'490 Prozessrecht. N' 85.

'Recht nicht angewendet, weshalb auf die Sache selbst nicht eingetreten
werden kann.

Demnach erkennt das Bundesgericht : Auf die Berufung wird nicht
eingetreten.85. Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Dezember 1920 i. S.
Union Aas-. gegen Laweczky.

OG Art. 56. Zuständigkeit des Bundesgerichts. für Anwendung ausländischen
Rechts ist Partciwillenicht massgebend, wenn nicht die Wirkungen, sondern
die Voraussetzungen des streitigen Rechtsverhältnisses in Frage sind und
bei Stellvertretung. Für S t e l l v e r t r e t u n g grundsätzlich
das Recht des Vertretenen massgebend ; wenn Stellvertreter aber in
einer F i li a l e des Vertretenen arbeitet, dann Recht der Filiale
massgebend. Ob Filiale gegründet sei, entscheidet sich nach Recht der
Filiale. Kaufabschluss des Stellvertreters. Lex for:" jedoch anwendbar,
soweit Grundsätze des öffentlichen Rechts oder der Sittlichkeit verletzt
; wenn aber Rechtsgeschäft nach dem ausländischen Recht nicht nichtig,
so auch nicht nach schweizerischem Recht.

A. Durch Urteil vom 16. Juni 1920 hat das Handelsgericht des Kantons
Bern erkannt : 1. Die Klage ist zugesprochen und demgemäss die
Beklagte dem Kläger gegenüber verurteilt zur Bezahlung von 8000 Fr. ;
2. (Prozesskostenbestimmung).

B. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht
erklärt mit dem Antrage auf Aufhebung und Abweisung aller Klagebegchren
unter Kostenfolge.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

vl. Am 16. Juni 1919 ermächtigte die Beklagte, die.
A;-G'. Handelsgesellschaft 'u UniOn in Bern, um' . in

ProzessreCht. N° 85. 491

Deutsch-Oesterreich ins Geschäft zu kommen , den G. Nachbauer in
Bregenz, dort ein Bureau zu eröffnen, das als Bregenzer-Filiale zu
führen und in das dortige Handelsregister einzutragen sei. Sie wies den
Nachbauer dabei an, die Telegrammadresse unter dem Stichwort Unico
eintragen zu lassen. Ebenso ermächtigte der Direktor der Beklagten,
Niklaus Renfer, den . Nachbauer, ein Zirkular drucken zu lassen, mit
welchem die Beklagte anzeigte, dass sie unter dem Namen Filiale Bregenz
der Handelsgesellschaft Union A. -G. Bern eine Zweigniederlassung
gegründet habe.

Diese Bregenzer Filiale offerierte' 1m August 1919 dem Kläger,
J. Laweczky, Importhaus in Wien, von Bregenz aus zwei Wagens Schokolade
Tobler Castor zu 7 Fr. 60 Cts. per kg, sofort lieferbar, gegen Eröffnung
eines Akkreditivs bei den Spediteuren Schenker & C18 in Bregenz. Der
Kläger nahm die Offerte durch ein an die genannte Filiale gerichtetes
Telegramm an. Am 9. September telegraphierte jedoch die Beklagte dem
Kläger von Bern aus, sie könne die Schokolade Tobler Castor nicht
liefern, und als der Kläger auf dem Vertrage beharrte, erklärte sie am
26. September : ihr Angestellter der Filiale Bregenz habe keine Kompetenz
gehabt, Verkaufsverträge ohne ihre Genehmigung abzuschliessen. ' 2. Mit
der vorliegenden, beim Handelsgericht des Kantons Bern angehobenen
Klage machte nun der Kläger sein Erfüllungsintel esse geltend, indem
er die Verurteilung der Beklagten zu einer Schadenersatzsumme von 8000
Fr. verlangte.

Die Beklagte beantragte, auf die Klage nicht einzutreten, sie eventuell
als unbegründet abzuweisen. Sie machte geltend, Nachbauer sei nicht
ermächtigt gewesen, im Namen der Beklagten zu handeln, da sie eine
Filiale in Bregenz gar nicht errichtet habe; zur Errichtung einer
solchen Wären eine Reihe von Förmlichkeiten erforderlich gewesen,
die alle nicht vorgenommen worden seien. Nachbauer habe nicht etwa als
Vertreter der Union

492 Prozessrecht. N' 85.

A.-G. in Bern auftreten wollen, sondern er habe sich als Geschäftsführer
der Filiale in Bregenz bezeichnet, welche eben nicht bestanden
habe. Nachbauer habe Iediglich die Kompetenz gehabt, Offerten entgegen
zu nehmen, und diese an die Direktion in Bern weiter zu leiten.

