340 _ ., Expropriationsrecht. N° 49.

B. EXPROPBIATIONSRECHT EXPROPRIATION

49. Urteil vom 28. Oktober 1915 1. S. Eberle gegen Verwaltung der
Schweiz. Bundesbahnen.

Anspruch aus Art. 4-7 Ex prG : Zulässigkeit der Rückforderung nur eines
Teils der enteigneten Rechte. Nichtanwendbarkeit der Bestimmung auf ein
Recht, das gemäss

Art. 5 ExprG in die Expropriationein bezogen werden durfte.

A . Zum Zwecke der Erweiterung der Station St. Fiden expropriierte die
Verwaltung der Schweiz. Bundesbahnen gemäss Expropriationsplan vom
13. März 1908 ein Grundstück des Klägers Josef Eberle in Tablat von
zirka 1110 m2 Fläche (Expropriationsparzelle N° 23), das den südlichen
Abschnitt einer grösseren Gesamthegeuschaft des Expropriaten bildete
und ein Hauptwohnhaus nebst einem

Hinten-hause und einem schopfartigen Gebäude trug. Sie .

bezahlten hiefür den von der Eidg. Schätzungskommission des Kreises XX
durch Entscheid mit Zustellungsdatum vom 25. Juli 1908 festgesetzten
Preis von 38,200 Fr. Dieser war als Mittel zwischen dem Anlagewert
bestehend aus 20,350 Fr. Gebäudewert (wovon 19,800 Fr. auf das
Hauptwohnhaus entfallen) und 13,440 Fr. Bodenwert (à 12 Fr. per mz)
-und dem Rentabilitätswert bestimmt. Das expropriierte Grundstück wurde
nach Abtragung der Gebäulichkeiten in seinem südlichen Teile piangemäss
für den Güterverladeplatz der Station und für den ihm entlang geführten
unterirdischen Kanal der Steinach mit der über dem Kanalgewölbe neu ange-

Expropriationsrecht. N° 49. 341

legten Bachstrasse verwendet. An diese letztere wurde so-ss dann
im westlichen Teil des Grundstücke-zufolge einer Vereinbarung der
Bahnverwaltung mit der politischen

. Gemeinde Tablat, der Ansatz zu einer projektierten neuen

Gemeindestrasse, der Grindackerstrasse, annähernd rechtwinklig
angeschlossen. Endlich wurde der nordöstlich dieses Winkels der
beiden Strassen verbleibende baldige Grundstückrest von 496 m2
(wovon 173 m2 bisher überbaut) durch Ablagerung von Aushubmaterial der
Bahnum-bauarbeiten, das seine frühere Oberfläche grösstenteils bedeckt,
à niveau der neuen Bachstrasse verebnet und in diesem Zustande vorläufig
belassen.

B. Am 4. Februar 1913 hat'Josef Eberle beim Bundesgericht gestützt
auf Art. 47 ExprG Klage erhoben mit dem Begehren, die Verwaltung der
SBB, eventuell die Gemeinde Tablet , seien pflichtig zu erklären,
den nicht in Anspruch genommenen Teil der Exprepriationsparzelle
23 gegen Rückerstattung der dafür bezahlten Entschädigung von 12
Fr. per m2 zurückzugeben. In der Replik hat er jedoch die eventuelle
Belangung der Gemeinde T ablat fallen gelassen, so dass endgültig nur die
Bundesbahnverwaltung als beklagte Partei beteiligt ist. Das Klagebegehren
bezieht sich, wie an der Augenscheinsverhandlung klargestellt worden ist.
auf den erwähnten Nordost-Teil des Grundstücks von 496 m2 Fläche. Zur
Begründung hat der Kläger zunächst vorgebracht, entgegen seiner
ursprünglichen Erwartung sei dieser Teil der Expropriationsparzelle
nicht zur Bahn--

· erweiterung oder den damit im Zusammenhang stehen--

den Strasseuanlagen verwendet worden, sondern dürfte von der
Bahnverwaltung selbst oder, gemäss Abkommen mit ihr, von der Gemeinde
Tablet in Zukunft nutzbringend veräussert werden; zu einem solchen
Spekulationszwecke aber werde das Expropriationsreeht nicht eingeräumt.

