702 Obligationenrecht. N° 91.

lung als Direktor einer Bewachungsgesellschalt zutrauen. Anderseits
war freilich die Voraussehbarkeit der Gefahr Wieder insofern gemindert,
als nicht wohl erwartet werden konnte, dass sich nun unmittelbar hinter
der Türe schon eine Absturzstelle befinde, da das Gegenteil auch nicht
etwa durch irgend welche Schutzvorrichtungen bei der Türe erkenntlich
war. Sodann ist zu berücksichtigen, dass es Ebert eilig haben mochte,
seinem Angestellten zu Hülfe zu kommen und dass er sich deshalb in einer
gewissen, die ruhige Ueberlegung zurückdrängenden Erregung befand. Dagegen
kann dieser Umstand nicht, wie heute geltend gemacht wurde, dazu führen,
den Schaden deshalb ausschliesslich durch die Beklagte tragen zulassen,
weil Ebert in Erfüllung einer allgemeinen Menschenpflicht gehandelt
habe. Das ändert an sich nichts an der Cnvor-sichtigkeit seiner
Handlungsweisc und der ihr entsprechenden Minderung der gegnerischen
Ersatzpflieht. Wägt man nun das beiderseitige Verschulden gegen einander
ab, so darf es als ungefähr gleichbedeutend betrachtet werden und man
kommt damit zur Bestätigung des die Beklagte für die Hälfte des Schadens
haftbar erklärenden Urteils.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Beide Berufungen werden abgewiesen und das angefochtene Urteil der
II. Appellationskammer des Zürcherisehen Obergerichts vom 9..luli 1915
wird in allen Teilen bestätigt.Obligationenrecht. N° 92. 703

92. Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. November 1915 i. S. Messerii,
Beklagter, gegen Josef Brunner und Konsorten, Kläger.

T o d eines Familienangehörigen durch erstickende Gase bei Ben
ützung einer unfertigen Badeeinricht u n g. Schadenersatzkiage gegen
den Vermieter auf Grund der Art. 50 und 67 und der mietrcchtlichen
Bestimmungen des a O R. Konkurrenzvorhältnis dieser Normen. Der Art. 6
7 trifit auch auf ein noch unterti ges Werk zu, das seiner Bestimmung
übergeben ist. Er setzt kein V e r s c h nl d e n des Eigentümers voraus.
Schadensbemessung.

1. Am 17. Mai 1910 hat der Kläger Josef Brunner mit seiner Familie
auf Grund eines Mietvertrages, den er mit dem Beklagten, Baumeister
Messerli, als Eigentümer des Hauses Nr. 528 an der Steifisburgerstrasse
in Thun abgeschlossen hatte, das Erdgeschoss und den ersten Stock
dieses neuer-stellten Hauses bezogen. Im ersten Stock befand sich
ein Badezimmer. Beim Einzug des Mieters fehlte aber am Gasolen
der Badeeinrichtung noch das Abzngsrohr zur Aufnahme und Abführung
der Verbrennungsgase; es war bestellt, aber vom Spengler noch nicht
geliefert. Die Installationsarbeiten der Badezimmereinrichlung hatte
das Lichtund Wasserwerk Thun durch seinen Monteur Jakob Hari besorgt,
Als dieser den Gasofen probierte, erklärte er der Familie Brunner die
Gaseinrichtung und machte sie darauf ausmerksam, dass noch das Abzugsrohr
fehle. weshalb man beim Baden das Fenster öffnen müsse. Am 21. Mai 1910
nahmen die beiden minderjährigen Knaben Brunners ein Bad, ohne dass etwas
vorgefallen Wäre. Am 22. Mai morgens 71/5 Uhr begab sich die Tochter Anna
Brunner (geb. den 23. April 1883) zum Baden. Als sie um 8 1/1 Uhr den Raum
noch nicht verlassen hatte, klopfte ihre Mutter an die Türe, erhielt aber
keine Antwort. Die Türe wurde dann gewaltsam geöffnet, worauf man Anna

704 Obligationenrecht. N ° 92.

Brunner leblos im Badkasten fand. Nach vorinstanzlicher Feststellung ist
der Tod dadurch eingetreten, dass sich infolge mangelhafter Ventilation
des Badraumes, die in erster Linie durch das Fehlen eines Abzugrohres
bedingt gewesen sei, die Luft darin (durch Ansammlung giftiger Gase)
in lebensgefährlicher Weise verändert habe.

