482 Entscheidungen der sei-Wanst-

97. W vom 28. Bomber 1915 i. S. Basler.

Begriff der heimlichen Fortschaflung von Mietgegenständen nach Art. 284
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 284 - Wurden Gegenstände heimlich oder gewaltsam fortgeschafft, so können dieselben in den ersten zehn Tagen nach der Fortschaffung mit Hilfe der Polizeigewalt in die vermieteten oder verpachteten Räumlichkeiten zurückgebracht werden. Rechte gutgläubiger Dritter bleiben vorbehalten. Über streitige Fälle entscheidet der Richter.494

SchKG. Kenntnis der Angestellten des Vermieters vom Wegzuge : inwiefern
bedeutsam ? Pflicht zur Anhörung des Rekursbeklagten vor der kantonalen
Aufsichtbehörde ? Nova in der Bundesinstanz.

A. Der Rekursbeklagte Balls-Simon, Kaufmann, in St. Gallen, hatte zum
Betriebe seiner Geschäftsfiliale in Altstätten von M. Meier daselbst
Geschäftsräumlichkeiten und eine Wohnung gemietet. Bei Bolis war als
Filialleiter der Beschwerdeführer und Rekurrent Basler angestellt.
Er hatte die erwähnte Wohnung inne, ohne das darüber ein besonderer
(Unter-)Mietvertrag abgeschlossen werden wäre. Am 27. Februar 1915
kündigte der Rekursbeklagte dem Rekurrenten die Stellung als Filialleiter
und zugleich die Wohnung auf den 31. März 1915. Der Rekurrent erklärte
am 10. März, dass er die Kündigung der Wohnung nicht annehme. Am 25. März
versprach er, unter gewissen Bedingungen am 20. Aprilauszuziehen, tat dies
aber dann nicht und eine Aufforderung des Rekursbeklagten vom 10. Mai zum
Wegzug blieb ohne Erfolg. Am 15. Juni kündigte der Rekurrent die Wohnung
seinerseits auf den 15. September 1915. Der R'ekursbeklagte suchte nun
die sofortige Räumung im Ausweisungsverfahren zu erwirken, wurde aber mit
seinem Begehren am 5. Juli vom Bezirksammann abgewiesen. Unterdessen hatte
am 30. Juni zwischen den Parteien ein erfolglos verlaufener Vorstand vor
dem Vermittlungsamt Altstätten stattgefunden, wobei der Rekursbeklagte
sein Rechtsbegehren unter anderm dahin formulierte, der Rekurrent habe
anzuerkennen, dass er die Wohnung schon auf Ende April 1915 hätte räumen
sollen, und er habe ihm den aus der Nichträumung entstandenen Schaden zu
ersetzen. Nach seiner Behauptung hätte der Rekurrent bei diesem Vor--und
Konknnkammer'. N° 97. 433

stunde erklärt, er werde bis Ende Juli ausziehen. Am 2. August räumte
er dann tatsächlich die Wohnung und übermittelte am 7. August dem
Rekursbeklagten den Hausschliissel. Dieser verlangte nun am 11. August
vom Betreibungsamt Altstätten unter Berufung auf Art. 284
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 284 - Wurden Gegenstände heimlich oder gewaltsam fortgeschafft, so können dieselben in den ersten zehn Tagen nach der Fortschaffung mit Hilfe der Polizeigewalt in die vermieteten oder verpachteten Räumlichkeiten zurückgebracht werden. Rechte gutgläubiger Dritter bleiben vorbehalten. Über streitige Fälle entscheidet der Richter.494
SchKG die
nachträgliche Aufnahme einer Retentionsurkunde für den Ende April 1915
verfallenen Halbjahreszins von 250 Fr. und für die nachherige Zinsquote
bis zum 2. August von 125 Fr. Das Betreibungsamt von Altstätten wies
das von Goldach, wohin der Rekurrent übergesiedelt war, zum Vollzuge an
und das beauftragte Amt nahm am 12. August die Retentionspfändung vor,
indem es verschiedene Mobiliargegenstände mit Beschlag belegte. In der
Urkunde führte das Betreibungsamt Goldach irrtümlich den Hauseigentümer
Meier als vollstreckenden Gläubiger auf, was dann sofort herichtigt
wurde und keinen Streitpunkt mehr bildet.

