204 Staatsrecht.
V. E IGENTUMSGARANTIE
GARANTIE DE LA PROPRIÉTÉ
27. Urteil vom 28. Juni 1917 i. S. Schuhfabrik A..-G. Bucchi
gegen Niawalden, Regierungsrat.
Verfügung der kantonalen Verwaltungsbehörde, wodurch an einem Kanale
als öffentlichem Gewässer das staatliche Fischereiregal in Anspruch
genommen wird. Anfechtung wegen Verletzung der Eigentumsgarantie mit
der Begrün-dung, dass es sich um ein privates Gewässer handle. AbWeisung
weil der Rekurrentin zur Feststellung des behaup-
teten Eigentums gegenüber dem Staat der Rechtsweg offen stehe.
A. Die Schuhfabrik A. G. Buoehs verwendet in ihrem Betriebe die
Wasserkraft der Aa. Das erforderliche Wasser wird ihr durch einen
Kanal von der Aa aus zugeführt und gelangt nachher Wieder in die Aa
oder den Vierwaldstättersee; in welches der beiden Gewässer, geht aus
den Akten nicht mit Bestimmtheit hervor. Der Kanal ist s. Z. von der
Rechtsvorgängerin der Rekurrentin angelegt worden, die im Jahre 1855
von der Genossenkorporation Buochs durch Vertrag das Recht erworben
hatte, das zur Wasserkraft benötigte Quantum Wasser ob der Fabrik bei
der Schleuse der Aa abzuleiten und vermittelst eines Zuflusskanales auf
ihr Wasserkad zu führen. Das Land zu beiden Seiten des Kanals ist zum
Teil Eigentum der Rekurrentin.
Bei der Verpachtung der Fischereireviere in Nidwalden vom 18. Dezember
1916 wurde in die Versteigerung des ersten Revier-es auch der Kanal der
Schuht'abrik Buochs einbezogen und die erfolgte Verpachtung im Amtsblatt
vom 23. März 1917 mit jener Angabe bekanntgemacht. Schon vorher -das
genaue Datum steht nicht fest -- Etgentumsgaranfie. N ° 27. , 205
hatte die Schuhfabrik A.-Gr. Buochs, die hievon Kenntnis erhalten hatte,
eine Eingabe an den Regierungsrat gerichtet, worin sie Einsprache
gegen die Verpachtung erhob, mit der Begründung, dass der Kanal kein
öffent-liches Gewässer sei und infolgedessen nicht dem Fischereiregal
des staates unterstehe. _
Am 21. Februar 1917 beschloss jedoch der Regierungsrat : Die Beschwerde
sei abgewiesen. In der Begründung wird darauf hingewiesen, dass nach §
114 des EG zum ZGB als öffentlich zu betrachten seien: Bäche, Flüsse und
andere Gewässer, die zur Anlage von Wasserwerken benutzt werden oder
sich hiezu eignen, sowie der Vierwaldstättersee auf Nidwaldnergebiet.
Nachdem die Ableitung aus der Aa seinerzeit zu Fabrikhetriebszwecken
erworben worden sei und auch heute noch dem gleichen Zwecke diene, könne
daher kein Zweifel bestehen, dass man es dabei mit einem öffentlichen
Gewässer zu tun habe, in welchem die Fischerei dem Staate zukomme.
Sie sei tatsächlich auch von jeher von den Personen ausgeübt worden,
die vom staate das Patent für die fraglichen Gewässer erhalten hätten.
B. Durch Eingabe vom 11. April 1917 hat darauf die Schuhiabrik
A.-G. Buochs beim Bundesgericht staats? rechtliche Beschwerde erhoben mit
dem Antrage : es sei die Schlussnahme des Regierungsrates vom 21. Februar
1917 aufzuheben und die Ausübung des Fischfanges un Fabrikkanal der
Rekurrentin als Regal des Staates auszuschliessen. Es wird vorgebracht
: die Rekurrentin habe 3. Z. den Kanal durch förmlichen Rechtstitel
als Bestandteil der Fabrikliegenschait erworben und auch seither
ununterbrochen als solchen unterhalten und benutzt, womit dessen privater
Charakter hinlänglich festgestellt sei. Die Vermutung der Gefientlichkeit
gelte nur {ur natürliche Wasserläufe, die im Gemeingebrauch stehen,
nicht für künstlich angelegte Gewässer. Demnach komme dem Staate an
dem Kanale auch das Fischereiregal nicht zu. Es sei denn auch bisher
niemandem eingefallen,
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Nutzungsrechte irgendwelcher Art daran zu beanspruchen. Selbst wenn
es sich um ein öffentliches Gewässer handelte, Wäre überdies die
Verpachtung der Fischerei darin unzulässig, weil § 115 EG zum ZGB die
wohlerworbenen Rechte an solchen Gewässern ausdrücklich vorbehalte. Durch
den angefochtenen Entscheid habe demnach der Regierungsrat willkürlich und
ohne gesetzliche Grundlage und Rechtstitel in das verbriefte Eigen-tum
der Rekurrentin ein-gegriffen und so die Eigentumsgarantie (Art. 15 KV)
verletzt.
