14 ' Staatsrecht.

setzungen'der Besteuerung erhoben hat er habe in d e r S e h w e iz kein
Vermögen war offenbar unerheblich, da, sobald einmal seine persönliche
Steuerpflicht. gegeben ist, darauf, wo sich sein Vermögen befindet,
nicht ankommt. Anders ver-hielte es sich nur, wenn Liegen schaften in
Frage standen. Dass dies hier zutreiie, ist aber nicht behauptet.

Ebenso kann dem eventuellen Begehren, die Steuerpflicht auf das erste
Halbjahr 1916 zu beschränken aus dem nämlichen Grunde, weil es nicht
Gegenstand des kantonalen Besehwerdeverfahrens war, keine Folge gegeben
werden. Wenn der Rekurrent in seiner Zuschrikt vom 9. Mai 1916 an die
Gemeindesteuerbehörde bemerkte, dass er demnächst nach Deutschland
verreisen werde, und in der Eingabe an die kantonale Steuerkommission
vom August 1916 darauf hinwies, dass er tatsächlich am 5. Juni 1916
abgereist, zwei Monate in Deutschland verblieben sei und nächstens Wieder
hingehen müsse, um seinen Pass in Ordnung zu bringen, so geschah dies
nur um zu zeigen, dass sein Aufenthalt in Obwalden ein vorübergehender,
ausschliesslich Kurzwecken dienender sei, und nicht um die Beschränkung
der Besteuerung auf die Zeit bis zu seiner Abreise zu verlangen, wie sie
heute eventuell gefordert wird. Ueberdies ist zu sagen, dass sich nicht
der Sarner Aufenthalt als Unterbrechung eines anderweitigen Aufenthalts,
sondern umgekehrt die Rückkehr nach Deutschland als Unterbrechung des
Aufenthalts in Samen darstellte, wo der Rekurrent auch nach der zweiten
Reise nach Deutschland, die im September 1916 stattfand, noch bis zum
Dezember 1916 verweilte. Ob er nunmehr, wie er in Aussicht stellt,
Samen endgiltig verlassen habe, ist unerheblich, da der Aufenthalt
dort seit 1915 und während des Jahres 1916 jedenfalls die Besteuerung
für das letztere Jahr, die heute allein im Streite steht, zu stützen
vermag. Es braucht daher zu der abweichenden Begründung, mit der der
RegierungsratHandelsund Gewerbefreiheit. N° 4. 15

am angefochtenen Entscheide zum gleichen Ergebnis gekommen ist, nicht
Stellung genommen zu werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. HANDELSUND GEWERBEFREIHEIT

LIBERTÉ DU COMMERCE ET DE L'INDUSTRIE

4. Urteil vom 15. Februar 1917 i. S. Frau G'. gegen Thurgau,
Regierungsrat.

Erfordernis des guten Leumundes für die Erteilung oder Erneuerung des
Wirtschaftspatents. Grenzen der Anforderungen, die nach Art. 31 EV in
dieser Richtung an den Wirt gestellt werden dürfen.

A. Die Rekurrentin Frau G. hat seit dem im Jahr 1909 erfolgten Tode
ihres Ehemannes die Wirtschaft zur Sonne in Wilen-Wängi betrieben,
nachdem schon zuvor ihr Mann während mehrerer Jahre auf der nämlichen
Liegenschaft gewirtet hatte. Am 28. Juli 1916 hat sie vom Gemeinderat
Wängi auch für das am 1. August 1916 beginnende neue Wirtschaftsjahr
das Patent erhalten. In einem vom-18. Juli 1916 datierenden Rapporte
berichtete der Landjäger Weissmann dem Bezirksamt Münchwilen, dass am
13. Juli 1916 Abends der Wagnermeister M. in der Wirtschaft zur Sonne
in Anwesenheit des Ernst W. eine Szene gemacht und dann ausserhalb der
Wirtschaft dem W. aufgepasst habe,

der auf Ersuchen der Wirtin Frau G. zu deren Schutz

in der Wirtschaft geblieben sei: früh morgens sei M.

