148 Erbrecht. N° 24.

I I. ERBRECHT

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DROIT DES sUccEssIoNs

24. Urteil der II. Zivilsbteilung vom 2. Mai 1917 i. S. Hubecher,
Klägerin, gegen Spain-, Beklagten.-

Anwendharkeit des ZGB auf die Auslegung eines vor dem 1. Januar 1912
abgeschlossenen Erbvertrags (in casu eines Eheverkommnisses }, wenn
der Erblasser n ach jenem Datum gestorben ist. _ Auslegung eines solchen
Erbvertrages oder Eheverkommnisses .

A. Die Klägerin und Berufungsklägerin ist die Schwester und einzige
Intestaterbin, der Beklagte und Berufungsbeklagte der Witwer der
am 10. September 1914 verstorbenen Anna Elisabeth Spahr geb. Rufer,
welche am 28. November 1908 mit dem Beklagten folgendes :Eheverkommnis
abgeschlossen hatte :

1. Die Ehegatten verzichten auf das ihnen gegenseitig zustehende
Noterbrecht und begründen folgende vertragsmässige Erbfolge : ' si

2. Im Falle des Vorablebens des Herrn Spahr erhält seine Witwe aus seinem
Nachlass eine Barsumme von 30,000 Fr. sowie einen Kindsteil, beides fällig
nach drei Monaten nach dem Ableben des Herrn Spahr. Dieser Kindsteil
soll aber nach dem Ableben der Frau Spahr Wieder an die Kinder des Herrn
Spahr zu Eigentum zurückfallen. Eine Sicherheitsleistung ist nicht nötig.

3. Für den Fall, wo Frau Spahr zuerst stirbt, soll die . Bestimmung
gelten, dass Herr Spahr, solange er lebt, das Nutzniessungsreeht am
ganzen Vermögen hat, dass aber bei seinem spätern Ableben die Summe von
30,000 Fr. in

bar an die gesetzlichen Erben der Frau Spahr zurückfallen soll.

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Herr Spahr ist nicht verpflichtet, beim Ablebenseiner Frau für diese
30,000 Fr. Sicherheit zu leisten.

Unterzeichnet und ausgestellt in zwei gleichlautenden. Doppeln im Sinne,
dass das neue Civ.-Ges.-Buch am Vertrage nichts ändert. -·

Gestützt auf dieses Eheverkommnis, dem keine andere letztwillige
Verfügung gegenübersteht, beansprucht die Klägerin den ganzen Nachlass
von angeblich 90,000 Fr. zu Eigentum, indem sie dem Beklagten daran bloss
die lebenslängliche Nutzniessung überlassen Will. Der Beklagte steht
dagegen auf dem Standpunkt, dass ihm an 30,000 Fr. die Nutzuiessung,
am übrigen Vermögen aber das volle Eigentum zukomme. _

B. Durch Urteil vom 12. Januar 1917 hat der Appellationshof des Kantons
Bern über das Rechtsbegehren der Klage :

1. Es sei gerichtlich-festzustellen und der Beklagte habe anzuerkennen,
dass der Nachlass inbegriiien der Frauengutsanspruch seiner verstorbenen
Ehefrau, Frau Anna Elisabeth Spahr geb. Ruier Eigentum der Klä gerin sei,
und dass der Beklagte daran nur die Nutz niessung habe ;

2. Das Nachlassvermögen, inbegriffen der Frauen gutsanspruch der Frau
Anna Elisabeth Spahr-Ruier sei auf einen Betrag von 90,000 Fr. zu
bestimmen, even tuell auf einen gerichtlich festzusetzenden geringeren
Betrag ;

erkannt:

Die Klägerin ist mit ihren beiden Rechtsbegehren abgewiesen. _

C. Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung, mit dem
Antrag auf Gutheissung der Klage.

Das Bundesgericht zieht i n E r W ä g u n g : 1. Bei der Fräge nach dem
anwendbaren R e c h t ist davon auszugehen, dass nach der, zwar m

