428 Personenrecht. N° 74.

Provenienz eines Preiskurants prüfen, so dass sie sich sofort darüber klar
werden müssen, ven welcher Firma ihnen ein Preiskurant zugesandt werden
sei. Hiegegen * ist aber zu bemerken, dass die Klägerin ja sehr wohl
veranlasst sein kann, ihren Katalog auch im Verkehr mit Kleinkunsumenten
du verwenden und dass, abgesehen hievon, auch bei Grosskonsumenten durch
die Usurpation eines Dritten zum mindesten eine falsche Deutung über
die geschäftlichen Verhältnisse der Klägerin bewirkt werden kann. Ein
Beispiel hiefür liefert die in Erw. 1 oben angeführte Anfrage eines
Grosskonsumenten an die Klägerin. In_ der Tat 'mussten, vom Standpunkt
loyaler Geschäftssitte aus, die Kunden der Klägerin auf den Gedanken
kommen, ein Dritter würde sich nicht solcher, mit den klägerischen
identischer Kataloge bedienen, ohne mit ihr in einer Weise geschäftlich
verbunden zu sein, die ihn hiezu legitimierte. Aueh die Erweckung des
Anscheins derartiger, tatsächlich nicht bestehender geschäftlicher
Beziehungen zu Dritten, besonders Inhabern von Konkurrenzgeschäften,
bedeutet einen unbefugten Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der
Klägerin. Sie ist daher berechtigt, nach den Grundsätzen der Art. 28
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 28 - 1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
1    Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
2    Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.

ZGB und 48 OR auf Beseitigung der Störung zu klagen. ss

5. _ Unter der Beseitigung der Störung (Art. 28
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 28 - 1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
1    Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
2    Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.
ZGB) ist in den Fällen
der illoyalen Konkurrenz nach Art. 48
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 48
OR die Einstellung des unbefugten
Geschäftsgebarens zu verstehen oder, m. a. W., das Aufhören der Treu
und Glauben verletzenden Handlungen (cessation de ces manoeuvres,
cessazione di questi atti). Der in Art. 48
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 48
OR gewährte Anspruch des
in seinen persönlichen Verhältnissen Verletzten geht somit (abgesehen
von der am Schluss des Artikels erwähnten Schadenersatzklage) nicht auf
ein positives Tun oder Leisten des Beklagten, sondern lediglich auf ein
Unterlassen. Das Ziel dieses Anspruchs besteht in dem Verbot künftiger
Handlungen. Demnach ist den Beklagten zu untersagen, ihren nachgemaehten
Katalog, betitelt Gesenkschmiedeartikel weiter zu

..... eg . , ... .Obligationenrecht. N° 75. 429

verwenden. Die weiteren Klagebegehren jedoch, gerichtet auf Zurückziehung
der bereits versandten Kataloge aus dem Verkehr, und auf Aushändigung
eines Verzeichnisses der Kunden, welche sie erhalten haben, gehen über
den Rahmen der in Art. 48
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 48
OR vorgesehenen Unterlassungsklage hinaus. Sie
könnten allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Wiedergutmachung bereits
zugefügten Schadens mit in Betracht gezogen werden. Um die Gel-tendmachung
von Schadenersatz handelt es sich jedoch nach dem in der Streitfrage
enthaltenen Vorbehalt im gegenwärtigen Prozessverfahren nicht.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Handelsgerichts des
Kantons Zürich vom 15. April 1920 aufgehoben und die Klage in dem Sinne
geschützt, dass den Beklagten untersagt wird, den Katalog, betitelt
Gesenkschmiedeartikel , zu verwenden.

H. OBLIGATIONENRECHTDROIT DES OBLIGA'IIONS

75. Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Oktober 1920 i. S. Wirth &
Sie gegen Antony.

K a u s. Der Käufer hat gegenüber dem wegen Unmöglichkeit der Erfüllung
befreiten Verkäufer keinen Anspruch auf Ersatz des Vorteils, den dieser
aus der Nichterfüllung durch Weiterverkauf oder durch Verwendung des
Kaufgegenstandes zum eigenen Gebrauch gezogen hat ; insbesondere kann
ein solcher Anspruch nicht aus den Grundsätzen über das stellvertretende
commodum hergeleitet werden.