B. Innert Frist hat der Rekurrent auf dem Beschwerdeweg Aufhebung der
Retentionspfändung verlangt, indem er geltend machte, die Voraussetzungen
des Art. WAL für ihre Zulässigkeit lägen nicht vor.

C. Die untere Instanz hat die Beschwerde gutgeheissen, die kantonale
Aufsichtsbehörde aber den hiegegen eingereichten Rekurs des Mietgläubigers
Bolis mit Entscheid vom 27. November 1915 geschützt. Sie nimmt an, dass
man es mit einem Falle heimlicher Fortschaffung von Mietgegenständen im
gesetzlichen Sinne zu tun habe.

D. Diesen Entscheid hat nun der Mietschuldner gültig an das Bundesgericht
weitergezogen und Aufhebung der streitigen Retentionspfändung
verlangt. Als Rekursgründe führt er an: . . .. Er sei nicht heimlich
iortgezogen; denn er habe seine Absicht, auf Ende Juli auszuziehen,
sowohl im Vermittlungsvorstande vom 30. Juni als im Exmissionsverfahren
ausdrücklichvorher erklärt, (wofür er auf zwei vor Bundesgericht zu den
Akten gegebene Bescheinigungen des Vermittlungsamtes

434 Entscheidungen der Schuldbetrelbungs--

und des Bezirks-zartes Altstätten verweist). Ferner sei sem Auszug unter
den Augen der Organe des Rekursbeklagten erfolgt, die am gleichen Tage
in der Altstätter Filiale eine Inventur vorgenommen hätten, (wofür vor
Bundesgericht eine Bescheinigung der Filialhalterin eingelegt wird).

E. Der Mietgläubiger Bolis hat in seiner Rechtsantwort auf Abweisung
des Rekurses angetragen.

Die Schuldbetreibungs und Konkurskammer zieht

in Erwägung:

1. --

2. H eimlich fortgeschafft im Sinne des Art. 284
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 284 - Wurden Gegenstände heimlich oder gewaltsam fortgeschafft, so können dieselben in den ersten zehn Tagen nach der Fortschaffung mit Hilfe der Polizeigewalt in die vermieteten oder verpachteten Räumlichkeiten zurückgebracht werden. Rechte gutgläubiger Dritter bleiben vorbehalten. Über streitige Fälle entscheidet der Richter.494
SchKG sind
Mietgegenstände dann, wenn ihre Fortschaffung hinter dem Rücken des
Mitgläubigers erfolgt ist, wenn also dieser nach der Sachlage sich darauf
verlassen durfte, dass sein Mietsehuldner sie im betreffenden Zeitpunkt
noch nicht aus den Mieträumlichkeiten entferne. Dabei kann dem Gläubiger
keine besondere Aufsicht über den Schuldner zugemutet werden, um einer
Wegsehafiung zuvorzukommen, vielmehr darf er von der Annahme ausgehen, der
Schuldner werde seinen Mietbesitz in guten Treuen ungefährdet lassen. Eine
heimliche Fortschritfung liegt also namentlich auch dann vor, wenn
der Schuldner sich sagen muss, dass er durch sein eigenes Verhalten
den Gläubiger in die Meinung versetzt habe, der Wegzug sei erst für
später zu gewärtigen. Mit einem solchen Falle hat man es hier zu tun:
Der Rekurrent hat sich, als ihm der Rekursbeklagte im Februar 1915 die
Wohnung kündigte, geweigert, diese Kündigung anzunehmen.'Nachdem es dann
nicht zu dem für den 20. April in Aussicht genommenen Auszug gekommen war,
hat der Rekurrent neuerdings darauf beharrt, in der Wohnung zu bleiben,
und sich weder durch die persönliche Aufforderung des Rekursbeklagten
davon abhal-

