36. Entscheid vom 12. Mai 1915 i. S. Stamm.
Ist die Vollziehung des Entscheides einer Aufsichtsbehörde
durch das Betreibungsamt eine anfechtbare Verfügung im Sinne des
Art. 1
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 1 - 1 Das Gebiet jedes Kantons bildet für die Durchführung der Schuldbetreibungen und der Konkurse einen oder mehrere Kreise. |
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1 | Das Gebiet jedes Kantons bildet für die Durchführung der Schuldbetreibungen und der Konkurse einen oder mehrere Kreise. |
2 | Die Kantone bestimmen die Zahl und die Grösse dieser Kreise. |
3 | Ein Konkurskreis kann mehrere Betreibungskreise umfassen. |
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 98 - 1 Geld, Banknoten, Inhaberpapiere, Wechsel und andere indossable Papiere, Edelmetalle und andere Kostbarkeiten werden vom Betreibungsamt verwahrt.215 |
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1 | Geld, Banknoten, Inhaberpapiere, Wechsel und andere indossable Papiere, Edelmetalle und andere Kostbarkeiten werden vom Betreibungsamt verwahrt.215 |
2 | Andere bewegliche Sachen können einstweilen in den Händen des Schuldners oder eines dritten Besitzers gelassen werden gegen die Verpflichtung, dieselben jederzeit zur Verfügung zu halten. |
3 | Auch diese Sachen sind indessen in amtliche Verwahrung zu nehmen oder einem Dritten zur Verwahrung zu übergeben, wenn der Betreibungsbeamte es für angemessen erachtet oder der Gläubiger glaubhaft macht, dass dies zur Sicherung seiner durch die Pfändung begründeten Rechte geboten ist.216 |
4 | Die Besitznahme durch das Betreibungsamt ist auch dann zulässig, wenn ein Dritter Pfandrecht an der Sache hat. Gelangt dieselbe nicht zur Verwertung, so wird sie dem Pfandgläubiger zurückgegeben. |
Gegenstände auf blosses Begehren des Gläubigers ohne Rücksicht auf
dessen Beweggründe.
A. Am 17. Dezember 1914 ersuchtc der Rekurrent Dr. S. Strum in Bern
das Betreibungsamt Luzern, die für seine Betreibung N° 6953 gegen den
Rekursgegner Werner Bucher in Luzern gepfändeten Gegenstände in amtliche
Verwahrung zu nehmen.
B. Als das Betreibungsamt sich weigerte, dies zu tun, erhob der Rekurrent
am 18. Dezember 1914 Beschwerde bei der untern Aufsichtsbehörde mit dem
Begehren, das Amt sei anzuweisen, die verlangte Handlung zu vollziehen.
Ohne den Rekursgegner anzuhören, hiess die untere Aufsichtsbehörde
die Beschwerde durch Entscheid vom 25. Januar 1915 gut und wies
das Betreibungsamt an, dir gepfändeten Gegenstände amtlich zu
verwahren. Zugleich entschied sie noch über eine andere.Beschwerde
der-Reknrrenten. . _ J ss ,
Mit Schreiben vom13. Februar 1915 gab das Betreibungsamt dem Rekursgegner
vom Entscheide der untern
Aufsichtsbehörde Kenntnis und setzte die amtliche Ver-'
wahrung auf den 18. Februar an.
Am 16. Februar erhob darauf der Bekursgegner Beschwerde gegen diese
Verfügung bei der untern Aufsichtsbehörde, in dem er deren Aufhebung
beantragte. Er machte geltend, dass es sich lediglich um Schikane handle,
dass die amtliche Verwahrung nur'bei Gefährdung der Pfändungsrechte
zulässig sei, eine solche Gefährdung aber nicht bestehe. '
Die untere Aufsichtsbehörde trat auf die materielle Be-
urteilung dieser Beschwerde ein und wies sie am 16. März 1915 als
unbegründet ab.und Konkurskammer. N° 36. 187
Hiegegen rekurrierte der Rekursgegner am 25. März 1915 an die obere
Aufsichtsbehörde dse Kantons Luzern.