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Art. 15
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 15
Scth ZGB nicht direkt ausgesprochenen, aber per arg. a contrario
daraus sich ergebenden allgemeinen Regel des intertemporalen Erbrechts die
erbrechtliehen Verhältnisse , wenn der Erblasser nach dem Inkrafttreten
des ZGB gestorben ist, durch das n eu e Recht bestimmt werden. Eine
Ausnahme von dieser allgemeinen Regel besteht nach Art. 16 Abs. 2 und 3
ibid. nur hinsichtlich der Verfügungs f ä h i g k e i t des Erblassers
und der F o r m der Verfügung, dagegen nicht auch hinsichtlich der
W i r k u n g e n einer als gültig anzuerkennenden letztwilligen
Verfügung. Diese Konsequenz zieht zwar Art. 16 Abs. 3 bloss in Bezug
auf die Anfechtung wegen Ueberschreitung der Verfügungsfreiheit oder
wegen der Art der Verfügung ; sie muss aber nach dem Gesagten auch in
allen übrigen Beziehungen gelten. Das Gesetz ist davon ausgegangen,
dass die Verfügungen von Todes wegen erst im Zcitpunkte des Ablebens
definitiv rechtsgültig Werden und gewissermassen bis zu diesem Zeitpunkte
als beständig stillschweigend erneuert zu gelten haben : es besteht
eine unwiderleghare Rechtsvermutung dafür, dass der in einer nicht
widerrufenen letztwilligen Verfügung zum Ausdruck gekommene Wille, auch
wenn diese Verfügung im Zeitpunkte des Todes bereits sehr alt gewesen
sein sollte, doch bis zu diesem Zeitpunkte unverändert weiterbcstanden
habe. Wäre es nun auch denkbar gewesen, bei Erbvert rä ge 11, deren
jederzeitige Abändesung nicht vollständig im Belieben des Erblassers
steht, eine Ausnahme von jenem Grundsatz eintreten zu lassen, so ist
diese Ausnahme doch vom ZGB, das in seinen Art. 15 und 16 ganz allgemein
von den erhrechtlichen Verhältnissen und den letzt-willigen Verfügungen
spricht, nicht gemacht worden. Dadurch hal. der Gesetzgeber zu erkennen
gegeben, dass er die Erbverträge, die sich immerhin von den Verträgen
unter Lebenden wesentlich unterscheiden, hinsichtlich des anwendbaren
Rechts vollständig den übrigen letzt-willigcn Verfügungen, insbesondere
den testamentarischen

Erbrecht. N° 24. 151

Verfügungen, mit welchen sie die Gemeinsamkeit des Zweckes und der
Wirkung teilen, gleichstellen wollte. Die Ausführung und Auslegung
von Erbverträgen, die zwar vor dem 1. Januar v1912 abgeschlossen worden
waren, jedoch, weil der Erblasser n a c h diesem Zeitpunkt gestorben ist,
erst seither wirksam geworden smd, untersteht somit, wie übrigens auch
MUTZNER in" Note 2 zu Art. 16
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 16 - Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln.
Scth annimt, den Bestimmungen des ZGB und
der Ueberprüfung durch das Bundesgericht. . _

Auf die vorliegende Berufung ist daher, weil das m Betracht kommende
Eheverkommnis in der Tat den Charakter eines Erbvertrages hat,
einzutreten. _

2. In der Sache selbst ist die Auffassung der Vorinstanz gutzuheissen. Aus
dem ganzen Tenor des Eheverkommnisses ergibt sich deutlich die Absicht der
Kontrahenten, der Ehefrau oder ihren Erben das freie. Bigentum bloss an
30,000 Fr. einzuräumen, das übrige Vermögen aber (offenbar in Anlehnung
an das damals geltende kantonale Recht) dem Mannesstamm zu erhalten. Galt
dies unbestrittenermassen für den Fall _des Vorablebens des Ehemannes,
so lag kein vernünftiger Grund vor, für den Fall des Vorablebens der Ehe
f r a u deren Erben das Eigentum anweiterm Vermögen oder gar, wie die
Berufungsklägerin behauptet, am gesamten Nachlass zuzuweisen und also
dem Ehemann se l b s 1; weniger zu überlassen, als im umgekehrten ,Fall
seinen E r b e 11. Zudem würde es, wie schon die-Vorinstanz ausgeführt
hat, bei der von der Berufungsklägerm Yertretenen Auffassung nicht
erklärlich sein, warum fur den Fall des Vorablebens der Ehefrau der
Rückfall von . bloss 30,000 Fr. und nicht des ganzen Vermügens an die
. Erben der ,Ehefrau vorgesehen und auch die Frage, ob der Ehemann
eine Sicherheit zu leisten habe, nur hin sichtlich dieser 30,00()v
Fr. entschieden wurde. Gerade diese Bestimmung des Eheverkommnisses zeigt,
dass den Erben der Ehefrau nicht mehr als die nuda proprteta an 30,000
Fr. zukommen sollte. Alsdann aber verblieb das

' H A5 43 ll 1917

152 Sachenrecht. N° 25.

ganze übrige Vermögen den Erben des Ehemannes, während dieser selbst
den lebenslänglichen Genuss so-

wohl der 30,000 Fr. als auch des übrigen Vermögens er-

hielt. In diesem, juristisch nicht ganz prägnanten, jedoch den
tatsächlichen ökonomischen Verhältnissen entsprechenden Sinne ist
die Bestimmung zu verstehen, dass der Ehemann, solange er lebt, das
Nutzniessungsrecht am ganzen Vermögen hat und dass dann bei seinem
Ableben die Summe von 30,000 Fr. , d. h. ein T e i l dieses Vermögens,
an die Erben der Ehefrau zurückfallen soll, was eben bedeutet, dass
der Re s t des Vermögens den Erben des Ehemanns v e r bleib t. ss

Demnach hat das Bundesgericht ' erkannt:

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des
Kantons Bern vom 12. Januar 1917 hestätigt.

