170 Staatsrecht.

Demnach hat das Bundesgericht ' erkannt :

Der Rekurs wird begründet erklärt und demgemäss unter Aufhebung des
angefochtenen Entscheides die streitige Steuerauflage der Rekurrentin
gegenüber der Rekursbeklagten geschützt.

ll. POLITISCHES ST IMMUND WAHLRECHT

DROIT ÉLECTORAL ET DROIT DE VOTE

23. Urteil vom 9. Juli 1915 i. S. 1. Dr. Lutz-Müller und Mitbeteiligte,
2. Schwarz und Mit-beteiligte gegen St. Gallen.

Willkürliche Auslegung und Anwendung eines k anton alen W
ahlgesetzes. Zulässigkeit der Verwendung von Stimmzetteln mit
aufgedruckter Parteibezeichnung nach dem st. gallischen Gesetz betr. die
Volkswahlen und Volksabstimmungen vom 18. Mai 1893.

A. _ Am 25. April 1915 fanden in Rapperswil die Gesamternenerungswahlen
für die politischen Gemeindebehörden statt, bei denen 'u. a. der
Gemeinderat von

7 Mitgliedern und, aus dessen Mitte, der Gemeinde-.

ammann zu wählen waren. Das Wahlbureau bestimmte die Zahl der gültigen
Wahlzeatel und das entprechende absolute Mehr der Stimmen bei den
Gemeinderatswahlen auf 670 bezw. 336 und bei der Wahl des Gemeindeammanns
auf 541 bezw. 271 und erklärte danach als Mitglieder des Gemeinderates
sechs Kandidaten, worunter A. Bauer und G. Brunner -den letztem gerade
mit der Stimmenzahl des absoluten Mehrs (336) , und als Gemeindeammann
Gemeinderat A. Bauer alsPolitisches Summund Wahlrecht. N° 23. 171

gewählt, die Wahl des siebenten Gemeinderatsmitgliedes dagegen als mangels
Erreichung des absoluten Mehrs durch einen der weitem Kandidaten nicht
zustande gekommen. Wegen dieses Wahlentscheides beschwerten sich drei
Wähler, Fidel Schwarz, Aug. Dennler und Friedr. Moser, beim Regierungsrat
des Kantons St. Gallen, indem sie geltend machten, das Wahlbureau
habe eine grosse Anzahl mit Parteibezeichnungvn versehener Wahlzettel
unrichtigerweise als gültig mitgerechnet, bei deren Abrechnung das
absolute Stimmenmehr von A. Baue.r und G. Brunner nicht, dafür aber
möglicherweise von andern Kandidaten erreicht worden sei, weshalb
die entsprechende Berichtigung des Vahlergebnisses verlangt werde. Die
hierauf angeordnete Untersuchung ergab, dass von den gedruckt eingelegten
Wahlzetteln tatsächlich 248 über dem allgemein verwendeten Titel
Stimmzettel für die Gemeindewahlen vom 25. April 1915 mit nachfolgender
Angabe der zu wählenden Personen, nach Beamtnngen geordnet, noch die
Bemerkung trugen : Vahlvcrschlag der konservativen Volkspartei oder
Demokratischer Wahlvorschlag oder Freisinnigdemokratische Partei s)
bei 424 Zetteln ohne eine solche Parteibezeichnung _, und dass sich
unter Mitberücksich tigung dieser Wahlzettel die richtig berechnete Zahl
der gültig abgegebenen Stimmen bei den Gemeinderatswahlen auf 672 und
demgemäss das absolute Stimmenmehr auf 337 beiies. Auf Grund dieser
Feststellungen erledigte der R e g i e r u n g s r a t die erwähnte
Be-schwerde durch folgenden B e s c h l u s 5 V o m 21. M a i 1 9 1 5 :

Es sei die Wahl des Herrn A. Bauer als Gemeinde ratsmitglied und als
Gemeindeammann, sowie des Herrn G. Brunner als Gemeinderatsmitglied
kassiert, und es sei der Gemeinderat Rapperswil eingeladen, für diese
Amtsstellen beförderlichst Nachwahlen ana zuordnen.

