LH 62 Staatsrecht.

II. AUSÜBUNG DER VISSENSCHAFTLICHEN BERUFSARTENEXERCIGE DES PROFESSIONS
LIBÉRALES

50. Urteil vom 5. Dezember 1919 L S. Brann gegen Luzern.

Gilt ein ohne Examen ausgestelltes Anwaltspatent als Befähigungsausweis im
Sinne des Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
der Fb.-Best. z. BV *.* A.-Nach Art. 1 des st. gallischen
Anwaltsreglemenles

vom 14. März ,f 21. Mai 1901 kann den Beruf eines

Anwaltes im Kanton St. Gallen jeder stimmberechtigte

Schweizerbürger ausüben, welcher a) einen guten Leu--

mund besitzt, 5) ein st. gallisches Anwaltspatent besitzt,

sei es aus Grund einer vor der st. gallischen Prüfungs-

kommission bestandenen Prüfung, sei es gemäss Art. 4

und 13 dieses Reglementes . Art.13 bestimmt in Absatz 1 :

Wer dem Inkrafttreten des Reglementes vorgängig den

Anwaltsberuf während mindestens zwei Jahren als

Praktikant auf einem st. gallisehen Anwaltsbureau aus-

geübt hat und durch seine persönlichen und beruflichen

Qualifikationen, sowie durch die Art seiner Geschäfts-

imd Prozessführungzur Ausübung des Anwaltsberui'es

befähigt erscheint, wird ohne Prüfung das Patent er--

halten .v. In Absatz 2 wird sodann der Ausübung des

Anwaltsberufes als Praktikant auf einem st. gallischen

Anwaltsbnrenu eine gleichwertige amtliche Tätigkeit auf

dem Gebiete der Rechtspflege gleichgestellt, sofern der

Patentbewerber auf Grund seines Bildungsganges zur

Ausübung des Anwaltsberufes befähigt erscheint. n Ge.-

stützt auf diese Reglementsbestimmung erteilte das Kan-

tonsgerieht des Kantons St. Gallen am 23. Dezember 1901

dem Rekurrenten J. Brenn, der damals seit dem Jahre

1895 Gerichtsschreiber des Bezirksgerîchts Sargans

war, das st.gallische Anwaltspatent. .Brenn ergriff imAusübung der
wissenschaftlichen Berufsarten. N° 30. 363

Jahre 1905 den Anwaltsberui'. Als er im Sommer 1919 ein Anwaltsbureau in
Luzern übernahm, gelangte er am 17. September'1919 an das Obergericht des
Kantons Luzern mit dem Gesuch, ihm nach § 4 des luzernischcn Gesetzes
über die Ausübung des Advokatenberuies vom 27. Oktober 1852 ein F
ähigkeitszeugnis, die Rechtssachen Dritter vor Gericht verfechten zu
können , auszusteilen ..... -

Das Obergericht wies das Gesuch am 23. Oktober 1919 ab in Erwägung dass
. . . allerdings im Hinblick auf . Art. 5 der Übergangsbestimmungen
zur schweizerischen Bundesverfassung und die ihm gegebene Auslegung dem
Besitzer eines ausserkantonalen Anwalts patentes die Ermächtigung zur
Ausübung des Anwalts berufes im Kanton Luzern in feststehender Praxis

erteilt wird, sofern das ausserkantonale Patent nicht bloss gestützt auf
formelle Requisite, sondern auf Grund einer materiellen Untersuchung über
die zur Berufsaus- iibung erforderliche wissenschaftliche Befähigung
erworben wurde; dass diese Voraussetzung sich vorliegend aber nicht
erfüllt findet, indem der Gesuchstcller sein Patent nicht etwa auf Grund
der in Art. 3 des st.gal lischen Reglementes vorgesehenen Prüfung oder
im Sinne des Art. 4 eod. auf Grund eines anderwärts gut -3_bestandenen
juristischen Examens erhalten hat, son dern lediglich gestützt auf die
Ausnahmebestiinmung des Art. 13, Abs. 21 . c. und zwar, Wie aus der
Zuschril't des Kantonsgerichtspräsidenten von St. Gallen vom 21. Oktober
abhin sich ergibt, ohne jedwede nähere Prüfung des Bildungsganges,
einzig im Hinblick auf si die vorherige Tätigkeit des Bewerbers als
Bezirksigerichtsschreibers in Sargans ; ..................... -s