1 6 Staatsreeht.

wieder erschienen, habe der Frau G. alle Grobheiten gemacht und die
Stühle in der Wirtschaft umhergeworfen, auch tagsüber habe er sich so
geberdet und in Gegenwart verschiedener Personen geäussert, er habe
seit 14 Jahren mit der Frau G. Umgang gehabt, deren 11 jähriger Knabe
sei von ihm;. letzteres werde von Frau G. zugegeben. Gestützt hierauf
intervenierte das Bezirksamt Münchwilen beim Gemeinderat Wängi wegen der
Patenterteilung. Es wurde dann die Lösung getroffen, dass Frau G. die
Wirtschaft verpachtete und das Patent

am 31. Juli 1916 auf den Pächter Karli ausgestellt wurde.

worauf das Bezirksamt den Rapport vom 18. Juli 1916 als gegenstandslos
erklärte. Schon am 1. September 1918 kam dann aber Frau G. beim
Gemeinderat erneut um Erteilung des Patents an sie ein, da der Pächter
Karli den Vertrag zu lösen wünsche. In der vom Bezirksamt auf Wunsch des
Gemeinderats eröffnet-en Untersuchung über den Leumund der Bewerberin
deponierte der Wagnermeister M., er habe mit Frau G. seit 13 Jahren
intime Beziehungen unterhalten und mit ihrem Wissen einen Schlüssel
zum Scheunentor besessen, den er hin und wieder für seine nächtlichen
Besuche benutzt und erst kürzlich zurückgegeben habe..Die Szene vom
13. Juli habe er aus Eifersucht gegen W., den Frau G. als Logisganger
habe annehmen wollen, veranstaltet; Frau G. habe sieh mit diesem schon
im Winter sehr Zutraulich benommen, nach dem l. August habe er sie
in das Schlafzimmer des W., der inzwischen in die Sonne eingezogen
gewesen sei, eintreten sehen, wo sie längere Zeit verweilt habe. Frau
G. darüber zur Rede gestellt, sagte aus : Ich bestreite entschieden
die Richtigkeit der Aussagen des M.,Zur Zeit, da mein Mann noch lebte,
hatte ich mit M. einmal Geschlechtsverkehr und gebar infolgedessen
den Knaben Albert, jetzt 11 Jahre alt. später gestattete ich dem
Müller noch zwei mal meinen Geschlechtstei] zu besichtigen und zu
betasten, aber eigentlichen Geschlechtsverkehr hatte ich mit ihm nie
mehr. 'WennHandelsund Gewerbefreiheit. N° 4. 17

er das trotzdem behauptet, so' legt er Wissentlich falsches Zeugnis
ab. Es ist durchaus unwahr, dass ich darum wusste, dass M. einen
Schlüssel zu meiner Scheune besass. Ich bestreite auch, einen solchen
von ihm zurückempfangen zu haben. Dass ich mich von Gästen, u. a.
auch von dem Logisgänger {W. küssen und betasten liess, ist durchaus
unwahr. Es ist nichts als pure Leidenschaft, die den M. dies behaupten
lässt. Das Schlafzimmer des W.sshabe ich in Anwesenheit des Genannten
nie betreten. _

