MEUR; Proiessrecht. N° 79.

79. Beschluss des Bundesgerichtes vom 30. November 1918 über das
Berufungsverfahren während der Dauer des reduzierten Fahrplan.

Mit Rücksicht auf die durch den reduzierten Fahrplan bedingte Erschwerung
des persönlichen Erscheinens de: Parteien und ihrer Vertreter zur
mündlichen Verhandlung bei Beratungen hat das Bundesgericht beschlossen ':

1. Wenn der Streitwert den Betrag von 4000 Fr. erreicht oder
der Streitgegenstand keiner Schätzung unterliegt, so k a n n der
Berufungskläger innert der Berufungsfrist die Berufung schriftlich
begründen, wenn er zugleich auf die mündliche Verhandlung verzichtet.

2. Der Präsident teilt diese Rechtsschrift dem Berufungsbeklagten
mit und wartet mit der Vorladung zur mündlichen Verhandlung während
10, im beschleunigten Verfahren während 5 Tagen zu. Reicht der
Berufungsbeklagte innert dieser Frist eine schriftliche Antwort ein, in
welcher er auf die mündliche Verhandlung verzichtet, so unterbleibt diese
Verhandlung. Unterlässt er dies, so werden beide Parteien zur mündlichen
Verhandlung vcrgeladen. Die Rechtsschrift des Beruiungsklägers bleibt
bei den Akten. ' .

3. In den schon beimBundesgericht anhängigen Beratungen könnendie
Parteien auf die mündliche Verhandlung. verzichten und aussergerichtlich
schriftliche Berufungsbegrü'ndungen austauschen. Das Bundesgericht
wird diese Rechtsschriften berücksichtigen, wenn sie 14 Tage vor
der angesetzten mündlichen Verhandlung eingereicht werden und der
Berufungsbeklagte anerkennt, dass ihm die Berufungsschrift des
Berufungsklägers zur Kenntnis gebracht worden ist.

si 4. Dieser Beschluss ist im Bundesblatt und sonst in geeigneter Weise
bekannt zu machen.

Der-selbe gilt für so lange, alssider reduzierte Fahrplan in. Kraft
bestehen wird.

I. PERSONENRECHT

DROIT DES PERSONNES

80. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Dezember 1918 1. S. Wirz'
Erben gegen Basellandschaftliche Kantonalbank. Urteilsunfähigkeit:
Ungültigkeit einer von einem

Geisteskranken abgegebenen Bürgschaftserkiärung, trotz-

dem der Biirge bisher sein Vermögen ordentlich verwaltet hat.

A. Albert Wirz Ehrsam, Förster in Sissach, der Ehemann bezw. Vater der
Kläger, verhürgte sich im Jahre 1913 für drei Forderungen derBeklagten
gegen einen ,E. Buser Gass. Diese Forderungen, von denen die ersten zwei
hypothekarisch sichergestellt waren, beliefen sich auf 5600 Fr., 30,000
Fr. und 2000 Fr. Nach dem Tode des Bin-gen Wirz betrieb die Beklagte
den Hauptschuldner und griff sodann für die Beträge, in denen sie nicht
gedeckt wurde, auf die Kläger als Erben des Bürgen, bezw. auf die

Mitbürgen. Die erstgenannte Hypothekarforderung war

ganz zu Verlust gekommen, die zweite mit 12,086 Fr. 90 Cts. und
die Chirographariorderung mit 847 Fr. Hinsichtlich der letzteren,
bezw. des auf sie entfallenden Halbteils (der andere ging zu Lasten
eines Mitbürgen), erhoben die Kläger Aberkennungsklage, die jedoch,
nachdem sie das Bezirksgericht gutgeheissen, vom Obergericht Baselland
abgewiesen wurde. Die Hypothekarforderung von 5600 Fr., für die sich
ausser Wirz noch zwei Mitbürgen verpflichtet hatten, bildet ebenfalls
Gegenstand eines Aherkennungsprozesses, der aber von der ersten Instanz
sistiert wurde. Gegenstand des vorlieAS 44 n ... 1918 30

448 Personenrecht. N° 80.

genden Prozesses ist das Begehren der Erben Wirz um Aberkennung der aus
der 30.000 Fr. Bürgschaft gegen sie 'erhobenen Forderung von 6043 Fr. 45
Cts. (Für weitere 6043 Fr. 54 Cts. hat ein Mitbürge Barth aufzukomnien.)

