l 26 Staatsrecht.

19. Urteil vom 6. März 1920 i. S. Läu'bli gegen Obmlden Regierungsrat.
Beschwerde gegen eine kantonale Abstimmung wegen widerrechtlicher
Zulassung Nichtstimmberechtigter, bezw. Ausschliessung Stimmbereohtigter
von der Stimmabgabe. Abweisung ohne materielle Prüfung, weil auch
bei Berücksichtigung aller geltend gemachten Fälle dieser Art das
Abstimmungsergebnis kein anderes würde. Verpflichtung der kantonalen
Behörden, auch ohne positive Gesetzesbestimmung, den im Militärdienst
befindlichen Bürgern die Stimmabgabe durch entsprechende Anordnungen zu
ermöglichen ? Voraussetzungen.

A. _ Am 23. Februar 1919 fand im Kanton Obwalden die Abstimmung über
das Initiativbegehren auf Abänderung der Kantonsverfassung im Sinne der
Abschaffung der Landsgetmeinde _ nach dem Verlangen der Initianten geheim
durch die Urne in den Gemeinden statt.

Die dafür vom Regierungsrat des Kantons Obwalden _ da das kantonale
Recht sonst Urnenabstimmungen bisher nicht kannte _ erlassene besondere
Verordnung bestimmt in Ziffer 3, dass für die Durchführung der Abstimmung
die Vorschriften des kantonalen Gesetzes vom 30. April 1911 über die
geheime Abstimmung bei eidgenössischen Volksentscheiden entsprechende
Anwendung finden sollen. In Ziffer 4 heisst es, übereinstimmend mit
der Kantonsverfassung und der sog. Fremdenpolizeiverordnung, welche das
Stimmrecht in kantonalen Angelegenheiten nur den Niedergelassenen, nicht
den Aufenthaltern anderer Kantone einräumen : Stimmberechtigt an dieser
kantonalen Abstimmung sind alle männlichen über zwanzig Jahre alten, im
Lande wohnenden Kantonsbürger und im Kanton gesetzlich niedergelassenen
Schweizerbürger _ die letzteren nach einer rechtsfömilichen Niederlassung
von drei Monaten _ soweit sie nicht nach Verfassung oder Gesetz vom
Aktiv-Politisches Stimmund Wahlrecht. N° 19. 127

bürgerrecht ausgeschlossen sind. Das Stimmrecht wird am Wohnorte
ausgeübt. Die rechtsfòrmliche Niederlassung wird nach ,der
Fremdenpolizeiverordnung auf die Hinterlegung des Heimatscheines
oder einer gleichbedeutenden Ausweisschrift und eines Zeugnisses über
den Besitz der bürgerlichen Rechte und Ehren vom Regierungsrat gegen
Erlegung einer Gebühr von 6 Fr. erteilt. In der Praxis sind aber diese
Bestimmungen, wie es scheint, dahin ausgelegt worden, dass Söhne, die
bisher immer bei ihren Eltern gewohnt haben und in deren Gewerbe tätig
sind, das Stinunrecht kraft der Niederlassung der Eltern sollen ausüben
können, ohne selbst Ausweisschriften hinterlegen zu müssen.

Auf eine Anfrage des Gemeinderates Engelberg, wie es sich mit der
Stimmberechtigung der Konventualen des dortigen Klosters verhalte, die
auch soweit Bürger anderer Kantone keine Papiere zu hinterlegen pflegen,
beschloss der Regierungsrat am 20. Februar 1919, drei

