152 Staatsrecht.

und sie sich lediglich zur Unterhaltung oder geselligen Vereinigung
dort aufhalten wollen. 3. Der Vorwurf ungleicher Behandlung kann eben·
falls nicht zur Gutheissung der Beschwerde führen. Wenn die Freimaurerloge
denselben Wirtschaftsbetrieb wie der Rekurrent hätte, so handelte es sich
ihr gegenüber um eine unzulässige Begünstigung, die dem Rekurrenten nicht
den Anspruch gäbe, gleich behandelt Ezu werden. Zudem hat die Regierung
sich bereit erklärt, die Verhältnisse der Loge zu untersuchen, und es ist
nicht zu bezweifeln, dass sie dieser gegenüber die gleichen Grundsätze
wie dem Rekurrenten gegenüber zur Anwendung bringen wird. Dasselbe gilt
grundsätzlich in Beziehung auf die Feldschützengesellschait, abgesehen
,davon, dass der Rekurrent erst in der Replik, also eigentlich zu spät,
geltend gemacht hat, diese habe einen ständigen Wirtschaftsbetrieb für
ihre Mitglieder. -

Demnach erkennt das Bundesgericht.-

Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.,

V. GER IcHTssTANnFOR

25. mit-n vom es. Juni 1918 i. S. Freisteiner gegen Zürich und Tessin.

Negativer Gerichtsstandskonflikt. Hat der Scheidungsrichter es
unterlassen, ein Abkommen über die Nebenfolgen der Scheidung nach
Art. 158 Zilkf 5 ZGB im Scheidungsurteil zu genehmigen, so ist er Selbst
von bundesrechtswegen zuständig, es nachträglich zu tun,und nicht der
Richter des

' Wehnsitzes der im Genehmigungsverfahren beklagten Part ei.

A. ' Auf Antrag des Klägers Albert Kundert, damals in Chiasso wohnhaft,
hat das Appellationsgericht des

Gerichtsstand. N° 25. 153

Kantons Tessin, durch Urteil vom 13. April 1916, die zwischen den
Eheleuten Kundert-Freisteiner bestehende Ehe geschieden. Im Prozesse
hatte die, Beklagte Frau Christina geb. Freisteiner verschiedene
Begehren betreffend die ökonomischen Nehenfolgen der Scheidung geltend
gemacht, über welche die Parteien am 27. Dezember 19.15 (also noch
während der Prozessverhandlungen) eine schriftliche Vereinbarung
trafen. In einer ferneren Vereinbarung vom 6. März 1916 erklärten
sie ihre vermögensrechtlichen Beziehungen geregelt zu haben und
die darauf bezüglichen Prozessbegehren fallen zu lassen. Auf Grund
dieser Erklärung sah das tessinische Appellationsgericht davon ab,
über die Begehren betreffend die ökonomischen Nebenkolgen der Scheidung
zu urteilen. Es unterliess es auch, derVereinbarung vom 27. Dezemb 1915
die richterliche Genehmigung zu erteilen, Wie das in Art.158 Ziil". 5 ZGB
vorgeschrieben ist. Eine Eingabe vom 20. März 1917, womit Frau Freisteiner
das Appellationsgericht des Kantons Tessin ersuchte, die gerichtliche
Bestätigung der-Vereinbarung vom 27. Dezember 1915 nachzuholen, wurde mit
Urteil vom 28. April 1917 ahschlägig beschieden, wesentlich aus folgenden
Gründen : ' Das Scheidungsgericht habe die Genehmigung der Vereinbarung
über die Nebeniolgen unterlassen, . weil die Parteien, durch Erklärung
vom 6. März 1916, auf die bezüglichen Begehren ausdrücklich verzichtet
hätten. Das Urteil vom 13. April 1916 sei in Rechtskraft erwachsen :
es gehe nicht an, das Verfahren neuerdings zu eröffnen. Das gestellte
Begehren bilde Vielmehr eine neue. Klage, die gegen den Beklagten an
seinem jetzigen Domizil (Zürich) anhängig zu machen sei und welche auch
eine neue Prozessinstruktion hedinge.

B. Die darauf von Frau Freisteiner in Zürich (wohin der Ehemann inzwischen
sein Domizil verlegt hatte) am 20 September 1917 eingereichte Klage auf
richterliche Genehmigung der Uebereinkunft vom 27 Dezember 1915 wurde
von den Zürcher Gerichten (zweitinstanzlich durch

1 54 Staatsrecht.

