316_ Staatsrecht.
V. KANTONALES VERFASSUNGSRECHT SPEZIELL GEW'ALTENTRENNUNGDROIT
CONSTITUTIONNEL CANTONAL SÉPARATION DES POUVOIRS EN PARTICULIER
45. Urteil vom 1. Oktober 1915 i. S. Meyer und Mit-beteiligte gegen
Luzern.
Abänderung einer kantonalen G eis e t z e s bestimmung über das R e
(: ht z u m Fi s c 11 f an g (patentfreies Angelfischen) durch eine
Ve r o r d n u n g der kantonalen Verwaltungs behörde : Verletzung des
Grundsatzes der G e W al t e n t r e n n u n g.
A. In N° 20 des Luzerner Kantonsblattes vom 14. Mai 1915 hat der
Regierungsrat des Kantons Luzern eine von ihm am 21. April 1915 erlassene
und vom Schweizerischen Bundesrat am ?'. Mai 1915 genehmigte Verordnung
über die Angelfischerei in den fliessenden Gewässern veröffentlicht,
die vorschreiht, dass, wer {ausser den Inhabern von Privatfischenzen
und den Pacht-ern von öffentlichen Fischgewässern) die Angelfischerei in
iliessenden Gewässern betreiben wolle, ein gebührenpilichtiges Staatliches
Patent einzuholen habe (55 1 und 5) und dass § 7 Abs. 2 der kantonalen
Fischereiverordnung vom 12. November 1889 als damit im Widerspruch stehend
aufgehoben werde (è 8). Diese ältere Verordnungsbestimmung lautet:
Die Angel fischerei mit Ruten von Ufer und Brücke aus, sofern selbe
ohne Belästigung des Publikums und nicht ge werbsmässig betrieben wird,
ist vom 1. Mai bis Ende September gestattet.
Die kantonale Verordnung über die Fischerei vom 12. November 1889,
die der Regierungsrat mit GenehmigungzdesiGrossen Rates und des
Schweizerischen Bun--
Kantona-es Verfassungsrecht. N° 45. 317
desrates erlassen hat, bestimmt ferner in § 17 : Das ) Gesetz über die
Ausübung der Fischerei im Kanton Luzern vom 3. Dezember 1874 und die
bezügliche Ver ordnung vom 5. November 1877 ist durch das Bundes gesetz
betreffend die Fischerei vom 21. Dezember 1888 aufgehoben . An ihre
Stelle tritt die gegenwärtige Ver ordnung.
Das erwähnte kantonale Fischereigesetz enthält in 57, anschliessend an
die Strafandrohung gegen unbefugtes Fischen, die Bestimmung : Dagegen
ist die Angel iiseherei mit Ruten von öffentlichen Ufer-stellen und .-
Brücken aus, sofern solche ohne Belästigung des Pub likums und nicht
gewerbsmässig betrieben wird, ge-
:-) gestattet.
B. Mit Eingabe vom 2. Juni 1915 haben Albert Meyer,
Abteilungschef bei der Kreisdirektion V der SBB, Jakob Heusser,
Sehneidermeister, Karl Lienert, Ingenieur, und Witzig, Buchhalter der
Schweiz. Unfall-versicherungsanstalt, alle in Luzern, als Liebhaber
des Sportes der Angelfiseherei den staatsrechtlichen Rekurs an
das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage, die Verordnung des
Regierungsrates des Kantons Luzern über die Angelfischerei in den
fliessenden Gewässern, vom 21-. April 1915, sei aufzuheben.
