I. FAMILIENRECHTDRO IT DE FAMILLE

96. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. November 1914 i. S. Wüthrich,
Kläger, gegen Wüthrich und Hadorn, Beklagte.

Klage auf Ab erkennung des ehelichen Stand es. Auslegung der Worte durch
gerichtliches Urteil getrennt s in Art. 255
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 255 - 1 Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
1    Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
2    Stirbt der Ehemann, so gilt er als Vater, wenn das Kind innert 300 Tagen nach seinem Tod geboren wird oder bei späterer Geburt nachgewiesenermassen vor dem Tod des Ehemannes gezeugt worden ist.
3    Wird der Ehemann für verschollen erklärt, so gilt er als Vater, wenn das Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit dem Zeitpunkt der Todesgefahr oder der letzten Nachricht geboren worden ist.
ZGB. Anforderungen an den nach
Art. 254 vom Ehemann zu erbringenden Beweis, dass er s unmöglich der Vater
des Kindes sein könne . Inwieweit Tatirage ? inwieweit Rechtsfrage '2

A. Der Kläger und die Beklagte Verena Hadern verehelichten sich im Jahre
1900. Während ihrer Ehe wurden geboren :

am 19. September 1900 ein Knabe Haus, der vom Kläger stets als eheliehes
Kind anerkannt wurde;

am 4. August 1901 ein Kind, das am gleichen Tage starb;

am 8. April 1911 ein Knabe Alfred ;

am 19. Mai 1912 ein Knabe Daniel.

Die beiden letztem Kinder wurden vom Kläger nicht als ehelieh anerkannt.

Nachdem die Ehegatten schon kurze Zeit nach der Geburt und dem Tode des
zweiten Kindes aufgehört hatten, zusammenzuleben (einen eigenen Hausstand
hatten sie nie begründet, sondern sie hatten einfach bei den Eltern des
Klägers gewohnt), reichte die Ehefrau am 22. Juni 1909 die Scheidungsklage
ein. Am 10. September 1909 wurde ihr durch das Amtsgericht Konolfingen
gestattet, mit ihrem Kinde während der Dauer des Scheidungsprozesses
getrennt zu leben .

A5 40 u 1914 39

578 Familienrecht. N° 96.

Nach einem von beiden seiten hartnäckig geführten Scheidungsprozesse,
in welchem die Parteien namentlich um die Zuteilung des Knaben Hans
stritten, wurde schliesslich durch Urteil des Bundesgerichts vom 20. März
1913 die Ehe der Litiganten gänzlich geschieden.

Während des ScheidungSprozesses, und zwar im Juni 191 1 , hatte der
Kläger behufs Anfechtung der Ehelichkeit des Knaben Alfred einen Beweis
zum ewigen Gedächtnis geführt, der in Bezug auf den genannten Knaben
erhebliche Zweifel an der Vaterschaft des Klägers ergeben hatte. Dieser
musste sich jedoch davon überzeugen, dass eine Aherkennungsklage
in Bezug auf jenen, noch unter der Herrschaft des kantonalen Rechts
geborenen Knaben erfolglos sein Würde, und er verzichtete deshalb auf
die Einreichung einer solchen Klage. Dagegen hat er im August 1912 in
Bezug auf den Zumer der Herrschaft des ne u e n Rechts geborenen Knaben
D a n i e 1 gegen diesen und gegen Frau Hadorn gesch. Wüthrich die in
Art. 253 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 253
. vorgesehene Aberkennungsklage'erhoben, zu deren Begründung
er sich zunächst nur auf Art. 255
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 255 - 1 Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
1    Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
2    Stirbt der Ehemann, so gilt er als Vater, wenn das Kind innert 300 Tagen nach seinem Tod geboren wird oder bei späterer Geburt nachgewiesenermassen vor dem Tod des Ehemannes gezeugt worden ist.
3    Wird der Ehemann für verschollen erklärt, so gilt er als Vater, wenn das Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit dem Zeitpunkt der Todesgefahr oder der letzten Nachricht geboren worden ist.
, dann aber auch auf Art. 254
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 254
ZGB berief.

In einer von der ersten Instanz angeordneten Parteibefragung verwickelte
sich die Beklagte Frau Hadorn gesch. Wüthrich bei dem Versuch, über
die Umstände ihrer Schwängerung durch den Kläger Auskunft zu geben,
in verschiedene Widersprüche, sodass die erste Instanz ihre Aussagen
als höchst unglaubwürdig erklärte.