Urteil des Obergerichts Zürich vom 27. Februar 1918) ebenfalls abgewiesen,
aus folgenden Gründen : Nach der . Entstehungsgeschichte und dem Inhalte
des Art. 158 Ziff. 5 ZGB seien die Verträge über die Nebenfolgen der
Ehescheidung durch den Scheidungsrichter zu genehmigen. Dies gelte auch
für den Fall-, dass die Genehmigung erst nach Erlass des Scheidungsurteils
verlangt werde. Habe der Scheidungsrichter die Genehmigungaus Versehen
unterlassen, so müsse er sie nachholen. Dass für neue Begehren betreffend
A b ä n d e r u n g der Verfügungen des Seheidungsurteiles über die
Nebenfolgen, der Wohnsitzrichter der beklagten Partei zuständig sei
(Art. 153 Abs. 2 ZGB), sei irrelevant.

C. Mit staat-srechtlichem Rekurs vom 20. April 1918 bringt
Frau Freisteiner den vorgenannten Gerichtsstandskonflikt vor das
Bundesgericht. Sie vertritt in erster Linie die Auffassung und dahin geht
ihr Hauptbegehren , die Zürcher Gerichte seien zur Behandlung ihrer Klage
vom 20. September 1917 als zuständig zu erklären. Eventuell beantragt
sie, es solle das Tessiner Appellationsgericht hiefür kompetent erklärt
und demnach angewiesen werden, die Klage an Hand zu nehmen.

D. In seiner Vernehmlassung vom 14. März 1918 trägt der Rekursheklagte
Kundert auf Abweisung des Rekurses an.

Das Obergericht von Zürich erklärt, sich zu keinen Bemerkungen veranlasst
zu sehen. Das Appellationsgericht des Kantons Tessin schliesst auf
Abweisung des Eventualbegehrens und Gut heissung des Hauptbegehrens.

Das Bundesgericht zieht in Env'ägung:

1. u. 2 ..... (formelle Fragen).

3. In der Sache selbst trägt es sich, welcher Richter, ob derjenige
der scheidungslclage oder derjenige desWohnortes der beklagten Partei,
zuständig sei, eineVereinba rung über die Nebenfolgen der Scheidung im
Sinne des Art.

158 Ziff. 5 ZGB zu genehmigen, wenn dies im Scheidungs,

Gerichtsstand. N° 25. 155

urteil selbst nicht geschehen ist. Das Gesetz lässt die Frage offen. Es
sieht nur allgemein eine Genehmigung durch den Richter vor. Ueberwiegende
Gründe sprechen zugunsten der ersten Lösung. Nach Art. 154 Abs. 3 ZGB
fallen mit der Scheidung alle gegenseitigen Ansprüche der Ehegatten
aus Erbrecht und Erbvertrag dahin. An deren Stelle muss daher eine
andere Regelung treten, welche entweder durch den Richter gemäss
Art. 151 -153 ZGB vorzunehmen ist, oder aber durch die Parteien, auf
Grund einer Vereinhai ung (Art. 158 Zifî.5 ZGB), die jedoch zu ihrer
Rechtsgültigkeit der richterlichen Genehmigung bedarf . Sowohl die Ordnung
der Nehenfclgen der Scheidung auf dem Wege des Richterspruches gemäss
Art. 151 H. ZGB, als die Bestätigung einer dahingehenden Vereinbarung,
ist somit eine notwendige Konsequenz, ein integrierender Bestandteil
des scheidungsurteils selbst. Es folgt daraus einmal, dass hiefür
nur der Richter des Scheidungsprozcsses selbst zuständig sein kann,
und sodann, dass ein Ehescheidungsnrteil, in welchem der Richteres
unterlassen hat, entweder selbst die Nebenfolgen der Scheidung zu
ordnen oder die bezügliche Parteivereinharung zu bestätigen, einen
Mangel aufweist,der durch den Scheidungsrichte-r nachträglich gehoben
werden muss. Zu diesem Schlusse fürht auch folgende Erwägung: Die
Genehmigung nach Art. 158 Ziff. 5 setzt naturgemäss eine Prüfung der
Parteivereinbarung voraus, wobei der Richter zu untersuchen hat, ob sie
den Verhältnissen angemessen sei und nicht mit zwingenden Vorschriften des
Gesetzes im Widerspruch stehe. Diese Prüfung hat aber auf Grund der zur
Zeit des 'Scheidungsprozesses bestehenden ökonomischen und persönlichen
Verhältnisse der Ehegatten zu erfolgen. Daraus folgt wiederum, dass sie,
wenn sie im Scheidungsprozesse selbst unterlassen wurde, durch denjenigen
Richter, nachzuholen ist, welchem, auf Grund des Scheidungsverlahrens
die Verhältnisse der Ehegatten, wie sie zur Zeit der Scheidung bestanden,
bekannt sind.