Im vorliegenden Prozesse haben nunmehr der Vater der Verunglückten, ihre
Mutter und ihre zwei minderjährigen Brüder, Oskar und Walter Brunner,
gegen den Hauseigentümer Messerli Klage erhoben mit dem Begehren, dieser
habe ihnen eine angemessene, gerichtlich festzusetzende Entschädigung zu
bezahlen mit Zins zu 5 % seit dem 28. April 1911 (Anhebung derBetreibung).
Die Klage wird begründet als eine solche auf Ersatz des Vermögensschadens,
der den Kläger-u durch den Tod der Anna Brunner, der Stütze ihrer
Eltern und Geschwister, entstanden sei. . . ln rechtlicher Beziehung
werden die Art. 50 und 67 aOR und die Bestimmungen des aOR über den
Mietvertrag angerufen.

Die Vorinstanz hat die Klage grundsätzlich geschützt und den Eltern
Brunner je 1500 Fr., dem Sohn Oskar 1000 Fr. und dem Sohn Walter 500
Fr. zugesprochenIn der Bei'ui'ungsinstanz verlangt nunmehr der Beklagte
gänzliche Abweisung der Klage.

2. Zu prüfen ist vor allem, ob der Art. 67 a O R auf den gegebenen
Tatbestand zutrell'e. Denn ist dies der Fall, so können die
Ersatzanspriiche, die den Klage-m daneben noch aus Art. 50 und den
mietrechtlic h e 11 Bestimmungen zustehen mögen, hinsichtlich des
Umfanges der Schadenersatzpflicht jedenfalls nicht weitergehen, als
jener aus Art. 67. Und anderseits hat der letztere nicht, wie die beiden
andern, ein Verschulden des Beklagten zur Voraussetzung. (vgl. z. B. BGE
35 II S. 243, 36 II S. 190). Sobald also ein solches Verschulden nicht
nachweisbar ist, vermag sich die Klage allein auf den Art. 67 zu stützen,
und mit der Anwendbarkeit dieses Artikels fällt ferner die sonst zu
prüfende und nach derObllgationenrecht. N° 92. 705

Aktenlage zweifelhafte Frage dahin, inwiefern der Beklagte schuldhaft
gehandelt habe.

3. Wie nicht bestritten, ist der Beklagte Eigen tümer des Hauses und
der darin eingebauten Badeeinrichtung, bei deren Benutzung der Unfall
sich ereignet hat. Sodann ,stellt diese Einrichtung ein Werk im
Sinne des Art. 67 dar (vgl. den zitierten Entscheid "in BGE 38 II, auf
S. 190). Ferner hat dieses Werk den Schaden v e ru rs a c ht : Der Tod
der Anna Brunner ist durch das Einatmen der Verbrennungsgase, die sich
beim Gebrauche der Badeinrichtung bildeten, herbeigeführt worden. Die
Vorinstanz stellt das auf Grund der eingehalten Gutachten, besonders der
ärztlichen, fest und an der Verbindlichkeit dieser Feststellung für das
Bundesgericht ändert nichts, dass nach den Ausführungen der medizinischen
Sachverständigen für die angenommene Todesursache nur eine grosse
Wahrscheinlichkeit besteht, nicht aber völlige Gewissheit, da solche nur
durch eine Sektion der Leiche hätte geschaffen werden können (vgl. BGE
41 II S. 241). Uebrigens hat heute der Beklagte den Kausalzusammenhang
zwischen der durch das Fehlen des Abzugrohrs bewirkten Bildung von
erstickenden Gasen und dem Tode der Anna Brunner nicht mehr bestritten.

Damit fragt es sich noch, ob das Fehlen des _Abzugrehres als W e rks
m a n g el im gesetzlichen Sinne gelten müsse. Die Vorinstanz verneint
dies mit der Begründung, man könne von einer e mangelhaften Unterhaltung
oder fehlerhaften Anlage nur sprechen, wenn das Werk fertig erstellt
und alsdann nach seiner Anlage und Unterhaltung nicht so beschaffen
sei, dass eine zweckentsprechende Benutzung ohne Schadensgefahr möglich
Wäre. Dieser Auffassung lässt sich nicht beistimmen; vielmehr muss in der
Regel auch ein unfertiges Werk dann als im Sinne von Art. 67 ungenügend
gelten, wenn es seiner ordentlichen Bestimmung übergeben ist und seine
Eigenschaft der Unfertigkeit eine ihm sonst nicht

