43. Urteil der II. Zivilabteilung vom 2.April 1914 i. S. Stäheli, Kläger,
gegen Rindlisbacher, Beklagten.
Liegens chaftentausch; der Konsens der Parteien fehlt, wenn der
eine Kontrahent vor der öffentlichen Urkundsperson erklärt, er
unterschreihe den Vertrag nur zu ihrer Deckung und ohne Wirkung für
den Gegenkontrahenten.
A. Am 5. Juni 1913 schlossen die Parteien über ihre in der Gemeinde
Matzingen gelegenen Liegenschaften einen Tauschvertrag ab, der unter der
Aufschrift Öffentliche Beurkundung folgenden vom Grundhuchverwalter
des Grundbuchamtes Metzingen unterzeichneten Vermerk trägt: Ich,
unterzeichneter Urkundsbeamter bekunde hiemit, dass der vorbeschriebene
Tauschvertrag mit Grundpiandverschreihung im Betrage von 5460 Fr.
von mir den Parteien vorgelesen worden ist. Die gegen wärtige Urkunde
enthält den mir mitgeteilten Partei Willen und ist von allen Beteiligten
in meiner Gegen wart eigenhändig unterzeichnet werden. Im übrigen
sind die gesetzlichen Formvorschriften eingehalten worden. Auf Grund
dieses Vertrages leitete der Kläger Klage ein mit dem Begehren, es habe
der Beklagte die Rechtsgiltigkeit des zwischen ihnen am 5. Juni 1913
abgeschlossenen Liegenschaftentauschvertrages, der in das Grundbuch
des Kreises Matzingen einzutragen sei, anzuerkennen. Der Beklagte
schloss auf Abweisung der Klage und machte hauptsächlich geltend,
der Tauschvertrag entspreche, entgegen der öffentlichen Beurkundung,
nicht seinem wirklichen Willen.
B. Durch Urteil vom 1. Dezember 1913 hat das Obergericht des Kantons
Thurgau die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil reichte der Kläger
ein Revisionsgesuch ein, das als unbegründet erklärt wurde. Darauf
hat das Obergericht die Klage am 3. Februar 1914 wiederum, jedoch mit
anderer Motivierung, abgewiesen. Zur Begründung machte es geltend, dass
eine gegenseitige übereinstimmende Willensäusserung der Parteien nicht
zustande gekommen sei.
Obligationenrecht. N° 43. 247
C. Gegen die beiden Urteile des Obergerichts hat der Kläger am 18. Februar
und _12. März 1914 die Berufung an das Bundesgericht ergriffen, .mlt
dem Antrag, die Klage gutzuheissen; eventuell sei dle Streitsache zur
Beweisergänzung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht zieht i n E r w a g u n g :
1. Da das Urteil der Vorinstanz vom 1. Dezember 1913 durch dasjenige
vom 3. Februar 1914 ersetzt werden ist, fällt es, sowie die Berufung
vom 18. Februar 1914, für das Bundesgericht ausser Betracht.
2. In der Sache hängt die Entscheidung davon ab, ob der nach Art. 9
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 9 - 1 Öffentliche Register und öffentliche Urkunden erbringen für die durch sie bezeugten Tatsachen vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen ist. |
|
1 | Öffentliche Register und öffentliche Urkunden erbringen für die durch sie bezeugten Tatsachen vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen ist. |