B. Das Begehren der Kläger stützt sich auf die Behauptung, der Erblasser
Wirz sei zur Zeit der Eingehung der Bürgschaftsverpflich tung, zufolge
Geisteskrankheit, seiner Urteilsfähigkeit beraubt gewesen. DieBeklagte

hat das bestritten und gestützt hierauf Abweisung der _

sAberkennnngslclage beantragt. C. Die erste Instanz stimmte der
Auffassung der

Kläger bei, das Obergericht dagegen wies die Aberkennungsklage wiederum
ab, indem sie unter Verweisung auf die Feststellungen der Vorinstanz
in diesem und dem ersten Prozesse zwar wie diese annahm, Witz sei
geisteskrank gewesen, im weiteren dann aber davon ausging, die Krankheit
habe das Gebiet des rechts-geschäftlichen Verkehrs nicht berührt und in
dieser Hinsicht die Urteilsfähigkeit des Burgen nicht aufgehoben. Witz
habe sich im Gegenteil als sorgfältiger Vermögenswerwalter ausgewiesen,
der sparsam gelebt und sich ein kleines Vermögen erworben. Es müsse daher
angenommen werden, und das Beweisverfahren, speziell das Privatgutachten
Gelpke (das als solches, und weil nicht eingehend begründet, nicht
berücksichtigt werden könne) und ferner das Gutachten Pfarrer Senn,
haben-diese Folgerung nicht zu entkräften vermocht . , dass Witz bei
Abgabe der Bürgscliaftserklärung urteilsfähig gewesen sei, wie das auch
vom Urkundsbeamten bestätigt werde.

D. Dieses Urteil haben die Kläger an das Bundesgericht weitergezogen
mit dem Antrag auf Gutheissung der Klage. Die Beklagte ihrerseits hat
an ihren vor den kantonalen , Instanzen eingenommenen Standpunkten

festgehalten.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung : 1. Die Entscheidung des Prozesses
hängt davon ab,

Personenrecht. N° 80. 449

ob Vater Witz anlässlich der Eingebung der fraglichen
Bürgschaftsverpflichtung urteilsiähig gewesen ist oder nicht.

,Die Kläger bestreiten das, indem sie behaupten, Wirz sei damals zufolge
Geisteskrankheit nicht im stande gewesen, vernunktgemäss (Art. 16
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 16 - Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln.
ZGB)
zu handeln. Für diese Behauptung sind sie beweispflichtig, und zWar
handelt es sich um den Nachweis der Unfähigkeit, die k o n k r e t e
Handlung vernunftgemäss vorzunehmen. Der Begriff der Urteilsfähigkeit
ist nach der Doktrin und schon gemäss der Judikatur zum altenI IFG ein
relativer (vergl. für das alte Recht AS 32 H 749). Insbesondere ist auch
ein Geisteskranker nicht schlechthin urteilsunfähig, sondern nur dann,
wenn die Krankheit eine gewisse Intensität und speziell auch das in
Frage stehende Ta" tigkeitsgebiet erreicht hat.

Als lndiz, dass diese letztere Voraussetzung zutrefie, wurde stets der
Nachweis abnormaler Handlungen in dem betreffenden Tätigkeitsbereich
angesehen, und umgekehrt nahm die bisherige Rechtsprechung beim Fehlen
eines solchen Nachweises in der Regel die Unberührtheit des betreffenden
Gebietes des Handelns an (AS 38 II 417). An diesen Grundsätzen ist
festzuhalten. sie verlieren aber ihre Schlüssigkeit, wenn in anderer,
vom in Frage stehenden Tätigkeitsgebiet abweichender Richtung derartig
abnormale W'illensund Vorstellungsbildungen nachgewiesen sind, dass
eine Beeinflussung der im S'treite liegenden Art von Handlungen sehr
nahe liegt. Es ist allerdings möglich, dass eine Geisteskrankheit
sich nur in einer bestimmten Richtung äussert, während sie vielleicht
die Vermögensverwaltung gar nicht berührt. Nimmt aber die Erkrankung
einen gewissen Umfang, eine gewisse Intensität an, erstreckt sie
sich über wichtige Gebiete des Denkens, so ist die Wahrscheinlichkeit
ungleich grösser, dass auch die übrigen Denkgebiete und nicht nur die
offensichtlich beeinflussten beeinträchtigt sind. Das Fehlen abnormaler
Handlungen 'auf denselben

450 Personenrecht. N° 80.

schliesst das nicht aus, denn möglicherweise ist dieses Fehlen einer
guten Beeinflussung von dritter Seite zuzu schreiben, vielleicht aber
auch haben die irregeleiteten