Die Begründung des Rekurses geht dahin, der-Regierungsrat sei nicht
kompetent, das Recht auf patentireie Angelfiseherei, wie es nach dem
Gesetze vom 3. Dezember 1874 und der grossrätlich genehmigten Verordnung
vom 12. November 1889 bestehe, durch Einführung der Patentpflicht zu
beeinträchtigen. Jenes kantonale Fischereigesetz sei nämlich durch
die Bundesgesetzgebung über die Fischerei nur in seinen fi scher e i
p oliz eili (; h e n Vorschriften, nicht aber hinsichtlich der darin
festgestellten Berechtigung zum Fisch e n, aufgehoben worden. Folglich
komme in Bezug auf diese letztere dem rein deklaratorischen § 17 der
Verordnung vom 12. November 1889 keine Bedeu-
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tung zu, und durch seine Verordnung vom 21. April 1915 selbst habe der
Regierungsrat die das Recht der Angel fischerei betreffende Bestimmung
in § '? des Fischereig e s e t z e s nicht beseitigen können. Eventuell,
falls anzunehmen wäre, dass das kantonale Fischereigesetz durch die
Verordnung vom 12. November 1889 in allen Teilen ausser Kraft gesetzt
worden sei, habe der Regierungsrat auch diese grossrätlich ge n ehm i g
t e Verordnung, die danach einem Erlasse des Grossen Rates gleichstehe,
nicht von sich aus abändern und insoweit aufheben können. Vielmehr sei
er in beiden Fällen über die ihm durch Art. 67 luz. StV eingeräumte
Verordnungskompetenz hinausgegangen, weshalb sein Erlass aus diesem
Gesichtspunkte trotz der bundesrätlichen Genehmigung, durch die nur dessen
Einklang mit der Bund esgesetzgebung anerkannt sei, der Rechtsgültigkeit
ermangle.
C. Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat Abweisung des Rekurses
beantragt. Er führt wesentlich aus: Die den Kantonen in Art. 1 des BG
betr. die Fischerei vom 21. Dezember 1888 vorbehaltene Verleihung oder
Anerkennung des Rechts zum Fischfang könne auf dem Wege der Gesetzgebung
oder durch Erlass einer Verordnung erfolgen, wie mit aller Deutlichkeit
aus Art. 34 des gleichen Gesetzes hervorgehe, wonach der Bun-
desrat die Kantone anzuhalten habe, ihre Gesetze und
Verordnungen über die Fischerei mit dem Bundesrecht in Einklang zu
bringen. Tatsächlich habe denn auch die überwiegende Mehrzahl der Kantone
das Fischereiwesen in einer vom Bundesrate genehmigten regierungsrätlichen
Verordnung geregelt. Der Regierungsrat des Kantons Luzern wäre somit kraft
Art. 67 StV zweifellos von sich aus befugt gewesen, Vorschriften über
die Fischerei aufzustellen; es bestehe keine kantonale Verfassungsoder
Gesetzesvorschrift, dass solche Verordnungen überdies dem Grossen Rate
vorgelegt werden müssten. Dies sei mit der Verordnung vom Jahre 1889
Kanten-des Verfassungsrecht. N° 45. ' 319
nur deshalb geschehen, weil dadurch gleichzeitig das zufolge der
Bundesgesetzgebung über die Fischerei ganz durchlöcherte kantonale
Fischereigesetz habe aufgehoben werden wollen, was der Grosse Rat in
seiner Eigenschaft als gesetzgebende Behörde beschlossen habe. Doch
sei man sich damals schon voll bewusst gewesen, dass vom Momente jenes
Verordnungserlasses an dem Regierungsrate die Kompetenz zur Regelung der
Fischereiverhältnisse zustehen solle. Folglich habe der Regierungsrat
jene frühere Verordnung nunmehr von sich aus im Sinne der angefochtenen
neuen Verordnung abändern dürfen. Ausser auf Art. 67 SW lasse sich
übrigens die fragliche Verordnungsbefugnis auch noch stützen auf § 69 des
kantonalen Finanzgesetzes vom Jahre 1859, indem zu den Abgaben für die
staatlichen Bedürfnisse, über deren Erhebung der Regierungsrat danach
die zur Vollziehung des Gesetzes nötigen Weisungen und Verordnungen zu
erlassen habe, eben auch die Taxen für die Fischereipatente gehörten.