Tage vor der Abstimmung : die Mitglieder des Kloster-

verbandes, die Schweizerbürger seien, werden, solange

_ sie der dortigen Ordensfamilie angehören, als bei. kantonalen und
eidgenössischen Abstimmnngen stimmbe-

rechtigt erklärt und der Stimmregisterführer von Engelberg sei angewiesen,
sie auf das Stimmregister aufzutragen. In der Begründung des Beschlusses
wird ausgeführt : das Kloster Engelberg sei bis zum 30. März 1798 der
souverän des Thales gewesen. Auch nachdem an diesem Tage Abt, Prior und
Konvent allen Souveränetätsrechten entsagt, habe das Kloster in der Folge
Wie ein dem Tale gleichberechtigtes besonderes Gemeinwesen mit Nidwalden
und Obwalden verkehrt, besonders als die Vereinigung mit dem letzteren
Kanton zustandegekommen sei. Die bezügliche, von der eidgenössischen
Tagsatzung genehmigte Vertragsurkunde vom 19. 11. 24. Wintermonat 1815
sei sowohl im Namen von Abt und Kapitel des Klosters vom damahgen Abt
als namens der Gemeinde Engelberg vom dama-

1 28 Staatsreeht.

ligen Talammann unterzeichnet. Sie bestimme, dass Kloster und Tal von
nun an die siebente Gemeinde von Obwalden bildeten. Das Kloster sei
demnach als Genossenschaft mit allen seinen Gliederu, wie das Tal mit
seinen Familien und Einwohnern, in den Obwaldnischen Staatsverband
aufgenommen worden. Der Fortpflanzung der natürlichen Familie durch
Geburt sei für die Klosterfamilie die Ergänzung durch Eintritt neuer
Ordensglieder gleichzustellen. Gleichwie die Nachkommen der damaligen
Taleinwohner ohne weiteres Landleute von Obwalden geworden seien, so
erwärben auch die Ordensbrüder des Klosters Engelberg diese Eigenschaft
durch die Ablegung des Ordensgelübdes von Rechtswegen, ohne dass es
einer weiteren behördlichen Verleihung bedürfe. Es bestünden dagegen
umsoweniger Bedenken, als nach den Satzungen des Benediktinerordens
das Ordensglied dem Kloster, in welches es einmal aufgenommen sei, auf
Lebenszeit angehöre und ohne seine Einwilligung nicht versetzt werden
könne. Tatsächlich seien denn auch die Kapitularen von Engelberg von
der dortigen Bevölkerung immer als Talleute und damit als Landsleute
von Obwalden betrachtet worden. Es könne dafür als Analogon anoh der
Umstand herangezogen werden, dass bisher stets, den Gliedern von Familien,
deren Haupt die Niederlassung in Obwalden erworben, nach dem Eintritt ins
stimmfähige Alter die Stimmabgabe ohne Hinterlegung von Ausweispapieren
gestattet werden sei, solange sie nicht aus der Familie ausgeschieden
und eigenen Rechtes geworden seien. Wenn Ziff. 3 der Vereinigungsurkunde
das Kloster in politischer Hinsicht den allgemeinen Landesgesetzen und
obrigkeitlichen Verordnungen unterwerfe, so habe dies nicht die Bedeutung,
dass die Glieder der Klosterfamilie minderen Rechtes seien als die Glieder
jeder der anderen Familien des Tales und ihrer Nachkommen. Nach Art. 20
der KV bleibe die Vereinigungsurkunde von 1815 auch weiter in Kraft,
sofern nicht durch Ver-Politisches Stimmund Wahlrecht. N° 19. 129

Fassung und Gesetzgebung des Bundes, durch die Kantonsverfassung
oder Vertrag etwas anderes festgesetzt sei, was hier nicht
zutreffe. Ein vom Regierungsrat im Jahr 1907 gestelltes Verlangen, dass
diefEngelberger Kapitularen aus anderen Kantonen eine Aufenthaltsoder
Niederlassungsbewilligung einzuholen hätten, sei denn auch s. Z. auf die
begründete Einsprache des Klosters wieder fallen gelassen worden. Die
Bundesverfassung erschwere die Gewährung des Kantonsbürgerrechts an
Schweizerbürger in keiner Weise und berühre demnach auch in dieser
Beziehung bestehende ältere kantonale Rechtsverhältnisse nicht.

Infolgedessen stellte der Stimmregisterführer von Engelberg auch den
Klosterbrüdern, welche vor dem Eintritt in das Kloster anderen Kantonen
angehört hatten, Stimmrechtsansweise zu und es nahmen jene tatsächlich
an der Abstimmung teil.

