228 _ Staatsreeht.

34. Urteil vom 23. September 1921 i. S. Bell gegen II. Kammerdes
Obergerichts des Kantons Luzern.

Formelle Rechtsverweigerung liegt in einer Gerichtspraxis, die mit
Rücksicht auf die Änderung des Massstabes für die Umwandlung von
Geldin Geiängnisstrafen im Strafrecht die Appellation erst bei einer
Verurteilung zu 50 Fr. Busse zulässt, während das vor der genannten
Änderung erlassene Strafprozessgesetz vorschreibt, die Verurteilung zu
30 Fr. Busse berechtige zur Appellation.

A. Der Rekurrent wurde am 11. Dezember 1920 vom Amtsgericht Luzern-Stadt
wegen _Übertretung des Konkordates und der kantonalen Verordnung
betreffend den Verkehr mit Motoriahrzeugen zu einer Geldhusse von 50
Fr. verurteilt. Er appellierte an das Obergericht des Kantons Luzern;
dessen II. Kammer entschied aber am 1. Februar 1921, es sei auf die
Appellation nicht einzutreten, indem sie ausführte: Ge mäss § 259 StRV
ist ein erstinstanzliches Polizeistraf urteil von Seite des Beklagten
appellabel, wenn eine höhere Strafe als dreissig' Franken oder zehn
Tage Gefängnis oder eine Entschädigung von über hundert-

undfünfzig Franken ausgesprochen wurde. Die hier--

ortige Praxis hat nun mit Rücksicht darauf, dass das neue
Polizeistrafgesetz vom 29. November 191si5ss eine Geldbusse von fünf
Franken einem Tage Gefängnis gleich setzt, die Appellationssumme' im
Strafpunkte auf über fünfzig Franken erhöht, vgl. Weisung vom 19. März
1918, Kantonsblatt Nr. 13 vom 29. März 1918.

B. Gegen diesen ihm am 10. Februar zugestellten Entscheid hat Bell am
8. April 1921 die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht
ergriffen mit dem Antrag, er sei aufzuheben und die Sache zu neuer
Beurteilung an das Amtsgericht zurückzuweisen.

Der Rekurrent macht geltend : Er sei um das RechtGleichheit vor dem
Gesetz. & 34. 229

der Appellation gebracht worden, das ihm § 259 des kantonalen StRV für
den vorliegenden Fall garantiere. Diese Bestimmung könne nur durch
ein neues Gesetz abgeändert oder aufgehoben werden; denn das Gesetz
sei die einzige Quelle, wie der Entstehung, so auch des Untergangs
der Strafrechtssätze. Eine gesetzliche Aufhebung oder Abänderung des
§ 259 StRV habe aber nie stattgefunden. Der Umstand, dass das neue
Polizeistrafgesetz für die Umwandlung von Geldbnssen in Gefängnisstrafen
5 Fr. statt, wie das frühere Gesetz, 3 Fr. Busse einem Tag Gefängnis
gleichsetze, berühre das Strafprozessreeht nicht. Die Analogie sei im
Strafrecht nicht zulässig. Die Weisung des Obergeriehtes vom März 1918
habe nicht etwa Gesetzescharakter; diese Behörde könne weder Gesetze
erlassen, noch solche authentisch interpretieren, ohne den Grundsatz
der Gewaltentrennung zu verletzen.

