526 Vers-·ehernngsvextragsrecbh N ° 69.

V. VERSICHERUNGSVERTRAGSRECHT

CON TRAT D'ASSURANCE

69. Urteil der II. Zivilabbeflung vom 19. September 1917 ' i. S.
La Genevoise , Beklagte, gegen Reveglia, Kläger.

Lebensversicherung. Verletzung der Anzeigepflicht bei Ver
tragsahschluss. Deshalb Abweisung der Klage auf Auszahsisi lung der
Versicherungssumme.

A. Der Erblasser der Kläger, der wiederholt wegen Bronchialkatarrhs in
ärztlicher Behandlung gewesen war und vom 24. August bis 25. September
1914 auf den Rat seines Hausarztes, Dr. De Righetti in Roveredo, eine
Spitalbehandlung in Lugano durchgemacht hatte, stellte der Beklagten am
10. November 1914 einen Versicherungsautrag für eine Lebensversicherung
von 15,000 Er. Dabei erklärte er auf die Frage,_ wer sein Hausarzt sei :
Dr. Tomaso Giovanetti per la mia famiglia. Auf dem besondern Fragebogen,
der ihm ungefähr gleichzeitig vorgelegt wurde, gab er unterm 9. November
auf die nachstehenden Fragen folgende Antworten :

3 &. Godete abitualmente a. si, non sono mai state

buona salute ? ammalato. I). Come è attualmente la b. buona. vostra
salute ? c. Avete qualche malatc. no. ha apparente o nascosta ? d. Avete
soiîerto delle d. nello searieare un fu-

malattie, indisposizioni od cile avancarica parti il colpo infortuni
piùo meno gravi '? _che mi colpi alla falange Quale ? A quale epoca
? sidell'indicedellamano destra..)

Versicherngsvertragsrecht. N° 69. 32

. 3; Quale {medico vi ha e. Giovanetti {Dr. curato ? mf. Siete ogni volta
comf. si. pletamente guarito ? "g. Avete dovuto ricorrere g. no. a delle
cure d'acque o di bagni ? Quali ? Per quale causa '? A quale epoca '?

Gestützt auf den Versicherungsantrag vom 10. November und die
Fragenbeantwortung vom 9. November wurde am 13. November 1914 die Police
ausgestellt, nachdem schon am 17. Oktober der Vertrauensarzt der Beklagten
das Risiko als gut bezeichnet hatte.

Am 1. September 1915 starb Reveglia, und zwar nach einem, der Beklagten
von Dr. Jaeggi in Gron'o erstatteten Berichte an Laryngitis , nach
dem von demselben Arzte ausgestellten amtlichen Totenschein dagegen an
Lungentuberkulose .

Eine genauere Untersuchung der Todesursache wurde nicht vorgenommen. Die
Aerzte, von welchen Raveglia in Lugano behandelt worden war, haben unter
Hinweis auf das Berufsgeheimnis jede Auskunft über die damals gemachten
Beobachtungen verweigert.

B. Am 16. Oktober 1915 liess die Beklagte den Klagern durch
ihren Generalagenten Buzzini in Bellinzona schreiben, dass
sie jede Zahlungspflicht bestreite, weil Reveglia anlässlich des
Vertragsabschlusses die nachweisbar falsche Erklärung abgegeben habe, dass
er nie krank gewesen sei. Vergleichsweise und unter allen Vorbehalten für
den Fall eines Prozesses bot _die Beklagte 25 % der Versichemngssumme an.

Am 23. Oktober 1915 bestätigte Buzzini den Klägern den Inhalt seines
Schreibens vom 16. Oktober. 'Der Vergleichsvorschlag wurde nicht
angenommen.

Am 3. November 1915 schrieb die Direktion der Beklagten dem Anwalt der
Kläger, dass sie unter Berufung