Nach dem im kantonalen Amtsblatt vom 27. Februar 1919 veröffentlichten
Ergebnis der Abstimmung über die Initiative wurden im ganzen Kanton 3493
Stimmzettel abgegeben, wovon 23 leer waren, 1697 auf Ja und 1773

,auf Nein lauteten, sodass sich eine verworfende Mehr-

heit Von 76 stimmen ergab.

Innert der durch die regierungsrätliche Verordnung festgesetzten Frist
erhob darauf Fürsprech Lussi in Stans im Namen des lnitiativkomites
bestehend aus Jakob Läubli, Fabrikant in Wilen bei Samen, Arnold Bucher
alt Kantonsrat, Samen; Th. Ammhwanden, Postverwalter, sarnen; Alfred Enz,
Kantonsrat, Giswil; Alfred Cattani, Kantonsrat, Engelberg; Ad. . Infanger,
Kantonsrat, Engelberg; H. Häki, Kantonsrat, Engelberg beim Regierungsrat
Einsprache gegen die Abstimmung mit dem Antrage auf Kassation derselben
wegen einer Anzahl dabei zu Tage getretener Ungesetzlichkeiten und
Unregelmässigkeiten, die bei dem kleinen Unterschied zwischen der
offiziell festgestellten Zahl der Annehmenden und Verwerfenden auch dann
das Ergebnis

AS 46 l _ 1920 9

; 5-9 Stats:-echt.

als ungültig erscheinen lassen müssten, wenn sich ein genauer Beweis
ihres ziffernmässigen Einflusses nicht führen lasse. Als solche Verstösse
wurden namhaft gemacht :

1. Die Zulassung zur Stimmabgabe:

a) der Klosterinsassen von Engelberg, welche Bürger anderer Kantone seien,
ohne Besitz einer förmlichen Niederlassung,

b) von 9 weiteren Bürgern anderer Kantone, 6 in Alpnach und 3 in
Engelberg, welche ebenfalls keine polizeiliche. Niederlassung besessen
hätten;

c) eines Blödsinnigen Jakob Keller, Vater in Samen;

d) eines noch nicht Mehrjährigen, Albin Berchtold in Alpnach;

e) eines Bürgers vor Beginn der Abstimmungszeit und dreier weiterer an
anderen als ihren Wohnorten,

2. Die Verhinderung an der Stimmabgahe:

a) der Kantonseinwohner, welche sich zur Zeit der Abstimmung im
Militärdienst befunden hätten, indem man keine Massnahmen getroffen habe,
um ihnen das stimmen am Standorte zu ermöglichen;

b) von acht Bürgern im Lee , Biel und Teufibach , Melchtal, die man von
der durch die Gemeinde Kerns im Melchtal aufgestellten Urne weggewiesen
habe, weil sie in Sachseln stimmen müssten, während sie bisher stets in
Melchtal gestimmt gehabt hätten;

c) zweier Bürger Karl oder Alois Berchtold in Giswil und Karl Berchtold
in Kägiswil, die überhaupt keinen Stimmrechtsausweis erhalten hätten;

d) des Jakob Gut in Kägiswil, dem man den Stimmrechtsausweis zu Unrecht
wegen angeblich fehlender Niederlassung verweigert habe.

Als den Beschwerdeführern bekannt gewordene Fälle von Dienstpflichtigen,
die sich im Militärdienst befunden hätten, wurden dabei sechs aufgeführt,
aber bemerkt,Politisches Stimmund Wahlrecht. N' 19. 131

dass es sich noch um eine erheblich grössere Zahl handeln müsse, was
durch eine unparteiische, amtliche Untersuchung festzustellen sein werde.

Durch Entscheid vom 9. April 1919 kassierte der Regierungsrat wegen
unberechtigter Teilnahme an der Abstimmung 7 Stimmen, nämlich 4 in
Alpnach und 3 in Engelberg (von den oben unter 1 b und d erwähnten),
wies dagegen im übrigen die Beschwerde ab.