A. Die Beklagten M. Wirth & cm, die in Dietfurt eine Spinnerei betreiben,
verkauften im Mai und Juni

430 Obligationenrecht. N° 75.

1915 dem Kläger Antony, Besitzer einer Zwirnerei in' Mülhausen i. E.,
folgende Partien von Baumwollgamen : '

am 15. Mai, Nr.100 M. J. Joanowitch peign. 3,500 kg zu Fr. 7.--

99 MM. peign. 2,000 6.85 9. Juni 101 8,000 6.50
12. 101 12,000 ss 6.50 15. 101 5,000 6.50 21. 100,01 20,000
6.50

alles franko Basel, unverzollt, zahlbar bei Grenzübertritt. Die Verträge
wurden unter einer (hier weiter nicht in Betracht kommenden) Kriegsklausel
abgeschlossen.

Die beiden Mai Kontrakte wurden erfüllt, nicht dagegen die vier
Juni-Kontrakte, die vom Oktober 1915 bis Januar 1916 hätten vollzogen
werden sollen. Die Be.klagten hielten sich auf Grund der Kriegsklausel
für nicht lieferungspflichtig, was. der Kläger nicht anerkennen wollte.

Am ?. Oktober 1915 trafen die Parteien hinsichtlich der Restlieferung
von 45,000 kg ein Abkommen, in welchem die Beklagten erklärten, sich
bei englischen Spinnern zusammen für 00,000 kg 100/101 /1 D W eingedeckt
zu haben (Ziff. 1) ; ferner verpflichteten sie sich, sämtliche Garne in
Nr. 100 1 bis 102 /1, oder in annähernden Nummern, die sie hereinbekommen,
ausschliesslich dem Kläger zuzuweisen, und für den Fall der Nichtlieferung
seitens der in Ziff. 1 erwähnten Spinner, bei anderen Spinnereien die
dem Kläger verkauften 45,000 kg einzudecken bezw. zu disponieren, dagegen
im Falle der vollen Auslieferung der 60,000 kg dieses ganze Quantum dem
Kläger zum Vertragspreis von 6 Fr. 50 Cts. per kg zu überlassen. Als
Lieferungsbeginn wurde die erste Lieferungsmöglichkeit festgesetzt.

Am 19. Oktober 1915 erliess dann der Bundesrat ein Garnausfuhrverbot, und
in der Folge wurde die S. S. S. gegründet. Nachdem die Beklagten für die
Einfuhr von Rohbaumwolle und Garn den Untersyndikaten der S. S. S. hatten
beitreten miissen, war ihnen die Lieferung der Garne an den Kläger,
abgesehen von dem bundes-Ub-liigatienenrecht. N° 75 431

rätlichen Ausfuhrverbot, angeblich nicht mehr miiglirh. da die
Vorschriften der Einfuhrorgnnisalimmi jede Lieferung an deutsche
Staatsangehörige aussehlössen.

Die Beklagten wurden ferner auf die englische schwarze Liste gesetzt,
und mussten im September 1910 vor dem britischen Konsulat zu Handel] ihrer
Lieferanten die Erklärung abgeben, dass sie die gekauften Waren, be-reits
gelieferte oder noch zu liefermle, überhaupt irgend welche in ihren Händen
befindliche, unter keinen ['mstünden zum Vorteil irgend welcher Person,
welche von der britischen Regierung als Feind betrachtet verde.

exportieren oder auf irgend welehe Weise verwenden werden. B. -Hierauf
hob der Kläger im November 1910

Klage. gegen die Beklagten an. mit den lleehtsbegehren:

1. Es sei festzustellen, dass die Beklagten gemäss dem Abkommen vom
7. Oktober 1013 verpflichtet seien. sämtliche Garne in 100 1 und 102 l
oder in animhernden Nummern, die sie von englischen Spinnereien bezogen
haben oder beziehen werden, bis zu 60.000 kg ausschliesslich dem Kläger
zuzuweisen

2. Die Beklagten haben dem Kläger eine Aufstellung über die
hereingebraehten bezüglichen Garne zuznstellen. und diese dem Kläger um
den Preis von (3 191250 (its. per kg zu liefern.