796 Obligaüonenrecht. N° 92.

eigentümliche Gefährdung Dritter in sich schliesst. Der gesetzliche
Grund, den Personen, die durch die Einwirkung des Werkes Schaden
erleiden, dafür Ersatz zu gewähren, besteht hier in gleicher Weise:
Dem Eigentümer ist zum Schutze Dritter sowohl zuzumuten, dass er nicht
durch Unvollständigkeit, als dass er nicht durch F ehlerhaftigkeit
oder mangelhaften Unterhalt des Werkes Gefahren für Dritte schaffe
und belasse. Der nämliche Geiahrszustand kann denn auch vielfach je
nach den Umständen bald als eine Unkertigkejt des Werkes oder bald
als Mangelhaftigkeit des fertiggestellten Werkes erscheinen ; so wäre
z. B. in einem Falle wie hier möglich, dass das Abzugsrohr nach seiner
Anbringung infolge Vernachlässigung der Einrichtung sich vom Ofen loslöste
und dass damit eine der Unfertigkeit ganz gleiche Gefährlichkeit des
Werkes geschaffen Würde. Mit Unrecht beruft sich die Vorinstanz. für ihre
Ansicht auf den Entscheid des Bundesgerichts in Sachen Baumgartner gegen
Straub (BGE 38 II S. 73 Erw. 2). Darin wird lediglich ausgesprochen,
dass sich der Art. 67 aOR nicht auf die besonderen Gefahren beziehe,
die durch den Reparatur-oder Umbauzustand des Werkes begründet werden
und also nicht seiner bisherigen gewöhnlichen Beschaffenheit entspringen
(im gleichen Sinne wiederum Entscheid i. S. Ebert gegen Jelmoli vom 12,
November 1915, 4211, No. 91). Den Eigentümer für solche Gefahren von
der strengen Haftung des Art. 67 auszunehmen, rechtfertigt sich wegen
ihrer ansnahmsweisen Natur und ihrer vorübergehenden Dauer und weil
das im Reparaturoder Umbauzustand befindliche Werk seinem ordentlichen
Zwecke entzogen und ein derartiger Zustand für den Dritten regelmässig
äusserlich erkennbar ist, so dass dieser mit den besondern Gefährdungen
eher rechnen muss, als bei dem im Gebrauche stehenden Werke. Hier hat
sich übrigens der Unfall nicht während eines Umbaues oder der Reparatur
der Badezimmereinrichtnng, sondern unmittelbar vor ihrer endgültigen
Fertigstellung ereignet. Mag nun auchObligalionenrecht. N° 92. 7%)?

dieser Fall dem andern an sich gleich zu stellen sein, so kami" doch jene
einschränkende Auslegung des Art. 67, entsprechend dem Gesagten, hier
deshalb nicht Platz greifen, weil das Werk zur Zeit des Unfalls seiner
Bestimmung bereits übergeben war und der Unfall sich denn auch bei seinem
bestimmungsgemässen Gebrauche ereignete. Nachdem die Badeeinrichtung bis
auf das fehlende Abzugsrohr fertiggestellt war, hat der Monteur Hari
vom städtischen Elektrizitätswerk sie geprüft, sie dein Vater Brunner
und seinen Angehörigen expliziert und dabei als statthaft zugelassen,
dass man sie schon vor der Anbringung des Abzugrohres gehrauche, sofern
bestimmte Sicherheitsmassnahmen beobachtet würden. Der Beklagte hat auch
nicht etwa behauptet, es sei dies gegen seinen Yillen geschehen. vielmehr
sich im Stratprozess dahin ausgesprochen, dass er am 11. Mai,. als
er den Klägern die gemietete Wohnung zeigte, zwar auf das Fehlen des
Abzugrohres hingewiesen, aber die sofortige Benützung der Badeeinrichtung
nicht verboten habe. Auch im jetzigen Zivilprozesse hat er der Familie
Brunner aus dem Gebrauche der Einrichtung keine Vorwürfe gemacht, sondern
Sich auf den Standpunkt gestellt, deren Mitglieder seien intelligent
genug und hinreichend über die Einrichtung orientiert gewesen, um einen
Unfall vermeiden zu können. Nach dem allem muss er gegen sich gelten
lassen, dass man es mit einem zwar noch untertigen, aber bereits dem
ordentlichen Gebrauch übergebenen und deshalb wegen seiner Unfertigkeit
mangel-haften Werke im Sinne des Art. 67 zu tun habe, womit natürlich
seinen allfälligen Regressansprüchen, namentlich was den durch Art. 67
selbst vorgesehenen Rückgriff anlangt, nicht vorgegriffen wird.