C. Die II. Kammer des Obergerichtes beantragt Abweisung der
Beschwerde. Sie legt eine Abschrift ihrer Weisung vom 19. März 1918
an die luzernischen Anwälte und Amtsgerichte vor, aus der folgendes
hervorzuheben ist: Diese Bestimmung ( § 259 StRV) beruht auf §
16 a. Polizeistrafges., wonach bei Umwandlung von Geldbusse in
Gefängnisstrafe durch den Richter oder bei alternativer Androhung
beider Strafarten im Gesetze je drei Franken Geldbusse gleich einem Tag
Gefängnis zu setzen sind. Das neue Polizeistrafgesetz vom 29. November
1915 stellt nun aber für die genannten Fälle als Massstab die Gleich
setzung von fünf Franken Geldhusse mit einem Tage Gefängnis auf. Das
Gesamtobergericht hat infolge dessen bereits durch Weisung vom 1. März
191? die Statthalterämter angewiesen, die gleiche Norm bei Abwandlung
von Straffällen nach § 43 des StRV an zuwenden. Wir erachten nun dafür,
dass auch die v Appellabilität einer Polizeistraffalles gemäss 5259 StRV
sich nach dem in § 16 des neuen Polizeistrafgesetzes

230 Staatsrecht.

für die Strafamwandlung aufgestellten Massstab zu richten habe. Daher
wird hierorts ein zufolge Appel lation des Beklagten anher gelangter
Polizeistraf prozess nur dann im Strafpunkte als appellabel be handelt
werden, wenn die dem Beklagten von der ersten Instanz auferlegte
Geldbusse den Betrag von fünfzig Franken übersteigt oder er in eine
Gefängnis strafe von mehr als zehn Tagen verfällt worden ist.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

§ 259 des luzernischen Gesetzes über das Strafrechtsverfahren vom
Jahre 1865 bestimmt klar und unzweideutig, dass derjenige, der in
Polizeistrafsachen von einem Amtsgericht zu mehr als 30 Fr. Geldbusse
oder zehn Tagen Gefängnis oder 150 Fr. Entschädigung verurteilt worden
"ist, das Recht der Appellation hat. Das angefochtene Urteil steht daher
mit dieser Bestimmung in offenbarem Widerspruch und stellt sich somit
als formelle Rechtsverweigerung dar, wenn nicht angenommen werden kann,
dass § 259 StRV im Sinne der vom Obergericht angeführten Praxis gültig
abgeändert worden sei. F ür eine solche Annahme fehlt nun aber eine
hinreichende Grundlage.

Allerdings beruht diese Bestimmung auf dem Ge -

danken, dass für die Regelung der Appellabilität eines amtsgerichtlichen
Polizeistrafurteils 3 Fr. Geldbusse einem Tage Gefängnis gleichzusetzen
seien, und bewertet damit das Verhältnis der beiden Strafen zu einander
in gleicher Weise wie § 16 des alten PolStG, das die Umwandlung von nicht
einbringlichen Geldin Gefängnisstrafen ordnete. Allein irgend ein innerer
Zusammenhang bestand zwischen den beiden Bestimmungen nicht. § 259 StRV
ist eine Vorschrift des Strafprozessoder sog. formellen Strafrechts,
während § 16 alt PolStG dem materiellen Strafrechte angehörte. Wenn sie
auch zum Teil von demselben Massstabe ausgehen, so ordnen sie doch ganz
verschiedene, von einander durchaus un-Gleichheit vor dem Gesetz. N°
34. 231

abhängige Materien die Voraussetzungen der Appellation einerseits und
die Strafumwandlung andrerseits und standen daher nicht in einer solchen
Beziehung zu einander, dass, wenn die eine Bestimmung abgeändert und
dabei die beiden gemeinsame Grundlage verlassen wurde, dies notwendig
und ohne weiteres auch eine entsprechende Änderung der andern zur
Folge hätte. Demnach liess die Ersetzung des 5 16 alt PolStG durch §
16 des neuen vom Jahre 1915, der 5 Fr. Geldbusse einem Tag Gefängnis
gleichstellt, den § 259 stRV ganz unberührt. Bedeutete die genannte
Gesetzesrevision zugleich eine Abänderung dieser Bestimmung, so müsste
sich daraus zwingend ohne weiteres deren neuer Inhalt ergeben. Das
ist aber nicht der Fall. Die Auslegung, die das Obergericht dem §
259 StRV auf Grund der neuen Bewertung des Verhältnisses der Geldzur
Gefängnisstrafe gibt, mag zwar am ehesten dem Zweck entsprechen,
den Inhalt jener Vorschrift nur insoweit abzuändern, als es durch die
geringere Geldwertung geboten erscheint; aber die Übereinstimmung mit
dem neuen, dem § 16 n. PolStG zu Grunde liegenden Ge-

danken hätte sich ebenso auch dadurch erzielen lassen,

dass als für die Appellation erforderliche Gefängnis-' strafe bloss eine
solche von sechs Tagen angenommen worden wäre.

