174 ZGB Sclilusstitcl N° 33.

III. SCHLUSSTITEL ZUM ZGB

TITRE FINAL DU CC.

33. Urteil der II Zivilabteiiung vom 2. Juni 1920 i. S. Zimmermann
gegen Zimmermann.

Sind die schweizerischen Gerichte zuständig zur Scheidung von in der
Schweiz wohnhaften, aus dem ehemaligen Reichsland Elsass Lothringen
stammenden Ehegatten ? Anlage zu Art. 79 des Friedensvertrages von
Versailles.

A. Der Beklagte" Karl Zimmermann, geboren in-

Hagenau, Bezirk Strassburg, und die Klägerin Anna Friederike Ernestine
Zimmermann geb. Ferber, wurden am 29. September 1900 in Offenbach am Main
getraut. Nach sechsjähriger Ehe zogen sie in die Schweiz und wohnen seit
einigen Jahren in Arben.

Hier reichte nun Frau Zimmermann am 28. Mai 1919 wegen Ehebruch des
Ehemannes Scheidungsklage ein.

B. Das Bezirksgericht Arhon hat am 12. Juli 1919 die Klage mangels
Zuständigkeit angebrachtermassen abgewiesen. Es geht dabei von der
Erwägung aus, da die Parteien es unterlassen hätten, den Ausweis über
ihre Staatsangehörigkeit zu erbringen, müsse nach Rück--

fall des ehemaligen Reichslandes Elsass-Lothringen an ,

Frankreich, angenommen werden, sie seien Franzosen Nun habe aber die
Klägerin nicht dargetan, dass sich der Rechtszustand betr. Scheidung
französischer Ehegatten in der Schweiz seit Ausfällung des
bundesgerichtvZiehen Urteils in Sachen Motard gegen Motard (AS 43
II S. 277 ff. ) geändert habe, d.] .dass nunmehr die Kompetenz des
schweizerischen Richters für Scheidungen französischer in der Schweiz
niedergelassener

. ..*.x-ZGB Schlusstitel N° 33. 175

Ehegatten von dm französischen Gerichten anerkannt

werde. , Das thurgauische Obergericht hat am 12. Februar 1920

dieses Urteil bestätigt. In der Urteilshegründung wird ausgeführt, die
örtliche Zuständigkeit des schweizerischen Richters sei im vorliegenden
Streitfall gemäss Art. ,7 h NAG (Art. 59
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
Scth z. ZGB) in Verbindung
mit Art. 7 der Haagerscheidungskonvention zwar wohl im Zeitpunkt
der Einreichung der Klage und der Ausfällung des erstinstanzlichen
Urteils gegeben gewesen, da damals die Elsässer völkerrechtlich noch
deutsche Staatsangehörige gewesen seien. Seither sei nun aber der
Friedensvertrag von Versailles ratifiziert werden; die Elsässer seien
danach französische Staatsangehörige geworden und da nicht nachgewiesen
sei, dass die französischen Gerichte schweizerische Scheidungsurteile
gegenüber französischer Ehegatten anerkennen, müsse die Klage ähnlich
wie im Falle Motard gegen Motard mangels Zuständigkeit abgewiesen werden.

C. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin an das
Bundesgericht mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben,
der schweizerische Wehnsitzrichter der Litiganten zur Zeit ,der Klageane
hebnng zur Anhandnahme der Scheidung ais kompetent zu erklären und
die Streitsache zur materiellen Behandlung an die zuständige kantonale
Instanz zurückzuweisen.

Der Beklagte erklärt in seiner Eingabe vom 14. April,

er sei einverstanden damit, dass.das Urteil aufgehoben ' und die Sache
zu materieller Behandlung an den schwei--

zeriscien Wohnsitzrichter zurückgewiesen werde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1._Der Vorinstanz ist insoweit beizustimmen, dass die Klage aus den von
ihr angeführten Gründen abgewiesen werden müsste, wenn die Parteien als
französische Staatsangehörige zu betrachten wären, da das

176 ZGB Schlusstitel N° 33.

von der Klägerin zu den Akten gegebene Urteil eines erstinstanzlichen
Parisergerichts nicht als Beweis dafür gelten kann, dass sich seit
Ausfällung des bundesgerichtlichen Urteils in Sachen Motard gegen Motard
(AS 43 II S. 277 ff.) die Praxis der französischen Gerichte betr.
Anerkennung schweizerischer Scheidungsurteile gegenüber in der sclmeiz
niedergelassenen Franzosen geändert hat

2. Nicht richtig ist dagegen ihre Auffassung, wonach die Parteien nach der
nunmehr völkerrechtlich gültigen Abtretung des ehemaligen Reichslandes
Elsass Lothringen an Frankreich ohne weiteres zu französischen
Staatsangehörigén geworden wären. Die Frage ihrer Staatsangehörigkeit
beurteilt sich vielmehr nach den einschlägigen Spezialbestimmungen des
F riedensvertrages von Versailles.

