370 Obligationenrecht. N° 64.

64. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Mai 1914 i. S. Baur. Beklagter,
gegen Lais, Kläger.

Verkauf eines Hauses mit Uebel-nahme der Verpflichtung, im Estrichraum ein
Mansardenzimmer zu erstellen. Nichtigkeit dieser Verpflichtung nach A r
t. 1 7 a 0 R, weil baupolizeiwidrig. Haftung des Verkäufers gegenfiber
dem Käufer wegen Verschweigung der Unausführbarkeit der fraglichen
Bauarbeit. Bestimmung des negativen Vertragsinteress e s als dem
kapitalisierten Mietwert des versprochenen Mansardenzimmers entsprechend.

1. Im Februar 1911 hat der damals im Wettingen bei Baden wohnende Kläger
vom Beklagten, der in Zürich den Beruf eines Zimmermeisters ausübt,
ein Doppel-v wohnhaus an der Röntgenstrasse in Zürich IV zum Preise
von 85,000 Fr; gekauft. Der, Kaufvertrag verpflichtet den Verkäufer,
das Haus, wie vereinbart, nach ,der Fertigung in Stand zu stellen. Die
fragliche Vereinbarung ist vom 14. Februar 1911 datiert und vom Beklagten
unterzeichnet; sie lautet: c Herr Baur verpflichtet sich zum Kauf noch
einzelne Verbesserungen vorzunehmen, nämlich : Verkaufsladen einrichten,
Mansardenzimmer und Wasehstangen samt Hofraum einrichten, die übrigen,
noch nicht fertigen Arbeiten am Hause prompt herzustellen bis 1. Mai 1911.
N ach der Fertigung entstanden zwischen den Parteien Differenzen;
der Kläger behauptete, dass der Beklagte den durch "jene Erklärung
vom 14. Februar 1911 übernommenen Verpflichtungen nicht nachgekommen
sei. Im nunmehrigen Prozess hat er die Beträge eingefordert, die für
die ordentliche Instandstellung. des Hauses erforderlich seien, zusammen
6581 Fr. 10 Cts. nebst Zins zu 5% vom 17. Januar 1912 an.

ss Von dieser Forderung ist nur noch der Hauptposten streitig,
der die Erstellung des in der Erklärung erwähnten Mansardenzimmers
betrifft. Statt eines solchen Zimmers, macht der Kläger in dieser Hinsicht
geltend, habe der Beklagte einen blossen Bretterverschlag erstellt.

Obligationenrecht. N° 64. 371

Ferner dürfe der Raum infolge einer Verfügung der Gesundheitspolizei
vom 14. November 1911 nicht als Schlafraum benutzt werden. Hätte das der
Kläger gewusst, so würde er den Hauskauf nicht abgeschlossen haben. Eine
Mansarde in diesem Hause habe einen Mietwert von 25 Fr. im Monat, also von
300 Fr. imJahr, was zu 5% kapitalisiert einen Ausfall von 6000 Fr. ergehe.

Die Vorinstanz hat diese Forderung in der Höhe von 2400 Fr., nebst
entsprechendem Verzugszins, zugesprochen, indem sie den Mietwert auf nur
12 Fr. monatlich veranschlagt und den Jahreszins zu 6 % kapitalisiert
hat. Der Beklagte verlangt nunmehr gänzliche Abweisung der Forderung,
während der Kläger den Vorentscheid nicht angefochten hat.

2. .....

3. .....

4. .....

5. Der Beklagte beruft sich ferner darauf, dass die Einrichtung des
fraglichen Mansardenzimmers baupolizeilich nicht gestattet war, und wendet
gestützt hierauf ein, er sei nach Art. 17 a OR an sein Versprechen nicht
gebunden. In der Tat hat man es mit einem Fall von Nichtigkeit nach
dem genannten Artikel zu tun, mag man nun die versprochene Leistung,
an der fraglichen Stelle ein Mansardenzimmer einzurichten, als eine
widerrechtliche ansehen, weil sie gegen ein polizeiliches Verbot
verstosse, oder als eine unmögliche, weil sie dieses Verbotes wegen
nicht ausführbar sei. Mit der Nichtigkeit der streitigen Verpflichtung
erledigt sich indessen die Klageforderung nicht. Vielmehr fällt im
weitern folgendes in Betracht:

Die Vorinstanz nimmt mit der untern Instanz an, der Beklagte als Fachmann
sei sich bei der Eingehung der Verpflichtung des entgegenstehenden
Polizeiverbotes bewusst gewesen, nicht aber der Kläger und seine für
ihn handelnde Mutter, da diese beim Vertragsabschlusse ausserhalb des
Kantons gewohnt hätten und