3. Die Beklagten seien eventuell verpflichtet, die eingebrachten Garne,
gegen Leistung der von der S. S. S. verlangten Garantien, in gezwirntem
Zustand abzuliefern. .

4. Die Beklagten dürfen solange über die eingebrachten Garne nicht
verfügen. bis der Kläger in der Lage sei. die S. s. S.-Garantien zu
erfüllen.

Die Beklagten verlangten widerklageweise, es sei festzustellen, dass
sie nicht mehr pfliehtig seien, an den Kläger zu liefern.

Das Kantonsgerieht St. Gallen hat durch Urteil vom 20. Juni 1918 die
Hauptklagebegehren 1, 3 und 4, sowie

432 Obligationenreeht. N° 75.

die Widerklage zur Zeit, das Hauptklagebegehren 2 definitiv abgewiesen.

Das Bundesgericht hat dieses Urteil am 28. Dezember 1918 bestätigt. _

C. Am 22. Januar 1919 forderte der Kläger die Beklagten auf, die Garne
nach Mülhausen abzuliefern; die Beklagten lehnten es aber ab, da eine
Möglichkeit hiezu noch nicht bestehe.

Am 8. Februar 1919 setzte der Kläger den Beklagten eine Frist von sechs
W'ochen zur Ablieferung der Ware in Manchester an, mit der Androhung,
dass er sich sonst selbst eindecken und Schadenersatz verlangen werde;
er fügte bei, dass eine Lieferung gegen Preisaufschlag für ihn nicht in
Betracht kommen würde Die Beklagten erwiderten hierauf am 26. Februar,
dass die englischen Lieferanten die Erfüllung der Kontrakte abgelehnt
hätten, und es ihnen daher auch nicht möglich sei, zu liefern.

Mit Zuschrift vom ?. Juni 1919 räumte der Kläger den Beklagten eine neue
Nachfrist zur Lieferung der 45,000 kg englische Garne, franko Basel, bis
Ende Juni ein, und verband damit die Erklärung, dass er bereit sei, die
Halfte des Ueberpreises franko Basel, den er zu 5 Fr. per kg berechnete,
zu eigenen Lasten zu übernehmen. In ihrer Antwort vom 27. Juni bemerkten
die Beklagten, es kämen weit höhere Preise in Betracht, als die vom
Kläger berechneten; da die englischen Lieferanten nicht verpflichtet
werden könnten, die Kontrakte zu erfüllen, so erachten sich die Beklagten
auch nicht als pflichtig, sich heute neu einzudecken, und werden daher
nicht in der Lage sein, innert der angesetzten Frist zu liefern.

Am 30. Juni 1919 erklärte darauf der Kläger, er verzichte auf die
Erfüllung und verlange Schadenersatz wegen Nichterfüllung der Verträge.

D. Im September 1919 erhob alsdann der Kläger gegen die Beklagten
beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen von neuem Klage, mit den
Rechtsbegehren :Obligationenrecht. N° 75. ,133

1. Die Beklagten seien pflichtig zu erklären, ihm als Schadenersatz den
Betrag von 156.600 Fr., nebst 5% Zins vom Tage der Klageeinleitung an,
zu bezahlen ;

2. eventuell ihm, bis zur Höhe des ihm aus der Nichtlieferung der
verkauften Garne erwachsenen Schadens, denjenigen Gewinn zu vergüten,
den sie aus dem si'iederVerkauf oder aus der sonstigen Yieclerverwendnng
der bezogenen Garne erzielt haben, naeh Massgabe der Berechnung durch
gerichtliche Sachverständige, eventuell nach richterlichem Ermessen.

Dabei erklärte sich der Kläger bereit, 6091) des Mehrpreises zu übernehmen
; die Schadei1ersatzlm'rlernng ist auf dieser Grundlage berechnet.