538 Versisschernngsvantaggi-echt. N° 69.

auf Art 6
SR 221.229.1 Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VVG) - Versicherungsvertragsgesetz
VVG Art. 6
1    Hat der Anzeigepflichtige bei der Beantwortung der Fragen gemäss Artikel 4 Absatz 1 eine erhebliche Gefahrstatsache, die er kannte oder kennen musste und über die er befragt worden ist, unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen, so ist das Versicherungsunternehmen berechtigt, den Vertrag schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, zu kündigen.29 Die Kündigung wird mit Zugang beim Versicherungsnehmer wirksam.
2    Das Kündigungsrecht erlischt vier Wochen, nachdem das Versicherungsunternehmen von der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erhalten hat.30
3    Wird der Vertrag durch Kündigung nach Absatz 1 aufgelöst, so erlischt auch die Leistungspflicht des Versicherungsunternehmens für bereits eingetretene Schäden, soweit deren Eintritt oder Umfang durch die nicht oder unrichtig angezeigte erhebliche Gefahrstatsache beeinflusst worden ist. Soweit die Leistungspflicht schon erfüllt wurde, hat das Versicherungsunternehmen Anspruch auf Rückerstattung.31
4    Wird ein Lebensversicherungsvertrag, der nach Massgabe dieses Gesetzes rückkauffähig ist (Art. 90 Abs. 2) aufgelöst, so hat das Versicherungsunternehmen die für den Rückkauf festgestellte Leistung zu gewähren.
VVG an der Bestreitung jeglicher Schuldpflieht

iesthalte. Ueber den Zeitpunkt, in welchern die Beklagte von der

Spitalbehandlung erfuhr, die Raveglia vom 24. August

bis 25. September 1914 durchgemacht hatte, geben die

Akten folgenden Aufschluss : Am 6. Oktober 1915 schrieb Dr. De Righetti
dem Generalagenten der Beklagten : Riguardo al defunto Raveglia
Amedeo posso comuni carte che ebbi occasione di curarlo diverse volte
per catarro bronchiale, e cioè nel 1913 e 1914 e Sempre nel corso
dell'inverno ed in principio di primavera. Però tengo ad osservare ehe
la cura era ambulatoria. Dietro mio consigllo di sottomettersi ad una
cura in una casa, di cura, pensò bene di cambiare dottore e d'allora
in poi non seppi più niente, sino alla sua morte, che mi giunse quasi
inaspettata. Arn 8. Oktober schrieb darauf der Generalagent an die
Direktion der Beklagten: Ci-inclus lettre du Dr De Righetti concernant
sinjstre Rave-glia is et de laquelle il ressort que R. a été soigné par
ce méde ein en 1913-1914 pour catarro bronchiale . J'attends encore de
M. De Righetti une réponse à ma demande s'il sait 011 R. a été pendant
quelque temps à suivre un traitement et je vous en infor-memi au plus
tòt. Par contre je n'ai pas encore recu de réponse du Ds Jäggi, anque]
j'ai fait les meines demandes qu'à De Righetti. Auf die Frage nach den
Umständen, unter denen er die Erklärung vom 6. Oktober 1915 abgegeben
habe, sagte Dr. De Righetti als Zeuge aus : Mi trovavo nel-mio studio
; entrò il sigr. Buzzini, persona a me nota e venne richiedendomi
sulla salute del Raveglia Amedeo anteriormente al decesso. Jo gli ho
raccontato quanto. era a mio conoscenza. Egli mi domandò se potevo
darlo per iscritto, ciò ch'io ho fatto. Nella primavera : dell'anno
1915 (millenovecentoquindici) quando sta vano costruendo la strada di
S. Giulio, mi sono trovato

nello studio del sigr. Buzzini a Bellinzona per regolare ,

un caso d'infortunio e in quell'occasione,
parlandoYersieherungsvertragsrecht. N° 69. _529

dell'affare Reveglia lo consigliai di rivolgersi per maggior informazioni
all'ospedale civico di Lugano. Bi, tengo che la Ginevrina sapesse che
Raveglia era state , all'ospedale già prima che il Buzzini Agente della
Gine visan pariasse con me.

C. Durch Urteil vom 25. April 1917 hat das Kantonsgericht Graubünden die
auf Auszahlung dei Veisieherungssumme gerichtete Klage der Erben Raveglia
gutgeheissen, mit der Begründung, dass Raveglia sich keiner Verletzung der
Anzeigepflieht schuldig gemacht habe. Ueber den Zeitpunkt, in welchem die
Beklagte von den die behauptete Verletzung der Anzeigepflicht betreffenden
Tatsachen Kenntnis e1hielt, spricht sich das Urteil folgendermassen
aus: _)ie Rüekiiit'rt ez0 klärung ist auch nicht. verspätet, dic. Akten
erweisen diesfalls, dass die Versicherungsgesellschaft erst durch den
Bericht des Dr. Righetti vom 6. Okt. 1915 (vergl. o Brief Buzzini an
Genevoise vom 8. Okt. 1915) eigentlich darüber aufgeklärt wurde, dass
Reveglia seine An zeigepflicht verletzt haben könnte.

D. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte rechtzeitig ' und in richtiger
Form die Berufung an das Bundesgericht ergriil'en, mit dem Antrag auf
Ahweisung der Klage.

Das Bundesgericht zieht in Ersiwàgung:

]. {Da die Beklagte ihre Zahlungsverweigerung ausschliesslich mit
einer Verletzung der Anzeigepflicht von Seiten des Versichemngsnehmers
begründet, so fragt es sich vor allem, ob sie im Sinne von Art. 12 der
Police, bezw. von Art. 6 des Bundesgesetzes über den Versieherungsv
ertrag, rechtzeitig, vom Vertrage zurückgetreten sei

in dieser Beziehung ist zunächst festzustellen dass die Briefe des
Generalagenten dei Beklagten vom 16. und vom 23. Oktober, sowie derjenige
der Direktion

530 Versicherungsvertragsrecht. N° 69.

vom 3. November 1915, obwohl sie nicht gerade den Ausdruck Rücktritt
vom Vertrage enthielten, dennoch als genügende Rücktrittserklärungen im
Sinne des Art. 6
SR 221.229.1 Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VVG) - Versicherungsvertragsgesetz
VVG Art. 6
1    Hat der Anzeigepflichtige bei der Beantwortung der Fragen gemäss Artikel 4 Absatz 1 eine erhebliche Gefahrstatsache, die er kannte oder kennen musste und über die er befragt worden ist, unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen, so ist das Versicherungsunternehmen berechtigt, den Vertrag schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, zu kündigen.29 Die Kündigung wird mit Zugang beim Versicherungsnehmer wirksam.
2    Das Kündigungsrecht erlischt vier Wochen, nachdem das Versicherungsunternehmen von der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erhalten hat.30
3    Wird der Vertrag durch Kündigung nach Absatz 1 aufgelöst, so erlischt auch die Leistungspflicht des Versicherungsunternehmens für bereits eingetretene Schäden, soweit deren Eintritt oder Umfang durch die nicht oder unrichtig angezeigte erhebliche Gefahrstatsache beeinflusst worden ist. Soweit die Leistungspflicht schon erfüllt wurde, hat das Versicherungsunternehmen Anspruch auf Rückerstattung.31
4    Wird ein Lebensversicherungsvertrag, der nach Massgabe dieses Gesetzes rückkauffähig ist (Art. 90 Abs. 2) aufgelöst, so hat das Versicherungsunternehmen die für den Rückkauf festgestellte Leistung zu gewähren.
VVG erscheinen ; denn es wurde darin unmissverständlich
die Erklärung abgegeben, dass die Beklagte sich mit Rücksicht auf eine
vom Versieherungsnehmer hegangene, in jenen Briefen übrigens noch näher
gekennzeichnete Verletzung der Anzeigepflicht als zur Auszahlung der
Versicherungssumme nicht verpflichtet erachte.

Bei der weitem Frage, ob jene Rücktrittserklärungen r e c h t zeitig
abgegeben worden seien, ist davon auszugehen, dass die Beklagte, wie die
Vorinstanz feststellt, erst durch den Bericht des Dr. De Righetti vom
6. Oktober 1915 über den Gesundheitszustand des Amedeo Raveglia in der
Zeit vor Vertragsschluss eigentlich aufgeklärt wurde. Diese Feststellung
ist nicht aktenwidrig. Der Arzt De Righetti hat als Zeuge allerdings
erklärt. er nehme an , die Beklagte habe schon im Frühjahr 1915 oder
noch früher von einem Spitalaul'enthalt des Raveglia gewusst. Allein
er will dem General-Renten Buzzjni irn Frühjahr 1915 bloss geraten
haben, sich bei der Spitalverwaltung in Lugano zu erkundigen ; genauere
Angaben hat er dagegen, soviel aus seiner Zeugenaussage ersichtlich ist,
den genannten Agenten erst Anfang Oktober 1915 mündlich gemacht und
bald darauf schriftlich bestätigt. Damit stimmt überein, dass er nach
Ausweis der Akten dem Bozzini a... 6. Oktober 1915 schrieb, er habe den
Raveglia in den Jahren 1913 und 1914 wiederholt wegen Bennrhialkntarrhs
behandelt, und zwar stets im Winter oder im Frühjahr ; auf seinen (De
Righetti's) Rat, sieh in eine Heilanstalt zu begehen, habe dann Raveglia
einen andern Arzt zugezogen. Diesen Brief vom 6. Oktober übermittelte
Buzzini am 8. Oktober der Direktion de,-r Beklagten, mit dem Bemerken,
er erwarte fvon Dr. De Righetti noch Bericht darüber, wo RavegliaVer
sicherungsvertrugsreeht. lss' ° 69. 551