B. Durch Urteil vom 28. April 1914 hat der Appellationshof des Kantons
Bern unter Aufhebung eines die Klage gutheissenden Urteils der ersten
Instanz erkannt : Der Kläger wird mit seiner Klage abgewiesen.

Dieses Urteil ist in Bezug auf die Frage der Unmöglichkeit der Vaterschaft
des Klägers folgendermassen begründet: Sei auch das Ergebnis der
Beweisführung zum ewigen Gedächtnis hinsichtlich der Abstammung des
Knaben Alfred für die Ehefrau sehr belastend, so gebe

Fa tz: zésienrecht. N° 96. 579

doch, was die Abstammung des Knaben D a n i el betreffe, die von
der ersten Instanz vorgenommene Parteibefragung keine bestimmten
Anhaltspunkte dafür, dass Frau Wüthrich in der kritischen Zeit (25. Juli
bis 22. November 1911) mit andern Männern als dem Kläger geschlechtlich
verkehrt habe. Der Kläger bestreite einfach jeglichen Geschlechtsverkehr
mit der Beklagten, während diese daran festhalte, dass er der Vater
des Kindes sei. Anderseits stehe fest, dass Frau Wüthrich je und je
an den Ehemann das Verlangen gestellt habe, mit ihr einen gemeinsamen
Haushalt zu begründen. Es sei nun nicht ausgeschlossen, dass die
Ehefrau dem Ehemanne, um ihn zur Begründung eines eigenen Haushaltes
zu veranlassen, den geschlechtlichen Verkehr gestattet habe; es sei
jedenfalls moralisch nicht unmöglich, dass die Ehefrau einen solchen
Verkehr auch nach der Beweisführung zum ewigen Gedächtnis, um die Zweifel
des Ehemannes zu zerstreuen, gestattet habe. Die Empfängnis falle in
die Zeit vom 25. Juli bis 22. November 1911, die letzte Verhandlung in
der Beweisführung zum ewigen Gedächtnis habe am 19. Juli stattgefunden
Erst als Frau Wüthrich einsehen musste. dass alle ihre Bemühungen zur
Wiedervereinigung fruchtlos seien, habe sie in die Scheidung eingewilligl.
Bei den Vermittlungsverhandlungen vor der oberinstanzlichen Beurteilung
des Scheidungsstreites habe nur der Ehemann, nicht auch die Ehefrau in
eine Wiederaufnahme des ehelichen Verhältnisses eingewilligt. Unter
diesen Umständen könne von einer 5 o 1 c h en Abneigung des Klägers
gegen seine Ehefrau, dass daraus eine moralische Unmöglichkeit eines
Geschlechtsverkehrs sich ergeben würde, nicht gesprochen werden.

C. Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung an das
Bundesgericht, mit dem Antrag auf Gutheissung der Aberkenuungsklage.

580 Familienrecht. N° 96.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung :

1. Mit Unrecht beruft sich der Kläger zunächst auf A rt. 255 Z GB, indem
er geltend macht, dass er und seine Ehefrau zur Zeit der Empfängnis
des in Frage stehenden Kindes infolge provisorischer Verfügung im
Scheidungsprozesse getrennt lebten . Nach dem deutschen, wie auch nach
dem italienischen Text der angeführten Gesetzesbe-

' stimmung braucht der Ehemann seine Klage nur dann nicht weiter zu
begründen, wenn die Ehegatten zur Zeit der Empfängnis durch gerichtliches
Urteil getrennt waren. Nun erfolgt in den meisten Kantonen die hlosse
Gestattung des Getrenntlebens für die Dauer eines Scheidungsprozesses,
die zu den vorsorglichen Massregeln der Art. 145 und 170 gehört, nicht
durch gerichtliches U r t e il, sondern durch gerichtliche, meist ei n
2 el richterliche V e _r f ü g u n g. Schon aus diesem Grunde ist daher
anzunehmen, dass in Art. 255 unter der Trennung durch gerichtliches
Urteil nicht die für die Dauer des Scheidungsprozesses getroffene
Verfügung betr. Gestattung des Getrenntlebens, sondern die Trennung
im Sinne der Art. 143 und 146 bis 148, ( Trennung von Tisch und Bett
) verstanden sein will, gerade wie es auch bei der in Art. 150 Abs. 2
erwähnten gerichtlichen Trennung der Fall ist und nie in Frage gestellt
Wurde. _

Zu keiner andern Auslegung führt die Berücksichtigung des tr a n z 6
sis (: h e n Textes. Einerseits zwar ist darin die Spezifizierung durch
gerichtliches Urteil nicht wörtlich wiedergegeben, anderseits aber ist
das 'Vort Trennung durch den Ausdruck séparation de corps übersetzt,
der keinen Zweifel darüber bestehen lässt, dass es sich um diejenige
Trennung handelt, die auch in Art. 143, 146, 147, 150 Abs. 2 und 170
als séparation de corps bezeichnet wird, also um