Da das luzernische Strafverfahren auf kodifiziertem Gesetzesrecht
beruht, so kann der Gerichtsgebrauch auf diesem Gebiet keine dem Gesetz
ebenbürtige Rechtsquelle hilden; die Möglichkeit, durch die Gerichtspraxis
die Bestimmungen der luzernischen Strafprozessordnung ausser Kraft zu
setzen oder-den klaren Inhalt ihrer Vorschriften zu ändern, ist daher
ausgeschlossen (vgl. GLASER, Handbuch des Strafprozesses I S. 323).

Das Obergericht konnte § 259 StRV auch nicht durch seine Weisung vom
19. März 1918 abändem; insofern es damit eine allgemein verbindliche
Verordnung erlassen wollte, verletzte es den in der luzernischen Kan-

232 . Staatsrecht.

tonsverfassung enthaltenen Grundsatz der Gewaltentrennung, indem es in
das Gebiet der kantonalen gesetzgebenden Gewalt eingriff, die insbesondere
auch allein zur authentischen Auslegung der kantonalen Gesetze befugt ist
(vgl. Art. 45 und 51 KV).

Das angefochtene Urteil muss somit aufgehoben werden, ohne dass es noch
nötig wäre, sich mit der am Schluss der Beschwerdeschrift enthaltenen
aber "nicht näher motivierten Bemängelung des Untersuchungsverfahrens
zu befassen.

Diese Aufhebung hat zur Folge, dass das Obergericht nunmehr die Strafsache
neu behandeln muss. Sie kann nicht vom Bundesgericht unmittelbar an das
Amtsgericht zurückgewiesen werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

· Der Rekurs wird gutgeheissen, das Urteil der II. Kammer des Obergerichts
des Kantons Luzern vom 1. Februar 1921 aufgehoben und demgemäss die
Sache zu neuer Beurteilung an dieses Gericht zurückgewiesen.

35. Urteil vom 14. Oktober 1921 . S. Erben Keller und Rîiegg gegen Eisen.

Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV. Berechnung der Grundstückgewinnsteuer, wenn eine Liegenschaft
mit Wald gekauft, dieser geschlagen, das Holz ver-äussert und nachher
die Liegenschaft wieder verkauft wird. Keine Willkür, wenn bei der
Steuerberechnung zum Verkaufspreis der Liegenschaft der Erlös aus dem
Holz hinzugerechnet wird.

A. Das zürcherische Gesetz betreffend die direkten Steuern räumt in §
113 den politischen Gemeinden das Recht ein, ausser den in § 102 genannten
ordentlichen Steuern und Abgaben als ausserordentliche SteuernGleichheit
vor dem Gesetz. N° 35. 233