C. In ihrer Rechtsantwort hat die Kreisdirekfion IV der
Schweiz. Bundesbahnen in erster Linie Abweisung

342 si EXpropriationsrecht. N° 49.

der Klage beantragt und eventuell, für den Fall grundsätzlicher
Gutheissung derselben, Erstattung des durch die Bauarbeiten entstandenen
Mehrwertes des Bodens sowie Anrechnung der Gebäudewerte auf den
Boden, alles nach Schätzung von Experten, verlangt. Die Begründung des
Hauptantrages geht dahin: Dem Klagebegehren könne schon deswegen nicht
entsprochen Werden, weil es auf Rückerstattung nur ein es Teils des
abgetretenen Rechts gerichtet sei, wie sie Art. 47 ExprG nicht vorsehe
(zu vergl. AS 3 S. 176). Ausserdem sei die Expmpriationsparzelle
tatsächlich zu den geplanten Zwecken verwendet worden. Der streitige
Abschnitt habe wegen des notwendigen Abbruchs des grösstenteils darauf
befindlichen Hauptgebäudes und als Materialablagerungsplatz mit in die
Expropriation einbezogen werden müssen. Dies habe der Kläger übrigens
schon aus dem seiner Zeit öffentlich ausgelegten Expropriationsplane
und dem beigefügten Situationsplane ersehen können und hätte deshalb
zur Wahrung des nunmehr vertretenen Standpunktes die Abtretungspflicht
bestreiten oder doch im Expmpriationsverfahren die teilweise Rückforderung
des Expropriationsobjektes vorbehalten sollen, was er nicht getan
habe... Allerdings bestehe eine spezielle Abmachung der Bahnverwaltung
mit der Gemeinde Tablat, laut welcher der streitige Boden später, nach
gänzlicher Vollendung der Bahnhofbauten und erstellter Abrechnung,
an die-Gemeinde übergehen solle. Daraus erwachse aber dem Kläger kein
Anspruch auf

Rückgabe, da die Gemeinde als künftige Eigentümerin in .

die Rechtsstellung der Schweiz. Bundesbahnen eintrete.

D. Replizierend hat der Kläger die Argumentation der Rechtsantwort
bestritten und daran festgehalten, dass er gemäss Art. 47 ExprG
berechtigt sei, den tatsächlich nicht zu Bahnoder Strassenbauzwecken
verwendeten Boden gegen Erstattung des seiner Zeit hiefür ermittelten
Preises zurückzufordern.

Expropriationsrecht. N° 49. 343

Demgegenüber hat auch die Beklagte in der Duplik ihre Ausführungen und
Begehren bestätigt.

E. ssEin am 16. Mai 1914 abgehaltener Augenschein der
Instrukticnskommission hat zur Feststellung der vorstehend erwähnten
tatsächlichen Verhältnisse des Streitobjektes geführt. .

F. Im weitem Verlaufe des Instruktionsverfahrens hat der
Instruk'tiensrichter verfügt, es sei vor Einholung der von der Beklagten
eventuell angerufenen Expertise zunächst die grundsätzliche Frage zur
Entscheidung zu bringen, ob dem Kläger ein Anspruch aus Art. 47 ExprG
überhaupt zustehe.

Dieser Verfügung gemäss hat der Vertreter des Klägers in der heutigen
Hauptverbandlung auf grundsätzliche Gutheissung der Klage angetragen,
während der Vertreter der Beklagten das Hauptbegehren um Klageabweisung
erneuert hat.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

]. Die Kompetenz des Bundesgerichts zur Beurteilung der Streitsache ist
nach Art. 47 Abs. 4 ExprG und Art. 50 Ziil'er 8, OG gegeben.