Familienrecht. N ° 96. 581

die durch gerichtliches Urteil ausgesprochene Trennung von Tisch und
Bett. si

Dasselbe Resultat ergibt sich endlich auch aus der Entstehungsgeschichte
des heutigen Art. 255. Während der Vorentwurk vom Jahre 1900 in Art. 280
den Ehemann Von der Begründung seiner Anfechtungsklage für den Fall
befreite, dass die Ehegatten zur Zeit der Zeugung c nach gerichtlicher
Verfügung getrennt gelebt hatten (Vivaient séparés en vertu d'une décision
du juge), was in den Erläuterungen (2. Aufl. 1, S. 254) ausdrücklich
dahin erklärt wurde, dass darunter das provisorische Getrenntlehen nach
richterlicher Anordnung gemäss Art. 193 (heute Art. 170) zu verstehen
sei, lautete in der Fassung der Expertenkommission laut Beschluss
vom Oktober 1901 die entsprechende Bestimmung: Das Gleiche gilt in den
Fällen, wo die Ehegatten zur Zeit der Zeugung des Kindes in gerichtlicher
Trennung gelebt haben , eine Fassung, die vom Referenten damit begründet
wurde. dass dadurch besser zum Ausdruck komme, was schon der Vorentwurf
habe sagen wollen, nämlich dass nur die vom Gericht ausgesprochene
Trennung von Tisch und Bett gemeint sei. Im bundesrätlichen Entwurf
vom 18. Mai 1904 (Art. 265) wurden darauf, entsprechend dem erwähnten
Beschluss der Expertenkom? mission, die Worte nach gerichtlicher
Verfügung getrennt gelebt durch gerichtlich getrennt ersetzt, während
allerdings der französische Text unverändert gelassen wurde. In der
parlamentarischen Redaktionskommission vom Jahre 1907 endlich wurde
der deutsche Text durch Beifügung der Worte durch gerichtliches Urteil
in dem angegebenen Sinne präzisiert und ihm zugleich der französische
dadurch angepasst, dass an Stelle der Worte vivaient séparés en vertu
d'une decision du juge nunmehr gesagt wurde: étaient separés de corps.

582 Familienrecht. N° 96.

Sowohl nach dem vorliegenden Wortlaut aller drei Gesetzestexte, als auch
nach der Entstehungsgeschichte des Art. 255 kann somit keinem Zweifel
unterliegen, dass der Gesetzgeber den Ehemann, der auf Aberkennung eines
nach dem 180. Tage seit dem Eheabschluss und vor dem 300..Tage nach
Auflösung der Ehe geborenen Kindes klagt, nur da nn von der Begründung
seiner Anfechtungsklage befreien wollte, wenn die Ehegatten zur Zeit der
Empfängnis im Sinne der Art. 143 und 146 bis 1 48 getrennt, d. h. von
Tisch und Bett getrennt oder, m. a. W., temporär geschieden waren,
-eine Voraussetzung, die im vorliegenden Falle nicht erfüllt ist.

2. Fragt es sich sodann, ob der Kläger im Sinne des Art. 25 4
(vergl. darüber BGE 39 II S. 12) den Beweis der Unmöglichkeit seiner
Vaterschaft erbracht habe, so ist vor allem zu ermitteln, ob und inwieweit
in dieser Beziehung von verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des
kantonalen Richters gesprochen werden kann.

Gegenstand der Beweisiührung können im Allgemeinen nur T a t s ach e
n sein. Nun ist aber die Unmöglichkeit , dass eine bestimmte Person
der Vater eines bestimmten Kindes sei, keine Tatsache im Rechtssinne,
sondern eine Schlussfolgerung aus Tatsachen. Wenn also das Gesetz dem die
Ehelichkeit eines Kindes anfeehtenden Ehemann den Nachweis auferlegt,
dass er unmöglich der Vater sein könne , so bedeutet dies, dass der
Kläger solche Tatsachen zu beweisen habe, aus denen der Richter den
Schluss auf die Unmöglichkeit seiner Vaterschaft ziehen muss. Wäh-rend
nun die Frage, ob bestimmte vom Kläger nachgewiesene Tatsachen diesen
Schluss rechtfertigen, eine