2 | Dieser Nachweis ist an keine besondere Form gebunden. |
freigegebene Beweis dafür geleistet worden ist, dass der öffentlich
beurkundete Liegenschaftentauschvertrag vom 5. Juni 1913 nicht dem
Wirklichen Willen der Parteien entspricht. Die Vorinstanz gründet ihr
Urteil wesentlich auf die tatsächliche Feststellung, dass der Beklagte
bei Unterzeichnung des Tauschvertrages dem Grundbuchbeamten ausdrücklich
erklärt hat, er unterschreibe nur zur Deckung des Grundbuchbeamten und
nur unter der Voraussetzung, dass seine Stellung dem Kläger gegenüber
nicht geändert werde, denn er könne den Kauf nicht halten (s: die
Anbringen des Beklagten auf S. 9 und 10 des Appellationsbriefes, das
Schreiben des Beklagten an den Kläger vom 30. Mai 1913, die Mitteilung
des Beklagten an das Grundbuchamt vom 9. Juni 1913 und insbesondere
die Erklärung Fitzli vom 14. Oktober 1913). Diese Feststellung des
Obergerichtes muss aufiallen; sie steht im Widerspruch nicht nur mit
der öffentlichen Beurkundung durch den Grundhuchbeamten,sondern auch mit
dem Verhalten des Beklagten, der nach Abschluss des Tauschgeschäftes mit
einem (undatierten) Schreiben den Vertrag zur Eintragung ins Grundbuch
anmeldete und die Anmeldung nachträglich lediglich aus Gründen zurückzog,
die aufdie Vorgänge bei der Unterzeichnung des Vertrages keinen Bezug
hatten. Trotzdem erscheint die Feststellung der Vorinstanz nicht als
aktenwidrig; sie beruht Vielmehr
248 Obligationenrecht. N° 43.
auf der dem kantonalenBichte'r zustehenden freien Bewelswürdlgung. die
der Überprüfung durch das Bundes--
gericht entzogen ist. Anderereseits hat das Bundegerieht
als Berufungsgericht aber auch nicht darüber zu entscheiden, ob
und inwieweit die Vorinstanz gemäss Art. 167 der thurgauisehen
Zivilprozessordnung auf das Zeugnis Fitzli abstellen durfte.
3.· Es fragt sich daher, ob auf Grund des von der Vorinstanz verbindlich
festgestellten Tatbestandes ein giltlger Vertrag zustande gekommen
ist. Diese Frage ist zu verneinen. Die Stellung des Grundbuchbeamten bei
der Unterzeichnung war diejenige eines Vertreters, der die Erklärung
jeder Partei zu Handen der andern entgegennimmt. Für die Perfektion
des im Streite liegenden Liegenschaftentauschvertrages war daher in
erster Linie eifarderlich, dass der Beklagte dem Grundbucheamten eine
Erklärung abgab, die für den Kläger bestimmt war. Nun hat der Beklagte dem
Grundbuchverwalter erklärt, er unterzeichne den Vertrag nur zu seiner,
des Grundbuchverwalters Deckung und nur unter der Voraussetzung, dass
das Vertragsverhältnis mit dem Kläger dadurch nicht berührt werde. Der
Beklagte hat also lediglich eine für den Grundbuchbeamten persönlich
und nicht eine für den Kläger bestimmte Erklärung abgegeben. Unter
diesen Umständen muss die Klage, ohne dass dem Rückweisungsantrag des
Klägers Folge zu geben ist, abgewiesen werden, weil keine gegenseitige
übereinstimmende Willensäusserung der Parteien, und somit kein
verbindlicher Ver trag vorliegt.
Demnach hat das Bundesgericht
erkannt:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerlchts des Kantons
Thurgau vom 3. Februar 1914 bestätigt.Übligationenrecht. N° 44. 249
44. Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. April 1914 i. S. Werthmüller,
Ktäger, gegen Sperund Kreditkasse Burgdorf .A..G., Beklagte.
Verb ürgu ng eines Kredites bis zum Kreditbetrage von 60,000
Fr. nebst allen ausstehenden EZinsen, inbegriffen Zinseszinsen,
Provisionen und Folgen o. Abwicklung des Kreditvertrages in Form eines
Kontokorrentverhältnisses. Novationswirkung der Rechnungsahschlüss e
hinsichtlich der genannten Nebenansprüche im Sinne ihrer Einbeziehung
in die Kapitalsumme. Bezahlung einer den verbürgten Höchstbetrag
über-steigenden Summe durch den Bürgen wegen Unkenntnis jener
Novationswirkung. Der unterlaufene Irrtum ist ein Rechts irrtum. Der
letztere ist geeignet zur Begründung der condicio indebiti des Art.72
a
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 9 - 1 Öffentliche Register und öffentliche Urkunden erbringen für die durch sie bezeugten Tatsachen vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen ist. |
|
1 | Öffentliche Register und öffentliche Urkunden erbringen für die durch sie bezeugten Tatsachen vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen ist. |
2 | Dieser Nachweis ist an keine besondere Form gebunden. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 63 - 1 Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. |
|
1 | Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. |
2 | Ausgeschlossen ist die Rückforderung, wenn die Zahlung für eine verjährte Schuld oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht geleistet wurde. |
3 | Vorbehalten bleibt die Rückforderung einer bezahlten Nichtschuld nach Schuldbetreibungs- und Konkursrecht. |