Bezüglich der übrigen drei Einwohner, die in Alpnach angeblich
unberechtigter Weise an der Abstimmung teilgenommen haben sollen (l 1)
oben), wird festgestellt, dass der eine, Arnold Niederberger, nach den
vorgenommenen Erhebungen tatsächlich die rechtsfömfliche Niederlassung
besitze; ein zweiter, Franz Schmid, weil lm Haushalte seiner Mutter lebend
und in deren Gewerbe tätig, nach der Praxis auch ohne eigene Hinterlegung
von Papieren stinunberechtigt sei; der dritte, NiederbergerFallegger,
Alpnach schon früher verlassen habe, infolgedessen nicht auf dem
Stinunregister figuriere und auch keinen Ausweis erhalten habe. Dass
Jakob Koller Vater in Samen geisteskrank oder unzurechnungsfähigsei, sei

weder notorisch noch durch Gutachten festgestellt; er

stehe seit Jahren auf dem Stimmregister und sei bis jetzt eigenen
Rechtes. Wenn in Kägiswil Sarnen ein Bürger seinen Zettel eine Stunde vor
Eröffnung der Urne habe abgeben können und in Kerns und Alpnach drei aus
anderen Gemeinden zurv Urne gegangen seien, so seien dies Ungehörigkeiten,
die aber nicht die Kassation der betreffenden Stimmen nach sich ziehen
könnten. Alle diese Bürger hätten das Stimmrecht besessen. Durch die
gerügte Art der Stimmabgabe sei das Schlussergebnis nicht verschoben
werden. Die Frage der Stimmberechtigung der Kapitularen von Engelberg
endlich erscheine durch den früheren Beschluss vom 20. Februar 1919
erledigt, auf den zurückzukommen kein Anlass bestehe. Was die weiteren
Beschwerden über V e r h i n d e ru ng an der Stimmabgabe hetreffe,
so hätten zwei der

132 Steam-echt.

angegebenen Wehrmänner infolge früherer Abmeldung nach anderen Orten
und Unterlassung einer Neuanmeldung das Stimmrecht nicht besessen
und deshalb mit Recht keine Ausweise erhalten. Andererseits hätten die
Erhebungen in den Gemeinden ergeben, dass ausser den von den Rekurrenten
erwähnten Personen sich noch zwei Stimmberechtigte im Militärdienste
befunden hatten, sodass also im Ganzen sechs Wehrmänner in Betracht
kämen. Für alle sei der Stiimnrechtsausweis zu Hause den Angehörigen
übergeben werden, ohne dass diese auf die Tatsache, dass der Adressat
zur Zeit Dienst leiste, aufmerksam gemacht hätten, oder die betreffenden
Stimmberechtigten selbst wegen Ermöglichung der Sümmabgabe irgendwie
vorstellig geworden seien. Da es sich nicht um das Aufgebot einer
kantonalen Einheit, sondern nur um vereinzelte Soldaten gehandelt
habe, welche entweder im freiwilligen Dienste gestanden oder sich in
Militärsanatorien befunden hätten, und da das kantonale Recht irgend eine
besondere Massnahme für die Stimmrechtsausübung durch Wehrmänner nicht
vorsehe, hätten die Gemeindebehörden keine Pflicht gehabt, in dieser
Beziehung etwas vorzukehren, sondern durch die Abgabe des Stimmzettels
in der Wohnung ihren Ohliegenheiten genügt. Die Grundstücke im 'Lee,
Teufibach und Biel, Melchthal gehörten politisch zur Gemeinde Sachseln,
sodass ihre Bewohner an den für diese Gemeinde aufgestellten Urnen
in Sachseln selbst oder im Flühli zu stimmen gehabt hätten und mit
Recht-von der Kernser Urne weggewiesen worden seien. Hinsichtlich der
sonstigen Einzelfälle sei zu sagen, dass Jakob Gut in Kägiswil nur als
Aufenthalter angemeldet sei, als solcher aber die Stimmherechtigung nicht
besitze : die Tatsache allein, dass er zur Zeit bei seiner Mutter wohne,
die übrigens, weil seit ihrer zweiten Heirat Kantonsbürgerin, ebenfalls
keine Schriften hinterlegt habe, vermöge ihm unter diesen Umständen das
Stimmrecht nicht zu verschaffen. Dass Karl Berchtold in Giswil keinen
Stimmrechtsaus--Politisches Stimmund Wahlrecht. N° 19. 133