Am 28. September 1916 beschloss darauf der Gemeinderat Wängi, das Gesuch
der Frau G. um Patenterteilung werde vorläufig abgewiesen, da ihr Leumund
nach den Zeugenaussagen des W. ein sehr getrübter zu sein scheine. Auf den
von Frau G. hiegegen ergrifienen Rekurs liess der Regierungsrat durch das
Bezirksamt Münchwilen noch den Ernst W. vernehmen, der die Behauptungen
des M. über seine (W's) angeblichen intimen Beziehungen zu F&'au G. als
unwahr bestritt. Ferner erschien im Laufe des Rekursverfahrens der
Zeuge M. unvorgeladen beim Bezirksstatthalter, um folgenden Widerruf
zu Protokoll zu geben: Meine Zeugenaussagen vom 14. September waren
wissentlieh falsche. Ich hatte mit der Frau G. im Ganzen nur vier
bis fünf Male geschlechtlich verkehrt. Es war dies, als sie noch im
Wilhof wirtete und in der Zeit, bevor sie den von mir gezeugten Knaben
gebar. Nach ihrer Niederkunit und insbesondere seitdem sie auf der Sonne
wirtete, habe ich mit ihr nie mehr Geschlechts verkehr gepflogen. Ich
widerrufe deshalb meine über diesen Punkt früher gemachten unwahren
Deposi tionen. Dagegen muss ich meine frühere Aussage, wonach ich
der Frau G. .den zum Scheunentor gehò renden Schlüssel Anfangs August
(1. J . zuriickgab, auf rechthalten. Ebenso behaupte ich die Frau G. in
der erwähnten Weise beobachtet zu haben, als sie das . Schlafzimmer des
Logisgängers W. betrat und darin

AS 431 1917 . 2

18 . :matsrecht.

làngere Zeit verweilte. Ich habe gegen Frau G. aus Rache falsches Zeugnis
abgelegt, obwohl ich damals dringend ermahnt wurde, die Wahrheit zu
sagen, und obwohl ich auf die Folgen des falschen Zeugnisses aufmerksam
gemacht wurde.

Trotzdem wies der Regierungsrat am 17. November 1916 den Rekurs der
Frau G. mit nachstehender Begründung ab: Gemäss § 17 litt. i des
Wirtschaftsgesetzes erlischt das Wirtschaftsrecht, wenn der Wirt für
einen ordentlichen und ehrbaren Wirtschaftsbetrieb keine Gewähr mehr
bietet. Die Rekurrentin gibt zu, noch "zu Lehzeiten ihres Mannes mit
Wagner M. in Wängi geschlechtlich verkehrt zu haben, aus welchem Verkehr
der heute 11 Jahre alte Knabe Albert hervorgegangen sei ; sie bestreitet
jedoch, entgegen der Behauptung des

M., mit diesem seither jemals wieder einen Geschlechts-'

verkehr unterhalten zu haben ; sie will ihm einzig nur noch zwei
Mal die Besichtigung und Betastung ihrer Geschlechtsteile gestattet
haben. Abgesehen davon, dass eine Prüfung der aufgestellten Behauptungen
auf ihre Richtigkeit ausgeschlossen ist und die Aussagen M's mit
Rücksicht auf seine Vorstrafe wegen falschen Zeugnisses und sein Verhalten
gegenüber Frau G., namentlich in jüngster Zeit, allerdings nicht volle

Glaubwürdigkeit verdienen, muss denn doch gesagt si

werden, dass eine Wirtin, die ihre Geschlechtsehre derart preisgibt,
wie dieheutige Rekurrentin es getan hat, für einen ordentlichen und
ehrbaren Wirtschafts betrieb in der Tat keine Gewähr mehr bietet. Der
Gemeinderat Wängi hat daher mit Recht der Rekurrentin

das Wirtschaftspatent nach Kenntnis der erwähnten

Tatsachen nicht mehr erteilt. Es ist nach den Akten doch anzunehmen,
dass neben den von der Rekurrentin zugestandenen Verfehlungen wenigstens
ein Teil auch der bestrittenen' vorgekommen sein dürfte. Diese An
nahme wird auch durch die vom ,Bezirksamt Münch wilen vorgenommene
Aktenvervollständigung, nachHandelsund Gewerbefreiheit. N° 4. _ 19