III. SACHENRECHT

DROITS RÉELS'

25. Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. März 1917 i. S. Heel: & Cie,
Klägerin, gegen Frei, Wespi, Bieri und Schaffhausen Beklagte.

Q u e l l e n r e c h t. Anwendung des Art. 704 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 704 - 1 Quellen sind Bestandteile der Grundstücke und können nur zugleich mit dem Boden, dem sie entspringen, zu Eigentum erworben werden.
1    Quellen sind Bestandteile der Grundstücke und können nur zugleich mit dem Boden, dem sie entspringen, zu Eigentum erworben werden.
2    Das Recht an Quellen auf fremdem Boden wird als Dienstbarkeit durch Eintragung in das Grundbuch begründet.
3    Das Grundwasser ist den Quellen gleichgestellt.
ZGB auf
eine im Keller. eines Privathauses entspringende Quelle von 600
Minutenlitern. Daraus sich ergebendes Recht des Eigentümers des
Quellengrundstücks, das Wasser ohne Rücksicht auf die Anstösser des
untern Wasserlaufs fortzuleiten.

A. Die Beklagten sind Anstösser des Staldig oder Staldigsagenbachs ,
der auf der LiegenschaftSachenrecht. N° 25. 153

" Unterstaldig #, im Keller des auf dieser Liegenschaft

stehenden Privathauses, in einer Stärke von 600 Minuten-_ litern
entspringt, den Kellerboden durchfliesst, zu einer Maueröfi'nung
austritt, in einem offenen Rinnsal die Liegenschaft weiter durchfliesst,
dann von zwei Seiten Zufluss erhält, die dem Beklagten Schaffhauser
gehörende Kleinsteinsäge mit der-nötigen Wasserkraft versieht und
von den Anstössern teils als Trinkwasser, teils zum Wässern, teils
Zur Speisung' von Feuerspritzen, endlich noch zu verschiedenen andern
Zwecken benutzt wird, bis er sich, etwa 2 km. unterhalb der Quelle,
südöstlich von Werthenstein in die Emme ergiesst. Die Klägerin war
Eigentümerin der Unterstaldig-Liegenschaft und hat diese am 5. Juni
1912 dem Gottfried Jörg verkauft, dabei jedoch sich vorbehalten, _
das sämtliche auf der verkauften Liegenschaft entspringende Wasser zu
fassen, in einem auf dieser oder einer andern Liegenschaft zu erstellenden
Reservoir zusammenzuführen und an beliebiger Stelle fortzuleiten. Dieses,
von der Klägerin für sich in Anspmch genommene Recht zur Ableitung des
im Keller der Unterstaldig-Liegenschaft entspringenden Wassers wird ihr
von den Beklagten, die Anstösser des mittlern und untern Wasserlaufs des
Staldigbaches sind, bestritten. Aus den Akten ergibt sich, dass anlässlich
des Erwerbes der Unterstaldig Liegenschaft durch die Klägerin (Februar
1912) im Kaufbrief bestimmt war : Das im Sennereigebäude entspringende
Quellwasser darf dieser Besitzer nicht anderwärts ableiten, sondern es
ist das selbe Wie bis dato durch das Gräblein hinunter-Messen zu lassen
. Diese Klausel war nach der übereinstimmenden Annahme der Parteien
schon in frühern, die Unterstaldig Liegenschaft betreffenden Kaufbriefen
enthalten, nach der Behauptung der Klägerin erstmals in einem Kaufbrief
vom Jahre 1898, wodurch ein Job. Püntener seinen Liegenschaftsanteil an
einen Anton Bucher verkauft habe. Püntener soll damals zugleich Eigentümer
der Kleinsteinsäge gewesen sein, als deren jetzige Inhaber
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 43 II 148
Datum : 01. Mai 1917
Publiziert : 31. Dezember 1918
Quelle : Bundesgericht
Status : 43 II 148
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 148 Erbrecht. N° 24. I I. ERBRECHT -_ DROIT DES sUccEssIoNs 24. Urteil der II.


Gesetzesregister
ZGB: 15 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 15
16 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 16 - Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln.
704
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 704 - 1 Quellen sind Bestandteile der Grundstücke und können nur zugleich mit dem Boden, dem sie entspringen, zu Eigentum erworben werden.
1    Quellen sind Bestandteile der Grundstücke und können nur zugleich mit dem Boden, dem sie entspringen, zu Eigentum erworben werden.
2    Das Recht an Quellen auf fremdem Boden wird als Dienstbarkeit durch Eintragung in das Grundbuch begründet.
3    Das Grundwasser ist den Quellen gleichgestellt.
Stichwortregister
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beklagter • erbe • erbrecht • eigentum • erblasser • wasser • erbvertrag • bundesgericht • ehegatte • rechtsbegehren • wille • witwe • vorinstanz • weiler • buch • sachenrecht • stichtag • entscheid • sicherstellung • vertragspartei
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