Das Bundesgericht zieht i 11 E r w ä g u n g :
Die Rekurrenten beanstanden die regierungsrätliche Verordnung vom"
21. April 1915, deren Aufhebung schlechthin sie beantragen, nach der
Begründung dieses Antrages nur insoweit, als sie von der Vorschrift des §
7 Abs. 1 der kantonalen Verordnung über die Fischerei vom 12. November
1889 abweicht und diese ältere Verordnungsbestimmung als aufgehoben
erklärt. Sie beanspruchen also das Recht auf p a t e n t f r e i e s
Angelfischen in den fliessenden Gewässern in dem Umfange, wie es in
Abänderung von Art. 7 des kantonalen Fischereigesetzes vom 3. Dezember
1874, der die volle
ss Freiheit dieser Art des Fischfangs statuiert, durch § 7
Abs. 2 der Verordnung vom Jahre 1889 noch aufrecht erhalten worden ist,
d. h. für die Jahreszeit vom 1. Mai bis Ende September. Nun ermächtigt
der vom Regie-
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rungsrat als Kompetenznorm angerufene Art. 67 luz. StV, über dessen
Verletzung die Rekurrenten sich beschweren, jenen zum Erlasse der zur
Vollziehung und Verwaltung nötigen Verordnungen und Beschlüsse, welche
jedoch der Verfassung und den bestehenden Ge setzen nicht zuwiderlaufen
dürfen. Danach entbehrt der angefochtene Verordnungsinhalt die v 6
1 li g e Aufhebung der patentfreien Angelfischerei in den fliessenden
Gewässern in der Tat der rechtmässigen Grund-
lage, sofern, wie die Rekurrenten annehmen, die er-
wähnte Bestimmung von § 7 des kantonalen Fischereigesetzes noch zu Recht
besteht. Diese Annahme aber muss als zutreffend bezeichnet werden, da
eine rechtswirksame Aufhebung jener Gesetzesbestimmung nicht nachgewiesen
ist. Die Feststellung in § 17 der vom Regierungsrat mit Genehmigung
des Grossen Rates erlassenen Fischereiverordnung vom 12. November 1889,
dass das kantonale Fischereigesetz durch das BG betr. die Fischerei vom
21. Dezember 1888 aufgehoben sei, beruht insofern auf einem Rechtsirrtum,
als jenes eidg. Fischereigestz nur die Fischereip oliz ei d. h. die.
A r t d e r A 11 s ü b u n g des Rechts zum Fischfang, beschlägt, die
Regelung dieses R e c h t e s s e l b s t dagegen in Art. l, auf den
die regierungsrätliche Vernehmiassung richtig Bezug nimmt, ausdrücklich
den Kantonen vorbehält und demnach die kantonalen Bestimmungen hierüber,
zu denen die hier fragliche Ge-
setzesvorschrift unzweifelhaft gehört, in keiner Weise be --
rührt hat (vgl. sehon BGE 40 I NO 53 Erw. 2 S. 555 f.). Sollte aber
diese Verordnungsbestimmung in Wirklichkeit s e l b s t die Aufhebung des
Gesetzes haben verfügen wollen (wofür die nach der Entstehungsgeschichte
der Verordnung tatsächlich zutreffende Bemerkung des Regierungsratesdie
Verordnung sei dem Grossen Rate zur Genehmigung vorgelegt worden, um
die vollständige Aufhebung des Fischereigesetzes von ihm als gesetzgeben
der Behörde beschliessen zu lassen, spricht), so könnte
Kantonales Verfassungsrecht. N° 45. 321
ihr gegenüber jener Gesetzesbestimmung Rechtswirksamkeit nicht zuerkannt
werden. Die grossrätliche Genehmigung vermochte der Verordnung des
Regierungsrates als solcher nicht etwa Gesetzescharakter und damit
Gesetzeskraft zu verleihen, da der Genehmigungsbeschluss nicht im
verfassungsmässigen Gesetzgebungsverfahren, das insbesondere doppelte
Beratung und Unterstellung unter das fakuitative Referendum (Art. 52 und
39 StV) vorsieht, erlassen werden ist, was sinngemäss auch gar nicht hätte
geschehen können. Vielmehr wäre die Beseitigung bestehenden Gesetzesrechts
im Wege dieser Verordnung jedenfalls nur denkbar, wenn und soweit deren
Gegenstand entweder kraft ausdrücklicher Weisung des Bundesrechts in
die kantonale V e r o r dn u n g s kompetenz gelegt wäre oder aber an
sich, seiner Natur nach, gemäss der kantonalrechtlichen Abgrenzung von
Gesetzgebungsund Verordnungsrecht in den Bereich dieses letzteren fallen
würde. Mit Bezug auf die Regelung des Rechts der Angelfischerei trifft
jedoch keine dieser beiden Voraussetzungen zu. Der Regierungsrat verweist