= welcher der Zeuge M. seine früheren Aussagen zum Teil si

widerruft, nicht entkräftigt. -

B. _ Gegen diesen Entscheid des Regierungsrates hat Frau G. beim
Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit dem Antrage, er
sei aufzuheben und es sei der Regierungsrat einzuladen, dafür zu sorgen,
dass die Rekurrentin das nachgesuchte Patent erhalte. Zur Begründung wird
geltend gemacht, dass vereinzelte Verfehlungen nach der feststehenden
Praxis des Bundesrats als früherer Rekursbehörde nicht dazu führen
dürften, einer Person für alle Zeit den guten Leumund abzuerkennen,
im gegenwärtigen Falle aber ausser den zu-gestandenen zeitlich weit
zurückliegenden Vorgängen, von denen der eine, die Duldung unzüchtiger
Betastung durch M., überdies im Protokoll missverstündlich dargestellt
sei, nichts vorliege, was gegen die sittliche Eignung der Rekurrentin
für den Wirtschaftsbetrieb sprechen würde. Die Anschuldigungen, die
M. erhoben, habe er zum grössten Teile widerrufen und, soweit er sie
aufrechterhalten, könne auf sie als die Aussagen eines durch Alkohol
heruntergekommenen, wegen falschen Zeugnisses vorbestraften und durch
niedrige Beweggründe geleiteten Menschen unmöglich abgestellt werden. Wenn
der Regierungsrat der Rekurrentin trotzdem das Patent verweigere,
so gehe er damit in den Anforderungen, welche an einen Patentbewerher
gestellt werdend ürften, zu weit und verletze die Rechtsgleichheit und
Gewerbefreiheit.

C . Der Regierungsrat des Kantons Thurgau erklärt in seiner
Vernehmlassung, in der er auf Abweisung der Beschwerde schliesst, dass
er dem zugestandenen ausserehelichen Geschlechtsverkehr der Rekurrentin
mit M. keine Bedeutung beigemessen habe, obwohl die Re-kurrentin bestraft
werden wäre, wenn ihr seitdem verstorbener Mann deshalb Anzeige erstattet
hätte. Ausschlaggebend sei gewesen, dass Frau Gr. auch noch nach dem
Tode ihres Mannes Beziehungen zu dem schlecht-

20 Staatsrecht.

beleumdeten M. unterhalten habe, wie sich aus ihren eigenen
Zugeständnissen, dass M. sich wiederholt in ihre Heiratspläne gemischt und
dass sie ihm zweimal die Besichtigung und Betastung ihres Geschlechtsteils
gestattet habe, ergehe. Diese Zugeständni'sse genügten, auch wenn man. die
Aussagen des M. unberücksichtigt lasse, um darzutun, dass die Rekurrentin
für einen ordentlichen Wirtschaftsbetrieh keine Gewähr biete.

Das Bundesgericht zieht i n E r W a g u n g :

1. Nach § 6 litt. c und e des thurgauischen Wirtschaftsgesetzes vom
12. März 1905 darf das Patent nur an solche Personen erteilt werden,
die für sich und ihre Hausgenossen einen guten Leumund nachzuweisen
vermögen und für einen ordentlichen und ehrbaren WirtSchaftsbetrieb
Gewähr leisten. Die nämlichen Erfordernisse werden auch fürdie Fortdauer
des einmal erteilten Patents aufgestellt, indem dasselbe nach § 17
litt. g und i erlischt , wenn der Wirt oder einer seiner Hausgenossen
den guten Leumund verliert oder jener für eine ordentlichen und ehrbaren
Wirtschaftsbetrieb keine Gewähr mehr bietet. Beide Bestimmungen sind an
sich vom Standpunkte der Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
_und 4 BV nicht zu beanstanden, wie denn
auch die Rekurrentin deren Verfassungsmässigkeit nicht anficht. Es kann
sich daher nur fragen, ob nicht die Art ihrer Anwendung im vorliegenden
Falle gegen die erwähnten Verfassungsvorschriften verstosse. Dazu
ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen in willkürlicher Weise
gewürdigt und unter die beschränkende Bestimmung des Gesetzes subsumiert
worden seien. Vielmehr liegt eine Verletzung ! der bundesrechtlich
gewährleisteten Gewerbefreiheit auch ischon vor, wenn der an sich
zulässigen gesetzlichen Z Einschränkung der Gewerbeausübung eine
Ausdehnung i gegeben worden ist, die generell angewendet über deren
i Grund und Zweck hinausginge und sich durch die polisHandelsund
Gcassuueireiheit. N° 4. 21