E. Durch Urteil vom 23. Februar 1920 hat das liandelsgericht des
Kantons St. Gallen das Haupt-klagebegehren abgewiesen, dagegen das
Bventualbegehren gutgeheissen, und demgemäss die Bekl afrten zur Zahlung
von 90,000 Fr., nebst 5°o Zins Seit l ) Se ptembei 1919, an den Klägel
'eiuiteilt.

F. Gegen dieses Urteil haben die Beklagten die. Berufung an das
Bundesgericht erklärt, mit dem Antrag auf Aufhebung und auf gänzliehe
Abweisnng der lxlage, eventuell auf Rückneisung der Sache an die
Vorinstanz zu1 Äbnahme der beantragten Beueise.

G. Der Kläger hat sich der Berufung angeschlossen und beantr,agt die
kläge1ische Ersiss'satztmdelung sei im Beh age von 153, 000 Fr. (45,
000 3 l.'1 40 Cts.), nebst Verzugszinsen zu 5{, seit Klageeinleitung,
zu schützen.

Das Bundesgerichl zieht in Erwägung :

1. Bei der Beurteilung der vorliegenden Klage ist von der Grundlage
auszugehen, welche durch die im ersten Prozess ergangenen Urteile des
Kantonsgerichts St. Gallen und des Bundesgerichts laut Dispositiv und
Motiven geschaffen worden ist. Diese Urteile haben zwar den Standpunkt
der Beklagten, als seien sie wegen Unmöglichkeit der Erfüllung von
ihrer v'ertragspflicht

434 Obligauonenrechl. N ° -75 ,

gegenüber dem Kläger endgültig befreit, verworfen, dagegen eine temporäre
Befreiung derselben von der Lieferungspflicht angenommen, in dem Sinne,
dass trotz den eingetretenen Hindernissen die Bindung der Parteien
grundsätzlich fortbestehe, und noch mindestens sechs Monate über
den definitiven Friedensschluss hinaus _dauere, für den Fall, dass
sich die Verhältnisse, welche damals die Lieferung verunmöglichten,
inzwischen ändern sollten. Eine solche Aenderung würde aber nach dem
bundesgerichtlichen Urteil so lange nicht vorliegen, als die Lieferung nur
zu ganz wesentlich erschwerten Bedingungen, insbesondere zu bedeutend
höheren Preisen, als denjenigen zur Zeit des Vertragsabschlusses,
erfolgen könnte.

Es frägt sich demnach, ob in dem Zeitpunkt, da der Kläger die Erfüllung
verlangte, und sich dann wegen des Ausbleibens derselben innerhalb
der angesetzten Nachfrist für den Anspruch auf Schadenersatz wegen
Nichterfüllung entschied, die Verhältnisse sich dahin geändert haben, dass
die Erfüllung tatsächlich möglich geworden war, unter Bedingungen, welche
für die Beklagten gegenüber denjenigen zur Zeit-des Vertragsab-schlusses
nicht übermässig lästig erscheinen.

Nun hat die Vorinstanz über die eine der Voraussetzun-

gen für das Bestehen der Lieferungspflicht, nämlich den

Wegfall der Hindernisse, auf welche gestützt im ersten Prozess die
temporäre Unmöglichkeit angenommen worden war, eine bestimmte Feststellung
nicht vorgenommen, sondern sich darauf beschränkt, zu untersuchen,
ob die. zweite der genannten Voraussetzungen vorhanden sei ; sie ist
hierbei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagten, um sich die dem
Kläger zu liefernde Ware zu beschaffen, so hohe Preise hätten bezahlen
müssen, dass darnach die Lieferung nur zu ganz wesentlich erschwerten
Bedingungen hätte bewirkt werden können, und es ihnen daher nicht hätte
zugemutet werden können, sich anderweitig einzudecken.

Obligationcnrecht. N° 75. 435

Was zunächst die Vorfrage anbelangt, ob die im Februar, oder die nachher
im Juni 1919 angesetzte Nachfrist massgebend sei, so ist der Ansicht der
Vorinstanz, die sich im letzteren Sinne ausgesprochen hat, schon deshalb
beizustimmen, weil der Kläger nach Ablauf der im Februar angesetzten
Frist mit der darin gemachten Androhung nicht Ernst gemacht und die
Bealerfüllung tatsächlich nicht abgelehnt hat, sodass es ihm freistand,
im Juni die Fristansetzung zu wiederholen.