weis erhalten habe, sei nicht bewiesen : wäre es der Fall, so hätte er
ihn nach dem dafür vorgesehenen Verfahren auf die öffentliche Auflegung
des Stimmregisters hin reklamieren und nötigenfalls beim Regierungsrat
Beschwerde führen sollen, was nicht geschehen sei. Und ein Karl
Berchtold in Kägiswil'sei überhaupt nicht auf dem Stimmrechtsregister
aufgetragen. Sollte ein solcher damals in Kägiswil wohnhaft gewesen
sein, so hätte auch ihm zur Erlangung des Ausweises der eben erwähnte
Weg offen gestanden.

B. Gegen diesen Entscheid des Regierungsrates haben Jakob. Läubli und
Mitbeteiligte die staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht
ergriffen mit dem Begehren um Aufhebung desselben und Kassation des
offiziell proklamierten Abstimmungsergebnisses vom 23. Februar 1919
. Sie halten daran fest, dass die Zuerkennung des Stimmrechts an die
kantonsfremden Kapitularen des Klosters Engelberg ohne Besitz einer
förmlichen Niederlassung gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit
verstosse und auf einer sachlich nicht haltbaren, allen staatsrechtlichen
Grundsätzen widersprechenden Auslegung der Vereinigungsurkunde von
1815 beruhe, ferner dass den Wehrmännern Gelegenheit zur Stimmabgabe
am Standorte hätte gegeben werden müssen, selbst wenn es sich nur um
freiwillige Dienstleistung gehandelt habe. Auch die Haltung, die der
Regierungsrat gegenüber den anderen Rügen einnehme, sei willkürlich.
Es liege ein innerer Widerspruch darin, dass man dem Jakob Gut in
Kägiswil das Stimmrecht wegen fehlender Niederlassung abspreche,
während es einem anderen Einwohner, Franz Schmid in Alpnach, unter ganz
gleichen Voraussetzungen zuerkannt werde, ferner dass Verstösse wie die
Stimmabgabe vor der offiziellen Eröffnung der Urne und ausserhalb des
Wohnortes als unerheblich erklärt würden, während umgekehrt die gegen die
jahrzehntelange Uebung verstossende Wegweisung der Ein-_ wohner von Lee,
Biel und Teufibach von der Kernser

i34 staatsrecht-

Urne im Melchthai geschützt werde. An der Frage, ob bei einer Abstimmung
Bürger undekugterweise teilgenommen hätten oder widerrechtlich
an der Stimmabgabe verhindert worden seien, bestehe aber ein zur
Beschwerdeführung legitimierendæ Interesse selbst dann, wenn die
Beantwortung ohne Einfluss auf das Schicksal der Abstimmung wäre. Im
übrigen sei hier, wie schon im kantonalen Verfahren bemerkt, die Differenz
zwischen annehmenden und verwerfenden Stimmen so gering, dass auch schon
die blosse M 6 gl i c h k e i t einer Beeinflussung des Ergebnisses für
die Kassation ausreichen müsse. Es könne dem beschwerdeführenden Bürger,
zumal bei einer kantonalen Abstimmung in einer Mehrzahl grosser Gemeinden,
unmöglich zugemutet werden, den zahlenmässigen Umfang jeder einzelnen
Unregelmässigkeit bestimmt nachzuweisen.