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die stadtzüreherischen Bauvorschriften nicht hätten kennen müssen. Dabei
hält die Vorinstanz eine Aussage der Frau Lais als unwesentlich,
wonach der Zeuge Ruegger Ihr mitteilte, dass in einem andern Hause
ein dortiger Raum auf dem Estrich nicht als Schlafraum benutzt werden
könne. Demgegenüber verweist sie auf die Unerfahrenheit der Frau Lais
in Bausachen und darauf, dass die bauliche Einteilung jenes Hauses eine
andere sei und daher nicht von selbst auch die nämlichen Bauvorschriften
als anwendbar hätten gelten müssen. Gegen diese ganze, Würdigung lässt
sich vom bundesrechtlichen Standpunkte aus umsoweniger etwas einwenden,
als nicht wohl einzusehen ist, wieso der Kläger dazu gekommen. wäre, eine
Nebenleistung sich auszubedingen und bei der Bestimmung des Kaufpreises
mit in Rechnung zu ziehen, deren Nichterfüllbarkeit er zum voraus kannte.

Hienach hat also der Beklagte durch absichtliche Verschweigung im
Kläger den Irrtum erweckt, er gehe zu dessen Gunsten eine gültige
Verpflichtung ein. Darm liegt aber eine unerlaubte Handlung, die den
Beklagten schadenersatzpflichtig macht (vergl. EB 35 II S. 308, 36 II
S. 203, OSER, Kommentar zum OR S. 83 Ziffer 4 b). ,

Für die Schadensbemessung ist nicht, wie die Vorinstanz meint,
das Erfüllungsinteresse massgebend. Denn der Irrtum des Klägers hat
nicht zur Folge, dass ihmdas entgeht, wozu sich ihm der Beklagte
(rechts-unwirksam) verpflichtet hatte: Die eingegangene Verpflichtung wäre
auch dann ungültig und ein Erfüllungsanspruch des Klägers ausgeschlossen
gewesen, wenn der Beklagte die fraglichen Polizeivorschriften ebenfalls
nicht gekannt hätte und nicht hätte kennen müssen oder wenn umgekehrt
beide Parteien sie gekannt hätten. Zu Grunde zu legen ist vielmehr das
negative Vertragsinteresse: Der Beklagte hat also dem Kläger den Schaden
zu ersetzen, der ihm daraus entstanden ist, dass er sich auf den Abschluss
des nichtigen Vertrages

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vom 14. Februar 1911 eingelassen hat. Dieser Schaden bemisst sich aber
unter den gegebenen Umständen in gleicher Weise, wie es die Vorinstanz
für die Ermittlung des Erfüllungsinteresses getan hat; er ist mithin
gleich dem kapitalisierten Mietwerte eines Mansardenzimmers von der
Art des versprochenen. Hätte nämlich der Kläger gewusst, dass die
Erstellung und Benutzung eines solchen Zimmers baupolizeilich verboten
sei, so Würde er zwar die Liegenschaft dennoch gekauft haben, was auch
der Beklagte ausdrücklich behauptet (siehe Berufungsschrift S. 10), der
Kläger freilich bestreitet, ohne aber erhebliche Gründe dafür dargetan
zu haben. Dagegen hätte der Kläger in diesem' Falle nicht den vollen
Kaufpreis von 85,000 Fr. bezahlt und der Beklagte ihn nicht gefordert.
Der Kaufpreis wäre vielmehr zum mindesten wenn nämlich nicht noch
irgendwelche Gründe zu einer weitern Herabsetzung bestanden hätten -um
den Betrag kleiner gewesen, um den sich der Verkehrswert des Hauses
erhöhen würde, wenn es das verlangte Mansardenzimmer

' enthielte. Es ergibt sich das zwingend daraus, dass der

Kaufvertrag über die Liegenschaft auf das besondere Abkommen vom
14. Februar _1911 und die darin ausbedungene Nebenverpflichtung
zur Erstellung des Mansardenzimmers verweist und dass also diese
Verpflichtung einen Teil der Gegenleistung für die verkaufte
Liegenschaft bildet. Insofern lässt sich sagen, dass auch in Hinsicht
auf den Liegenschaftskauf selbst dem Beklagten als Verkäufer eine
Täuschung, wenn auch ein biosser dolus incidans, zur Last fällt und
dass er daher, trotzdem der Käufer den Vertrag genehmigt hat, nach
Art. 282 aOR ersatzpflichtig ist. Bei der ziifermässigen Bestimmung des
hfietwertskapitals handelt es sich um eine Tatfrage und es ist einfach
auf die vorinstanzliche Würdigung abzustellen, die zu einer Summe von
2400 Fr. gelangt.