eine Liegenschaftensteuer, eine Grundstückgewinnsteuer und eine
Handänderungssteuer zu erheben, worüber dann das Gesetz in den
§§ 114 bis 137 und die Vollziehungsverordnung dazu in den §§ 153
ff. nähere Bestimmungen enthalten. § 119 des Gesetzes bestimmt über die
Grundstückgewinnsteuer, dass sie bei allen Handänderungen von Grundstücken
im Gemeindegebiet von dem Gewinne zu erheben sei, der sich gegenüber dem
letzten Eigentumswechsel ergibt. § 159 Abs. lder Vollziehungsverordnung
wiederholt den Grundsatz, indem danach dieser Steuer jeder nicht
ausdrücklich als steuerfrei erklärte Gewinn bei Eigentumswechsel von
Liegenschaften im Gemeindegebiet unterliegt, gleichgültig welcher Art
das der Eigentumsübertragung zu Grunde liegende Rechtsgeschäft ist,
mit dem Zusatz in Abs. 2, dass die Steuerpflicht auch dann besteht,
wenn ein nach den Bestimmungen der Verordnung und der massgebenden
Gemeindesteuerordnung steuerpflichtiges Rechtsgeschäft durch eine nicht
steuerbare Form der Eigentumsübertragung verdeckt wird, oder wenn an
Stelle der förmlichen Eigenlumsübertragung

einer Dritiperson auf andere Weise ermöglicht wird,

über eine Liegenschaft wie ein Eigentümer zu verfügen. § 176 VV
bestimmt gemeinsam für alle ausserordentlichen Gemeindesteuern : Als
Liegenschaften im Sinne der gg 114 137 des Steuergesetzes und 140 175
dieser Verordnung gelten :

1. Die Liegenschaften mit ihren Bestandteilen und Zugehör nach Art. 642
bis
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
644 des ZGB und §§ 135 und 136 des züreherischen Einführungsgesetzes;

2. Die in das Grundbuch aufgenommenen selbständigen und dauernden Rechte,
sowie die Bergwerke nach Art. 655
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 655 - 1 Gegenstand des Grundeigentums sind die Grundstücke.
1    Gegenstand des Grundeigentums sind die Grundstücke.
2    Grundstücke im Sinne dieses Gesetzes sind:
1  die Liegenschaften;
2  die in das Grundbuch aufgenommenen selbständigen und dauernden Rechte;
3  die Bergwerke;
4  die Miteigentumsanteile an Grundstücken.
3    Als selbstständiges und dauerndes Recht kann eine Dienstbarkeit an einem Grundstück in das Grundbuch aufgenommen werden, wenn sie:
1  weder zugunsten eines berechtigten Grundstücks noch ausschliesslich zugunsten einer bestimmten Person errichtet ist; und
2  auf wenigstens 30 Jahre oder auf unbestimmte Zeit begründet ist.570
ZGB.

Die Gemeinde Elsau hat am 13. Juli 1919 einen vom Regierungsrat
genehmigten Beschluss betreffend die Erhebung von ausserordentlichen
Steuern gefasst, wonach in der Gemeinde eine Grundstückgewinnsteuer
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 47 I 228
Datum : 23. September 1921
Publiziert : 31. Dezember 1921
Quelle : Bundesgericht
Status : 47 I 228
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 228 _ Staatsreeht. 34. Urteil vom 23. September 1921 i. S. Bell gegen II. Kammerdes


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
ZGB: 642bis  655
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 655 - 1 Gegenstand des Grundeigentums sind die Grundstücke.
1    Gegenstand des Grundeigentums sind die Grundstücke.
2    Grundstücke im Sinne dieses Gesetzes sind:
1  die Liegenschaften;
2  die in das Grundbuch aufgenommenen selbständigen und dauernden Rechte;
3  die Bergwerke;
4  die Miteigentumsanteile an Grundstücken.
3    Als selbstständiges und dauerndes Recht kann eine Dienstbarkeit an einem Grundstück in das Grundbuch aufgenommen werden, wenn sie:
1  weder zugunsten eines berechtigten Grundstücks noch ausschliesslich zugunsten einer bestimmten Person errichtet ist; und
2  auf wenigstens 30 Jahre oder auf unbestimmte Zeit begründet ist.570
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
tag • weisung • bundesgericht • busse • beklagter • entscheid • verurteilung • gemeinde • holz • verurteilter • gewaltentrennung • strafprozess • kantonales rechtsmittel • form und inhalt • richterliche behörde • gerichts- und verwaltungspraxis • verordnung • änderung • stelle • strafsache
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