Die entscheidenden Erwägungen dieses Beschlusses

Î 72 Staatsrecht.

gehen dahin: Durch einen im Amtsbericht pro1912, S. 297/298, angeführten
Entscheid habe der Regierungsrat die Praxis festgelegt, dass bei Wahlen
nach dem Mehrheitssystem Stimmzettel, die eine Parteihezeichnung
trugen, als ungültig zu behandeln seien. Das kantonale Gesetz über
Volkswahlen und Volksabstimmungen vom 26. Juni 1893 enthalte allerdings
über diese Spezialfrage keine Vorschriften, und es käme deshalb auch
die entgegengesetzte Praxis, für'die. vielleicht sogar praktische
Erwägungen sprechen würden, mil dem Gesetze nicht in Widerspruch. Eine
Aenderung der Praxis könne jedoch nicht anlässlich eines Wahlrekurses,
sondern nur durch eine, vol-zunehmenden Wahlen vorgängig zu erlassende
allgemeine Weisung erfolgen: solange eine solche nicht erlassen sei,
müsse für die Behandlung vnn Wahlrekursen die bisherige Praij massgebend
sein. Danach seien bei den Wahlen der Gemeinde4Ins-hindert von Rapperswil
die mit einer l'arteibezeichnung versehenen Stimmzettel als ungültig zu
behandeln und somit die erwähnten Wahlen zu kassieren, weil A. Bauer
und G. Brunner nach Abzug dieser ungültigen Stimmen das absolute Mehr
nicht erreicht hatten.. Unter diesen Umständen brauche die nur durch
Nachzahlung der Stimmzettel zu entscheidende Frage, ob G. Brunner,
falls die Stimmzettel mit Parteibezeichnungen gültig wären, das absolute
Mehr erreicht hätte, nicht beantwortet zu werden. Anderseit's sei das
beim Abzug der nut Parteibezeichnungen versehenen Stimmzettel sich
ergebende reduzierte absolute Mehr von einem der durch das Vahlbureau
als nicht gewählt erklärten Kandidaten, J. Böll, erreicht werden,
und die logische Folge der l'ngültigerklärung jener Stimmzettel wäre
deshalb, ihn als gewählt zu erklären. Ein solches Vorgehen käme aber
geradezu einer Vergewaltigung der Mehrheit der stimmtähigen Bürger der
politischen Gemeinde Rapperswil gleich; denn aus den Akten gehe hervor,
dass in dieser Gemeinde Stimmzettel mit ParteibezeichnnngenPolitisches
Stimmund Wahlrecht. N° 23. im

schon seit vielen Jahren, jedenfalls von 1900 an, n n b e a n s t a n
d e t verwendet worden seien ; durch deren Duldung seitens der Behörden
habe bei den stimmfähigen Bürgern der Glaube. entstehen müssen, dass sie
gültig seien, und wenn nun ohne vorherige Aufklärung der Bürgerschaft ein
Kandidat, der. wie Böll, nach dieser bisherigen Rapperswiler Praxis das
absolute Mehr bei weitem nicht erreicht halle, dennoch als gewählt erklärt
wurde, so läge darin eine unrichtige Feststellung ss des Volkswillens. ss

f}. Gegen den vor-ziehenden Beschluss des Regierungsrates haben einerseits
Dr. jur. Ulrich Lutz Müller für sich und namens acht weiterer Wähler, und
anderseits F. Schwarz und dessen beide Genossen der kantonalen Beschwerde,
rechtzeitig den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergrill'en.

Dr. Lutz-Müller und Mitbeteiligtc haben beantragt. der angefochtene
Beschluss sei wegen Verletzung sowohl der Garantie des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV
. als auch der Art. 46 und 90 st. gall. KV aufzuheben und es seien
die bei der Wahlverhandlung vom 25. April eingelegten Slimmzcitel
mit Parteibezeichnuiigen, und damit zugleich die Wuhlen A. Bauers zu
ni('kcineinderat und Gemesndeammann. als gültig zu erklären. Sie führen
zur Begründung ":senälich aus: Die lingültigerkiärnng der fraglichen
Stimmzettel lasse sich nach den einschlägigen Bestimmungen (Art. 18. "19
und 27) des Wahl-gesetzes vom 26. ,iuni 1893 nicht rechtferligen;
vielmehr folge aus dem Text des Art. 27 das Gegenteil. Tatsächlich seien
solche Stimmzettel nicht nur in Rapperswil, sondern auch in andern
Gemeinden des Kantons, insbesondere? in der Stadt St. Gallen selbst,
sozusagen unter den Augen der Regierung, schon seit Jahren regelmässig
verwendet worden. Auch die Annahme, dass die Aenderung der durch einen
einzigen frühem Entscheid geschallenen Praxis, von deren Unrichtigkeit
der Regierungsrat, wie er deutlich durchblicken lasse, selbst

174 staatsrecht-

überzeugt sei, nur durch eine dem Wahlakt vorgängige allgemeine
Weisung erfolgen könnte, entbehre jeder rechtlichen Grundlage. Der
regierungsrätliche Entscheid verletze die angerufenen Bestimmungen des
Wahlgesetzes und involviere gegenüber allen Wählern, welche Stimmzettel
mit einer Parteibezeiehnung eingelegt hätten, eine gegen den Grundsatz
des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV verstossende Behandlung.