Daran ändert im vorliegenden Falle der Umstand

155 Staatsrecht.

nichts, dass die Parteien,im Hinblick auf. die Vereinbarung vom
17. Dezember 1915, auf eine Beurteilung der Be g e h re n betreffend die
ökonomischen Neben-folgen der Scheidung verzichtet haben. Auf die A 11
sp r ü c h e s e l b st ,' die die Ehefrau in ihren Schlussfolgerungeu
geltend machte, hat sie niemals verzichtet und wenn sie sodann, gemeinsam
mit dem Kläger, die Erklärung abgab, dass sie auf die Beurteilung der
darauf bezüglichen Begehren verzichte, so geschah dies offenbar nur in der
irrtümlichen Voraussetzung, dass die Parteivereinharung vom 17. Dezember
1915 den Richterspruch in allen Teilen ersetze, mit andern Worten, dass
sie auch ohne richterliche Genehmigung rechtsgültig sei. Unter solchen
Umständen durite der Seheidungsrichter, welchem die Parteivereinbarung
bekannt war, sich nicht der Aufgabe entziehen, diese zu prüfen und
eventuell zu bestätigen. Hat er dies im Urteile unterlassen, so muss er es
naclihoien, denn es geht nicht an, dass der Richter in seinem Enischeide,
auf die aussergerichtliche Erledigung eines Streitpunktes abstellt, wenn
er weiss oder wissen muss, dass sie ungültig ist. Hat aber der Tessiner
Richter in Unkenntnis des Art. 158 ZGB gehandelt, so ist er in denselben
Rechtsirrturn verfallen, wie die Parteien selbst, und dass dieser Irrtum
nicht der Grund sein kann, weshalb seine ursprünglich gegebene Kompetenz
nachträglich dahintalle, leuchtet ohne weiteres ein.

Unter diesen Umständen, steht auch die Rechtskraft des Scheidungsurteils
einer Eröffnung des Verfahrens über die Genehmigung der Vereinbarung
vom 27. Dezember 1915 nicht entgegen. Das Scheidungsurteil istnur mit
Bezug auf die Punkte, die es behandelt hat, rechtskräftig geworden,
nicht aber mit Bezug auf diejenigen, die aus Versehen oder Rechtsirrtum
seitens des Richters nicht erledigt werden sind.

4. _ Seitens der Rekurrentin und des Tessiner Richters wird darauf
hingewiesen, dass für die A ha 11 d e r u n g der durch Urteil oder
Parteivereinbarung festgesetzten

Gerichtsstand. N° 25. 157

Nebenfolgen der Scheidung (vergl. Art. 153Abs. 2, 157 ZGB) der
Wohnsitzrichter der beklagten Partei zuständig sei (AS 42 I s.330
ff); derselbe Richter,wird daraus gefolgert, müsse es auch sein
für die nachträgliche Genehmigung einer Parteivereinbarung nach
Art. 158 Ziff. 5 ZGB. Auch dieses Argument geht fehl. Das Verfahren,
welches eine Abänderung der Verfügungen des Scheidungsurteils über
die Nebeniolgen bezweckt, ist vom Scheidungsverfahren selbst durchaus
verschieden und getrennt : es setzt ein rechtskräftiges Urteil a u ch
über die Nebeniolgen voraus, und es beruht nicht auf den ökonomischen und
persönlichen Verhältnissen der Ehegatten, wie sie zur Zeit der Scheidung
dem Scheidungsrichter vorlegen, sondern auf einer später eingetretenen
Aenderung derselben, die eben eine Revision der ursprünglichen Regelung
rechtfertigen sell. Eine Analogie zwischen den beiden Verfahren besteht
demnach in ihren 'massgebenden Momenten nicht; aus der Regelung der
Kompetenz im einten Falle lässt sich somit für die Beantwortung der
Frage im anderen nichts gewinnen.

o ...............................................

Demnach erkennt das Bundesgericht:

DasEventualbegehren der Rekurrentin wird gutgeheissen und daher das
Appellationsgericht des Kantons Tessin als für die Beurteilung der
vorliegenden Klage vom 20. März 1917 zuständig erklärt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 44 I 152
Date : 31. Mai 1918
Published : 31. Dezember 1919
Source : Bundesgericht
Status : 44 I 152
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 152 Staatsrecht. und sie sich lediglich zur Unterhaltung oder geselligen Vereinigung


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ZGB: 151  153  154  158
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