1. Am 24.130. September 1903 hat die Beklagte, die Sparund Kreditkasse
Burgdorf, dem Rudolf Bieri, damals Müller in Hindelbank, einen Kredit
von 60,000 Fr. eröffnet. Laut dem hierüber ausgestellten Sehadlosund
Kreditbrief anerkannte Bieri diejenige Summe, die er direkt oder
durch Wechsel, Anweisungen oder sonstige Verfügungen von der Beklagten
beziehen werde, ihr auf Rechnung dieses Kredites schuldig zu sein, und
er verpflichtete sich, den daherigen Schuldbetrag nach dem jeweilen
von der gläubigerischen Kasse festgesetzten Zinsfuss zu verzinsen ,
. . . .. ferner die bestimmten Provisionen und Auslagen für Porti,
Stempel, Ausfertigung von Akten usw. zu berichtigen ..... und der
Beklagten allen schaden und Nachteil zu ersetzen, der ihr aus der
Eröffnung dieses Kredites jemals vom Kreditnehmer zuwachsen könnte
. Der Kredit wurde auf verschiedenen Liegenschaften des Kreditnehmers
hypothekarisch versichert und ferner durch den Kläger Johann Werthmüller
und zwei andere Personen Ernst Küng und Niklaus Glauser verbürgt. Laut
der Bürgschaftserklärung traten diese Drei den oben angegebenen
Verbindlichkeiten des Kreditschuldners gegen die Spar-
250 Obligationenrecht. N° 44.
und Kreditkasse Burgdorf solidarisch sowohl unter sich als mit dem
Hauptschuldner als Bürgen bei und verpflichteten sich, für die von dem
Kreditnehmer der glänbigerisehen Kasse schuldig werdenden Summen bis
zum Kreditbetrage von Franken sechzigtausend, 60,000 Fr., nebst allen
ausstehenden Zinsen, inbegriffen Zinseszinsen, Provisionen und Folgen
zu haften .....
Der Kreditvertrag wickelte sieh in FoIm eines Kontokorrentverhältnisses
ab. DieBeklagte übermachte jeweilen dem Bieri und später dessen Vormund
Rechnungsauszüge auf den 31. Dezember und den 30. Juni mit Saldovortrag
und erhielt stets die beigegebene Richtigbefundsanzeige unterzeichnet
zurück. Von 1907 an überschritten die Guthabenssaldi der Beklagten 60,000
Fr. Der Auszug auf 31. Dezember 1908 erzeigte eine saidoforderung von
68,166 Fr. 70 Cts. Diese Forderung samt den seither erwachsenen Zinsen
und Provisionsansprüchen meldete die Beklagte im Konkurse, der bald
nachher, am 15. Februar 1909, fiber Bieri eröffnet wurde, an. Auf Grund
der Verteilungsliste und Schlussrechnung erhielt sie am 2. /3. September
1909 aus dem Pfanderlös eine Dividende von 62,947 Fr. ausbezahlt. Für den
Rest ihrer Forderung, die mit den erlaufenen Zinsen, auf den 30. Oktober
berechnet, 70,540 Fr. 25 Cts. betrug, also für 7593 Fr. 25 Cts. blieb
die Beklagte ohne Deckung.
Diese Verlustsumme forderte sie wiederholt mündlich und schriftlich vom
Kläger als Bürgen ein, worauf der Kläger sie am 30. Oktober ohne Vorbehalt
bezahlte. Nachdem dieser die Sache drei Jahre lang auf sich hatte beruhen
lassen, beauftragte er im November 1912 seinen Anwalt, die Frage zu
prüfen, inwieweit ihm gegen die Mithürgen Rückgrit'fsreehte zuständen. In
seinem Berichte vom 4. Januar 1913 setzte der Anwalt auseinander, dass
nach seiner Meinung der Kläger der Beklagten überhaupt nichts zu bezahlen
gehabt hätte : Die Haftung derBürgen habe sich auf das Kreditkapital
von 60,000 Fr. und die seit dem letzten Kontokorrentabschluss erwachsenen
Obligationenrecht. N° 44. 251
Zinse und Provisionsansprüche erstreckt, auf zusammen 61,450 Fr. 50
Cts.Die früheren Zinse und Provisionen aber seien Bestandteil des Kapitals
geworden. Mit der Konkursdividende von 62,947 Fr. habe also die Beklagte
schon mehr als den verbürgten Maximalbetrag erhalten.
Auf dies hin erhob der Kläger nach erfolgloser Zahlungsaufiorderung
gegen die Beklagte Klage mit dem Begehren auf Rückzahlung der 7593 Fr. 25
cts. und Bezahlung von 5 % Zinsen hievon seit dem 30. Oktober 1909 .....
Vom bernischen Appellationshof mit Urteil vom
28. Januar 1914 abgewiesen hat der Kläger sein Klage-
begehren vor dem Bundesgericht als Berufungsinstanz erneuert.
2. Von den Erfordernissen der condictio indebiti des Art. 72 aOR ist
zunächst zweifellos das der Bereicherung vorhanden. Die Beklagte hat an
den ihr übergebenen Geldstücken Eigentum erworben und ihr Vermögen um
den bezahlten Betrag vermehrt.
