316 Prozessrecht. N° 38.

38. Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. Mai 1915 i. S. Schreiber, Kläger,
gegen Gemeinde Sahara-ns, Beklagte.

Klage eines Privaten gegen eine Gemeinde auf Schadenersatz wegen
Nichterfüllung eines Kaufvertrages um Holz und eventuell aus
ungerechtfertigter Bereicherung. Kompetenz des Bundesgerichts ?

A. Der Gemeindevorsteher von scharans pflog im Herbst 1910 eine
Unterhandlung mit dem Berufungskläger Schreiber, wobei dieser sich
zum Ankauf von durch Schneedrnek und Windwurk im Walde salvorta
niedergelegtem Holz bereit erklärte, wenn ihm, ausser dem Schadenholz,
gleichzeitig eine Partie noch stehendes Holz verkauft werde. Das
Vindwurfund Schneedruckholz mass 135,75 m3 an Bauund 40 Ins an Brennholz.

Das Ergebnis der weiteren Verhandlungen ist im Protokoll der
Waldkommission von Scharans vom 28. August 1911 wie folgt niedergelegt :
Herr Schreiber stellt folgende Offerte : für das bereits aufgerüstete
Holz 8 Fr. 50 Cts. per m3 und für das noch zu zeichnende Holz, ca. 300
mi'-, 6 Fr. per mi. Das Holz würde durch Drahtseil zu Tal befördert. Das
sich ergebende Brennholz ver bleibt der Gemeinde und steht ihr zu dessen
Transport das Seil gratis zur Verfügung, oder der Käufer besorgt
den Transport zum Selbstkostenpreis. . . Vorstand und Kommission
beschliessen, den Handel zu genannten Bedingungen abzuschliessen.

Allein die Gemeindeversammlung vom 28. Mai 1912 versagte dem-Vertrag
hinsichtlich der 300 m3 noch zu bezeichnenden Holzes die Genehmigung ;
dagegen gestattete sie den Aushieb für die Seilanlage. Der Berufungskläger
erstellte diese und begann den Transport des Windwurfund Schneedruckholzes
sowie des Brennholzes der Gemeinde. Er ersuchte die Gemeindeorgane

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um Mitteilung, ob er ferner die 300 In3 stehendes Holz laut Vertrag vom
28. August 1911 fällen dürfe und da ihm dies verweigert wurde, erhob
er die gegenwärtige Klage, indem er wegen Nichterfüllung des Vertrages
Schadenersatz im Betrage von 4500 Fr. forderte; eventuell verlangte er
die ungerechtiertigte Bereicherung zurück, welche die Gemeinde Scharans
ohne Abgabe-der 300 m3 erfahren habe, mit der Begründung, dass die kleine
Partie Windwurfholz die Kosten einer Drahtseilanlage nicht ertragen hätte
und ein anderer Transport viel teurer gewesen wäre als das Holz selbst,
ausserdem habe die Gemeinde das Seil unentgeltlich für den Transport
des Brennholzes benutzt.

B. Das Bezirksgericht Heinzenberg verurteilte die Gemeinde zur Bezahlung
von 1900 Fr. an den Kläger. Beide Parteien appellierten, wobei der Kläger
die ungereehtiertigte Bereicherung, deren Rückerstattung er von der
Gemeinde verlangt, auf 1233 Fr. 88 Cts. bezifferte. Das Kantonsgericht
von Graubünden erkannte mit Urteil vom 13. Januar 1915 :

Die Gemeinde Scharans ist verpflichtet, an den Kläger den Betrag von
758 Fr. 75 Cts. samt Zins hievon zu 5% ab 17. April 1913 zu bezahlen.

C. Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig die Berufung an das
Bundesgericht erklärt; er beantragt Abänderung im Sinne der Rechtsbegehren
vor 1. und 2. Instanz.

Dabei bemerkt er : Sollte die Berufung zulässig sein, wenn das
Rechtsbegehren im Sinne der beiliegenden Rechtsschrift reduziert wird
(was wir annehmen, da der Streitwert nach Massgabe des vor Kantonsgerieht
noch streitigen Rechtsbegehrens über 2000 Fr. betrug), so können wir
das prinzipaliter gestellte Petitum fallen lassen und durch das in der
Rechtsschrift enthaltene ersetzen.