B. Am 27. und 29. Oktober 1919 hat Brenn ...... die staatsrechtliche
Beschwerde an das Bundesgericht ergriffen mit den Anträgen:

a) Es sei der Beschluss des Obergerichtes . . . . d. d. : 23. Oktober
1919. . .. aufgehoben und der Unter-

364 Staatsrecht. .

zeichnete .. im Sinne seiner Eingabe an das Ober
gericht. d. d. 17. September 1919 berechtigt, im Kanton Luzern den
Anwaltsberul' auszuüben.

Zur Begründung wird ausgeführt: Nach Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
der Übergangsbestimmungen
zur BV sei jeder Anwalt, der von einem Kanton den Ausweis der Befähigung
erlangt habe, befugt, seinen Beruf in der ganzen Eidgenossen-schaft
auszuüben. In der bundesgerichtlichen Praxis sei hieran stets
festgehalten worden (AS 22 S. 923, 28 I S. Il"? f., 30 I S. 26 und 29,
331 S. 494, 39 I S. 51, 41 IS. 390, 42 I S. 279). Das dem Rekurrenten
Brenn erteilte st. gallische Anwaltspatent bilde den auch für den
Kanton Luzern verfassungsmässig garantierten Fähigkeitsausweis. Die
Gewährung dieses Patentes beruhe nach Art. 31
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 31 Grundsatz - Für Klagen aus Vertrag ist das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder an dem Ort zuständig, an dem die charakteristische Leistung zu erbringen ist.
der st.gallischen ZPO und
Art. 13 des st. gaillischen Anwaltsreglementes auf der Feststellung,
dass Brenn auf Grund seines Bildungsganges als zur Ausübung des
Anwaltsberufes fähig anzusehen sei. Er habe seinerzeit zur Unterstützung
des Patentgesuches Zeugnisse von verschiedenen bekannten Advokaten
und Juristen vorgelegt. Darauf, was der Kantonsgerichtspräsident von
St. Gallen dem luzernischen Obergericht am 21. Oktober 1919 geschrieben
habe, könne nichts ankommen. Der obergen'chtliche Beschluss bedeute
daher eine Verfassungsverletzung.. ........................

Das Bundesgericht ziehi in Erwägung:

. . . ,Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
der Überg.-Best. 2. BV hat nach der Auslegung, die
ihm in der Praxis gegeben worden ist. den Sinn, dass der Ausweis der
Befähigung, den eine Person bis zum Inkrafttreten des in Art. 33
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
1    Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
2    Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen.
BV
vorgesehenen Bundesgesetzes von einem Kanton für die Ausübung einer
wissenschaftlichen Beruksart erhalten hat, in allen Kantonen als, solcher
anerkannt werden muss. Demjenigen, der auf Grund eines ausserkantonalen
Fähigkeit-sausweises die Bewilligung zur Ausübung des Advokaten--