3. Sodann hat man es auch mit der Bezahlung einer Nichtschuld zu tun,
indem der Kläger zu keiner Leistung als Bürge mehr verpflichtet war,
nachdem die Beklagte aus dem Konkurse des Hauptschuldners an dessen
Schuld 62,947 Fr. als Dividende bezahlt erhalten hatte. Hierüber ist
des nähern zu bemerken :
Die vom Kläger verbürgte Ha upts chuld umfasst den ganzen von
der Beklagten im Konkurse eingegebenen Betrag (68,166 Fr. 70
Cts. val. 1. Januar 1909 mit seitherigen Zinsen und Provisionen). Denn
nach der Schuldurkunde verpflichtete sich Bieri, diejenige Summe, die
er von der Beklagten auf Rechnung des Kredites von 60,000 Fr. beziehen
werde, samt Zinsen, Provisionen und Auslagen wieder zurückzuzahlen,
und es ist unbestritten, dass die
angemeldete Konkursforderung sich aus Kreditbezügen
in einem Umfange, der, wie es scheint, das anfängliche Kreditmaximum
überschreitet und aus den seit der Kreditgewährung aufgelaufenen Zinsen,
Provisionen und Auslagen zusammensetzt. Auch ihrer Höhe nach sind die252
Obligationenrecht. N° 44.
einzelnen Posten unangefochten. Zudem haben Bieri oder sein
Vormund die jeweiligen Rechnungsauszüge, mit Einschluss des letzten
auf den 31. Dezember 1908, als richtig anerkannt. Was sodann die
Bürgschaftsschuld anlangt, so verpflichteten sich die Bürgen, für die
vom Kreditschuldner der gläubigerischen Kasse schuldig werdenden Summen
bis zum Kreditbetrage von 60,000 Fr. nebst allen ausstehenden Zinsen,
Provisionen und Folgen zu haften . . . . . Hier nun fällt im Sinne einer
Beschränkung der Bürgschaftshaftung in Betracht, dass der Kreditvertrag
die Kreditgewährung in Form eines Kontokorrentverkehrs vorsieht und
dass er auch in dieser Form vollzogen wurde. Ob man es dabei mit einem
eigentlichen Kontokorrentverhältnis zu tun habe, bei dem die Einzahlungen
und Bezüge als Rechnungsposten behandelt werden und nur eine Forderung
auf den Saldo besteht, oder mit einem Rechnungsverhältnis ohne diese
besonderen Wirkungen, mag dahingestellt bleiben. In beiden Fällen
ist zu sagen, dass die während einer Rechnungsperiode erwachsenen
Zins-, Provisionsund sonstigen Nebenansprüche nach Abschluss der
Rechnungsperiode zum Kapital geschlagen werden und damit als solche
durch Novation untergehen (vergl. BE 29 II S. 335 ff. Erwägungen 5 und
6). Laut der Bürgschaftsverpflichtung erstreckt sich aber die Haftung
des Klägers, was das Kapital anlangt, bis zum Kreditbetrage von 60,000
Fr. . Insgesamt hatte er demnach, als die Beklagte am 2/3. September 1909
an die Hauptschuld 62,947 Fr. bezahlt erhielt, für 60,000 Fr. nebst den
seit dem letzten Rechnungsabschlusse vom 31. Dezember 1908 erwachsenen
Zinsen und. sonstigen NebenanSprüchen einzustehen, was laut unbestrittener
Feststellung der Vorinstanz zusammen 62,500 Fr. ausmacht. Mithin hat
die Beklagte an die Hauptschuld, die am
31. Dezember 1908 auf 68,166 Fr. 70 Cts. aufgelaufen war, '
mehr erhalten als den verbürgten Höchstbetrag und dieObligationenrecht. N°
44. 253
Bürgschaft ist daher mit der Bezahlung vom 2./3. September 1909
erloschen. __
Mit Unrecht glaubt die Beklagte eine Haftung der Bur-
gen für den vollen Betrag der Hauptschuld daraus ableiten zu können, dass
laut dem Kreditbrief der Hauptschuldner ihr allen Schaden und Nachteil
zu ersetzen hat, der ihr aus der Krediteröifnung erwachsen könnte, und
_dass m der Bürgschaftsurkunde die Bürgen erklären, sohdarlsch unter
sich und mit dem Hauptschuldner den oben angegebenen Verbindlichkeiten
des Kreditschuldners belzutreten. Letzteres kann sich nicht auch auf
Jene allgemeine Verpflichtung des Schuldners zum Schadenersatz beziehen,
jedenfalls nicht, soweit es sich um die h1er streitige Frage handelt,
für welchen Höchstbetrag an Kapital die Bürgen haften. Diese Frage
w1rd III. der Bürgschaftsakte ausdrücklich im Sinne der oben erorterten
Beschränkung der Haftung auf einen Kapitalbetrag von 60,000 Fr. geregelt
und demgemäss kehrt denn auch in diesem Akte jener in die Schuldurkunde
aufgenommene Passus nicht wieder. _
4. In dritter Linie muss als dargetan gelten, dass Sich der Kläger
bei seiner Zahlung über seine Schuldpihcht m einem Irrtum befunden
hat. Irgend ein anderer Grund, wegen dessen er dazu gekommen wäre, eine
Nichtschuld zu zahlen, ist weder zu ersehen, noch von der Beklagten