Der Rekurrent machte demgegenüber geltend, dass der Entscheid der untern
Aufsichtsbehörde vom 25. Januar rechtskräftig geworden sei und daher
auf den Rekurs nicht eingetreten werden könne. ,
Die ohere kantonale Aufsichtsbehörde hiess durch Entscheid vom 19. April
1915 den Rekurs gut und hob die Anordnung der amtlichen Verwahrung auf.
Sie führte aus : Die Einrede der Verspätung könne nicht gehört werden. Das
frühere Beschwerdeverfahren habe sich nur zwischen dem Rekurrenten
und dem Betreibungsamt abgespielt. Der Rekursgegner'sei daher nicht
in der Lage gewesen, zum ersten Entscheide der untern Aufsichtsbehörde
über die amtliche Verwahrung Stellung zu nehmen. Der Rekur-Q sei sodann
begründet. Der Zweck der amtlichen Verwahrung sei die Verhinderung einer
Beseitigung oder Entwertung der PÎàndungsgegenstànde. Wenn daher der
Gläubiger die Verwahrung verlange, obwohl seine Rechte nicht gefährdet
seien, so liege ein Rechtsmissbrauch vor, der nach Art. 2 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
des Rechtsschutzes nicht würdig sei. Das ganze Verhalten
des Schuldners und seine soziale Stellung liessen nun die
Gefahr einer Beseitigung der gepfändeten Gegenstände als ausgeschlossen
erscheinen; zudem habe das Betreibungsamt sich bereit erklärt, alle
Verantwortlichkeit hinsichtlich Bestand und Deckung der Ptändungs-Objekte
dem Gläubiger gegenüber auf sich zu nehmen. Das Vorgehen des Rekurrenten
gebe der Vermutung Raum, er habe lediglich einen unerlaubten Druck auf
den Rekursgegner ausüben wollen.
C. Diesen ihm am 28. April 1915 zugestellten Entscheid hat der Rekurrent
am 8. Mai 1915 rechtzeitig unter Erneuerung seines Begehrens an das
Bundesgericht weitergezogen. Er hält an der Einrede der beurteilten Sache
fest und führt ausserdem aus : Das Betreibungsamt habe die Zweckmässigkeit
der amtlichen Verwahrung nicht zu
188 Entscheidungen deiSchuldbetreibungs-
untersuchen. Der Gläubiger habe ein Recht, die Vornahme dieser Massregel
nach seinemBelieben zu verlangen. Dieses Recht könne durch Bürgschaft
nicht beseitigt werden. Artikel 2 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
Bestimmung und beziehe sich nicht auf die Zwangsvollstreckung. Der
Rekurrent habe übrigens keineswegs durch sein Begehren den Rekursgegner
zwingen wollen, sofort seine ganze Schuld zu bezahlen. Da der Rekursgegner
einen Aufschub der Verwertung verlangt habe, könne die Überlassung der
Gegenstände für den Rekurrenten gefährlich werden.
Die Schuldbetreibungs und Konkurskammer zieht i n E r w ä g n n g :
1. Die kantonalen Instanzen hätten auf die Beschwerde des Rekursgegners
vom 16. Februar 1915 nicht eintreten sollen. Die Anordnung des
Betreibungsamtes über die amtliche Verwahrung der gepfändeten Gegenstände
vom 13. Februar 1915 ist, abgesehen von der Festsetzung des Zeitpunktes
der Verwahrung, nur die unselbständige Vollziehung des Entscheides
der unteren Aufsichtsbehörde vom 25. Januar 1915 und daher keine
neue anfechtbare Verfügung des Betreibungsamtes im Sinne des Art. 17
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 17 - 1 Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25 |
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1 | Mit Ausnahme der Fälle, in denen dieses Gesetz den Weg der gerichtlichen Klage vorschreibt, kann gegen jede Verfügung eines Betreibungs- oder eines Konkursamtes bei der Aufsichtsbehörde wegen Gesetzesverletzung oder Unangemessenheit Beschwerde geführt werden.25 |
2 | Die Beschwerde muss binnen zehn Tagen seit dem Tage, an welchem der Beschwerdeführer von der Verfügung Kenntnis erhalten hat, angebracht werden. |
3 | Wegen Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung kann jederzeit Beschwerde geführt werden. |
4 | Das Amt kann bis zu seiner Vernehmlassung die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung ziehen. Trifft es eine neue Verfügung, so eröffnet es sie unverzüglich den Parteien und setzt die Aufsichtsbehörde in Kenntnis.26 |
SchKG. Die Beschwerde des Rekursgegners hätte sich vielmehr gegen den
Entscheid der untern Aufsichtsbehörde vom 25. Januar, von dem ihm das
Betreibungsamt am 13.aFebruar Kenntnis gegeben hat, richten sollen. Da
dieser Entscheid von ihm nicht bei der obern kantonalen Aufsichtsbehörde
angefochten worden ist, ist er in Beziehung auf die amtliche Verwahrung
rechtskräftig geworden. Daran könnte auch die Tatsache nichts ändern,
dass die untere Aufsichtsbehörde auf die materielle Beurteilung der
neuen Beschwerde wieder eingetreten ist.
