12 Familienrecht. N° 4.

4. Urteil der II. Zivilahteilung vom 6. Februar 1918 ' ' i. S. Gartner
gegen Schär.

Auslegung-von Art. 1 und Art. 12 Scth z. ZGB.

A. Am 18. Februar 1911 verehelichte sich der Kläger mit der Tochter des
Beklagten. Mit der vorliegenden, im Jahre 1916 eingebrachten Klage belangt
er diesen, auf Ausrichtung einer Ehesteuer (Mitgift) gemäss Satz. 151
bern. CGB, welche lautet : Vermögliche Eltern sind verpflichtet, ihren
Kindern, wenn dieselben in eine ehrbare Ehe treten, auf Abschlag ihres
Pflichtteils eine Ehesteuer zu geben... _

B. Durch Urteil vom 5. Dezember 1917 hat der Appellationshot des Kantons
Bern II. Zivilkammer entsprechend dem Antrage des Beklagten die Klage
abgewiesen mit im wesentlichen folgender Begründung : Der Beklagte und
seine Ehefrau stünden seit dem 1. Januar 1912 im internen güterrechtlichen
Verhältnisse unter dem altbernischen Güterreeht, im externen unter
dem Gütervcrbindungsrecht des ZGB. Art. 146 bern. EG z. ZGB, welcher
im vorliegenden Falle Anwendung finde, da die vom Kläger angerufene
Satz.151 CGB mit dem 1.3anuar 1912 aufgehoben werden sei, sehe aber eine
Aussteuerpflicht nur dann vor, wenn die aussteuerpilichtigen Ehegatten
intern und extern unter altetn Rechte lebten. Der Wortlaut von Art. 146
EG 2. ZGB scheine dem allerdings entgegenzustehen, doch ergebe sich diese
Interpretation aus der Entstehungsgeschichte des Artikels und vor allem
aus dessen ratio.

c. Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung des Klägers,
in der die Gutheissung der Klage im Betrage von 3950 Fr. beantragt wird."

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Der heute streitige Anspruch ist gleichgültig ob er nach Satz. 151
bern. CGB oder Art. 146 EG 2. ZGB be--

Familienrecht. N° 4. 13

urteilt wird ein solcher aus dem Elternund Kindesrecht. Der Natur der
Sache nach ist er ,spätestens im Zeitpunkte der Eheschliessung des
Klägers mit der Techter des Beklagten, d. h. am 18. Februar 1911 und
somit unter der Herrschaft des alten Rechts entstanden. Wenn nun auch
das Uebergangsrecht des ZGB (Art. 12
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 12 - Wer handlungsfähig ist, hat die Fähigkeit, durch seine Handlungen Rechte und Pflichten zu begründen.
Abs. I Scth) bestimmt, dass das
Elternund Kindesrecht vom Inkrafttreten des ZGB an diesem untersteht,
,so kann hieraus nicht geschlossen werden, dass das neue Recht auf unter
altem Recht entstandene und abgeschlossene elternund kindesrechtliche
Tatbestände, denen eine Forderung entspringt, zurückwirke. Gleich wie
nach Art. 12 Abs. 2 Scth ein nach altem Recht entstandener Verlust
der elterlichen Gewalt unter Vorbehalt der daselbst ausnahmsweise
aufgestellten Möglichkeit der Option für das neue Recht auch nach
dem 1. Januar 1912 nach altem Rechte zu beurteilen ist, so muss auch
auf einen vor dem 1. Januar 1912 liegenden forderungsbegründenden
Tatbestand des Elternund Kindesrechts altes Recht angewendet werden
; denn für die Frage der intertemporalen Rechtsanwendung kann nach
allgemeinen Grundsätzen des'intertemporalen Rechtes nicht der zufällige
Zeitpunkt der Beurteilung durch den Richter, sondern nur der Zeitpunkt
der forderungsbegründenden Tatsache selbst massgebend sein. Art. 12
Abs. 1 Schl'l' muss daher richtigerweise so verstanden werden, dass
unter neuem Recht wirksam werdende gesetzliche Folgen eines unter altem
Recht entstandenen Elternund Kindesverhältnisses nach neuem Rechte zu
beurteilen sind, wogegen ein altrechtlicher Tatbestand, dessen Wirkungen
unter altem Rechte eingetreten sind, ausschliesslich der Herrschaft