2. Das Argument der Beklagten, dass die Klage schon deswegen abgewiesen
werden müsse, weil ihr Begehren um Rückerstattung nur eines Teils
des abgetretenen Rechtes nach Art. 47 ExprG nicht zulässig sei, geht
fehl. Denn soweit das abgetretene Recht, von dem das Gesetz spricht,
seiner Natur nach mit dem Gegenstande, auf den es sich bezieht, teilbar
ist, muss sinngemäss auch der gesetzliche Rückforderungsanspruch teilhar
sein. Speziell beim hier fraglichen Grundeigentum, das nicht nur an
dem exproprierten Grundstück als Ganzem, sondern selbständig auch an
dem zurückgeforderten Abschnitt desselben besteht, ist schlechterdings
nicht einzusehen, warum die Rückforderung nur des

A5 41 1 _ 1915 33

344 Expropriationsreeht. N° 49.

Grundeigentums an diesem Abschnitt nicht zulässig sein sollte, falls die
angerufene Voraussetzung des Art. 47 ExprG die Verwendung des abgetretenen
Rechts zu einem andern Zwecke, als zu demjenigen, für welchen es
abgetreten werden ist mit Bezug hierauf, und nur hierauf, zutrifft In
diesem Sinne ist das Gesetz denn auch bisher stets angewendet worden
(vergl. BGE 1 N°135 Erw. 4 s. 502, 25 II N° 87 S. 733 ff., und zustimmend
SIEBER, Recht der Exprepriation, S. 175); ebenso. für das französische
Recht RIVIÈRE, Pandeetes francaises, Stichwort si: expropriation, N°
3764). Die von der Beklagten angerufene Erwägung des Urteils in Sachen
Ciria (BGE 3 S. 178) erklärt lediglich, dass dem Expropriaten nicht frei
stehe, von dem nicht. zum Expropriationszwecke nicht rerwendcteu Recht
selbst nur einen Teil, nach seiner Auswahl. zurückzulordern, worüber
hier kein Streit herrscht.

3. Dagegen trill't, wie die Beklagte weiterhin einwenden die erwähnte
Voraussetzung des-Art 47 ExprGauf den Grundstiicksabsehnilt, dessen
Eigentum der Kläger zurückl'erdert, in der Tat deswegen nicht zu, weil
dieser Abschnitt zur Ausführung des geplanten Werkes, wenn auch nicht
völlig beansprucht, so doch derart verändert werden musste. dass die
Beklagte berechtigt war, ihn in die Expropriatien einzubeziehen. Dies
ielgt. abgesehen Von der Verwendung des Abschnittes zur Ablagerung
überschiissigen Aushnlnnaterials. jedenfalls aus der 'l'atsache, dass
das grösstenteils darauf stehende Hauptgebäude wegen seines Flügels, der
ani" das direkt beanspruchte Terrain übergrifl', unbestreitbargänzlich
abgetragen werden musste. {Die erst in der heutigen Verhandlung
vorgeht-achte Behauptung des Klägers, dass die Gebäudeabtragung auf
jenen Flügel hätte beschränkt werden können, ist schon angesichts
der topographjsehen Verhältnisse : der wesentlichen Überhöhung des
bisherigen Grund und Bodens durch die neu angelegte Baehstrasse, offenbar
unzutrefiend und wohl kaum