In § 1 der Anlage zu Art.?g dieses Vertrages wird nun aber bestimmt :
Mit Wirkung vom 11. November 1918 erlangen ohne weiteres die französische
Staatsangehörigkeit wieder:

1. Die Personen, die durch den französisch-deutschen Vertrag vom 10. Mai
1871 die französische Staatsangehörigkeit verloren, und seitdem keine
andere als die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben;

2. Die ehelichen oder unehelichen Nachkommen der im vorstehenden
Paragraphen genannten Personen, mit Ausnahme derer, die unter
ihren Vorfahren väterlicherseits einen nach dem 15. Juli 1870 nach
Elsass-Lothringen eingewanderten Deutschen haben.

3. Alle in Elsass Mthringen von unbekannten Eltern Geborenen und die
Personen, deren Staatsangehörigkeit unbekannt ist.

In § 2 dieser Anlage werden sodann bestimmte Kategorien von Personen
aufgezählt, die innerhalb eines Jahres seit Inkrafttreten des Vertrages
Anspruch auf die französische Staatsangehörigkeit erheben können.

Wenn nun auch die Angaben des Beklagten im Partei--ZGB Schlusstitel. N°
33 177

verhör, dass er in Strassburg heimatherechtigt sei, richtig sein
sollten, so Wären dennoch die Parteien heute nur dann französische
Staatsangehörige, wenn die Bestimmungen des zitierten g 1 der Anlage
zu Art. 79 des Friedensvertrages auf sie Anwendung fanden, oder wenn
sie nach dem in gg 2 und 4 vorgesehenen Verfahren eingebürgert worden
Wären. Treffen ,die ,angeführten Voraussetzungen für die Erlangung der
französischen Staatsangehörigkeit für sie dagegen nicht zu, so sind sie
nach 53 der zitierten Anlage Deutsche geblieben, und die Kompetenz des
schweizerischen Wohnsitz-, richters für das hängige Scheidungsverfahren
ist nach Art. 7
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 7 - Die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechtes6 über die Entstehung, Erfüllung und Aufhebung der Verträge finden auch Anwendung auf andere zivilrechtliche Verhältnisse.
11 (Art. 59
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
Scth z. ZGB) des Gesetzes betr. die
zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter in
Verbindung mit Art. 7 der Haagerscheidungskonvention gegeben.

3. Auf Grund des vorliegenden Aktenmaterials ist aber die Beurteilung
der Zuständigkeitsfrage im Sinne der vol-ausgehenden Erwägungen
infolge mangelhafter Abklärung der angeführten T atbestandsmomente
nicht möglich. Da das Bundesgericht nicht in der Lage ist, die
fehlenden Feststellungen selbst vorzunehmen, so rechtfertigt es
sich, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils in Anwendung von
Art. 82 des Gesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege die
Akten zur Vervollständigung und neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. -

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichts
des Kantons Thurgau vom 10. Februar 1920 aufgehoben wird und die Akten
zur Vervollständigung im Sinne der Motive an die Vorinstanz zurückgewiesen
werden.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 46 II 174
Datum : 02. Juni 1920
Publiziert : 31. Dezember 1920
Quelle : Bundesgericht
Status : 46 II 174
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 174 ZGB Sclilusstitcl N° 33. III. SCHLUSSTITEL ZUM ZGB TITRE FINAL DU CC. 33.


Gesetzesregister
ZGB: 7 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 7 - Die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechtes6 über die Entstehung, Erfüllung und Aufhebung der Verträge finden auch Anwendung auf andere zivilrechtliche Verhältnisse.
59
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 59 - 1 Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
1    Für die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Körperschaften und Anstalten bleibt das öffentliche Recht des Bundes und der Kantone vorbehalten.
2    Personenverbindungen, die einen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, stehen unter den Bestimmungen über die Gesellschaften und Genossenschaften.
3    Allmendgenossenschaften und ähnliche Körperschaften verbleiben unter den Bestimmungen des kantonalen Rechtes.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • ehegatte • elsass-lothringen • schlusstitel • beklagter • vorinstanz • friedensvertrag • scheidungsurteil • frankreich • thurgau • richtigkeit • 1919 • zuständigkeit • richterliche behörde • sachmangel • ehebruch • nachkomme • kategorie • inkrafttreten • innerhalb
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