_ des alten Rechtes untersteht. Art. 12 Abs. 1 Schl'l' enthält

demnach entgegen der Auffassung der Vorinstanz eine Durchhrechung des
Prinzipes des Art. 1 Scth nur insofern, als nicht die unter neuem Recht
eingetretenen Folgen der unter altem Recht erfolgten Geburt sich nach
altem Rechte richten, während im übrigen auch in Art. 12 der}

14 ' Familienrecht. N° 4.

in Art. 1 Scth aufgestellte Grundsatz des Ausschlusses der Rechtsfolgen
altrechtlicher Tatbestände vor der Anwendung des neuen Rechts anerkannt
ist. Der vorliegende ' Anspruch ist daher nach kantonalem Recht zu
beurteilen, da der anspruchbegründende Tatbestand vor dem 1. Januar 1912
abgeschlossen war.

Obschon nach dem Gesagten der klägerische Anspruch am 18. Februar 1911
entstanden ist, hat nun aber die Vorinstanz dem angefochtenen Urteile
nicht das damals geltende alte bernische Zivilrecht zu Grunde gelegt,
sondern eine mit dem 1. Januar 1912 in Kraft getretene Modifikation
desselben. Die Vorinstanz ist also von dem allgemeinen Grundsatze
des intertemporalen Rechts über die Beurteilung eines abgeschlossenen
Tatbestandes nach dem bei dessen Entstehung geltenden Rechte abgewichen
und hat eine nach altem kant. Recht wohlerworbene Forderung durch neueres
kant. Recht zum Erlöschen gebracht, obschon sie bis zum 1. Januar
1912 offenbar als zu Recht bestehend hätte angenommen werden müssen.
Allein eine Verletzung von Bundesrecht kann hierin nicht erblickt
werden. Allerdings scheint Art. l scth bei rein wörtlicher Auslegung
dem kantonalen Richter von Bundesrechts wegen vorzuschreihen, welches
kantonale Recht er auf vor dem Inkrafttreten des ZGB abgeschlossene
Tatbestände anzuwendenhabe, nämlich nichtnur schlechthin das
bisherige, d. h. bis zum 1. Januar 1912 geltende, sondern das zur
Zeit der Entstehung des Tatbestandes in Kraft befindliche kantonale
Recht. Diese Interpretation von Art. 1 Schl'l' ist jedoch unannehmbar,
denn ihre Konsequenz ginge dahin, dass den Kantonen die Abänderung
ihres Rechtes in der Zeit zwischen der Entstehung des Tatbestandes und
dem Inkraftreten des ZGB verboten würde. Dass dem nicht so sein kann,
erhellt nicht nur aus den Grundsätzen des Bundesstaatsrechts über die
Abgrenzung zwischen eidgenössischer und kantonaler Gesetzgebungshoheit,
sondern auch aus allgemeinen Regeln des intertemporalen Rechts, sowie
aus Gründen der Zweck-

Familienrecht. N° 4. " 15

mässigke-it. Staatsrechtlich wäre diese Ansicht nicht haltbar, weil
die Legiferierungsmacht auf dem Gebiete des Elternund Kindesrechtes
bis zum 1. Januar 1912 den Kantonen zustand und ihnen daher bis dahin
freistehen musste, durch den Erlass neuer, dieses Rechtsinstitut
beschlagender Normen auf alte Rechtsverhältnisse einzuwirken. Der
Bundesgesetzgeber, der erst mit Wirkung aui den1.Januar 1912 über das
Familienrecht legiferierte, konnte nicht schon für eine frühere Zeit die
kantonale Gesetzgebungshoheit beschränken; denn die Folge davon wäre eine
Wirksamkeit der eidgenössischen Gesetzgebung vor ihrem Inkrafttreten. Mit
dem Wesen des intertemporalen Rechtes stünde diese Auslegung im
Widerspruch, weil dieses sich nur mit dem neuen Rechte befasst ; es
zieht dessen zeitliche Grenze und bestimmt auf welche Tatbestände die
neue Rechtsordnung nicht angewendet werden solle, ohne jedoch, wenn es
einen Tatbestand dem alten Rechte überlässt, sich darüber auszusprechen,
welche Rechtssätze derselben vom Richter befolgt werden müssen, ob die
bei der Entstehung des Tatbestandes geltenden oder andere, gleich wie der
nationale Gesetzgeber, wenn er eine internationale Kollisionsnorm erlässt,
nur befiehlt, welche Tatbestände von seinem eigenen Rechte nicht erfasst
werden sollen, dabei aber die Frage offen lässt, nach welchen Normen
des fremden Rechtes die dessen Machtbereich unterworfenen Tatbestände
zu beurteilen sind. Dem Bundesgesetzgeber hat offenbar diese Auslegung
von Art. l Scth vorgeschwebt, was daraus hervorgeht, dass in einer Reihe
von Artikeln des Schlusstitels schlechthin auf das bisherige Recht ver-