C. Die Regierung des Kantons Obwalden hat Abweisung der Beschwerde
beantragt . Sie bestreitet die Richtigkeit der Rügen der Rekurrenten,
wobei sie eventuell geltend macht, dass den Engelberger Kapitularen aus
anderen Kantonen wenn nicht die Stellung von Landleuten, so doch nach
dem für Haussöhne angewendeten Grundsatze zum mindesten diejenige von
Niedergelassenen zukomtne, nimmt aber in erster Linie den Standpunkt
ein, dass eine materielle Prüfung überhaupt überflüssig sei, weil
selbst wenn man in allen von den Rekurrenten angeführten Fällen ihrer
Auffassung beipflichten wollte, noch immer eine verwerfende Mehrheit übrig
bliebe. Die Zahl der Engelberger Kapitularen, die Bürger anderer Kantone
sind, aber gleichwohl ohne förmliche Niederlassung zur Urne zugelassen
wurden, wird dabei, gestützt auf eine Aufstellung der Gemeindekanzlei
Engelberg, auf 36 angegeben : 3 weitere stimmende Brüder seien von Geburt
waaldner Bürger.

D. In der Replik haben die Rekurrenten diese Zahlenangahen nicht mehr
bestritten und auch keine weiteren Namen von Wehrmännern, die an der
Stimmab--Politisches Stimmund Wahlrecht. N° 19.135

gabe verhindert worden wären, namhaft gemacht. Im übrigen decken sich
die Ausführungen der Replik und Duplik sachlich mit den schon in der
Beschwerde und Antwort enthaltenen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Nach feststehender Praxis des Bundesrates als frihrerer Rekuisbehörde,
der sich das Bundesgericht angeschlossen hat und von der vadzinsiseichen
kein Grund besteht, vermag die Teilnahme nicht stimmberechtigter Bürger
an einer Abstimmung oder der ungerechtfertigte A'ussehluss einzelner
Stimmberechtigter von derselben nur dann zur'Aufhebung der Abstimmung
selbst zu führen, wenn feststeht, dass deren Ergebnis ohne diese Verstösse
ein anderes gewesen wäre. Die blosse Möglichkeit, dass sich ausser den
von den Rekurrenten nachgewiesenen Tatbeständen noch andere gleicher Art
ereignet haben könnten, welche die Zahlen verschieben würden, reicht dazu
nicht aus. Als Unregelmässigkeiten, welche nur unter jener Voraussetzung
einen Kassationsgrund abgeben, sind dabei insbesondere auch das Stimmen
an einem

anderen als dem Wohnorte oder die Unterlassung beson-

derer Vorkehren zu betrachten, um den im Dienste befindlichen Wehrmännern
die Teilnahme an der Abstimmung zu ermöglichen (SALis, Bundesrecht
III Nr. 1182, 1210, 1220, ASM) I. S. 363, 42 IS. 292 Erw. 3). Die
Bekursentscheidungen, welche die Rekurrenten im Auge haben und welche
anscheinend auf einem anderen Boden stehen, besehlagen nicht Fälle
unrichtiger Erledigung der Frage des individuellen Sümmrechts, sondern die
Nichteinhaltung des für die Abstimmung vorgeschrie 'i denen Verfahrens,
soweit es sich dabei um wesentliche Grundsätze 'und nicht um blosse
Ordnungsvorschriften handelt, also die Missachtung von Bestimmungen,
die nach ihrem Sinn und Zweck vom Gesetzgeber als nötig erachtet werden
sind, um überhaupt eine richtige Kundsi gebung des Volkswillens zu
gewährleisten, weshalb in

136 Stuhl-echt. ·

einem solchen Falle der positive Beweis der Verfälschung jenes Willens
durch die Verfahrensfehler der Natur der Sache nach nicht gefordert
werden darf (SALIS III 1179, 1179 a, AS 42 I S. 56 u. 57). Es lässt
sich deshalb daraus für die Entscheidung des heutigen Streites, welcher
ausschliesslich Rügen der eingangs erwähnten ersten Kategorie zum
Gegenstand hat, nichts herleiten.