zu Unrecht auf Art. 34 des eidg. Fischereigesetzes ; denn dieses Gesetz
beschlägt, wie bereits ausgeführt, das Recht zum Fischfang als solches
überhaupt nicht, und zudem bezeichnet Art. 34 mit seiner Erwähnung der
kantonalen Gesetze und Verordnungen über die Fischerei einfach die beiden
Arten der bestehenden kantonalen Erlasse fischereipolizeilicher Natur,
die in ihrer einen oder andern kantonalrechtlich bestimmten Form dem
Bundesrecht angepasst werden sollen. Und seiner Natur nach unterliegt
das Recht zum Fischfang, als Bestandteil der Rechte des Einzelnen in
ihrer Gegensätzliehkeit zur Rechtssphäre des Staates als Vertreters der
Allgemeinheit, nach den Grundsätzen des modernen Staatsrechts der Ordnung
durch die gesetzgebend e Gewalt. Es hat sich denn auch gerade der Kanton
Luzern durch den Erlass seines Fischereigesetzes vom 3. Dezember 1874
zu dieser Auffassung bekannt. Kommt
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aber somit, wie die Rekurrenten geltend machen, dem § 17 der Verordnung
vom 12. November 1889 für die fragliche Bestimmung in Art. 7 jenes
Gesetzes keine Bedeutung zu, so muss diese Gesetzesbestimmung als
grundsätzlich noch zu Recht bestehend angesehen werden, und es lässt
sich deshalb die regierungsrätliehe Verordnung vom 21. April 1915,
soweit sie in ihrer Abweichung hievon angefochten ist, nicht auf die
dem Regierungsrate durch Art. 67 StV eingeräumte Verordnungskompetenz
stützen, sondern bedeutet einen diese Kompetenznorm missachtenden
Uebergrifi des Regierungsrates in das Gebiet der gesetzgebenden
Gewalt, der nicht. geschützt werden kann. Hieran vermag auch §
69 deskantonalen Finanzgesetzes, auf den die regierungsrätliche
Vernehmlassung beiläufig noch verweist, nichts zu ändern. Es liegt
auf der Hand, dass diese Gesetzesbestimmung als Kompetenzgrundlage für
den streitigen Verordnungsinhalt nicht in Betracht fallen kann, da es
sich dabei ja nicht um die Festsetzung der Patenttaxen, sondern um die
grundlegende Frage der Patentpflicht der Angelfischerei handelt.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass die Verordnung des
Regierungsrates des Kantons Luzern vom 21. April 1915 über die
Angelfischerei in den fliessenden Gewässern insoweit aufgehoben wird,
als sie die bisher freie Angelfischerei von der Erwerbung eines Patentes
und der Bezahlung einer Gebühr abhängig macht.
Streitigkeiten zwischen Vormundschansbehöraen. N° 46. 323
VI. STREITIGKÈITEN ZWISCHEN VORM'UNDSQHAFTSBEHÒRDEN VERSCHLEDENER
KANTONECONTESTATIONS ENTRE AUTORITÉS TUTÉLAIRES DE DIFFÉRENTS CANTONS
,46. Urteil vom 16. September 1915 i. S. Waisenamt Seen gegen Bern.
Oertliche Zuständigkeit zur Führung der Vormundschaft nach Art. 376, 377
ZGBYVoraussetzungen für die Annahme einer stillschweigenden Zustimmung
der Vormundschaftsbehörde zum Wohnsitzwechsel des Mündels.
A. Mit Eingabe vom 27. Juni 1911 an das Regierungsstatthaltcramt
Schwarzenburg stellte die Vormundschaftsbehörde Wahlern den Antrag
auf Bevormundung
der 1865 geborenen Rosina Jenni, Bürgerin von Wahlern,
wohnhaft im Than Schwarzenburg, indem sie zur Begründung aniührte,
dass die Genannte, nachdem sie schon im Vorjahr der Evangelischen
Gemeinschaft eine unentgeltliche Zuwendung von 5000 Fr. gemacht, nunmehr
im Begriffe stehe, ihr ganzes Vermögen von zirka 125,000 Fr. einem
gewissen Rost, der mit ihr zusammen der erwähnten Sekte angehöre,
zu schenken, wodurch sie sich der Gefahr eines künftigen Notstandes
aussetze. Der Regierungsstatthalter entsprach dem Gesuch in dem Sinne,
dass er durch Verfügung vom gleichen Tage in Anwendung von Satzung
218 des bernischen Zivilgesetzbuches Rosina Jenni provisorisch in der
Verwaltung ihres Vermögens einstellte und ihr einen Kurator ernannte,
im übrigen aber, da jene gegen ihre Entmündigung Einsprache erhob,
die Sache dem Amtsgericht Schwarzenburg zur Entscheidung überwies.
Durch Urteil vom 16. Dezember 1911 hat darauf das