' wiesen wird. Nach dem Gesagten musste daher der kan-

tonale Gesetzgeber befugt sein, bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts
sein Recht zu modifizieren (ebenso MUTZNER Kommentar z. Scth N. 37 zu
Art. 9 ; GIESKER-ZELLER, Das iuta-temporale eheliche Güterrecht nach
dem ZGB S. 10; HABICHT, Die Einwirkung des BGB auf zuvor entstandene
Rechtsverhältnisse S. 23; a. M. REICHEL

16 Familienrecht. N° 4.

N. 4 a E zu Art. 9 Scth). Es sind auch Erwägungen der Zweckmässigkeit,
welche zu diesem Ergebnis führen 'müssen. Die Beeinflussung von
Rechtsinstituten, die nach eidg. Uebergangsrecht unter dem alten Rechte
blieben, durch andere, die dem neuen Rechte unterstellt werden, ist oft
so erheblich, dass eine Anpassung des alten Rechtes an die durch das neue
Recht getroffenen Verhältnisse im Interesse einer reibungslosen Anwendung
des neuen Rechtes sich aufdrängte; dies besonders auf dem vorliegenden
Gebiete angesichts der engen Zusammenhänge zwischen familienrechtlichen
und erbrechtlichen Rechtsinstituten. Wenn, wie die Vorinstanz in' für
das ' Bundesgericht verbindlicher Weise feststellt, das kantonale Recht
die Aussteuerpfiicht der Eltern nur mit Rücksicht auf die Verschiebung
des Erbrechtes der Kinder iestsetzte, so entsprach es den durch die
Einführung des neuen Erbrechtes geschaffenen veränderten Verhältnissen,
auch jene Aussteuerpflicht zu modifizieren. Das Urteil des Bundesgerichts
in AS 41 II S. 193 f. erachtet nur mit Rücksicht auf das schon im
interkantonalen und nun auch im intertemporalen Rechte anerkannte
Prinzip der Unwandelbarkeit des internen Güterrechts eine Abänderung
des alten kantonalen Rechtes nicht als zulässig; für Art. 12 Scth kann
diese Erwägung keine Geltung beanspruchen, da hiebei ein solches Prinzip
nicht gewahrt werden muss. .

Ist demnach davon auszugehen, dass der kantonale Gesetzgeber-, ohne das
Bundesrecht zu verletzen, berechtigt war, vor demss 1. Januar 1912 das
alte Elternund Kindesrecht nach abzuändern, so hat der eidgenössische
Richter nicht mehr zu'prüfen, ob diese Modifikation des kantonalen Rechtes
gegen allgemeine intertemporale Rechtsgrundsätze verstosse. War der Kanton
befugt, sem altes materielles Recht bis zum 1. Januar "1912 abzuändern,
so musste er natürlich auch in der Lage sein, beliebige Kollisionsnormen
zwischen dem alten und demFamilienrecht. N° 5. 17

abgeänderten kantonalen Recht anzuwenden, ohne dass hiehei das Bundesrecht
eingreifen könnte.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

Die Berufung wird abgewiesen.