Danach ist aber die vorliegende Beschwerde abzuweisen, ohne dass auf
die einzelnen von den Rekurrenten geltend gemachten Rügen materiell
einzutreten wäre, weil selbst, wenn sie in allen Punkten begründet wären,
das Abstünmungsergebnis dadurch nicht geändert würde. Zwar geht es nicht
an, zum Beweise dafür, wie es der Regierungsrat von Obwalden tut, einfach
die Zahl der von den Rekurrenten beanstandeten stimmen 'plus derjenigen
der angeblich zu Unrecht ausgeschlossenen Stimmberechtigten von der Summe
der Nein abzuziehen, um so festzustellen, dass noch immer eine verwerfende
Mehrheit von so und so viel Stimmen übrig bleibe. Es muss von dem für
die Rekurrenten günstigsten Falle ausgegangen und vorausgesetzt werden,
dass alle diejenigen Bürger, die angeblich zu Unrecht zugelassen worden
sind, mit Nein gestimmt haben, während

die zu Unrecht an der Stimmabgabe Verhinderten mit,

Ja, also für die Annahme der Initiative gestimmt haben würden. Auch bei
dieser Berechnungsweise ist indessen das Fazit noch immer eine vèrwerfende
Mehrheit, sodass das Abstimmungsergebnis sich gleichbleibt. Denn zählt
man die Zahl der angeblich zu kassierenden Stimmzettel (nach Fakt.'A
S. 130 oben Ziff. 1 a bis er zusammen 51) von derjenigen der offiziell
festgestellten Nein (1773) ab, so betragen die verwertenden Stimmen
gleichwohl noch 1722, während die Zahl der offiziell festgestellten
Ja (1697) zusammen mit den Stimmen der angeblich zu Unrecht an der
Stimmabgabe Verhinderten (nach Fakt. AS. 130 oben Ziffer 2 {im Ganzen 19)
nur 1716 ausmachen würde.Politisches Stimmund Wahlrecht. N° 19. 137

Angesichts der besonderen Umstände des Falles besteht auch kein Anlass zu
untersuchen, ob es nicht viel leicht gerechtfertigt wäre, von der eingangs
umschriehenen strengen Praxis da eine Ausnahme zu machen, wo der Grund,
der zur unberechtigten Zulassung oder Ausschliessung von der Stimmabgabe'
geführt hat, seiner Natur nach einen generellen Charakter hat und wo
daher von vorneherein eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht,. dass auch
noch andere Personen als die speziell ermittelten davon betroffen seien,
(1. h. in solchen Fällen, wenigstens bei einer ohnehin geringen Differenz
zwischen den Ja und Nein, schon _die blosse Möglichkeit der Beeinflussung
des Ergebnisses für die Kassation genügen zu lassen. Denn da die Zahl
der stimmenden Kapitularen des Klosters Engelberg genau feststeht und
nicht behauptet wird, dass die Umstände, welche sonst die Zulassung oder
Ausschliessung dieses oder jenes Bürgers veranlassten, sich aus einer
allgemeinen irrtümlichen Auslegung und Handhabung der mass'gebenden
Gesetzesvorschriften erklären, könnte als solcher genereller Grund hier
nur die Unterlassung von Massnahmen für die Stimmabgabe durch

. Wehrmänner in Betracht kommen. Nun ist aber nicht

bestritten, dassdie obwaldnische Gesetzgebung im Gegensatz zu derjenigen
mancher anderer Kantone irgendwelche Sondervorschriften zu Gunsten
dieser Kategorie vbn Stimmberechtigten nicht enthält. Die Frage, ob
sich die Pflicht ihnen die Stimmrechtsausübung praktisch zu ermöglichen,
nicht dennoch aus allgemeinen Grundsätzen, insbesondere dem Postulate der
Rechtsgleichheit ergebe, die in einem anderen Falle aus dem Kanton Zürich
(AS 42 I s. 50 ff.) aus hier nicht zutreffenden. Erwägungen (Möglichkeit
der Stellvertretung) verneint worden ist, kann dabei wiederum offen
bleiben. Selbst wenn man sie grundsätzlich bejahen wollte, könnte die
Anordnung besonderer Massnahmen nach dieser Richtung jedenfalls nur
dann verlangt werden, wenn es sich entweder um die Abwesenheit ganzer
Einheiten oder doch