ten lassen, noch durch die zur Erwirkung der Ausweisung bei den Behörden
unternommenen Schritte. Endlichund Konkurskammer. N° 97. 435

musste der Rekurrent seinen Gläubiger noch dadurch in der Annahme
bestärken, es liege ihm bis auf weiteres eine Wegschaifung der
Mietgegenstände fern, dass er am 15. Juni seinerseits die Wohnung auf
einen "bedeutend spätern Termin, den 24. September kündigte und hiedurch
bedeutete, er werde noch bis dahin darin bleiben. Nach dem allem ist
das gesetzliche Merkmal der Heimlichkeit o

gegeben.

Demgegenüber kann der Rekurrent auch nicht mit seiner Behauptung
aufkommen, er habe im Vermittlungsvorstande vom 30. Juni erklärt, dass er
bis Ende Juli ausziehen werde. Die Vorinstanz hält dafür, diese Erklärung
sei nicht in verbindlicher Weise und für sich allein abgegeben werden,
sondern im Zusammenhang mit andern, als Bestandteil einer versuchten,
aber dann nicht zustande gekommenen Einigung über einen baldigen
Auszug. Auf Grund des ihr unterbreiteten Aktenmaterials (namentlich
des Leitscheines) gewürdigt, ist diese Annahme in tatsächlicher
Beziehung nicht aufechtbar. Sonach musste, nachdem der Einigungsversuch
gescheitert war, der Reknrshekiagte weiterhin des Glaubens sein, der
Rekurrent werde die Wohnung vor dem 24. September nicht räumen. Vor
Bundesgericht hat sich freilich der Rekurskläger für seine Behauptung,
er habe in unbedingterWeise als Auszugstermin Ende Juli angegeben, noch
auf zwei amtliche Bescheinigungen berufen. Diese Urkunden sind aber den
Vorinstanzen nicht vorgelegen und können daher nach Art. 80
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 284 - Wurden Gegenstände heimlich oder gewaltsam fortgeschafft, so können dieselben in den ersten zehn Tagen nach der Fortschaffung mit Hilfe der Polizeigewalt in die vermieteten oder verpachteten Räumlichkeiten zurückgebracht werden. Rechte gutgläubiger Dritter bleiben vorbehalten. Über streitige Fälle entscheidet der Richter.494
OG nicht mehr
als Beweismittel in Betracht kommen. Daran ändert auch die Behauptung
nichts, der Rekurrent sei von der kantonalen Aufsichtsbehörde nicht
zur Vernehmlassung eingeladen werden. Ob das hätte geschehen sollen,
ist zunächst eine Frage des kantonalen Beschwerdeveriahrens. Eine
Verletzung von Bundesrecht, im besondern eine Rechtsverweigerung,
wie sie der'Rekurrent behauptet, liegt hier schon deshalb nicht vor,
weil diese Beweismittel, wie unbestritten, schon bei der Einreichung
der Beschwerde, als zu deren Begründung

436 Entseheidg. der Schuldbetrelhrmgsn. Konkunkammer. N' 97 .
erforderlich, der ersten Instanz hätten unterbreitet wer-

den können. Uebrigens sind jene Bescheinigungen inhalt -

lich nicht geeignet, die Richtigkeit der fraglichen Behauptung des
Klägers darzutun. Die vom Vermittleramt

Altstätten ausgehende besagt Wiederum lediglich, dass _

der Kläger seine Erklärung betreffend den Auszug im Sinne eines
nicht angenommenen Vergleichsvorschlages gemacht habe. Laut der
vom Bezirksammann ausgestellten hätte sich der Rekurrent freilich im
Exmissionsverfahren geänssert, dass er sowieso auf Ende Juli ans-ziehen
werde. Allein es ist nicht ersichtlich, dass der Rekursgegner oder sein
Vertreter von dieser Erklärung Kenntnis erhielten und zudem enthalten
die Akten des Exmissionsveri'ahrens über eine solche Erklärung nichts. ·