Ausübung der wissenschaftlichen Berutsarten. N° in). .....si;
berufes verlangt, soll danach diese gewährt werden. sofern im
übrigen abgesehen vom genannten Ausweis die hiekiir aufgestellten
gesetzlichen Voraussetzungen vorhanden sind (vgl. die im Rekurs zitierten
Entscheide). Das Obergericht anerkennt diesen Grundsatz, nimmt aber an,
dass das dem Brenn erteilte Patent nicht als Befähigungsausweis im Sinne
des Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
Überg.-Besi. 2. BV angesehen werden könne, weil es nicht auf
einer materiellen Untersuchung über die erforderlichen wissenschaftlichen
Kenntnisse beruhe. Nun gibt das von einem Kanton erteilte Anwal'tspatent
allerdings nur dann das von Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
Überg. Best. 2. BV vorgesehene
Recht, wenn es sich auf die Feststellung stützt, dass der Inhaber die
zur Berui's-ausübung erforderlichen wissenschaftlichen Kenntnisse und
praktischen Fähigkeiten besitze, und diesen damit zur unbeschränkten
Ausübung des Anwaltsberufes im Kantonsgebiet berechtigt. Das Obergericht
war daher unbestrittenermassen befugt, zu prüfen, ob dies auf das von
Brenn vorgelegte Patent zutreffe. Die Frage muss aber entgegen seiner
Auffassung bejaht werden. Nach der Praxis (vgl. die im Rekurse zitierten
Entscheide, ferner SALIS, Bundesrecht II Nr. 855 858, AS 32 I S. 271,
BBl 1893 III S. 298, 1894 I S. 239, 1895 I S. 480, III S. 34, 1901
I S. 96, III S. 563} genügt jede auf einer materiellen Untersuchung
beruhende, gesetzmässige Feststellung der zuständigen Behörde, dass
der Patentinhaber die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten habe,
mag auch die Untersuchung selbst noch so beschränkt gewesen sein. Ein
Anwaltspatent, das bloss auf Grund von Fonnerfordernissen oder einer
Prüfung der moralischen Eignung erteilt worden ist, gilt danach zwar
nicht als Befähigungs-ausweis im Sinne des Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
der Überg.-Best. z. BV;
aber andrerseits kommt es auch nicht darauf an, ob die Untersuchung der
wissenschaftlichen Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten sehr eingehend,
z. B. durch ein Examen, oder in summarischer Weise, 2. B. durch blosse
Beurteilung der bisherigen praktischen Leistungen statt--

:;66 staatsrecht.

gefunden hat. Wenn das Recht eines Kantons solche verschiedenen
Untersuchungsarten vorsieht und die auf Grund ihres Ergebnisses erteilten
Patente ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit ihrer Grundlage zu
unbeschränkter Berufsausiibung berechtigen, so geniessen deren Inhaber
auch ohne weiteres den Schutz des Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
Überg-Best. z. BV.

ÈÎÎssDemgemàss müssen die vom Kantonsgericht des Kantons St. Gallen
auf Grund des Art. 13 Abs. 2 des st. gallisehen Anwaltsreglementes
ausgestellten Patente regelmässig als Befähigungsausweise zur Ausùb'ung
des Anwaltsberuies iin "Sinne des Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
der Ùberg.-best. z. BV
anerkannt werden. Die genannte Reglementsvorschrift lässt, wie
insbesondere auch aus ihrer Verbindung mit Absatz 1 hervorgeht, die
Erteilung des Anwaltspatentes keineswegs ohne jede Prüfung zu ; dies
wäre mit Art. 31
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 31 Grundsatz - Für Klagen aus Vertrag ist das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder an dem Ort zuständig, an dem die charakteristische Leistung zu erbringen ist.
der st. gall. ZPO nicht vereinbar, wonach nur solche
Personen, die die nötigen Fähigkeiten besitzen, ein Patent erhalten
können. Das Kantonsgericht musste bei denjenigen, die sich auf Grund des
Art. 13 Abs. 2 des Anwaltsreglementes urn die Bewilligung zur Ausübung
des Anwaltsberufes bewarben, nicht bloss prüfen, ob ihre amtliche
Tätigkeit in der Rechtspflege zwei Jahre gedauert habe und derjenigen
eines Anwaltspraktikanten gleichwertig sei, sondern ausserdem noch
untersuchen, ob sie nach ihrem Bildungsgang, insbesondere auch nach
dem, was sie in ihrer amtlichen Tätigkeit geleistet hatten, die für die
Ausübung des Anwaltsberufes erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten
besessen. Die auf Grund einer solchen Prüfung erteilten Patente sind
denn auch nach kantonalern Recht denjenigen, die infolge eines Exaniens
nach Art. l litt. b oder 4 des Reglementes ausgestellt werden, durchaus
gleichgestellt. Eine derartige erleichterte Erteilung von Anwaltspatenten
auf Grund von Übergangsoder andern Ausnahmebcstimmungen ist noch in
andern Kantoneminsbesondere auch im Kanton Luzern vorgesehen (è 4 Abs. 2
des luzernischen Gesetzes

Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarien. N° 50. 367

über die Ausübung des Advokatenberufes vom 27. Oktober 1852, § 13
des zürcherisehen Gesetzes vom 3 Juli 1898, § 1 des thurgauischen
Anwaltsgesetzes vom 11. April 1880).

Dafür, dass die in Art. 13 Abs. 2 des Anwaltsreglementes vorgeschriebene
Prüfung bei Erledigung des von Brenn gestellten Patentgesuches
ausnahmsweise nicht stattgefunden habe, liegen keine genügenden
Anhaltspunkte vor. Das Schreiben des Kantonsgerichtspräsidenten vom
21. Oktober 1919, worauf sich das luzernische Obergericht stützt, ist
dem Bundesgericht nicht vorgelegt worden. Zudem wird darin nach dem im
angefochtenen Beschlusse wiedergegebenen Inhalt keineswegs gesagt, dass
bei der Patenterteilung der Bildungsgang und die Leistungen Brenns in
seiner bisherigen Amtstätigkeit unberiicksichtigt geblieben seien. Nur
eine , n a h e r e Prüfung des Bildungsganges, also eine genaue
III-kundigung hierüber oder ein eigentliches Examen über die in Schulen
oder in der Praxis erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten, hat danach nicht
stattgefunden; das war aber nach Art. 13 des Anwaltsreglementes auch nicht
notwendig. Es ist somit davon auszugehen, dass das Kan-' tonsgericht
seinerzeit, bevor es Brenn das Patent erteilte, geprüft hat, ob 'er
sich durch seine bisherige amtliche Tätigkeit und durch die vorgelegten
Zeugnisse über eine zur Ausübung des Anwaltsberufes genügende Vorbildung
ausgewiesen habe, und dabei zur Bejahung dieser Frage gelangt ist.

Demgem'ass hat Brenn ein verfassungsmässiges Recht darauf, dass sein
Anwaltspatent im Kanton Luzern als si hinreichender Fähigkeitsauswcis
für die Ausübung des Advokatenbernfes behandelt werde. Dei dieses Recht
missachtende Beschluss des Obergerichts muss dhaer aufgehoben werden
.................................

Demnach erkennt das Bundesgerichl : Der Rekurs wird teilweise in dem
Sinne gutgeheisscn', as ASL. 1919 25 --

368 staatsrecht-

dass der Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern vorn 23. Oktober
1919, soweit dadurch das Gesuch des Rekurrenten 'J. J. Brenn um Zulassung
zur Ausübung des Anwaltsberufes abgewiesen wird, ..... aufgehoben
werden .....

I l I. DOPPELBESTEUERUNG

DOUBLE IMPOS [TION

51. Urteil vom 15. November 1919 1. S. Wallisgegen Schaffhausen.

Verteilung des kantonalen Anteils an der von einer Aktien-,

gesellschaft geschuldeten eidgenössischen Kriegssteuer auf die
verschiedenen Kantone, in denen die Gesellschaft ein steuerdomizil
hat. Massgebend sind die aus dem Doppelbesteuerungsverbot skiir die
Vermögensbesteuerung abgeleiteten Grundsätze. Anwendung dieser Grundsätze
für die Verteilung der Anlagen , Hilfsgesellschaften , Beteiligungen
und direkten Kapitalposten . Niehtherücksichtigung der Aufwendungen für
den Betrieb und der Bestandteile des Geschäftsertrages. Pflicht des die
Steuer einkassierenden Kantons zur Zahlung von Verzugszins.