behauptet worden. Unter solchen Umständen aber muss der Irrtum als
ausgewiesen gelten (vergl. Ost-zn, Kommentar zum OR, Art. 63, V, 4). _
Mit der Vorinstanz und auf Grund ihrer tatsächlichen Würdigung der
Verhältnisse ist dieser dem Kläger unterlaufene Irrtum als Rechtsirrtum zu
qualifizieren : Der Kläger hat seine Zahlung in der Annahme gemacht, dass
alle seit der Krediteröfinung erwachsenen stund sonstigen Nebenansprüche
als solche weiter bestanden und dass daher alle noch zu den ausstehenden
Zinsen und Provisionen gehörten, für die ihn der Bürgschaftsakt haften
lässt, Während sich doch nach dem oben Gesagten
o
254 Ohligationenreeht. N° 44.
seine Haltbarkeit bloss auf die vom 1. Januar 1909 an entstandenen
Nebenansprüche erstreckte, die frühem aber im Kapitalbetrag aufgegangen
waren. Jene unrichtige Annahme beruht auf einer rechtsirrtümlichen
Auffassung der den jeweiligen Rechnungsabschiüssen zukommenden
Bedeutung, nämlich auf einer Verkennung der NovationsWirkung, die mit
ihnen (mindestens) hinsichtlich der Nebenansprüche verbunden war. Ein
Irrtum darüber aber, inwiefern tatsächlich solche Reehnungsabschlüsse
stattgefunden und auf welche Posten sie sich tatsächlich bezogen haben,
hat beim Kläger nicht obgewaltet.
5. Die Vorinstanz stellt nun darauf ab, ' dass ein Rechtsirrtum zur
Begründung der condictio indebiti des Art. 72 aOR nicht genüge und kommt
aus diesem Grunde zur Abweisung der Klage. Für ihren Rechtsstandpunkt
beruft sie sich auf das bundesgerichtliche Urteil vom 9. Juni 1905
i. S. Träubler gegen Bank in Wil (BE 31 II S. 294 f. Erwägung 3) und
erklärt, durch die damit inaugurierte Praxis des Bundesgerichts gebunden
zu sein.
Nun hat in der Tat das Bundesgericht im genannten Urteil den Reehtsirrtum
wenigstens für den damals zu prüfenden Fall es handelte sich unreinen
Irrtum über die Gültigkeit eines Wechselprotestes als zur Anstellung
der Rückforderungsklage aus Art. 72
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 72 - Ist die Schuldpflicht in der Weise auf mehrere Leistungen gerichtet, dass nur die eine oder die andere erfolgen soll, so steht die Wahl dem Schuldner zu, insofern sich aus dem Rechtsverhältnis nicht etwas anderes ergibt. |
in zwei spätern Entscheiden (BE 34 II S. 329 und S. 514) hat es unter
Verweisung auf jenes Urteil und ohne dessen Begründung etwas beizufügen,
diese Unerheblichkeit des Rechtsirrtums allgemeiner ausgesprochen. Mag
aber auch damit eine Praxis in diesem Sinne sich gebildet haben, so
liegen doch hinreichende Gründe zu einer erneuten Prüfung der Frage vor:
Einmal nämlich erörtert jenes einzige Urteil des Bundesgerichts, das
sich sachlich mit ihr beschäftigt, sie nicht allseitig und erschöpfend,
während doch früher schon das Bundesgerieht selbst den Rechtsirrtum
ohne weiteres als zur Begründung der condictio indebiti genügend
angesehen hatte (vergl. z. B. BE 25 II S. 873, ebenfalls einen Irrtum
überObligationenrecht. N° 44. 255
die Gültigkeit eines Wechselprotestes betreffend). Sodann
hat sich Vielfach die kantonale, namentlich die zürcheri-
sche Rechtssprechung und fast allgemein die Literatur
ausdrücklich für die Berücksichtigung des Rechtsirrtums
ausgesprochen, und zwar auch noch nach jenem Bundes-
gerichtsentscheide von 1905 und auch in Hinsicht auf das
rev. OR (vergl. Schweizerische Blätter für handelsrecht-
liche Entscheidungen 8 S. 357, 10 S. 38, 18 S. 131, Blätter
für Zürcher. Rechtssprechung 3 N° 173, 7 N° 23; VOGT,
Leichtfassliche Anleitung zum OR, S. 56, SCHNEIDER und
FICK, Kommentar, 2. Auflage, Art. 72 Note 7, HABERSTlCH, Handbuch I
S. 193, HAFNER, Kommentar, 2. Auf-
lage, Art. 72 Note 6, ROSSEL, Manuel, I. Auflage, S. 92,
II. Auflage, S. 102; von den Kommentaren des rev. OR:
Fxcx, Art. 63, Noten 17 und 20, und OSER, Art. 63,
Noten Ill, 3a und b, BECKER, Art. 63, Noten 10 und 11,
der den unwesentliehen Irrtum im Sinne des Art. 24 und
damit implicite den Rechtsirrtum für genügend erklärt;
sodann die Kritiken des Entscheides stäubler von WÄCHTER in den Blättern
für zürcherische Rechtssprechung, 4 S. 293 und von STÜCKELBERG in der
schweizerischen Juristenzeitung 5 S. 169; besonders endlich den die
Frage eingehender behandelnden Aufsatz NÄGELIS in der schweizerischen
Juristenzeitung 5 S. 386 ff.).