Die Feststellung der Vorinstanz nun, dass die Ankaufspreise für englische
Ware, franko Basel, sich im Juni 1919 auf 19 Fr. 75 Cts. bis 21 Fr. 95
Cts. per kg belaufen haben, betrifft eine reine Tatfrage, und ist daher
für das Bundesgericht verbindlich. Nach dieser Feststellung hätten
die Beklagten mehr als das Dreifache des mit dem Kläger vereinbarten
Kaufpreises auslegen müssen, um sich die ihm zu liefernde Ware zu
beschaffen ; und auch dann noch, wenn der Kläger, gemäss seinem Angebot
vom 7. Juni 1919, die Hälfte des Ueberpreises franko Basel übernahm, noch
mehr als das Doppelte. Selbst wenn man sogar das erst im Prozess gemachte
Anerbieten des Klägers, 60% des Mehrpreises zu übernehmen, berücksichtigen
wollte, müsste die Mehrleistung, welche bei dieser Sachlage den Beklagten
gegenüber den Verhältnissen zur Zeit des Vertragsabschlusses zugemutet
würde, als eine viel schwerere bezeichnet werden, als wie es die Parteien
vernünftigerweise gewollt haben , und es ist-deshalb im Sinne des Urteils
des Bundesgerichts vom 28. Dezember 1918 anzunehmen, dass die Beklagten
zur Zeit, als der Kläger Nachfrist zur Erfüllung ansetzte, und daraufhin
von der Realerfüllung Abstand nahm und die Wahl auf Schadenersatz traf,
zur Erfüllung nicht angehalten werden konnten. Damit ist aber der
Schadenersatzforderung wegen Nichterfüllung die Grundlage entzogen;
denn diese Forderung setzt voraus, dass der Schuldner zur Zeit der
angesetzten Nachfrist zur Realerfüllung verpflichtet gewesen sei.

336 Obligationenrecht. N° 75.

Der Einwendung, die Beklagten könnten sich auf die im Juni 1919
geltenden Ankaufspreise deshalb nicht berufen, weil sie hätten ab
Lager liefern können, steht die. für das Bundesgericht verbindliche
Feststellung der Vorinstanz entgegen, dass sie alle Garne in ihren W
ebereien verwendet haben, und daher nicht in der Lage gewesen wären,
den Kläger aus ihren Lagerbeständen zu befriedigen; eine Verpflichtung,
die ihnen seit dem Abkommen vom 7. Oktober 1915 von den englischen
Spinner!) gelieferten Garne für den Kläger auf Lager zu behalten, bis es
ihnen wieder gestattet sein wurde, ihm die Garne anszuliefern, besland
nicht, da die Beklagten nach den Vorschriften der Baumwollzentrale diese
Garne für den Schweizerkonsum verwenden mussten.

2. DieYorjnstanz hat nun aber angenommen, der Kläger habe nach den
Grundsätzen über das stellvertretende commodum, im Rahmen des ihm aus der
Nichterfüllung erwachsenen Schadens, als Vorteilsausgleichung Anspruch
auf Herausgabe des Gewinnes, den die Beklagten in Folge der Nichterfüllung
anderweitig machen konnten.

Hiezu ist zu bemerken: Nach Art. 119
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 119 - 1 Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen.
1    Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen.
2    Bei zweiseitigen Verträgen haftet der hienach freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung und verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung.
3    Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Gefahr nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht.
OR gilt die Forderung als erloschen,
wenn die. Leistung des Schuldners durch Umstände unmöglich geworden ist,
die er nicht zu vertreten hat. Auch bei zweiseitigen Verträgen kann
daher in diesem Falle weder auf Erfüllung, noch auf Schadenersatz wegen
Nichterfüllung geklagt werden, sondern der Schuldner bleibt lediglich noch
zur Rückgabe der etwa bereits empfangenen Gegenleistung verpflichtet,
und zwar aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung
(Art. 119 Abs. 2).