C.Der Regierungsrat des Kantons Nidwalden hat in seiner Vernehmlassung,
worin er auf Abweisung des Rekurscs schliesst, an der .Rechtsauffassung
des angekochtenen Entscheides festgehalten und ergänzend hemerkt, dass
auch andere ähnliche Kanäle in die Verpach-tung der Fischereireviere
einbezogen werden seien. Die Verleihung des Fischercjrechtes mit der
Befugnis zum Betreten fremden Grundeigentum, soweit es ohne Schädigung
geschehen könne, und mit der Verpflichtung, für den Zuge-fügten schaden
aufzukommen, entsprechedem § 133 EG zum ZGB.
Das Bundesgericht zieht i n E r w a g u' n g :
1. Nach ständiger Praxis liegt ein Verstoss gegen den kantonalrechtlichen
Verfassungsgrundsatz der UnverIctzlichkeit des Privateigentums dann
vor, wenn die Verwaltungsbehörde ohne gesetzliche Ermächtigung in
Î e s ts t e h e n d e Privatrechte eingreift. Dagegen kann er nicht
sehen darin gefunden werden, dass sie ein beanspruchtes Privatrecht dem
Bestandc oder Umfange nach bestreitet. Stützt sich eine administrative
Massnahme dergestalt auf die Negierung des vom Betroffenen behaupteten
Privatrechts, so hat er den ordentlichen Rechtsweg vor den Zivilgerichten
zu betreten und auf diesem das angebliche Recht. feststellen zu
lassen. Erst wenn die Verwaltungsbehörde trotz Erwirkung einer solchen
Fest-Eigentumsgarantie. N° 27. 207
stellung an ihrer Massnahme festhielte oder wenn ihm der Rechtsweg
zur Geltendmachung seines Anspruches verschlossen werden wäre,
könnte von einer Verletzung der Eigentumsgarantie gesprochen
werden. (vergl. A. S. III S. 314, IV S. 601, V S. 216, 551, XXVII I
S. 512 und das nicht publizierte Urteil i. S. Strassenbahn Zürich-Oerlikon
gegen Reg.-Rat Zürich vom 29. April 1909 Erw. 3). _
2. Mit einem Falledieser Art hat man es aber hier zu tun. Denn aus der
angefochtenen Sehlussnahme vom 21. Februar 1917 ergibt sich unzweideutig,
dass die kantonale Regierung das Fischereircgal am Fabrilrkanal nicht
etwa auch für den Fall, dass der Kanal ein privates Gewässer sein sollte,
sondern ausschliesslich deshalb In Anspruch nimmt, weil sie das behauptete
Eigentum der Rekurrentin daran bestreitet und ihn als öffentliches
Gewässer im Sinne von § 114 EG zum ZGB und Art. 2 Vollziehungsvcrordnung
zum eidg. Fischereigesetz welch letztere Vorschrift dem Staatc das
Recht des Fischfanges nur in, den öffentlichen Gewässern vorbehalt
betrachtet. Es handelt sich mithin um einen Streit uber den Charakter des
Kanals als öffentlichen oder privaten Gewässers und zwar im Hinblick auf
dieaus der einen oder anderen Eigenschaft unbestrittenermassen fliessende
Folge, dass je nachdem daran das staatliche Fischereiregal besteht oder
nicht. .