In erster Linie nun vermag jedenfalls der Wortlaut des Art. 72
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 72 - Ist die Schuldpflicht in der Weise auf mehrere Leistungen gerichtet, dass nur die eine oder die andere erfolgen soll, so steht die Wahl dem Schuldner zu, insofern sich aus dem Rechtsverhältnis nicht etwas anderes ergibt. |
des Art. 63
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 63 - 1 Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. |
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1 | Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. |
2 | Ausgeschlossen ist die Rückforderung, wenn die Zahlung für eine verjährte Schuld oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht geleistet wurde. |
3 | Vorbehalten bleibt die Rückforderung einer bezahlten Nichtschuld nach Schuldbetreibungs- und Konkursrecht. |
nicht zu rechtfertigen. Die beiden Bestimmungen sprechen schlechthin
von einem Irrrtum , in dem sich der Zurückfordernde
'befunden haben müsse, und machen also keine auf die Beschaffenheit dieses
Irrtums abstellende Unterscheidung. Die Auffassung, dass ein Rechtsirrtum
nicht genüge, beruht daher auf einer dem Wortlaut widersprechenden,
einschränkenden Auslegung, die der Rechtfertigung durch bestimmte
Gründe bedarf.
Solche lassen sich zunächst nicht aus der Entsteh un gsg e s 0 hi c hte
der beiden Bestimmungen herleiten.
avv uouganonenrecnt. N ° 44.
Von den verschiedenen Gesetzen, die bei der Ausarbeitung des OR
hauptsächlich mitberücksichtigt wurden, hat freilich das zürcherische
Privatrecht in § 1221 den Rechtsirrtum bei der condictio indebiti
soweit ausgeschlossen, als nicht besondere Gründe seine Entschuldbarkeit
ergeben. Die andern dieser Gesetze dagegen, mit Ausnahme des Code civil,
erklären im Gegenteil den Rechtsirrtum ausdrücklich als geeignete
Voraussetzung für die Rückforderungsklage, so das österreichische BGB
in § 1431, das sächsische BGB in § 1519 und der Dresdener Entwurf im
Art. 976; und was den die Klage regelnden Art. 1377 c. c. anlangt,
so Spricht er, gleich dem OR, kurzweg von Irrtum ( erreur ) und eine
ständige Gerichtspraxis hatte ihn schon damals im Sinne auch der
Zulassung des Rechtsirrtums ausgelegt (vergl. DALLOZ, Codes annotés,
T III N° 165 ad art. 1377; SIREY, Codes annotés, IV éd, N° 3 ad
art. 1235). Wenn unter solchen Umständen die Entwürfe und der endgültige
Text des aOR den Rechtsirrtum nicht besonders erwähnen, so gestattet
das einen Wahrscheinlichkeitsschluss nicht für, sondern gegen seine
Ausschliessung. Dem lässt sich zur Bestärkung noch beifügen, dass der
FIcK'sche Entwurf von 1875 in Art. 103, ohne zwar den Rechtsirrtum als
solchen zu erwähnen, sich doch zum zürcherischen Privatss recht damit in
Gegensatz stellt, dass er auch den unentschuldbaren Irrtum berücksichtigt
wissen will. Und endlich verweisen die Motive von WYss noch besonders
auf die genannten Bestimmungen des Code civil, des sächsischen Gesetzes
und des Dresdener Entwurfes und wenden sich
zugleich gegen die gemeinrechtliche Kasuistik bezüglich
des Irrtums (Entschuldbarkeit, Rechtsirrtum) , während
der Bundesgerichtsentscheid i. S. Tràubler zu seiner Be-
gründung gerade das Pandektenrecht glaubt beiziehen
zu können (vergl, im übrigen die nähern Angaben bei
NÄGELI, a. a. 0 unter Ziffer 2 und 3).Was sodann das rev.
