stattfindet und pro Gebinde
be rechnet wird. )

Demnach erkennt der Kassaiionsnof:

Die Kassationsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Bezirksgerichts
Zürich 3. Abtlg. vom 19. November 1920 aufgehoben und die Sache zu
neuer Entscheidung an das Bezirksgericht zurückgewiesen.OFDAG Offset-,
Formularund Fotodruck AG 3000 BernSTAATSREGHT DROIT PUBLICI. GLEICHHEIT
VOR DEM GESETZ (RECHTSVERWEIGERUNG)ÉGALITÉ DEVANT LA LO] (DEN! DE JUSTlCE)

48. Urteil vom 1. Oktober 1921 i. S. Bent-ler gegen Obergericht Luzern.

Art. 80 BG über die Krankenund Unfailversicherung. Die Auslegung,
wonach die Unfallversicherungsanstalt die hier vorgesehene Revision
der Invalidenrente wegen Verminderung des Grades der Erwerbsunfähigkeit
(Besserung des Zustandes des Versicherten) auch dann, vorhehältlich der
Veiterziehung durch den Betroffenen, von sich aus vornehmen kann, wenn
die erste Rentenfestsetzung endgültig durch das Versicherungsgericht
erfolgt war, und dazu nicht von diesem eine Aenderung seines Urteils zu
verlangen braucht, wonach das Urteil über die Höhe der Bente also einen
vollstreckharen Titel nur bis zum Erlasse einer solchen Revisionsverfügung
der Anstalt gibt, ist nicht willkürlich und verstösst auch nicht gegen
Art. 61
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 61 Zivilschutz - 1 Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
1    Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
2    Der Bund erlässt Vorschriften über den Einsatz des Zivilschutzes bei Katastrophen und in Notlagen.
3    Er kann den Schutzdienst für Männer obligatorisch erklären. Für Frauen ist dieser freiwillig.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Schutzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
BV. Befugnis des Rechtsöflnungsrichters zu prüfen, ob es sich
wirklich um eine Rentenrevision nach Art. 80 des Gesetzes und nicht
bloss um ein unzulässiges anückkommen auf die frühere Beurteilung des
Falles bei gleichgebliebenem Tatbestande handle.

A. Der Rekurrent Beutlcr, Sägereihandlanger in Walliswil-Wangen erlitt am
27. Juni 1918 einen Betriebsnnfall, bestehend in der Verletzung von vier
Fingern der rechten Hand. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt
in Luzern (im Folgenden Anstalt genannt) anerkannte, anschliessend an
ein Gutachten des Prof.

AS 47 I 1921 24
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 47 I 346
Datum : 28. April 1921
Publiziert : 31. Dezember 1921
Quelle : Bundesgericht
Status : 47 I 346
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 346 , Strafrecht. XI. ORGANISATION DER BUNDESRECHTSPFLEGE ORGANISATION JUDICIAIRE


Gesetzesregister
BV: 61
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 61 Zivilschutz - 1 Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
1    Die Gesetzgebung über den zivilen Schutz von Personen und Gütern vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte ist Sache des Bundes.
2    Der Bund erlässt Vorschriften über den Einsatz des Zivilschutzes bei Katastrophen und in Notlagen.
3    Er kann den Schutzdienst für Männer obligatorisch erklären. Für Frauen ist dieser freiwillig.
4    Der Bund erlässt Vorschriften über den angemessenen Ersatz des Erwerbsausfalls.
5    Personen, die Schutzdienst leisten und dabei gesundheitlichen Schaden erleiden oder ihr Leben verlieren, haben für sich oder ihre Angehörigen Anspruch auf angemessene Unterstützung des Bundes.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
gewicht • mass • wein • bundesgericht • vermutung • weiler • treffen • vorinstanz • menge • vertragspartei • kauf • umfang • entscheid • zahl • benutzung • willkürverbot • begründung des entscheids • kantonales rechtsmittel • falsche angabe • anschreibung
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