zeiliche Obsorgc für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sittlichkeit in
den öffentlichen Lokalen nicht mehr rechtfertigen lässt (vgl. Bh]. 1895
I S. 61, 1896 II S. 37, 1899 I S. 375, 1900 III S. 600 f.,ss ferner
den von der Rekurrentin angeführten nicht gedruckten Entscheid des
Bundesrats in Sachen Schmid-Baier gegen Thurgau vom 14. September
1906). An dieser Zweckbestimmung müssen auch die Anforderungen, welche an
die Persön-lichkeit des Wirtes gestellt werden dürfen, ihre Begrenzung
finden. Es darf daher einem Patentbewerber die sittliche Eignung zur
Führung einer Wirtschaft nicht schon wegen jeder Verfehlung, die er
sich einmal hat zu schulden kommen lassen, sondern nur dann abgesprochen
werden, wenn entweder seine g e g e n w a r t i g e Lebensführung nicht
einwandfrei ist oder aus den früheren Verfehlungen auf einen b l e i b e
n d e n sittlichen Dcfekt geschlossen werden muss. Denn nur dann ist die
Befürchtung, dass er die Wirtschaft nicht in den Anforderungen der Sitte
und Ordnung entsprechender Weise führen würde, berechtigt und nur mit
jener Befürchtung kann anderseits die in dem Erfordernis des einwandfreien
Leumu'ndes als Bedingung der Patenterteilung liegende Beeinträchtigung
der freien Gewerbeausübung begründet werden. Auf diesen Boden hat sich
denn auch schon der Bundesrat als frühere Rekurshehörde gestellt, indem
er in wiederholten Entscheidungen (vgl. _ ausser den bereits zitierten
noch Bh]. 1898 III S. 776) erklärte, dass die Verweigerung des Patentes
mangels guten Leumundes sich auf Verhältnisse stützen müsse die in der
Gegenwart noch fortbestünden oder doch in ihren Folgen _und Wirkungen
sich jetzt noch geltend machten. Auch muss zum mindesten da, wo es sich
wie im vorliegenden Falle nicht um die erstmalige Erteilung, sondern um
die Nichterneuerung eines Patents gegenüber einem bisherigen langjährigen
Inhaber handelt, verlangt werden, dass für die Vorwürfe, welche diesem
hinsichtlich seiner Lebensführung gemacht werden, sichere, greifbare

EUR

22 Staatsrecht.

Anhaltspunkte vorliegen. Das hlosse Bestehen von Verdachtsmomenten kann
dazu nicht genügen.

2. An diesem Masstabe gemessen erscheint die Verweigerung der Erneuerung
des Patents gegenüber der heutigen Rekurrentin nicht haltbar. Freilich
behauptet der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung auf die Beschwerde,
dass er dem zugestandenen ausserehelichen Geschlechtsverkehr der
Rekurrentin mit M. in der Zeit vor der Geburt ihres Knaben keine Bedeutung
beigemessen, sondern ausschliesslich auf ihre sonstigen Zugeständnisse
abgestellt habe, aus denen sich das Fortbe-