OR betrifft, so hat die Expertenkommission einen Antrag,
die Frage im Gesetze zu lösen, abgelehnt (Protokoll
vomObligationenrecht. N° 44. 257
8. Mai 1908 S. 40). Da nun die in Betracht kommenden Textworte ( .....
sich im Irrtum befunden ..... ) unverändert geblieben sind, so müssen
für das alte und das revidierte Gesetz in allen Beziehungen die nämlichen
Erwägungen Zutreffen,
Um die sachliche Berechtigung der Nichtbeachtung des Rechtsirrtums
darzutun, macht der Bundesgerichtsentscheid i. S. T räuhler zunächst
geltend, die Rechtsordnung lasse im allgemeinen den Rechtsirrtum
unberücksichtigt ; es spreche dies eher dagegen, ihm ausnahmsweise bei
der Bereicherungsklage Berücksichtigung zuzugestehen. Demgegenüber
ist zu bemerken, dass das OR einen allgemeinen satz im Sinne der
römischen Parömie error juris nocet nicht enthält (vergl. 0533,
Kommentar, Art. 26 II 1). Für die Behandlung des Rechtsirrtums sind
daher jedenfalls zunächst die besonderen Verhältnisse und Bedürfnisse
bei den einzelnen Rechtsinstituten in Betracht zu ziehen. Fragen
liesse sich höchstens, ob nicht die Bestimmungen, die das Gesetz über
den Irrtum im Vertragsverhältnis in den Art. 23 ft. aufstellt, die
einzigen, die sich über den Irrtum näher aussprechen, analog auf das
Institut der ungerechtfertigten Bereicherung und im besondern auf die
Klage des Art. 63 anzuwenden seien. Alsdann müsste bei der ccndictio
indebiti der Rechtsirrtum regelmässig als unerheblich gelten ; denn im
Vertragsverhältnis fällt er, als Unkenntnis oder falsche Auffassung über
die den Vertragstatbestand beherrschenden Rechtsnormen, im allgemeinen
unter den Irrtum im Beweggrund des Art. 242 (vergl. OSER, Kommentar,
Art. 24. IV 3 und VIII, 2 c) und ein derartiger Irrtum vermag die
Gültigkeit des abgeschlossenen Vertrages nicht zu beeinträchtigen. Allem
einer solchen analogen Anwendung des Art. 24 steht entgegen, dass
die Art. 24 und 63 auf ganz verschiedener Grundlage beruhen. Dort ist
die Frage zu regeln, von welcher Bedeutung der beim Vertragsabschluss
unterlautene Irrtum sein müsse, um die Verbindlichkeit des
zoo unugauonenrecnt. N° 44.
Vertrages zu beeinflussen, und es führt dies zu der Unterscheidung
zwischen dem wesentlichen und unwesentlichen Irrtum. Bei Art. 63
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 63 - 1 Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. |
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1 | Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. |
2 | Ausgeschlossen ist die Rückforderung, wenn die Zahlung für eine verjährte Schuld oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht geleistet wurde. |
3 | Vorbehalten bleibt die Rückforderung einer bezahlten Nichtschuld nach Schuldbetreibungs- und Konkursrecht. |
handelt es sich um eine andere Frage: Der darin genannte Irrtum betrifft
nicht das Zahlungsgeschäft, durch das sich die ungerechtfertigte
Bereicherung vollzogen hatte und auf das freilich hinsichtlich
allfälliger Willensmängel die Art. 23 ff. und zwar unmittelbar Änwendung
finden, soweit die Zahlung überhaupt rechtsgeschäftlicher Natur ist
(vergl. hierüber OSER, S. 263 Ziffer 3). Vielmehr liegt hier der Irrtum
in der unrichtigen Annahme einer Zahlungspflicht, welche Annahme das
Motiv der Zahlung bildet ; und der Gesetzgeber hat hier die Frage zu
ordnen, ob ein solcher Irrtum es rechtfertige, durch Einräumung eines
Rückforderungsanspruehes eine Korrektur der gesetzlichen Rechtswirkung
der Zahlung deshalb eintreten zu lassen, weil die durch, sie geschaffene
Rechtslage dem Endziel der Rechtsordnung, der materiellen Gerechtigkeit,
nicht entspricht (vergl. Osaa, S. 250, Bemerkung II). Nach diesem den
Bereicherungsansprüchen allgemein und der condictio indebiti im besonderen
zu Grunde liegenden Gedanken führt nicht sowohl der der Leistung
anhaftende Willensmangel als vielmehr ihre Grundlosigkeit zur Gewährung