Endlich kann der Rekurrent auch nicht mit seiner Behauptung durchdringen,
die Räumung der Wohnung habe sich unter den Augen des Personals der
Filiale Altstätten vollzogen. Die Bescheinigung der Filialleiterin,
die er zum Beweise vor Bundesgericht einlegte, lässt sich aus den schon
erwähnten prozessualen Gründen nicht berück-sichtigen. Auch diese
Urkunde wurde übrigens inhaltlich nichts beweisen, da kein Grund für
die Annahme vorliegt, dass es Sache des Personals gewesen sei, sich
um das Mietverhältnis zwischen ihrem Prinzipal und dem Bekurrenten zu
bekümmern. Die hlosse Kenntnis des Personals vom Wegzug aber tut nicht
dar, dass dieser dem Rekursbeklagten nicht verheimlicht worden sei.

Demnach hat die Schuldbetreibungs und Konkurskammer erkannt :

Der Rekurs wird abgewiesen.

Entscheidungen der Zlvllkammem. N° 98. 437

Entscheidungen der Zirilkammam. Arreda des sections civiles.

98. Urteil der II. Zivila'bteiluug vom ?. Oktober 1915
i. S. Konkursmasse Giger & Glarner, Klägerin, gegen Zwimerei Zwicky
A..-G., Beklagte. Simullerter Kaufvertrag zum Zwecke der Bestellung eine:
Mobiliarpfandrechts ohne Besitzübertragung (Erw. 1). Nach Art. 287 Ziff. 2
anfechtbare Uehemahme des vermeintlichen Piandes an Zahlungsstatt für
eine dem vermeintlichen Pfandgläuhiger zustehende Forderung (Erw. 3). Nach
derselben Gesetzesbestimmung anfechtbare Realisierung eines

möglicherweise bestehenden Pfand: oder Retentionsreches (Erw. 3).

A. Am 26. September 1910 kam zwischen den Garnhändlern Giger & Glarner
einerseits und der Beklagten andrerseits ein Lohnzwirnvertrag zustande,
gemäss welchem sich Giger &. Glarner verpflichteten, der Beklagten
ein bestimmtes Quantum Gespinnst zum Zwirnen zu übergeben und die
betreffenden Fakturen jeweilen monatlich zu reglieren. Am 13. Dezember
desselben Jahres ersuchten Giger & Glarner die Beklagte, einen ihr
zahlungshalber übergehenen Wechsel aus der Zirkulation zurückzuziehen. Am
29. Dezember ersuehten sie sie ferner, drei Wechsel von zusammen 12,000
Fr. doch ja nicht protestieren zu lassen, da ihnen dadurch ungeheure
Unannehmliehkeiten erwachsen könnten; (in der schlechtesten Zeit a sei
ihnen ein vorübergehender Bankkredit vcn 10,000 Fr. entzogen worden;
damit seien ihre Geldsorgen eben nicht kleiner ge-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 41 III 432
Datum : 28. Januar 1915
Publiziert : 31. Dezember 1915
Quelle : Bundesgericht
Status : 41 III 432
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : 482 Entscheidungen der sei-Wanst- 97. W vom 28. Bomber 1915 i. S. Basler. Begriff


Gesetzesregister
OG: 80
SchKG: 284
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 284 - Wurden Gegenstände heimlich oder gewaltsam fortgeschafft, so können dieselben in den ersten zehn Tagen nach der Fortschaffung mit Hilfe der Polizeigewalt in die vermieteten oder verpachteten Räumlichkeiten zurückgebracht werden. Rechte gutgläubiger Dritter bleiben vorbehalten. Über streitige Fälle entscheidet der Richter.494
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
bundesgericht • bescheinigung • beklagter • kenntnis • schuldner • betreibungsamt • beweismittel • vorinstanz • miete • entscheid • aufhebung • rechtsbegehren • begründung des entscheids • annahme des antrags • bewilligung oder genehmigung • angabe • kantonales rechtsmittel • räumung • verhalten • schaden
... Alle anzeigen