eine Anstaltsbehandlung durchgemacht habe. Ergibt sich aber hieraus,
dass der Generalagent der Beklagten noch am 8. Oktober 1915 über den
für die Verletzung der Anzeigepflicht wesentlichen Punkt, nämlich
den Spitalaufenthalt Raveglia's, nicht vollständig aufgeklärt war,
so erscheint jedenfalls die Feststellung, dass er v 0 r h e r noch
nichts genaues wusste, nicht als aktenwidrig. Alsdann aber ist die
Rücktrittserklärung der Beklagten als rechtzeitig erfolgt zu betrachten,
und zwar gleichviel, ob dabei auf die Zuschrift vom 16. Oktober, auf
diejenige vom 23. Oktober, oder erst auf diejenige vom 3. November
abgestellt wird, und es braucht infolgedessen auf die Frage, ob die
Kenntnis des Generalagenten von der Verletzung der Anzeigepflicht
dieselben Wirkungen habe, wie die Kenntnis der Direktion, nicht erörtert
zu werden. ;

2. In materieller Hinsicht fragt es sich einzig, ob der Erblasser der
Kläger durch Verschweigung der von ihm im Herbst 1914 durchgeinaehten
Spitalbehandlung, sowie durch seine positive Erklärung, dass er überhaupt
nie krank gewesen sei, die ihm nach Art. 4
SR 221.229.1 Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VVG) - Versicherungsvertragsgesetz
VVG Art. 4
1    Der Antragsteller hat dem Versicherungsunternehmen anhand eines Fragebogens oder auf sonstiges Befragen alle für die Beurteilung der Gefahr erheblichen Tatsachen, soweit und so wie sie ihm bekannt sind oder bekannt sein müssen, mitzuteilen. Sowohl das Befragen als auch die Mitteilung haben schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, zu erfolgen.24
2    Erheblich sind diejenigen Gefahrstatsachen, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherungsunternehmens, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschliessen, einen Einfluss auszuüben.
3    Die Gefahrstatsachen, auf welche die Fragen des Versicherungsunternehmens in bestimmter, unzweideutiger Fassung gerichtet sind, werden als erheblich vermutet.25
VVG obliegende A n z e i
g e p i' l i c h t verletzt habe-, d. h. ob er (im Sinne des Art. 6
leg. cit.) eine erhebliche. Gefahrstatsache, die er kannte oder kennen
musste, unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen habe.