Mit Unrecht behauptet der Beklagte, der Kläger habe überhaupt nicht
auf das negative Vertragsinteresse abgestellt. Die Klageforderung ist
vielmehr auch in diesem

374 Obligationenrecht. N° 65.

Smne substanziirt worden, nämlich durch die Behauptung, der Kläger würde,
wenn er die Unzulässigkeit der Erstellung des Mansardeuzimmers gekannt
hätte, den _Kauf gar nicht abgeschlossen haben, womit auch gesagt ist,
dass er ihn eventuell nur unter Festsetzung eines germgeren Kaufpreises
abgeschlossen hätte ......

Demnach hat das Bundesgericht

erkannt:

Die Berufung wird abgewiesen und damit das Urteil der}. Appellationskammer
des Ohergerichts des Kantons Zurich vom 3. Dezember 1913
bestätigt.65. Arr-Bt de la Ire section civile da 29 mai 1914, dans
la cause Société de secours mutuels des employ-és de la V'oirie,
détenderesse, contre Gay, demandeur.

Exclusion d'un membre d'une soc' _ iété ecc èratlve ,(tltre 27
CO). Pouvoir de centrale du jîge lorsque lexclusmn a été prononcée par
la Société elle-

mème en application d'un motif révu Portée de l'art. 685 GO. p par
ses statuts.

A. Charles Gay était, depuis 1888, membre de la {Société de secours
mutnels des employés de la voix-ie a Genève, dont le but est d'établir,
au moyen de cetisations, une garantie mutuelle de secours en cas de
maladie . .

En décembre 1911, un sociétaire, le sieur Clauda, décéda. La société
paya -à sa veuve l'indemnité réglementaire. Sachant que Clauda était
en retard dans le paiement de ses cotisations, Gay se fit remettre par
dame veuve Olanda, le carnet de sociétaire de son mari. Gay supposait
qu'une irrégularité avait été commise, l'art. 26 des statuts de la
société subordonnant le droit aux secours au paiement réguiier des
cotisations. Dame Clauda paya

Obligationenrecht. N° 65. 375 -

bientöt après les cotisations arriérées, et le comité de la société
réclama à Gay la restitution du carnet deClauda. siîSur refus de
Gay, le comité le mit en demeure, par lettre du 19 janvier 1912, de
rendre le carnet au trésorier de la société, sous peine de poursuites
judiciaires. Gay, ayant persisté dans son refusfut cité le" 24 "janvier
devant le juge de paix. A l'audience de' ce magistrat, du 26 janvier,
Gay restitua le carnet.

Dans son assemblée du 31 janvier 1912, le comité decida d'exclure Gay
de la société, en application de l'art. 24", ch. 4 et 5 des statuts,
aux termes duquel sont exclus: 4° ceux qui, pour affaire de la. société,
auraient recours aux tribunaux ; 5° ceux qui refusent de se soumettre
aux décisions du comité ou de l'assemblée générale. Cette décision,
prise sans que Gay eùt été appelé à s'expliquer, lui fut notifiée par
lettre du 14 février 1912.

B. Par exploit du 22 février, Gay assigna la société devant le Tribunal
de Ire instance de Genève, en concluant à ce que la défenderesse fùt
condamnée à reinscrire le demandeur au nombre des membres de la société
et à lui payer la somme de 100 fr. à titre de domrnagesintérèts. Cette
somme fut portée a 250 fr. au cours du procès. .

Le 29 février, l'assemblée générale de la société défenderesse ratifia,
à une grande major-ite, la décision du comité.

La défenderesse a conclu à liberation des fins de la demande en
allèguant : 1° que le demandeur avait commis des actes justifiant son
exclusion en vertu de l'art. 24, ch. 4 et 5 des statuts; 2° que depuis
une annéesilesidemandeur paralysait, par de continuelles vexations,
l'activité du comité.

C. Par jugemeut préparatoire du 30 mars 1913, le Tribunal {de I" instance
admit que les statuts énuméraientilimitativement les motifs d'exclusion
des sociétaires et que la disposition de l'art. 24, ch. 4 était contraire
à l'ordre public. Le tribunal limita par conséquent le

AS 40 n 1914 W
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 40 II 370
Datum : 29. Mai 1914
Publiziert : 31. Dezember 1914
Quelle : Bundesgericht
Status : 40 II 370
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 370 Obligationenrecht. N° 64. 64. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. Mai 1914


Gesetzesregister
OR: 17a
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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