,Reehtsfrage ist, qualifiziert sich dagegen die Frage, ob diejenigen
konkreten Tatsachen, aus denen der Richter jenen Schluss zu ziehen geneigt
wäre, n a ch ge wie 5 en seien, als eine Ta t frage. Die Unmöglichkeit
der Vater-Familienrecht. N ° 96. 583

schaft ist ebensosehr ein Rechtsbegriil', wie z.B. im Gebiete des
Haftpflichtoder Versicherungsrechts der Begriff des Kausalzusammenhangs ,
oder wie bei der Vaterschaftsklage die erheblichen Zweifel im Sinne des
Art. 314 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
ZGB. Aber, gleichwie die einzelnen Tatsachen, aus denen
z. B. auf das Vorhandensein des Kausalzusammenhangs zwischen einem Unfall
und einer ihm zeitlich vorangegangenen unvorsichtigen Handlung geschlossen
wird, oder die einzelnen Tatsachen, auf Grund deren im Sinne des Art. 314
erhebliche Zweifel in die Vaterschaft des Beklagten gesetzt werden,
Gegen-stand der Tatbestandsfeststellung sind (vergl. über Art. 314:
BGE 39 II S. 507), so sind es auch die einzelnen Tatsachen, aus denen
bei der Anwendung des Art. 254 auf die Unmöglichkeit der Vaterschaft
des Klägers geschlossen wird.

Nach dem Gesagten ist im vorliegenden Falle zwar die Erklärung des
kantonalen Richters, dass der Kläger den Beweis der Unmöglichkeit seiner
Vaterschaft nicht geleistet habe, als solche für das Bundesgericht
nicht verbindlich.Wohl aber sind es allfällige Feststellungen über die
Lebensweise sowohl des Klägers als der Beklagten während der kritischen
Zeit, über Beziehungen der Beklagten zu andern Mannspersonen, über
Gelegenheiten, bei denen die Ehegatten ohne Zeugen zusammenzukommen
pflegten, über die Veranlagung eines jeden von ihnen in sexueller
Beziehung, über den Grad des bei ihnen vorhandenen Anstands-und
Ehrgefühls, bezw. über den Mangel eines solchen, über den Grad der
Leidenschaitlichkeit, mit welcher sie den damals zwischen ihnen
obschwebenden ScheidungsprczeSS führten, über allfällig bei andern
Gelegenheiten zu Tage getretene Skrupellosigkeit der Ehefrau in der Wahl
geeigneter Mittel zur Erreichung prozessualer oder anderer Vorteile, usw.

Nun enthält das angefochtene Urteil über derartige Momente, die eine
zuverlässige Beurteilung der beiden in Betracht kommenden Charaktere
gestatten würden,

584 Familienrecht. N° 96.

allerdings nur spärliche Feststellungen, und die Bemerkung, dass die
Beklagte erst nach dem 19. Juni 1911 in die Scheidung eingewilligt
habe (S. 6 des Urteils), ist sogar direkt aktenwidrig, da die heutige
Beklagte schon im Jahre 1909, nicht nur in die Scheidung eingewilligt
, sondern selber den Scheidungsprczess eingeleitet hatte. Auch fehlt
in dem vorliegenden Urteil eine unumwundene Erklärung darüber, wie
der Appellationshof das Resultat der vom erstinstanzlichen Richter
vorgenommenen persönlichen Befragung der beklagten Ehefrau auffasse. Es
erscheint daher die Frage, ob der Kläger der Vater des Kindes sei,
um'dessen eheliche Abstammung es sich handelt, in der Tat als äusserst
zweifelhaft. Allein, da nach Art. 254 die U nmöglichkeit der Vaterschaft
des klagen den Ehemanns feststehen muss, und für diese Unmöglichkeit
der Kläger beweispflichtig ist, führt im vorliegenden Falle gerade
die Spärlichkeit jener Feststellungen, bezw. der Mangel an vom Kläger
bewiesenen Tatsachen, aus denen auf jene Unmöglichkeit geschlossen
werden könnte, zur Abweisung der Klage. Freilich hat ihrerseits die
beklagte Ehefrau für ihre Behauptung, dass der Kläger in der kritischen
Zeit mit ihr geschlechtlich verkehrt habe, ebenfalls keinen Beweis zu
erbringen vermocht und sich bei ihren bezüglichen Erklärungsversucheii
sogar in auffallende Widersprüche verwickelt. Allein nach Art . 254 hat,
wie bereits bemerkt, nicht die Ehefrau oder das Kind den Beweis der
ehelichen Abstammung oder der Wahrscheinlichkeit dieser Abstammung zu
erbringen, sondern im Gegenteil der klagende Ehemann den Beweis. nicht
nur der Unwahrscheinlichkeit. sondern sogar der Unmöglichkeit seiner
Vaterschaft. Die hienach ihm obliegende Beweislast kann er nicht dadurch
auf die Gegenpartei abwälzen, dass er abwartet, ob vielleicht die beklagte
Ehefrau anlässlich ihrer allfälligen pcrsönlichen Einvernahme sich als
unfähig crweisen wird, den ihr nach dem ' Gesetz gar nicht ob-