In dieser Beziehung ist zunächst festzustellen, dass sowohl eine
frühere, vom Versichemngsnehmcr vor Stellung des Versjclierungsantrages
durchgemachte Krankheit als solche, wie auch eine damit-· im Zusammenhang
stehende S p i t a l h e h a n d l u n g als erhebliche Gefahrstatsachen
im Sinne der Art. 4
SR 221.229.1 Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VVG) - Versicherungsvertragsgesetz
VVG Art. 4
1    Der Antragsteller hat dem Versicherungsunternehmen anhand eines Fragebogens oder auf sonstiges Befragen alle für die Beurteilung der Gefahr erheblichen Tatsachen, soweit und so wie sie ihm bekannt sind oder bekannt sein müssen, mitzuteilen. Sowohl das Befragen als auch die Mitteilung haben schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, zu erfolgen.24
2    Erheblich sind diejenigen Gefahrstatsachen, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherungsunternehmens, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschliessen, einen Einfluss auszuüben.
3    Die Gefahrstatsachen, auf welche die Fragen des Versicherungsunternehmens in bestimmter, unzweideutiger Fassung gerichtet sind, werden als erheblich vermutet.25
und 6
SR 221.229.1 Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VVG) - Versicherungsvertragsgesetz
VVG Art. 6
1    Hat der Anzeigepflichtige bei der Beantwortung der Fragen gemäss Artikel 4 Absatz 1 eine erhebliche Gefahrstatsache, die er kannte oder kennen musste und über die er befragt worden ist, unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen, so ist das Versicherungsunternehmen berechtigt, den Vertrag schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, zu kündigen.29 Die Kündigung wird mit Zugang beim Versicherungsnehmer wirksam.
2    Das Kündigungsrecht erlischt vier Wochen, nachdem das Versicherungsunternehmen von der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erhalten hat.30
3    Wird der Vertrag durch Kündigung nach Absatz 1 aufgelöst, so erlischt auch die Leistungspflicht des Versicherungsunternehmens für bereits eingetretene Schäden, soweit deren Eintritt oder Umfang durch die nicht oder unrichtig angezeigte erhebliche Gefahrstatsache beeinflusst worden ist. Soweit die Leistungspflicht schon erfüllt wurde, hat das Versicherungsunternehmen Anspruch auf Rückerstattung.31
4    Wird ein Lebensversicherungsvertrag, der nach Massgabe dieses Gesetzes rückkauffähig ist (Art. 90 Abs. 2) aufgelöst, so hat das Versicherungsunternehmen die für den Rückkauf festgestellte Leistung zu gewähren.
VVG erscheinen; denn sie sind (wie Art. 4 Abs. 2
voraussetzt) zweifellos geeignet, auf den Entschluss des Versicherers,
den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzusehliessen,
einen Einfluss auszuüben .

Nun lautete allerdings keine der von der Beklagten

ösä Versicherungsuertragsrecht. N° 39.

laut Formular an Reveglia gestellten Fragen ohne weiteres dahin, ob er
schon einmal eine Krankheit durchgemacht o oder ein einem Spital behandelt

worden sei ; sondern die in Betracht kommenden Fragen-

lauteten dahin, ob er sich gewöhnlich einer guten Gesundheit erfreue ,
ob er (so. g e g e n w ä r t i g.) an einer sichtbaren oder verborgenen
Krankheit leide , und ob er schon einmal mehr o der weniger s c h w e r
e Krankheiten oder Unpässiichkeiten gehabt, bezw. mehr oder weniger
schwere Unfälle erlitten habe. Allein, selbst wenn Reveglia sich zur
Zeit der Antragsstellung vielleicht für gesund halten konnte, und selbst
wenn ihm die Schwere der Krankheit, infolge

' deren er einen Monat im Spital zugebracht hatte, nicht

voll zum Bewusstsein gekommen sein sollte, so ist es

jedenfalls ausgeschlossen, dass er sie nicht als eine ' '

mehr oder weniger schwere Krankheit v oder doch zum mindesten als eine
mehr oder weniger schwere Unpässlichkeit erkannt hatte. Ebenso ist
es undenkbar, dass jene Krankheit dem Raveglia Anfang November 1915,
also kaum sechs Wochen nach seiner Entlassung aus dem Spital, aus dem
Gedächtnis entschwunden gewesen sei. Pflegt schon überhaupt jede physische
Anomalie, welche eine sofortige mehrwöchent-liche Unterbrechung der
Berufsarbeit nötig macht, allgemein als Krankheit bezeichnet zu werden,
so war im vorliegenden Falle eine andere Qualifikation umsoweniger
möglich, als Raveglia sich dazu hatte entschliessen müssen, sich
ausserhalb seiner Wohnund Heimatgemeinde und sogar ausserhalb seines
Kantons, in beträchtlicher Entfernung von seiner Familie, offenbar auch
mit einem für seine Verhältnisse nicht unerheblichen Kostenaufwand, einer
eigentlichen Spitalbehandlung zu unterziehen. Î . Müsste demnach schon
die blosse Verneinung der dem Raveglia von der Beklagten gestellten Frage
nach früheren, . mehr oder weniger schweren Krankheiten oderVersichernn
gsvertragsrccht . N° 69. 533