A. Die Aluminium-Industrie-Aktiengesellschait mit Sitz in Neuhausen
(Kt. Schaffhausen), die neben ihrem dortigen Geschäft und ausländischen
Anlagen einen Fabrikbetrieb mit bedeutendem 'Wasserkraftwerk in Chippis
Vex (Kt. Wallis) hat, ist für die eidgenössische Kriegssteuer pro 1916/ 17
gemäss ihrer Steuererklärung mit einem Steuerbetrag von 700,000 Fr. (bei
dem ein Abzug für ausländische Filialen von 36,500 Fr. berücksichtigt
ist) eingeschätzt werden. Ueber die Verteilung des kantonalen Fünftels
dieses Betrages, von 140, 000 Fr, konnten sich die beiden Kantone
Schaffhausen und Wallis nicht einigen.

Doppelhesteuerung. N° 51 . 369

Finanzdirektion bund Regierungsrat des Kantons Schaffhausen erklärten als
für die Ausscheidung der Steuerquote von Wallis massgebend den Anteil
der Anlagen der Gesellschaft in Chippis an ihren Gesamtanlagen und
berechneten diesen Anteil analog dem Vorgehen des Bundesgerichts in AS
36 I S. 1-1 ff. unter Berücksichtigung einerseits des Faktors Kapital
gemäss den aus der Bilanz ersichtlichen ursprüngliehen Anlagewerteu,
und anderseits des Faktors Arbeit , wobei sie für diesen letztem mangels
näherer Auskunft über die Arbeitslöhne einfach auf den Bilanzposten der
Unkosten abstellten. so gelangten sie zu folgender Aufstellung:

l. Gesamiuniemehmen.

Anlagen-erste . . . ........ Fr. 80,031,000 Vorräte an Rohmaterialien
..... 1,13L000 Vorräte an Fahrikaten ..... . . 648,000 Debitoren
. . . . . . . . . . . . 1,487,000 Wertschriften ....... . . . . n
1,736,000 Kassa und Bankguthaben . . . . . . n 26,119,000

Fr. 110,152,000 Plus Unkosten . . . Fr.. 3,645,000 Tantiemen und
Grati -fikationen . . . . 1,.088,000 Zu 4% kapitalisiert . 4,733,000=
118,325,000 Total ........ Fr. 228,477,000 ll. Werk Chippis. ' Anlagewert
. ....... . . . . Fr. 39,670,000 Anteil an den Vorräten . ,. . . '. . .
1,000,000 Unkosten ...... Fr. 1,808,000

Gratifikationen ss. . . 100,000 Zu 4% kapitalisiert Fr. 1,908,ooo=
Fr. 47300000 Total . .' ._ ..... Fr. 88,370,000
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 45 I 362
Datum : 05. Dezember 1919
Publiziert : 31. Dezember 1920
Quelle : Bundesgericht
Status : 45 I 362
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : LH 62 Staatsrecht. II. AUSÜBUNG DER VISSENSCHAFTLICHEN BERUFSARTENEXERCIGE DES PROFESSIONS


Gesetzesregister
BV: 5 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
33
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
1    Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
2    Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen.
ZPO: 31
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 31 Grundsatz - Für Klagen aus Vertrag ist das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder an dem Ort zuständig, an dem die charakteristische Leistung zu erbringen ist.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
1919 • bundesgericht • amtliche tätigkeit • wallis • unkosten • kantonsgericht • frage • inkrafttreten • gleichwertigkeit • entscheid • doppelbesteuerung • bundesverfassung • rechtsanwalt • patentinhaber • unternehmung • begründung des entscheids • prüfung • konkursdividende • personalbeurteilung • fähigkeitsausweis
... Alle anzeigen
BBl
1893/III/298