stehen anstössiger Beziehungen zu dem Genannten auch --

für die spätere Zeit ergebe. Nun hat aber die Rekurrentin auch nach
dem Protokoll des Bezirksamts keineswegs zugestanden, dass sie dem
M. die Intimitäten, von denen dort die Rede ist, noch in jüngerer
Zeit gestattet habe, sondern lediglich erklärt, dass sie später ,
d. h. in eine spätere Zeit als der aussereheliche Geschlechtsverkehr,
aus dem ihr Knabe hervorging, fallen. Da es ihre Aussage allein ist,
die überhaupt hierüber Kunde gibt, muss daher auch der von ihr schon im
kantonalen Rekursverfahren gegebenen Erläuterung Glauben geschenkt werden,
dass es sich dabei nicht um neuere Vorgänge, sondern um solche handle,
welche in die Zeit unmittelbar nach der Geburt des Knaben, also ebenfalls
auf 11 Jahre zurückgehen. Es kann daher aus ihnen ebensowenig ein Grund
abgeleitet werden, ihr heute die Eignung zur Führung einer Wirtschaft
abzuspreehen wie aus dem vorangegangenen ehebrecherischen Verkehr, den
der Regierungsrat selbst mit Recht als für die Beurteilung des Leumundes
unerheblich erklärt. Irgendwelche weiteren Zugeständnisse, aus denen sich
das Bestehen anstössiger Beziehungen zu M. oder anderen Männern auch noch
für die spätere Zeit "ergäbe, liegen aber nicht vor. Ebensowenig haben
dafür sonstige sichere Anhaltspunkte namhaft gemacht werden können,
obwohl sie beider Enge der Verhältnisse in einem Dorfe wie Wängi doch
offenbar unschwer beizubringenHandelsund Gewerbefrcibeit. N° 5. 215

gewesenwären. Es bleibt demnach nur das einseitige'Zeugnis des M., das
wohl einen gewissen Verdacht zu begrunden vermag, aber bei der mehr als
zweifelhaften _Personhchkeit des Zeugen und den niedrigen Beweggrundem von
denen er sich bei seinem Handeln leiten liess, wie auch der Regierungsrat
in der Beschwerdeantwort inipliczie anerkennt, für sich allein unmöglich
als Beweis angesehen werden kann. Auf blossen Verdacht hin darf aber,
nachdem die Rekurrentin vorher das Patent wahrend Jahren anstandslos
erhalten hat und ihre Wirtschaftsführung unbestrittenermasssen in
dieser ganzen Zeit zu keinerlei Klagen Anlass gegeben hat, eine so
einschneidende Massnahme wie die Nichterneuerung des Patents nicht
verfügt werden. Sollte sich Frau G. in der Folge nachwelsbarermassen
eines sittlich verwerklichen Benehrnens schuldig machen, so steht es
den Wirtschaftspolinelbehörden jederzeit frei, ihr das Patent wieder
zu entziehen. Dass es ihr schon heute versagt wurde, beruht auf einer
Ueberspannung der Erfordernisse der §§ 6 und 17 des 'irtsehaftsgesetzes,
die vor dem Grundsatz der Gewerbefreiheit nicht Stand hält.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Die Beschwerde wird gutgeheissen und es werden demgemäss in Aufhebung
des angefochtenen Entscheides die zuständigen Behörden angewiesen, der
Rekurrentin das nachgesuchte Patent zu erteilen.5. Arrèt du 22 février
1917 dans la cause Geronimi contre Conseil d'Etat vaiazsan.

Il n'est pas contraire au principe de Ia liberté du commerce et de
l'industrie de consider-er comme prathuant hart medical et de soumettre
par conséquent aux dispositxons sur l'exercice de la médeeine, un masseur
qui, au lieu de se
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 43 I 15
Datum : 15. Februar 1917
Publiziert : 31. Dezember 1918
Quelle : Bundesgericht
Status : 43 I 15
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 14 ' Staatsrecht. setzungen'der Besteuerung erhoben hat er habe in d e r S e h w


Gesetzesregister
BV: 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
EV: 31
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
regierungsrat • gemeinderat • geschlechtsverkehr • mann • zeuge • bundesgericht • thurgau • geschlecht • deutschland • leumund • maler • bundesrat • frage • tod • verdacht • richtigkeit • falsches zeugnis • gesuch an eine behörde • sitte • wissen
... Alle anzeigen