Die Beklagte habe ein solches Geschäft auch ablehnen müssen, weil der
Kläger auf österreichischem Gebiete zahlen wollte, und dann Nachbauer
das Geld auf irgend eine unerlaubte Art auf Schweizergebiet hinüber zu
schaffen suchte ; denn bekanntlich habe damals schon ein österreichisches
Ausfuhrverbot für österreichische Valuta bestanden.

Endlich Wäre ein perfekter Kauf nicht zustande gekommen, da die
übereinstimmende Willenserklärung gefehlt habe.

3. Nachdem die Parteien in der Hauptverbandlung vom 16. Juni 1920
übereinstimmend die Anwendbarkeit österreichischen Rechts erklärt hatten,
fällte das Handelsgericht das eingangs mitgeteilte Urteil, indem es im
wesentlichen ausführte:

Die Einwendung, das streitige Geschäft sei nichtig, weil es gegen die
österreichische Gesetzgebung verstosse, sei von vornherein unbegründet,
Weil die Gültigkeit des Kaufvertrages sich nicht nach dem Rechte
des Käufers, sondern nach demjenigen des Verkäufers, hier also nach
schweizerischem Rechte beurteile, und ein Verstoss gegen schweizerische
Rechtsnormen nicht vorliege, übrigens auch gar nicht geltend gemacht
worden sei. Die Nichtigkeit des Vertrages müsste aber auch nach
österreichischem Recht verneint werden, weil er von den zuständigen
Behörden, denen er vorgelegt wurde, genehmigt worden sei.

Aus den Akten ergehe sich sodann, dass Nachbauer und Laweczky über alle
wesentlichen Punkte einig gewesen seien, ausgenommen über die Art des
Akkreditivs ; es müsse jedoch angenommen werden, dass sich Nach-

Prozessrecbt. N° 85. 493

bauer nachträglich auch in diesem Punkte mit dem Kläger geeinigt habe,
wodurch das Geschäft zwischen ihnen perfekt geworden sei.

Und was das Vertretungsverhältnis anbelange, so sei zunächst die Frage,
ob Nachbauer von der Beklagten in der angegebenen Art und Weise für sie
zu handeln,ermächtigt worden sei, nach dem Recht des Vertreters, also
nach österreichischem Recht zu beurteilen (MELLI, Internat. 'Zivilund
Handelsrecht II 39 und Praxis VI SI 104). Diese Frage sei zu bejahen,
da die Beklagte den Nachbauer als offiziellen Geschäftsführer einer
in Bregenz zu errichtenden Filiale angestellt, ihm Geschäftspapiere
übergeben und insbesondere ein Zirkular habe verschicken lassen, in
welchem sie ihn als Geschäftsführer dieser Filiale bezeichnet habe. _In
dieser Uebertragung der Filialleitung habe stillschweigend dessen
Ermächtigung im Sinne des Art. 47 des österreichischen HGB gelegen,
alle-Geschäfte und Rechtshandlungen vorzunehmen, welche der Betrieb der
Zweigniederlassung Bregenz gewöhnlich mit sich bringen werde. si

4. Die Kompetenz des Bundesgerichts hängt nach Art. 56 OG davon ab,
ob die Streitigkeit von der Vorinstanz unter Anwendung eidgenössischen
Rechts entschieden wurde, oder nach diesem Rechte zu ents'cheiden
sei. Aus der Erklärung, welche die Parteien in der Hauptverhandlung
abgegeben haben, geht hervor, dass sie das zwischen ihnen streitige
Rechtsverhältnis übereinstimmend dem österreichischen Recht unterstellt
wissen wollten. Diese Stellungnahme der Parteien ist indessen für
die Frage der örtlichen Rechtsanwendung nur insoweitmassgebend,
als es sich um die dem Parteiwillen anheimgestellten Wirkungen eines
obligatorischen Rechtsverhältnisses handelt. Nun betreffen aber die
hier zu entscheidenden Fragen, ob zwischen dem Kläger und Nachbauer ein
perfekter Vertrag überhaupt zustande gekommen, und ob dieser gegen Recht
oder Sitte verstosse und deshalb nichtig sei, nicht sowohl die Vir--

494 _ Prozessrecht. N° 85.

kungen, als vielmehr die Voraussetzungen des zwischen den Parteien
streitigen Rechtsverhältnisses, und auch die Frage der Stellvertretung
hängt nicht ausschliess. lich von der Gestaltung des konkreten
Parteiwillens ab. Es ist daher zu prüfen, ob nach den im Bundeszivilrecht
anerkannten Grundsätzen des internationalen Privatrechts inländisches
oder ausländisches Recht anwendbar sei. '