Nun bezieht sich nach gemeinem Recht die Befreiung des Schuldners
durch kasuelle Unmöglichkeit aber nur auf das eigentliche Objekt der
Obligation ; es kann sich ereignen, dass der Umstand, welcher die Leistung
dieses eigentlichen Objektes (des ursprünglichen Vertragsgegensiandes)
verunmöglicht, dem Schuldner gleichzeitig einenObligationenrecht. N°
75 437

Ersatz für dasselbe verschafft, -ss ein stellvertretendes commodum , und
dann wird dieses an Stelle des ursprünglichen Leistungsgegenstandes von
der Obligation erfasst, sodass dieselbe also nicht vollständig erlischt,
sondern nur den Gegenstand ändert.

So wird der Depositar, welcher aus verzeihlichem Irrtum die bei ihm
deponierte Sache verkauft hat, wegen Unmöglichkeit von der Rückgabepflicht
zwar befreit, dafür hat er jedoch dem Gläubiger den erlangten Kaufpreis
herauszugeben ; und wenn etwa ein Dritter durch unerlaubte Handlung
die Erfüllung der Obligation verunmöglicht hat, so gilt allgemein
der'Grundsatz, dass der frei gewordene Schuldner verpflichtet
ist, dem Gläubiger nunmehr seine Schadenersatzansprüche abzutreten
(vergl. F. MOMMSEN, Beiträge zum Obligationenrecht, Unmöglichkeit der
Leistung, Seite 297; WINDSCHEID, Band II § 264 Ziff. 2).

Diesem Subrogationsprinzip des gemeinen Rechts hat sich das französische
Recht in Art. 1303 GC angeschlossen, ebenso das deutsche BGB, welches in
§ 281 bestimmt: Erlangt der Schuldner infolge des Umstandes, welcher die
Leistung unmöglich macht, für den geschuldeten Gegenstand einen Ersatz,
oder einen Ersatzanspruch, so kann der Gläubiger Herausgabe des als
Ersatz Empfangenen, oder Abtretung des Ersatzan-spruches verlangen. ' .

3. Um einen solchen Ersatz, den der Schuldner für den geschuldeten
Gegenstand infolge des die Leistung verunmöglichenden Ereignisses
erlangt hat, handelt es sich jedoch bei dem Gewinn bezw. Vorteil, den die
Beklagten nach dem Urteil der Vorinstanz dem Kläger zu vergüten haben,
nicht. Dieser Gewinn ist nicht an die Stelle der zu liefernden Garne
getreten, wie etwa eine Schadenersatzforderung wegen Zerstörung des
Kaufgegenstandes an Stelle dieses zerstörten Gegenstandes; auch beruht
ja die Befreiung der Beklagten gar nicht darauf, dass es ihnen nicht
möglich gewesen, sich die

438 Obligationencecm. N° 75,

Game zu verschaffen, oder dass dieselben zur Erfüllungszeit nicht mehr
vorhanden waren, sondern darauf, dass sich die Verhältnisse inzwischen so
sehr verändert haben, dass den Beklagten die Erfüllung des Kaufvertrages
so, wie der Kläger es will, nicht zugemutet werden kann. Nicht deshalb,
weil die Beklagten durch das Ereignis, welches die Unmöglichkeit
der Lieferung herbeigeführt hat, an Stelle des ursprünglichen
Vertragsgegenstandes nun einen anderen V'emiögenswert erlangt hätten,
heisst die Vorinstanz die Klage (teilweise) gut, sondern weil die
Beklagten davon profitierten, dass sie von ihrer Vertragspflicht befreit
worden sind. So lässt es die Vorinstanz denn auch, als gleichgültig,
vollständig dahin gestellt, ob die Beklagten durch die Verwendung der
Garne in ihren Fabriken schliesslich etwas gewonnen haben oder nicht,
sondern sie stellt einfach darauf ab, dass die Garne in ihrem Besitz
geblieben seien, dass sie einen gewissen Sachwert repräsentierten, der den
Beklagten bei Erfüllung des Vertrags vom Kläger nicht voll ersetzt worden
ware. Andrerseits will die Vorinstanz eine solche Verpflichtung des frei
gewordenen Schuldners, seinen Vorteil aus der Befreiung dem. Gläubiger
herauszugeben, nur bis zum Betrag des nach den Grundsätzen über das
positive ?ertragsinteresse erstattungsfähigen Schadens anerkennen,
den der Gläubiger durch die Nichterfüllung erlitten hat.