In dieser Rechtsschrift wird der Antrag gestellt und

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begründet : Die Gemeinde Scharans sei zu verpflichten, dem Kläger den
Betrag von 1233 Fr. 88 Cts. samt 5% Zins ab 17. April 1913 zu bezahlen.

D. Die Bernkungsbekiagte hat mit Eingabe vom 23. März 1915 die
nachträgliche Reduktion des Kiagebegehrens als unzulässig erklärt.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. ' Es fragt sich, ob der gesetzliche Streitwert gegeben sei. Daiür ist
unerheblich, ob die Klage in der bundesgerichtlichen Instanz reduziert
worden sei, und es braucht daher auf die Frage, ob die eventuell erklärte
Reduktion zulässig und wie sie überhaupt gemeint sei, nicht eingetreten
zu werden.

Massgehend ist der Streitwert in Ansehung der Rechtsbegehren, wie
sie vor der letzten kantonalen Instanz noch streitig waren (Art. 59
Abs. 1 OG). Dabei versteht es sich aber von selbst, dass nur diejenigen
Rechtshegehren in Betracht fallen, hinsichtlich deren die s a c h li c
h e ' Kompetenz des Bundesgerichts gegeben ist.

2. Das trifft nun bei der Klage auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung des
Kaufvertrages nicht zu. Denn die Vorinstanz hat diese Klage aus einem vom
kantonalen öffentlichen Recht beherrschten Standpunkt abgewiesen ; sie
hat erkannt, dass das Gemeindeorgan, welches den Vertrag mit dem Kläger
abschloss, nach der Gemeindeordnung sowohl, als nach der staatsrechtlichen
Stellung der Gemeinde gegenüber der Kantonsregierung als Aufsichtsbehörde
nicht kompetent gewesen sei, den Vertrag endgültig abzuschliessen,
sondern dass die Genehmigung nicht nur der Gemeindeversammlnng, sondern
auch des Kleinen Rates notwendig gewesen wäre. Diese Entscheidung ist
ausschliesslich vom kantonalen öffentlichen Recht beherrscht und kann
daher auf dem Wege der Berufung nicht abgeändert werden.

Der bundesgerichtlichen Kognition, ratione maieriae,

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untersteht die Klage nur insoweit, als sie auf ungerechtfertigte
Bereicherung gegründet wird. Denn von diesem Gesichtspunkt aus spielen
die Handlungsfähigkeit der Gemeinde und die Vertretungsbefugnis
der Gemeinde-organe keine Rolle. Es handelt sich bei der Klage aus
ungerechtfertigter Bereicherung um eine Verpflichtung, die zwar einer
öffentlich-rechtlichen Korporation gegenüber geltend gemacht wird,'aber
durchaus auf zivilrechtlicher Grundlage beruht, und für deren Entstehung
weder die öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Disposition von
Waldgut noch diejenigen über die Vertretung der Gemeinde in Betracht
fallen.

3. Soweit aber dielclage auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützt wird,
erfüllt sie den gesetzlichen Minimalstreitwert von 2000 Fr. nicht. Nach
ihrer Begründung besteht die Bereicherung höchstens in dem Werte des
Windwurfund Schneedmckholzes, das auf 135,75 m3 angegeben wird, und in
den Kosten des Transportes der 40 mg Brennholz der Gemeinde durch den
Kläger. Da nun der Kaufpreis für die 135,75 InZ 8 Fr. 50 Cts. per m3 und
die Transportkosten für das Brennholz nach den eigenen Angaben des Klägers
80 Fr. betrugen, ergibt sich ohne weiteres, dass der Bereicherungsklage
kein höherer Streitwert beigemessen werden kann, als derjenige von 1233
Fr. 88 cts., der aus dem eventuellen Berufungsantrag hervorgeht.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Auf die Berufung wird nicht eingetreten.

AS 41 ll 1915 21
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 41 II 316
Datum : 08. Mai 1915
Publiziert : 31. Dezember 1915
Quelle : Bundesgericht
Status : 41 II 316
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 316 Prozessrecht. N° 38. 38. Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. Mai 1915 i. S.


Gesetzesregister
OG: 59
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