Vorstellungen tatsächlich noch nicht alt dieses Gebiet hinübergespieit,
ohne dass dasselbe, wenn dies später eintritt, grössere Widerstandskrait,
eine gesundere Reaktion zeigt, als die offensichtlich erkrankten. Ob eine
derartige Beeinflussung eines anscheinend gesunden Denkgebietes vorliegt,
wird zumeist nur schwer strikte nachweisbar sein. Es muss in diesem
Falle, und wenn wie hier ein massgebliches ärztliches Gutachten fehlt, die
Feststellung genügen, dass die übrigen Vorstellungsund Willensbildungen in
einem hohen Grade beeinträchtigt, und der Zusammenhang zwischen krankem
und gesundem Handlungsbereich nicht ein zu entfernter ist. Eventuell
kann sodann, wenn diese Voraussetzungen zutreffenauch die Unsinnigkeit
der konkreten Handlung ein Indiz in diesem Sinne abgeben.

2. Diesen Grundsätzen ist die Vorinstanz insoweit gefolgt, als sie trotz
Nachweises der geistigen Erkrankung des Burgen die Frage auiwarf, ob er
nicht hinsichtlich der konkreten Handlung urteilsiähig gewesen sei. Im
ferneren ist das Bundesgericht an die Feststellung, es seien abnormale
Handlungen VVirz's auf rechtsgeschäitlichem Gebiet nicht nachgewiesen,
gebunden. Zu untersuchen bleibt daher nur, ob nicht der hieraus gezogene
Schluss, Wirz sei also in dieser Hinsicht hrteilsiähig gewesen, nach
dem oben unter 1 gesagten und gestützt auf die wiederum verbindlichen
Feststellungen des Obergerichtes über Umfang und Intensität der bei. Wirz
ausgetretenen Störungen, fehl geht .

In dieser Hinsicht ist einmal darauf zu verweisen, dass die Krankheit
des Erblassers Wirz sich nicht nur in Schruilen und Sonderlichkeiten
geäussert hat, wie die Beklagte behauptet. Ein Mann, der sich ein Billet
kauft, um mit einer Axtnach Bern zu reisen und dort dem Bundesrat das
Zit zu putzen , der einen in Marseille

Personenrecht. N° 80. 451

sich aufhaltenden Bruder, ohne Barmittel mit sich zu nehmen, im Elsass
suchen geht, der nach dem Pfarrer die Kanzel besteigt, um die Predigt
zu kritisieren, der an einer öffentlichen Versammlung konfuse Reden
gegen die Wiedervereinigung Basels hält und bei anderer Gelegenheit nur
mit Mühe vom selben Vorhaben abgehalten werden kann, der in politischer
und religiöser Hinsicht sich zum Höchsten berufen glaubt, dabei aber in
einem koniusen Gedankenwirrwar stecken bleibt, der die eigene Tochter in
unangebrachtester Weise vor deren Schüler blamiert, der sich endlich den
Tod dieser Tochter das einemal schwer zu Herzen nimmt, das andere Mal aber
sich völlig gleichgültig dazu verhält, der ist in seiner Vorstellungs-und
Willensbildung nicht nur schrullenhaft, sondern schwer krank.

Diese Krankheit bestand festgestellterniassen schon in des Burgen Jugend
und bis zu seinem Tod, also auch bei der Verbürgung. Die im vorgehenden
aufgeführten abnormalen Handlungen verteilen sich auf diese ganze Zeit,
und der Tod durch Selbstentleibung im Pfarrhaus zeigt, dass bis zuletzt
eine Besserung nicht eingetreten ist. Uebrigens wurde Wirz auch wiederholt
wegen Geisteskrankheit interniert und jeweils als ungeheilt entlassen.

Sodann ist zu berücksichtigen, dass sich die Krankheit nicht nur auf einem
Gebiet gezeigt hat, sondern sowohl in den politischen und religiösen
Ideen des Erblassers als auch in seinem Verhältnis zu seiner Familie,
speziell zu seiner erwähnten Tochter. Wirz hat sich also nicht nur in
einer Richtung, sondern hinsichtlich der wichtigsten Denkgebiete eines
Mannes seines Standes als schwer krank erwiesen. '

Angesichts dieser Umstände ist es durchaus unwahrscheinlich, und zwar
trotzdem anormale. Handlungen in dieser Hinsicht nicht nachgewiesen
wurden, dass gerade das Gebiet des rechtsgeschäftlichen Verkehrs von
der Krankheit gänzlich verschont geblieben sein soll. Viel näher liegt
das Hinüberspielen der krankhaften Vor--

452 Perseneurecht. N° 80.

stellungen auch auf diesen Denkhereich. Wer in politischer und religiöser
Hinsicht an Grössenwahnvorstellungen leidet, ist natürlich leicht geneigt,
als Helfer aufzutreten, wenn das in seine Gedankenkomplexe passt, oder
wenn ihm die Hülfe entsprechend zurechtgelegt wird.