Bei der Verpflichtung auf Herausgabe des stellvertretenden commodums
hingegen kommt es nicht darauf an, wie gross der Schaden des Gläubigers
wegen des Ausbleibens der ursprünglichen Vertragsleistung sei, da es
sich ja nicht um eine Schadenersatzpflicht oder Interesseleistung im
Sinne des Art. 97
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 97 - 1 Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
1    Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
2    Für die Vollstreckung gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 11. April 188943 über Schuldbetreibung und Konkurs sowie der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 200844 (ZPO).45
OR handelt. Und stellvertretend wird das commodum
in dem Sinne genannt, dass es die Stelle des ursprünglichen, nunmehr
weggefallenen Vertragsgegenstandes oder Leistungsobjektes versehe und
deshalb vom Schuldner gegen die entsprechende Vertragsleistung des
Vertrags-Obligationenrccht. N° 75 EUR39

gegners zu prästieren sei, nicht aber in der Meinung, dass der Schuldner
an Stelle des ursprünglichen Vertragsgegenstandes dem Gläubiger
dessen W e rt auszufolgen habe. Letztere Auffassung würde auf eine
grundsätzliche Verpflichtung zur Interessenausgleichung bei Dahinfallen
des Vertrags wegen Unmöglichkeit der Erfüllung hinauslaufen; von diesem
Grundsatze aus müssten dann aber konsequenterweise auch die Interessen
des Verkäufers berücksichtigt werden, in den Fällen, wo etwa die Preise
gefallen waren, und er sich deshalb günstiger gestellt haben würde,
wenn er hätte erfüllen können. Wenn nun auch eine Erwägung des von der
Vorinstanz angeführten Urteils (AS 43 II S. 234) von dem Gedanken eines
solchen Interessenausgleichs ausgeht, so darf gleichwohl in demselben
ein dem OR innewohnender Rechtssatznicht erblickt werden, und es besteht
um so weniger Grund, der gedachten Erwägung die Bedeutung eines für die
Auslegung des Art. 119
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 119 - 1 Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen.
1    Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen.
2    Bei zweiseitigen Verträgen haftet der hienach freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung und verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung.
3    Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Gefahr nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht.
OR massgebenden Grundsatzes beizumessen, als es
sich ja in jenem Falle, gerade um ein echtes stellvertretendes commodum
handelte, nämlich um die Entschädigungssumme, welche der Verkäufer aus
der Expropriation des von ihm geschuldeten Kaufsobjektes erlangt hatte.

' Demnachcrkennt das Bundesgericht :

1. Die Anschlussberufung wird abgewiesen.

2. Die Hauptberufung wird gutgeheissen, und demgemäss, in Aufhebung des
Urteils des Handelsgerichts des Kantons st. Gallen vom 23. Februar 1920,
die Klage gänzlich abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 46 II 429
Datum : 15. April 1920
Publiziert : 31. Dezember 1920
Quelle : Bundesgericht
Status : 46 II 429
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 428 Personenrecht. N° 74. Provenienz eines Preiskurants prüfen, so dass sie sich


Gesetzesregister
OR: 48 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 48
97 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 97 - 1 Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
1    Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
2    Für die Vollstreckung gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 11. April 188943 über Schuldbetreibung und Konkurs sowie der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 200844 (ZPO).45
119
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 119 - 1 Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen.
1    Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen.
2    Bei zweiseitigen Verträgen haftet der hienach freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung und verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung.
3    Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Gefahr nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht.
ZGB: 28
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 28 - 1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
1    Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.
2    Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • schuldner • lieferung • vorinstanz • 1919 • bundesgericht • englisch • schadenersatz • stelle • schaden • weiler • vorteil • frist • erfüllung der obligation • bedingung • handelsgericht • rechtsbegehren • wille • vertragsabschluss • empfang
... Alle anzeigen