Unpässlichkeiten als Verletzung der Anzeigepflicht bess trachtet werden,
so erscheint diese Qualifikation a iortiori

si unt-enden vorliegenden Umständen geboten, da der Ge;

nannte sogar erklärt hat, er sei überhaupt noch nie kra n k gewesen. Dazu
kommt, dass Reveglia in der Angabe eines verhältnismässig unbedeutenden
frühern U n f a'! l s, der auf den Entschluss der Beklagten kaum
von Einfluss sein konnte, ein scharfes Erinnerungsver* mögen und eine
'peinliche Gewissenhaftigkeit an den Tag legte. während er es andrerseits
im Versicherungsantrage vermied, als Hausarzt den Dr. De Biglietti zu
nennen, der ihn doch wiederholt wegen seines chronischen Bronchialkatarrhs
behandelt hatte, sondern ihm den Dr. Tomaso Giovanetti substituierte,
der, soviel aus den Akten ersichtlich ist, von ihm bloss anlässlich jenes
unbedeutenden Unfalls zugezogen worden war. Die Gesamtheit der Umstände
des vorliegenden Falls zwingt somit zu der Schlussfolgerung, dass Reveglia
die Beklagte über seinen Gesundheitszustand absichtlich getauscht, also
seine Anneigepflicht ohne irgendwelchen Entschuldigungsgrund verletzt hat.

Mit Rücksicht hierauf undohne dass auf die Frage eingetreten zu werden
braucht, oh Reveglia, wie der amtliche Totenschein angibt, geradezu an
Lungentuberkulose litt, muss die Klage abgewiesen werden.

_ Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Die Berufung wird gutgehcissen und die Klage abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 43 II 526
Datum : 19. September 1917
Publiziert : 31. Dezember 1918
Quelle : Bundesgericht
Status : 43 II 526
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 526 Vers-·ehernngsvextragsrecbh N ° 69. V. VERSICHERUNGSVERTRAGSRECHT CON TRAT


Gesetzesregister
VVG: 4 
SR 221.229.1 Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VVG) - Versicherungsvertragsgesetz
VVG Art. 4
1    Der Antragsteller hat dem Versicherungsunternehmen anhand eines Fragebogens oder auf sonstiges Befragen alle für die Beurteilung der Gefahr erheblichen Tatsachen, soweit und so wie sie ihm bekannt sind oder bekannt sein müssen, mitzuteilen. Sowohl das Befragen als auch die Mitteilung haben schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, zu erfolgen.24
2    Erheblich sind diejenigen Gefahrstatsachen, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherungsunternehmens, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschliessen, einen Einfluss auszuüben.
3    Die Gefahrstatsachen, auf welche die Fragen des Versicherungsunternehmens in bestimmter, unzweideutiger Fassung gerichtet sind, werden als erheblich vermutet.25
6
SR 221.229.1 Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VVG) - Versicherungsvertragsgesetz
VVG Art. 6
1    Hat der Anzeigepflichtige bei der Beantwortung der Fragen gemäss Artikel 4 Absatz 1 eine erhebliche Gefahrstatsache, die er kannte oder kennen musste und über die er befragt worden ist, unrichtig mitgeteilt oder verschwiegen, so ist das Versicherungsunternehmen berechtigt, den Vertrag schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, zu kündigen.29 Die Kündigung wird mit Zugang beim Versicherungsnehmer wirksam.
2    Das Kündigungsrecht erlischt vier Wochen, nachdem das Versicherungsunternehmen von der Verletzung der Anzeigepflicht Kenntnis erhalten hat.30
3    Wird der Vertrag durch Kündigung nach Absatz 1 aufgelöst, so erlischt auch die Leistungspflicht des Versicherungsunternehmens für bereits eingetretene Schäden, soweit deren Eintritt oder Umfang durch die nicht oder unrichtig angezeigte erhebliche Gefahrstatsache beeinflusst worden ist. Soweit die Leistungspflicht schon erfüllt wurde, hat das Versicherungsunternehmen Anspruch auf Rückerstattung.31
4    Wird ein Lebensversicherungsvertrag, der nach Massgabe dieses Gesetzes rückkauffähig ist (Art. 90 Abs. 2) aufgelöst, so hat das Versicherungsunternehmen die für den Rückkauf festgestellte Leistung zu gewähren.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • frage • brief • spitalbehandlung • arzt • bundesgericht • kenntnis • zeuge • gesundheitszustand • lebensversicherung • bellinzona • erblasser • lungentuberkulose • ausserhalb • vertragsabschluss • richtigkeit • heilanstalt • jahreszeit • meldepflichtverletzung • form und inhalt
... Alle anzeigen