2. Die Weigerung des Betreibungsamtes, die amtliche Verwahrung
vorzunehmen, war aber auch entgegen der Auffassung der Vorinstanz sachlich
ungerechtfertigt Der Gläubiger hat unter allen Umständen nach der un--und
Konkurskammer. N° 36. 189
zweideutigen Bestimmung des Art. 98
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 98 - 1 Geld, Banknoten, Inhaberpapiere, Wechsel und andere indossable Papiere, Edelmetalle und andere Kostbarkeiten werden vom Betreibungsamt verwahrt.215 |
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1 | Geld, Banknoten, Inhaberpapiere, Wechsel und andere indossable Papiere, Edelmetalle und andere Kostbarkeiten werden vom Betreibungsamt verwahrt.215 |
2 | Andere bewegliche Sachen können einstweilen in den Händen des Schuldners oder eines dritten Besitzers gelassen werden gegen die Verpflichtung, dieselben jederzeit zur Verfügung zu halten. |
3 | Auch diese Sachen sind indessen in amtliche Verwahrung zu nehmen oder einem Dritten zur Verwahrung zu übergeben, wenn der Betreibungsbeamte es für angemessen erachtet oder der Gläubiger glaubhaft macht, dass dies zur Sicherung seiner durch die Pfändung begründeten Rechte geboten ist.216 |
4 | Die Besitznahme durch das Betreibungsamt ist auch dann zulässig, wenn ein Dritter Pfandrecht an der Sache hat. Gelangt dieselbe nicht zur Verwertung, so wird sie dem Pfandgläubiger zurückgegeben. |
geknüpftes Recht, zu verlangen, dass die im Besitze des Schuldners
befindlichen gepfändeten Gegenstände in amtliche Verwahrung genommen
werden. Das Gesetz lässt den Gewahrsam des Schuldners an diesen Sachen
nur unter derVoraussetzung, dass das Betreibungsamt u n d der Gläubiger
dem Schuldner Vertrauen schenken, einstweilen weiterbestehen sobald
daher der Gläubiger dem Schuldner sein Vertrauen entzieht und die
amtliche Verwahrung verlangt, muss dem Begehren Folge gegeben werden,
ohne Rücksicht darauf, w e l c h e Motive das Verhalten des Gläubigers
bestimmen. Artikel 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
finden. Diese Bestimmung bezieht sich auf den Missbrauch eines materiellen
Rechts ; sie kann die Geltendmachung prozessund betreibungsrechtlicher
Ansprüche nicht verhindern, wie das Bundesgericht bereits im Entscheide in
Sachen Zumthor vom 6. Mai 1914 (BGE 40 III N° 27 Erw. 4) ausgeführt hat.
Demnach hat die Schuldbetreibungs und Konkurskammer erkannt:
Der Rekurs wird gutgeheissen und der Entscheid der untern Aufsichtsbehörde
vom 25. Januar 1915 in Beziehung auf die amtliche Verwahrung der
gepfändeten Gegenstände als rechtskräftig erklärt.