5. Urteil der II. Zivilahteilnng vom 7. Februar 1918 i. S. Galanti
gegen Gotti.

Art. 323
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 323 - 1 Was das Kind durch eigene Arbeit erwirbt und was es von den Eltern aus seinem Vermögen zur Ausübung eines Berufes oder eines eigenen Gewerbes herausbekommt, steht unter seiner Verwaltung und Nutzung.
1    Was das Kind durch eigene Arbeit erwirbt und was es von den Eltern aus seinem Vermögen zur Ausübung eines Berufes oder eines eigenen Gewerbes herausbekommt, steht unter seiner Verwaltung und Nutzung.
2    Lebt das Kind mit den Eltern in häuslicher Gemeinschaft, so können sie verlangen, dass es einen angemessenen Beitrag an seinen Unterhalt leistet.
ZGB. Ein nach der Beiwohnung abgegebenes Eheversprechen
kann nicht zur Zusprechung des Kindes mit Standeskelgen an den Vater
führen. Art. 317
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 317 - Die Kantone sichern durch geeignete Vorschriften die zweckmässige Zusammenarbeit der Behörden und Stellen auf dem Gebiet des zivilrechtlichen Kindesschutzes, des Jugendstrafrechts und der übrigen Jugendhilfe.
ZGB zählt die demVater der Mutter gegenüber obliegenden
Ersatzleistungen abschliessend auf.

A. Die Klägerin Maria Cotti gebar am 25. März 1917 ein Mädchen, Maria
Agatha-Schon am 16. Februar hatte sie beim Bezirksgericht Maloja gegen
den Beklagten Klage eingeleitet mit denAnträgen auf Zusprechung des
zuerwartenden Kindes mit Standesfolgen an den Vater, Ersatz für die
Entbindungskosten, den Unterhalt während 4Wochen vor und nach der Geburt
und andere infolge der Schwangerschaft notwendig gewordene Auslagen
sowie Zusprechung eines Betrages von 3000 Fr. als Genugtung, ev.
Feststellung der vom Beklagten an das Kind zu leistenden Beiträge
für Unterhalt und Berufsausbildung, falls die Statusklage abgewiesen
werden sollte ; sie beantragte ferner Leistung einer Genugtuung für die
infolge des Verlöbnisbruches des Beklagten erlittene Verletzung in,
den persönlichen Verhältnissen und Ersatz für die mit Hinsicht auf
die Eheschliessung getroffenen Veranstaltungen. Der Beklagte gab die
Möglichkeit zu, der Vater des Kindes zu sein und erklärte sich bereit,
die Klägerin für die in Art. 317
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 317 - Die Kantone sichern durch geeignete Vorschriften die zweckmässige Zusammenarbeit der Behörden und Stellen auf dem Gebiet des zivilrechtlichen Kindesschutzes, des Jugendstrafrechts und der übrigen Jugendhilfe.
ZGB genannten Aufwendungen schadlos zu
halten und an das Kind einen monatlichen Unterhalts--

AS 44 n 19-18 * '2
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 44 II 12
Datum : 06. Februar 1918
Publiziert : 31. Dezember 1919
Quelle : Bundesgericht
Status : 44 II 12
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 12 Familienrecht. N° 4. 4. Urteil der II. Zivilahteilung vom 6. Februar 1918 ' '


Gesetzesregister
ZGB: 12 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 12 - Wer handlungsfähig ist, hat die Fähigkeit, durch seine Handlungen Rechte und Pflichten zu begründen.
317 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 317 - Die Kantone sichern durch geeignete Vorschriften die zweckmässige Zusammenarbeit der Behörden und Stellen auf dem Gebiet des zivilrechtlichen Kindesschutzes, des Jugendstrafrechts und der übrigen Jugendhilfe.
323
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 323 - 1 Was das Kind durch eigene Arbeit erwirbt und was es von den Eltern aus seinem Vermögen zur Ausübung eines Berufes oder eines eigenen Gewerbes herausbekommt, steht unter seiner Verwaltung und Nutzung.
1    Was das Kind durch eigene Arbeit erwirbt und was es von den Eltern aus seinem Vermögen zur Ausübung eines Berufes oder eines eigenen Gewerbes herausbekommt, steht unter seiner Verwaltung und Nutzung.
2    Lebt das Kind mit den Eltern in häuslicher Gemeinschaft, so können sie verlangen, dass es einen angemessenen Beitrag an seinen Unterhalt leistet.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • kantonales recht • bundesgericht • vorinstanz • inkrafttreten • erbrecht • vater • weiler • frage • eheschliessung • norm • ehegatte • mitgift • grammatikalische auslegung • verfassungsrecht • wirkung • verlobung • rechtsgeschichte • ausgabe • bern
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