4. In Hinsicht auf die H öhe des Schadens führt die Vorinstanz des
nähern aus: Die Verunglückte habe als Angestellte in einem Anwallsbürcan
einen Jahresverdienst von 1900 Fr. gehabt, der sich demnächst auf 2000
Fr. erhöht hätte. Daraus habe sie ihre Familie in

708 Obligationenrecht. ,N° 92.

weitgehendem Masse unterstützt und diese habe auch nachhaltiger
Unterstützung bedurft, da ihre Vermögenslage seit dem sifsir ihrern
Konkurse des Familienhaupt-es eine prekäre gewesen sei. Es sei anzunehmen,
dass die Tochter Anna künftig dem Vater und der Mutter je 200 Fr. und
den beiden Brüdern je 100 Fr. zugewendet hätte. Damit komme man für den
Vater (geb. 1858) und die Mutter (geb. 1859) zu einem Rentenkapital von
je 2740 Fr., für den Knaben Walter (geb. 1903), der bis zum vollendeten
18. Altersj ahre unterstützungsberechtigt gewesen wäre, zu einem solchen
von 900 Fr. und für den Knaben Oskar (geb. 1899), der wegen körperlicher
und geistiger Gebrechen niemals erwerbsiähig sein werde und daher in
höherm Masse Ansprüche auf Unterstützung gehabt hätte, zu einem solchen
von 2000 Fr.

In allen diesen Punkten lässt sich ohne weiteres auf die zutreffende
Würdigung der Verhältnisse im kantonalen Urteil abstellen.

·5. Die erwähnten Kapitalbeträge werden nun aber von der Vorinstanz
wesentlich, um durchschnittlich etwa 50 %, herabgesetzt, nämlich bei
den Eltern auf je 1500 Fr., beim Knaben Walter auf 500 Fr. und beim
Knaben Oskar auf 1000 Fr. Als Gründe für diese Herabsetzung fîihrt die
Vorinstanz an,: Das Verschulden, das nach ihrer Auffassung dem Beklagten
zur Last fällt, sei kein schweres; möglicherweise hätte sich später Anna
Brunner verheiratet und alsdann an ihre Familie weniger leisten können;
es seien noch vier erwerbsfähige Geschwister da, denen ebenfalls zur
Unterstützung der Familie Leistungen zugemutet werden dürfen und endlich
hätte Anna Brunner im Falle gänzlicher Verarmung der Familie nur noch
zu bescheidenern Unterstützungsbeitragen angehalten werden können.

Für das Bundesgericht fragt es sich, nachdem die: Kläger das kantonale
Urteil nicht angefochten haben, lediglich, 01) die Vorinstanz mit ihrer
Herabsetzung zu wenig weit gegangen sei.v Das ist aber zu verneinen-

Obligationenredit. N° 92. 709

Freilich kommt den beiden Gründen, die für eine tiefere Bemessung des
erlittenen Schadens geltend gemacht wurden, nämlich der Möglichkeit
einer spätern Verheiratung der Verunglückten und dem Vorhandensein
anderer unterstützungsfähiger,Geschwister, bedeutendes Gewicht zu. Aber
die Vorinstanz verkennt das nicht. Und anderseits fällt einer der für
die Beschränkung der Ersatzpflicht angeführten Gründe, dass nämlich den
Beldagten kein schweres Verschulden treffe, was die Vorinstanz nach ihrer
Angabe zu einem erheblichen Abstrieh veranlasste , ausser Betracht, da
der Beklagte nach Art. 67 haftet. Wollte man endlich auch, im Gegensatz
zur Vorinstanz. annehmen, der Umstand, dass die Verunglückte und ihre
Angehörigen über die bestehende Gefahr in gewissem Umfange aufgeklärt
waren, rechtfertige es, sie den Schaden in etwivelchem Masse mittragen zu
lassen, so stände dem eben doch der Wegfall jenes andern Minderungsgrundes
gegenüber und es müsste auch so die vorinstanzliche Herabsetzung um rund
50% als weit genug gegriffen gelten. 6. . . . .

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Die Berufung wird abgewiesen
und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern vom 29. Juni
1915 bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 41 II 703
Datum : 01. Januar 1914
Publiziert : 31. Dezember 1915
Quelle : Bundesgericht
Status : 41 II 703
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 702 Obligationenrecht. N° 91. lung als Direktor einer Bewachungsgesellschalt zutrauen.


BGE Register
38-II-72
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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