Schwarz, Dennler und Moser beanstanden den Beschluss des Regierungsrates
unter Berufung auf Verletzung der Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
und 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
BV, weil der Regierungsrat
die Konsequenzen seiner Rechtsauiiassung nicht gezogen habe; sie verlangen
Abänderung des Beschlusses in dem Sinne, dass J. Böll als Mitglied des
Gemeinderates gewählt erklärt und die Nachwahlverfügung entsprechend
modifiziert Werde.

C. Der Regierungsrat hat auf Abweisung beider Rekurse angetragen. Er
bemerkt gegenüber den Ausfùhrungen Dr. Lutz-Müllers, der Entscheid,
dass die Stimmzettel mit Parteibezeichnungen als ungültig zu betrachten
seien, könnte nur dann als willkürlich und deshalb gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV
verstossend angesehen werden, wenn der Regierungsrat diese Frage
ohne nähere Begründung bald so, bald anders entschieden hätte. Dies
werde aber von den Rekurrenten selbst nicht behauptet. Wenn auch in
verschiedenen Gemeinden solche Stimmzettel seit Jahren verwendet und
von den Gemeindewahlbureaus als gültig behandelt worden seien, so habe
doch der Regierungsrat vor dem Jahre 1912 mangels früherer bezüglicher
Wahlrekurse keine Gelegenheit gehabt, zu der Frage Stellung zu nehmen,
und habe sie dann im gleichen Sinne, wie heute, beantwortet. Sein
Entscheid stehe auch nicht in ofienbarem Widerspruch mit dem Wahlgesetze;
denn dieses habe trotz der Einlässlichkeit der im Rekurse angerufenen
Bestimmungen nicht alle Fälle versehen und regeln können. So sei 2. B.

___-...... :-

Politisches Stimmund Wahlrecht. N° 23. 175

das Einlegen eines mit dem Stimmzettel verbundenen Wahlaufrufes
im Gesetze auch nicht verboten, und trotzdem sei diese Art der
Stimmabgabe nach konstanter Praxis als ungültig zu erklären. Gerade
um dem Vorwurf der Willkürlichkeit zu entgehen, habe der Regierungsrat
es für angezeigt gehalten, von der vor drei Jahren geschaffenen Praxis
bezüglich der Stimmzettel mit Parteihezeichnungen nicht anlässlich eines
Rekurs-entscheides abzugeben.

Das Bundesgericht zieht i n E r w a g u n g :

l. Den Gegenstand des Rekurses von Dr. LutzMüller und Mitbeteiligten
bildet nicht das in Art. 46 und 90 st. gal]. KV statuierte Recht der
stimmfähigen Bürger jeder politischen Gemeinde, den Gemeinderat und den
Gemeindeammann zu wählen, selbst, sondern nur die Ausübung dieses Rechts
mit Bezug auf die Frage, ob dabei die eine Parteibezeichnung tragenden
Stimmzettel gültig seien oder nicht. Hiefür ist das st. gallische
Gesetz betreffend die Volkswahlen und Voiksabstimmungen vom 16. Mai
1893 massgebend. Es kann sich daher nicht um eine Verletzung jener
kantonalen Verfassungsbestimmungen handeln ; in Betracht fällt vielmehr
ausschliesslich dieses kantonale Ge s etz e s recht, dessen Anwendung der
Bundesstaatsgerichtshof gemäss Art. 180
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Zifi'. 5 OG auf Grund des von den
Rekurrenten in erster Linie angerufene Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV aus dem Gesichtspunkte
der Willkür zu überprüfen hat.

Nun bestimmt das erwähnte Wahlgesetz in Art. 19 über die Form der
Stimmabgabe, es stehe dem Stimmberechtigten frei, entweder seine Stimme
auf den ihm amtlich zugestellten Stimmzettel (der laut Art. 18 auf der
einen Seite für jede zu treffende Wahl eine numerierte Linie trägt)
zu schreiben oder zur Stimmahgabe einen andern, geschriebenen oder
gedruckten Stimmzettel

176 staatsrecht-

aus weissem Papier mit oder ohne Abänderungen zu verwenden. Und Art. 27
des Wahlgesetzes schreibt nach der einleitenden Weisung, dass bei
kantonalen und Gemeindewahlen die ungültigen Stimmen für die Ausmittlung
des absoluten Mehrs ausser Berechnung zu fallen hätten, in Abs. 2 und
3 vor: Ungültig sind Stimm-) zettel, denen nicht mit Sicherheit ein
wahlfähiger Name zu entnehmen ist; ferner solche, welehe Bemerkungen
beleidigenden oder ehrverletzenden Inhaltes enthalten. JFür die Prüfung
der Stimmzettel dient als Grund satz, dass die Stimmgebnng als gültig
zu betrachten ist, wenn über den Inhalt derselben keine begründeten
Zweifel walten können.