5. Was nun zunächst die Vertretungsbefugnis des in Bregenz domizilierten
Filialleiters Nachbauer anbelangt, so ist grundsätzlich die Frage,
ob der Vertretene denjenigen, der in seinem Namen gehandelt hat, als
seinen Vertreter 'bestellt habe, nach dem Recht des Vertretenen zu
beurteilen. (v. BAR, im Internat. PR II S. 68 ff. und in EHRENBERGS
Handbuch I S. 344 f.) Eine Ausnahme greift jedoch Platz, wenn der
Angestellte in einer im Lande des Geschäftsabschlnsses vom Prinzipal
errichteten Filiale dient, oder dort wohnhafter ständiger Agent ist.
Das Publikum ist hier berechtigt, die Vollmacht im landesüblichen
und landesgesetzlichen Sinne zu verstehen (v. BAR, a. a. O.). Ob nun
aber eine solche Filiale der Beklagten in Bregenz, mit Nachbauer als
bevollmächtigtem Leiter derselben, begründet worden sei, beurteilt sich,
aus dem gleichen Grunde, nach dem Recht des Ortes, wo der Angestellte
oder Agent seine diesbezügliche Geschäftstätigkeit für den Prinzipal
entfaltet hat. Nach diesem, d. h. nach dem österreichischen Recht,
hat die Vorinstanz die Frage, ob die Beklagte in Bregenz eine Filiale
mit Nachbauer als ihren Vertreter errichtet habe, beurteilt und bejaht,
und diese Entscheidung entzieht sich nach dem Gesagten der Ueberprüfung
des Bundesgerichts.

6. Die weitere Frage sodann, ob zwischen dem Kläger und dem Vertreter der
Beklagten ein Kaufvertrag perfekt geworden sei, beurteilt sich ebenfalls
nach österreichischem Recht, da die auf den Abschluss gerichteten
gegenseitigen Willensäusserungen in Oesterreich abge--

sisisi_4.__,___ss _W ...,...sisi. ... -

Prozessrecht. N° 85. 495

geben und entgegengenommen wurden und überdies die Vertragschliessenden
dort domiziliert waren.

7. Nun findet allerdings auch bei einem, an sich dem ausländischen
Recht unterstehenden Vertragsverhältnis auch die lex fori, also hier
das schweizerische Recht, insofern Anwendung, als es sich frägt, ob
dieses Verhältnis gegen Grundsätze des öffentlichen Rechts oder der
Sittlichkeit verstosse. Die Vorinstanz h'at denn auch in dieser Beziehung
das schweizerische Recht als massgebend bezeichnet. Allein im vorliegenden
Falle kann es sich um einen solchen Verstoss nur insoweit handeln,
als die Beklagte behauptet, der zwischen dem Kläger und N achbauer
abgeschlossene Vertrag und dessen Erfüllung würden gewisse Bestimmungen
der österreichischen wirtschaftlichen Schutzgesetze verletzen. N achdem
aber die Vorintanz festgestellt hat, dass der Vertrag von den zuständigen
österreichischen Behörden genehmigt worden sei, und darauf gestützt in
für das Bundesgericht verbindlicher Weise entschieden hat, der Vertrag
sei nach österreichischen Gesetzen nicht nichtig, so ist damit auch
vom Standpunkt der in Betracht kommenden eidgenössischen Rechtsnorm
(OR Art. 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
) aus die Frage der Nichtigkeit ohne weiteres erledigt.

8. Erweist sich demnach der streitige Vertrag in allen Teilen vom
österreichischen Recht beherrscht, so sind nach diesem Recht auch die
Folgen der Nichterfüllung zu beurteilen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Auf die Berufung wird wegen Inkompetenz des Bundesgerichts nicht
eingetreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 46 II 490
Datum : 14. Dezember 1920
Publiziert : 31. Dezember 1920
Quelle : Bundesgericht
Status : 46 II 490
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : '490 Prozessrecht. N' 85. 'Recht nicht angewendet, weshalb auf die Sache selbst


Gesetzesregister
OG: 56
OR: 20
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 20 - 1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
1    Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
2    Betrifft aber der Mangel bloss einzelne Teile des Vertrages, so sind nur diese nichtig, sobald nicht anzunehmen ist, dass er ohne den nichtigen Teil überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • frage • bundesgericht • nichtigkeit • weiler • schweizerisches recht • ausländisches recht • handelsgericht • vorinstanz • zweigniederlassung • leiter • handelsgesellschaft • schokolade • 1919 • sitte • zahl • geld • erfüllung der obligation • entscheid • internationales privatrecht
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