Dieser Streit kann aber von der Rekurrentm vor den ordentlichen Richter
gebracht werden, indem sie vor ihm den Staat auf Anerkennung ihres
Privatrechts belangt. Dass dabei das Privatrecht im Gegensatz zum
kollidierenden öffentlichen Rechte geltend gemacht wird und der Staat
es unter Berufung auf letzteres und nicht aus privatrechtlichen Gründen
bestreitet, errnag den RechtsWeg nicht unzulässig zu machen. Jedenfalls
konnte dadurch die Zuständigkeit des Bundesgerichts, als ernziger
Zivilgerichtsinstanz nach Art. 48 Ziff. 4 OQ, sofern auch das Erfordernis
des Streitwertes gegeben sein sollte. nicht ausgeschlossen werden,
da Streitigkeiten der vor--
208 staatsrecht-
liegenden Art stets als zivilrechtliche im Sinne jener Bestimmung
behandelt worden sind (vergl. das Urteil i. S. Jenny gegen St. Gallen
A. S. 41 II S. 159 ff. Erw. I, auf das zu verweisen ist). Nach der
Fassung der kantonalen Verfassung, und ZPO, die ohne eine nähere
Umschreibung der Gerichtsbarkeit der Zivilgerichte zu enthalten, ihnen
lediglich allgemein die Entscheidung von Zivilstreitigkeiten zuweisen,
darf aber auch die Möglichkeit der Anrufung des kantonalen Richters
ohne Bedenken als gegeben betrachtet werden. Freilich kann bei solchen
Konflikten zwischen einem Privaten und dem Staat unter Umständen auch
die Verteidigung des Beklagten für die Zuständigkeit eine Rolle spielen,
sofern sich nämlich daraus ergibt, dass in Wahrheit nicht das behauptete
Privatrecht, sondern die Zulässigkeit eines öffentlichrechtlichen,
z. B. polizeilichen Eingriifes in es in Frage steht. Anders verhält
es sich aber, wenn, wie hier, privates und öffentliches Recht sich
ausschliessen-die Behauptung des Privatrechts also zugleich notwendig
eine Verneinung der vom Beklagten in Anspruch genommenen publizistischen
Befugnis und umgekehrt die Geltendmachung der letzteren zugleich auch
eine Bestreitung des Privatrechtes als solchen enthält. Wo dies zutriflt,
ist es eben doch in erster Linie das Privatrecht das im Streite liegt
und über dessen Bestand ein 'richterlicher Ausspruch verlangt wird, so
dass dafür nicht nur nach der etwas weiten Auslegung, die der Art. 48
Ziff. 4 OG in der bundesgerichtlichen Rechtssprechung erfahren hat,
sondern auch nach allgemeiner Auffassung der Rechtsweg offen stehen muss
(vergl. VAC'H, Handbuch des Zivilprozessrcchts, s. 107 H.). .
Es wird demnach auch im vorliegenden Falle Sache der Rekurrcntin
sein, zunächst auf diesem Wege das von ihr behauptete
Privatrecht am Kanale zur Anerkennung zu bringen. Solange sie
eine solche Anerkennung nicht erstritten hat, oder ihr nicht die
Möglichkeit dazu durch Unzuständigkeitserklärung der Zivilgerichte
verschlossenEigentumsgarantie. N° 27. _ 209
worden ist, kann siesich nach dem Gesagten auch nicht auf den Grundsatz
der Eigenturnsgarantie berufen.
Anders könnte höchstens dann entschieden werden, wenn die Eigenschaft
des Kanals als privaten Gewässers sich schon heute als liquid darstellen
würde. Dies kann aber angesichts der Tatsache, dass es sich um eine
Ab-leitung aus einem öffentlichen Gewässer handelt, deren Wasser Wieder in
ein öffentliches Gewässer ahfliesst, und angesichts des Wortlautes des §
114 EG zum ZGB, der für die Oefientlichkeit der Gewässer ausschliesslich
auf die Eignung zur Anlage von WasserWerken abstellt, ohne zwisehen
natürlichen und künstlichen Wasserl'aufen zu unterscheiden, unmöglich
gesagt werden. Auch der Kaufvertrag von 1855 bildet dafür kein zwingendes
Indiz, indem es eine offene und noch zu prüfende Frage bleibt, was dabei
in Wirklichkeit der Gegenstand der Abtretung gewesen sei und habe sein
können, ob der Kanal selbst oder nicht vielmehr lediglich das Recht zur
Gewinnung von Wasserkraft mittelst desselben. Das vollends in diesem
Zusammenhange der von der Rekurrentin ebenfalls noch angerufene § 115 EG
keine Rolle spielen kann, bedarf keinerErörternng, weil er ja lediglich
gegenüber der aus § 114 folgenden Oei'fentlichkeit des Gewässers die unter
der Herrschaft der früheren Gesetze erworbenen Wasserrechte vorbehält,
dafür hingegen. wann ein Gewässer als öffentliches zu betrachten sei,
keinerlei Entscheidungsnorm enthält.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Bekurs wird abgewiesen.