Expropriationsrecht. N° 49. . 345

ernst gemeint.) "Hatte aber demnach die Beklagte den Kläger auf alle
Fälle für den ganzen Gebäudewert zu entschädigen, so lag mit Bezug auf
den streitigen Grundstücksabschnitt der den sachgemäss abgerundeten
Umschwung des nicht direkt beanspruchten Restes des Gebäudeplatzes
darstellt unzweifelhaft ein "Fall des Art. 5 ExprG vor, wonach der
Beklagten das Recht zur Ausdehnung der Expropriation auf diesen Abschnitt
zustand. Denn gemäss den im Exprnpriationsverfahren ermittelten Werten
des Gebäudes (Total 19,800 Fr., wovon der grösste Teil auf den streitigen
Grundstücksabschnitt entfällt) und der Bodenlläiehe dieses Abschnittes
(-196 In2 a 12 Fr. = 5952 Fr.) beträgt der Minder Wert des streitohjektes
zufolge des Gebäudeabhruehs erheblich nieh r als ein Vierteil seines
Gesamtwertes, wiejene Gesel'zeshestiminung Voraussetzt Daraus erklärt sich
weh! auch, dass der Kläger seiner Zeit das Expropriatinum'erl'ahren ohne
Bestreitung der Abtretungspflicht und vorbehaltlos über sich hat ergehen
lassen. Bei solcher Ausdehnung der Exprnprintinn im Rahmen des Art. 5
ExprG kann aber der lcxpropriat aus dem Umstände, dass dein lijproprianten
nach plangemnsser Durchfüh-rung des 'erkes. wie sie hier vorliegt,
ein von der Ausilehnung hetroilenes Hecht zu andern-eiliger Verwertung
verbleibt. mit Bezug him-Lini" keinen Rückerstattungsanspruch im Sinne
des Art. l7 lixprG ableiten. Vielmehr findet diese Gesetzrsbes'l'iinnunig
in einem solchen Falle ebensowenig Anwendung. wie in Fällen, wo ein
abgetretones Recht zunächst l)estimmungsgemäss verwendet worden ist und
erst hinterher dieser Bestimmung entZogen wird (vergl. hierüber BGE 5
N? 57 Erw. 5 i. S. 256 li". und .'° 80 536611). Zudem besteht vorliegend
das zurüekgcl'orderte Recht überhaupt nicht mehr so. wie es seiner Zeit
abgetreten werden ist, sondern ist, zufolge der tatsächlichen Veränderung
seines Objektes durch die Verkausführung, zu einem wesentlich anderen
geworden. auf das die gesetzliche Vorschrift von der Rückleistung

346 Expropriationsrecht. N° 49.

des abgetretenen Rechts gegen Rückerstattung der dafür erhaltenen
Entschädigungssumme schlechterdings nicht mehr anwendbar ist.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

. ,--

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A. STAATSBECHT DROIT PUBLIC-

I. GLEICHHEIT VOR DEM GESETZ (RECHTSVERWEIGERUNG)ÉGALITÉ DEVANT LA LOI
(DÉNI DE JUSTICE)

50. Urteil vom 4. November 1915 i. S. Sigwart gegen Bezirksgerichtskenzlei
Stein asRh. Darin, dass ein Zivilgerieht die Forderung eines andern

Kantons für die Kosten eines Ehrverletzungsprozesses als Zivilsache
behandelt und beurteilt, liegt keine Willkür,

A. Infolge einer Ehrverletzungsklage des W. Böschenstein wurde der
Rekurrent vom Bezirksgericht Stein a/Rhein zu einer Ordnungshusse und
zu den Gerichtskosten verurteilt. Da er die Zahlung verweigerte, hat
die Bezirksgerichtskanzlei Stein gegen ihn Betreibung angehoben und,
da Rechtsverschlag erfolgte, die Forderung beim Bezirksgericht Steckborn
eingeklagt.

Die bezirksgerichtliche Kommission hiess die Klage durch Urteil vom
20. August 1915 mit folgender Begründung gut : Es handle sich nicht
um die Vollstreckung eines ausserkantonalen Urteils, sondern um eine
gewöhnliche Klage auf Zahlung einer Bussenund Kostenforderung. Zu
deren Geltendmachung stehe dein Gläubiger auch der ordentliche
Prozessweg often, da keine zwingende Gesetzesvorschrift bestehe, die
hiefür das Rechtsöfinungsverfahren vorschreibe. Da das Verfahren in
Ehrverlet-zungsprozessen im Kanton Schaffhausen sich nach den

AS 4-1 I 1915 Y-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 41 I 340
Datum : 28. Oktober 1915
Publiziert : 31. Dezember 1915
Quelle : Bundesgericht
Status : 41 I 340
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 340 _ ., Expropriationsrecht. N° 49. B. EXPROPBIATIONSRECHT EXPROPRIATION 49. Urteil


Gesetzesregister
OG: 50
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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