Dass ein solches Hinüherspielen kranker Vorstellungen auf die fragliche
Bürgschaktsverpflichtung vorgelegen hat, ergibt sich übrigens aus
einer Anzahl besonderer Anhaltspunkte. Vor allem ist bezeichnend, dass
Wirz den Hauptschuldner einmal gezwungen hat, mit ihm in ein anderes
Dorf in die Kirche zu gehen, unter der Androhungdass er ihm sonst die
Bürgschaft kündige. Sodann ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung,
dass die Verbürgung an sich sich als ein unsinniges Geschäft erwiesen
hat. Ein Mann mit 1000 1500 Fr. Einkommen und einem Vermögen von 20,000
Fr. verbürgt sich nicht für so hohe Summen, auch wenn sie teilweise noch
anderweitig sichergestellt sind. Er verbürgt sich aber vor allem nicht
einem ökonomisch und moralisch (nach Feststellung der ersten Instanz)
zweifelhaften Hauptschuldner.

, Diese Argumente vermögen durch die Tatsache, dass

Wirz im übrigen seine ökonomischen Beziehungen in Ordnung zu halten
Verm echte. nicht entkräftet zu werden. 'Uebrigens ist bezeichnend,
dass er nach der Annahme der ersten Instanz, deren Feststellungen das
Obergericht ja im allgemeinen anerkannt hat, früher zwar schon wieder holt
Bürgschaften aber mit, Wissen und Willen seiner Familie eingegangen hat.

Demnach erkennt das Bundesgericht :

Die Berufung wird begründet erklärt und die beklagtische Forderung
unter Aufhebung des Urteils des Obergerichts Baselland vom 10. Mai
1918 aberkannt.

Siehe auch Nr. 87 Voir aussi N° 87c...--

Familienrecht. N° 81. 45

II. FAMILIENRECHT

DROIT DE LA FAMILLE

81. Arrèt de la. 2... section civile du 27 novembre lle dans la cause
dame de Uribe-Pron contre de Uribarren. Droit applicable ä la liquidation
des hiens d'époux étrangers

en cas de séparation de corps prononcee par les tribunaux

SUISSCS.

De Uribarren, sujet espagnol, a contracté vmariage à Paris le 17 décembre
1913 avec Renée Henneberg, de nationalité suisse. Il n'y a pas eu de
contratde mariage.

Le 7 aoüt 1915 de Uriharren a intenté devant les tribunaux genevois une
action en séparation de corps. Par jugement du 19 juin 1917 le tribunal
de première instance a prononce la separation de corps aux torts des
deux époux, tout en reservant à une instance spéciale la question de la
liquidation du régime matrimonial.

Dans le present proces, dame de Uribarren a conclu à ce qu'il plaise au
trihunal prononcer .que les époux de Uribarren sont mariés sous le régime
legal francais et que la liquidation de leurs biens doit étre faite sur
la base de la communaute franeaise et non en conformità de l'art. 189 CCS.

Le dekendeur a soutenu qu'au contraire le régime applicable est le
régime espagnol de la communauté d'acquéts et que la liquidation doit
avoir lieu Suivant les principes posès par l'art. 189 CCS.

Le tribunal de première instance a débouté dame de Uribarren de sa
demande et a commis Me Gampert notaire aux fins de liquider les biens
des époux de Uriharren en conformité de l'art. 189 CCS. Par arrét du 21
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 44 II 447
Datum : 30. November 1918
Publiziert : 31. Dezember 1919
Quelle : Bundesgericht
Status : 44 II 447
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : MEUR; Proiessrecht. N° 79. 79. Beschluss des Bundesgerichtes vom 30. November 1918


Gesetzesregister
ZGB: 16
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 16 - Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln.
BGE Register
38-II-411
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • personenrecht • tod • erste instanz • beklagter • fahrplan • frage • burg • erblasser • erbe • mann • zahl • biene • vorinstanz • aberkennungsklage • tag • familie • vater • basel-landschaft • entscheid
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