Familienrecht. N° 96. 585

liegenden gegenteiligen Beweis zu leisten. Selbst wenn es, was hier
dahingestellt bleiben kann, bundesrechtlich zulässig sein sollte,
dass der Kläger behufs Leistung des ihm obliegenden Beweises auf das
Ergebnis einer vom Richter im Rahmen der kantonalen Prozessurdnung
angeordneten persönlichen Befragung der beklagten Ehefrau abstelle, und
selbst wenn es ausserdem als zulässig betrachtet würde, den Erklärungen
der Mutter einen entscheidenden Einfluss auf die Rechtsstellung des
mitb'eklagten Kindes zuzuerkennen, so kann durch die persönliche
Befragung der Mutter doch jedenfalls das aus Art. 254 sich ergebende
Beweisthema nicht abgeändert werden, d. h. es genügt auch dann nicht,
dass Tatsachen festgestellt werden, aus denen die Unsicherheit oder
Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Klägers hervorgeht, sondern es
müssen auch in diesem Fall s o 1 ch e Tatsachen nachgewiesen werden, aus
denen sich die U n m ö gl ich k eit seiner Vaterschaft ergibt. Dass aber
im vorliegenden Fall diese Voraussetzung erfüllt. sei, weil die frühere
Ehefrau des Klägers nicht im Stande oder vielleicht nicht gewillt war,
zuverlässige Angaben über die Umstände ihrer Schwängerung zu machen,
kann nicht als richtig anerkannt werden. Ausschlaggebend ist, dass trotz
aller Widersprüche in den Angaben der beklagten Ehefrau und trotz der
Leidenschaftlichkeit, mit welcher beide Ehegatten den zwischen ihnen
obschwebenden Prozess, insbesondere die Verhandlungen über die Zuteilung
des vom Kläger anerkannten ältesten Kindes führten, immer noch die von
der Vorinstanz angenommene Möglichkeit einer auf Berechnung beruhenden
Verleitung des Klägers zum Geschlechtsumgang seitens der Klägerin
übrigbleibt. Denn es ist nicht etwa festgestellt, dass der eine Ehegatte
gegenüber dem andern einen physischen Abscheu hatte, oder dass der eine
zu feinfühlig gewesen wäre, um während des Ehescheidungs-prozesses und
während des Getrenntlebens geschlechtlichen Umgang mit dem andern Teil
zu pflegen. Bleibt
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 40 II 577
Datum : 12. November 1914
Publiziert : 31. Dezember 1914
Quelle : Bundesgericht
Status : 40 II 577
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : I. FAMILIENRECHTDRO IT DE FAMILLE 96. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. November


Gesetzesregister
ZGB: 253 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 253
254 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 254
255 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 255 - 1 Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
1    Ist ein Kind während der Ehe geboren, so gilt der Ehemann als Vater.
2    Stirbt der Ehemann, so gilt er als Vater, wenn das Kind innert 300 Tagen nach seinem Tod geboren wird oder bei späterer Geburt nachgewiesenermassen vor dem Tod des Ehemannes gezeugt worden ist.
3    Wird der Ehemann für verschollen erklärt, so gilt er als Vater, wenn das Kind vor Ablauf von 300 Tagen seit dem Zeitpunkt der Todesgefahr oder der letzten Nachricht geboren worden ist.
314
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 314 - 1 Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
1    Die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde sind sinngemäss anwendbar.
2    Die Kindesschutzbehörde kann in geeigneten Fällen die Eltern zu einem Mediationsversuch auffordern.
3    Errichtet die Kindesschutzbehörde eine Beistandschaft, so hält sie im Entscheiddispositiv die Aufgaben des Beistandes und allfällige Beschränkungen der elterlichen Sorge fest.
BGE Register
39-II-12 • 39-II-495
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • ehegatte • frage • vater • zweifel • tag • bundesgericht • erste instanz • geschlecht • dauer • getrenntleben • ehe • entscheid • anfechtungsklage • anhörung oder verhör • obliegenheit • geschlechtsverkehr • mutter • kausalzusammenhang • zeugung
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