"138 Staatsrecht.

einer grösseren Zahl von Stimmberechtigten, die wenigstens bis zu einem
gewissen Grade an den gleichen Standorten vereinigt sind, handelt. Kommen
wie hier nur ganz vereinzelte Personen in Frage, die zudem noch bloss
freiwillig und jede an einem anderen Orte Dienst leisten; so kann der
Behörde beim Fehlen entgegenstehender positiver Vorschriften kein Vorwurf
daraus gemacht werden, wenn sie den Fall gleiehbehandelt wie denjenigen
aller anderen. Personen, welche zur betreffenden Zeit zufällig nicht
gerade ortsanwesend sind, d. 11. den Stimmrechtsausweis in der Wohnung
den empfanngerechiigten Hausangehörigen abgibt und es dem einzelnen
Wehrmanne überlässt, vorstellig zu werden, wenn er sich die Teilnahme
an der Abstimmung sichern will. Eine solche Reklamation ist aber hier nur

von einem einzigen der von den Rekurrenten ange'

führten Wehlmänner eingegangen und auch sie erst nach der Abstimmung
sodass es unmöglich war, sie zu berücksichtigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht .Der Rekurs wird
abgewiesen.Niederlassungstreiheit. N' 20. 139

IV. NIEDERLASSUNGSF RE I HE I'l'

LBERTÉ D'ÉTABLISSEMENT

20. Urteil vom 30. April 1920 i. S. Z. gegen Thurgau.

,Die Beschwerde aus Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
BV ist zulässig, auch wenn

diese Verfassungsbestimmung im kantonalen Verfahren nicht angerufen
werden ist. _ Die Garantie des Art. 45
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 45 Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes - 1 Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
1    Die Kantone wirken nach Massgabe der Bundesverfassung an der Willensbildung des Bundes mit, insbesondere an der Rechtsetzung.
2    Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben; er holt ihre Stellungnahmen ein, wenn ihre Interessen betroffen sind.
'BV gilt auch für die
Niederlassung im Heimatkanton. Unzulässigkeit einer Entziehung der
Niederlassung wegen unsittlichen Lehenswandels, Geschlechtskrankheit
und Kleideraufwandes.A. Durch Beschluss vom 30. Januar 1920 entzog
der Gemeinderart von Arbon der dort wohnhaften Rekurrentin, die
Bürgerin des Kantons Thurgau ist, wegen unsittlichen Lebenswandels die
Niederlassung. Er stützte sich dabei auf § 26 litt. c des thurg. Gesetzes
betr. die Verhältnisse der Aufenthalter und Niedergelassenen vom
27. Juni 1866, wonach das Recht der Niederlassung entzogen werden kann
durch Schlussnahme der Gemeinderäte, wenn ein... Niedergelassener einen
notorisch unsittlichen Lebenswandel führt. Einen Rekurs ge die Verfügung
des Gemeinderates wies der Regierungsrat des Kantons Thurgau am 6. März
1920 ab, indem er auf Grund eines Polizeiberichtes feststellte: Die
Petentin empfängt ledige und verheiratete Mannspersonen, treibt einen
bekannten, auffälligen Kleideraufwand, war bereits vor zwei Jahren
geschlechtskrank, und ist es heute noch und muss daher in sanitärer
Hinsicht als gemeingefährlich bezeichnet werden.

B. Gegen diesen Entscheid hat H. Z. am 13. März 1920 die staatsrechtliche
Beschwerde an das Bundes-
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 46 I 126
Date : 06. März 1920
Published : 31. Dezember 1920
Source : Bundesgericht
Status : 46 I 126
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : l 26 Staatsrecht. 19. Urteil vom 6. März 1920 i. S. Läu'bli gegen Obmlden Regierungsrat.


Legislation register
BV: 45
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