Bei Würdigung der Argumentation des angefochtenen Beschlusses an Hand
dieser Gesetzeshestimmungen ergibt sich vorab, dass der heutige Tatbestand
von demjenigen des regierungsrätlichen Entscheides aus dem Jahre 1912
insofern wesentlich abweicht, als es sich bei den damals für ungültig
erklärten Stirnmzei teln um Zettel mit dem Titel Wahlvorschlag der
Gemeinde ..... und der Unterschrift Mehrere Wähler handelte, während
die hier beanstandeten Stimmzettel, in völliger Uebereinstimmung mit
dem amtlichen Formular, ausdrücklich als solche bezeichnet sind und nur
durch die ergänzende Parteiauischriit gleichzeitig zu erkennen geben,
dass ihr Inhalt dem Wahlvorschlage der betreffenden Partei entspricht. Der
Regierungsrat hat jenen Entscheid laut Mitteilung im Amtsberichi getroffen
auf Grund der bisherigen Praxis, wonach Wahlaufrufe nicht als gültige
Vahlzetlel zu betrachten sind und die Beilage eines W'ahlaufrui'es einen
im übrigen gültigen Vahlzettel ungültig macht . Die se Praxis führt
aber nicht ohne weiteres dazu, die vorliegend streitigen eigentlichen
Stimmzettel gleicl'. zu behandeln. Zudem bietet hiefür auch der erwähnte
Gesetzesinhalt an sich keine Grundlage. Es steht von vornherein ausser
Zweifel, dass mit der Verwendung der fraglichen Stimm-

Politisches Stimmund Wahlrecht. N° 23. 177

zettel das Stimmrecht ausgeübt werden wollte und dass sie eine
materiell durchaus klare Willensäusserung der Wähler in sich
schliessen. Die Ungültigerklärung dieser Stimmzettel liesse sich
daher nur rechtfertigen, wenn sie formelle Mängel aufweisen würden,
die sich aus positiven Vorschriften oder aus der Natur der Sache
ergaben. Die angeführten massgebenden Gesetzeshestimmungen enthalten
jedoch keine Erfordernisse, denen sie nicht genügen Würden. Gegenteils
läuft ihre Beanstandung dem Sinn und Geiste jener Bestimmungen des
Wahlgesetzes offenbar zuwider; denn aus Art. 19 in Verbindung mit
Art. 27 erhellt deutlich das Bestreben des Gesetzgebers, die Stimmabgabe
in formeller Hinsicht möglichst frei zu gestalten und für die Frage
ihrer Gültigkeit wesentlich auf die Erkennbarkeit ihres materiellen
Inhaltes abzustellen. Und auch abgesehen hievon ist nicht erfindlich,
warum die streitige Parteiaufschrift die daneben formell und materiell
einwandfreien Stimmzettel ungültig machen sollte. Die Wahlvorschläge
gehen ja bekanntermassen durchweg von bestimmten politischen Parteien
oder durch andere Interessen zusammengeführten Wählergruppen aus, und
es hat die Gesetzesbestimmung, welche die Verwendung auch anderer, als
der amtlichen Stimmzettel gestattet, dabei ganz unzweifelhaft gerade die
von solchen Wählervereinigungen aufgestellten Stimmzettel im Auge. Dass
aber durch deren ausdrückliche Kennzeichnung als Stimmzettel bestimmter
Parteien oder Gruppen die im übrigen unbestreitbare Tauglichkeit
dieser Stimmzettel zur Verwendung beim Wahlgesehäft ausgeschlossen
werden sollte, ist schlechterdings nicht einzusehen, da dadurch doch
weder die Ordnungsmässigkeit des Wahlverfahrens, noch die Klarheit
des Wahlergebnisses irgendwie beeinträchtigt wird. Der gegenteilige
Entscheid des Regierungsrates bedeutet deshalb eine jeder sachlichen
Begründung ermangelnde und in diesem Sinne willkürliche Beschränkung
der Stimmrechtsausühung, die als solche in der Tat vor

AS H l 1915 H

178 staatsrecht-

Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV nicht haltbar ist ; er widerspricht denn auch
unbestrittenermassen der in verschiedenen st. gallischen Gemeinden
eingelebten Wahlpraxis.

2. Im Sinne der vorstehenden Erwägung erweist sich die von den Rekurrenten
Schwarz und Mit-beteiligten seinerzeit beim Regierungsrat erhobene
Beschwerde, so-

weit sie die grundsätzliche Art der Feststellung des.

Wahlergebnisses durch das Wahlbureau betraf, als unbegründet. Und die
jener Erwägung entsprechende Aufhebung des Regiemngsratsbeschlusses vom
21. Mai 1915 entzieht der staatsrechtlichen Beschwerde der gleichen
Rekurrenten die Grundlage, sodass hierauf nicht weiter einzutreten
ist. Dagegen erledigt sich mit diesem Urteil immerhin endgültig nur die
Anfechtung der beiden Wahlen A. Bauers, während es mit Bezug auf die
ebenfalls angefochtene Wahl G. Brunners dem Regierungsrate vorbehalten
bleibt, nunmehr noch darüber zu entscheiden, ob Brunner am 25. April 1915
das nach Artdes Wahlbureaus zitiermässig richtig ermittelte absolute Mehr
der Stimmen erreicht hat oder aber mangels dieser Voraussetzung entgegen
dem Befunde des Wahlbureaus als nicht gewählt erklärt werden muss.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs von Dr. Lutz-Müller und Mitheteiligten wird für begründet
erklärt und in Aufhebung des Beschlusses des st. gallischen
Regierungsrates vom 21. Mai 1915 die Beschwerde von F. Schwarz und
Mitbeteiligten gegen die Feststellung des Ergebnisses der Rapperswiler
Gemeindewahlen vom 25. April 1915 durch das Wahlbureau abgewiesen.

Damit fällt der Rekurs von F. Schwarz und Mitbeteiligten an das
Bundesgericht dahin.Verbot der Doppelbesteuerung. N° 24. 179

III. VERBOT DER DOPPELBESTEUERUNG

INTERDICTION DE LA DOUBLE IMPOSITION

24. Urteil vom 24. März 1915 ss i. S. Spring gegen Solothurn eventuell
Bern.

Liegenschaften unterstehen nicht nur hinsichtlich ihres Wertes,
sondern auch hinsichtlich des daraus fliessenden Einkommens (Ertrages)
ausschliesslich der Steuerboheit des Kantons, in dem sie gelegen sind.

A. Der Rekurrent Friedrich Spring ist Eigentümer des Hofgutes
Niederhuggerwald , das zum grösseren Teil in der solothurnisehen
Gemeinde Klein-Lützel, zum anderen in den angrenzenden bernjschen
Gemeinden Liesberg und Röschenz liegt. Er bezahlt für die auf bernisehem
Gebiet gelegenen Grundstücke im Kanton Bern die Ver-mögenssteuer
(Grundsteuer). Für das Jahr 1914 hat ihn überdies die Gemeinde Klein
Lützel für den Ertrag dieser Grundstücke zur Einkommens(Ertrags)-Steuer
herangezogen. Einen von Spring hiegegen erhobenen Rekurs wies der
Regierungsrat des Kantons Solothurn am 31. Dezember 1914 mit der
Begründung ab :

Wenn ein Steuerpfl chtiger ausserhalb der Wohnge meinde Liegenschaften
besitzt, schuldet er die Ve r m ü g e n s s t e u e r zweifellos der
Gemeinde, wo die Grundstücke lie g e n. Anders verhält es sich mit
dem Ertrag dieser Liegenschaften, sei es, dass sie vom Eigentümer
selber bewirtschaftet werden oder dass sie verpachtet sind. Der Ertrag
unterliegt ebenso unzweifelhait der Einkommenssteuer der Wohn gemeinde
und zwar gleichgültig, ob diese Liegen schalten in einer andern Gemeinde
des Kantons oder in einem andern Kanton liegen.

Eine Einkommenssteuer könnte nach allgemeinen
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Dokument : 41 I 170
Datum : 09. Juli 1915
Publiziert : 31. Dezember 1915
Quelle : Bundesgericht
Status : 41 I 170
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 170 Staatsrecht. Demnach hat das Bundesgericht ' erkannt : Der Rekurs wird begründet


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
OG: 180
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
stimmzettel • regierungsrat • gemeinde • absolutes mehr • brunnen • gemeinderat • bundesgericht • kandidat • frage • wahlvorschlag • weisung • stimmabgabe • richtigkeit • zahl • stimmberechtigter • doppelbesteuerung • weiler • politische gemeinde • kv • zweifel
... Alle anzeigen