des Rückforderungsanspruches (vergl. auch NÄGELI a. a. O., Ziffer 4,
und JACCOTET, Droit des obligations, p. 56). Nach all dem aber kann auf
die irrtümliche Bezahlung einer Nichtschuld jene Unterscheidung zwischen
wesentlichem und unwesentlichem Irrtum nicht passen, da sie den besonderen
Verhältnissen des Vertragsrechts entnommen ist und weil überhaupt der
Irrtum bei der Bezahlung einer Nichtschuld stets ein solcher im Beweggrund
ist und daher nie ein wesentlicher im Sinne des Art. 24 sein kann. Statt
dass zu einer analogen Gesetzesanwendung im genannten Sinne ein Anlass
vorläge, ist vielmehr nach dem Gesagten anzunehmen, die besondere Natur
und der Zweck der condicfio indebiti erfordere die Berücksichtigung auch
des Rechtsirrtums. Für diese LösungObligationenrecht. N° 44. 259
lässt sich übrigens auch auf dieausländische Gesetzgebung verweisen
(vergl. die schon angegebenen Gesetzes.bestimmimgen, ferner § 814 des
DBGB, dazu OERTMANN, Kommentar, Note 1,6 ; art. 1146 Codice civ. ital. und
Kommentar von BORSARI dazu (1877), II B § 3040).
sofern also überhaupt der Art. 63
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 63 - 1 Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. |
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1 | Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat. |
2 | Ausgeschlossen ist die Rückforderung, wenn die Zahlung für eine verjährte Schuld oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht geleistet wurde. |
3 | Vorbehalten bleibt die Rückforderung einer bezahlten Nichtschuld nach Schuldbetreibungs- und Konkursrecht. |
auszulegen wäre, dass er sich nicht auf alle Irrtumsfälle beziehe,
kann doch das Unterscheidungsmerkmal nicht in dem Gegensatz von
Rechtsund Tatirrtum gefunden werden, sondern man hätte allenfalls darauf
abzustellen, ob der unterlaufene (T atoder Rechts-) Irrtum. entschuldbar
sei oder nicht. Dieser Punkt braucht indessen nicht geprüft zu werden, da
der Rechtsirrtum, in dem sich der Kläger bei der Zahlung vom 30. Oktober
1909 hefunden hatte, zweifellos ein entschuldbarer wäre. Jene Rechtsfragen
(betreffend die Auslegung des Schuldund des Bürgschaftsaktes und die
Novationswirkung der Saldoziehung), die der Kläger damals unrichtig
aufgefasst hat und die ihn zu seinem Irrtum über die Schuldpflicht
geführt haben, konnten selbst von Rechtskundigen verschieden beurteilt
werden; vertritt doch heute noch der Anwalt der Beklagten die Meinung,
der Kläger habe die geleistete Zahlung wirklich geschuldet. Wenn. der
Entscheid i. S. Träubler im weitem die Gefährdung der Rechtssicherheit
und die Gefahr endloser Prozesse als Grund für die Verweigerung der
Rückforderungsklage angibt, so kann das in Hinsicht auf den erwähnten
Zweck derKlage nicht ausschlaggebend sein und übrigens würden die
befürchteten Nachteile, mindestens in gewissem Umfange, auch beim
Tatirrtum bestehen. Wieso endlich die Geltendmachung des dem Kläger
zustehenden Rückforderungsanspruches gegen Treu und Glauben verstossen
solle, ist in keiner Weise ersichtlich.
Die Zinsforderung hat der Kläger weder an sich noch ihrer Höhe nach
bestritten, und ihre grundsätzliche Berechtigung ergibt sich auch aus
Art. 84
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 84 - 1 Geldschulden sind in gesetzlichen Zahlungsmitteln der geschuldeten Währung zu bezahlen. |
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1 | Geldschulden sind in gesetzlichen Zahlungsmitteln der geschuldeten Währung zu bezahlen. |
2 | Lautet die Schuld auf eine Währung, die am Zahlungsort nicht Landeswährung ist, so kann die geschuldete Summe nach ihrem Wert zur Verfallzeit dennoch in Landeswährung bezahlt werden, sofern nicht durch den Gebrauch des Wortes «effektiv» oder eines ähnlichen Zusatzes die wortgetreue Erfüllung des Vertrags ausbedungen ist. |
AS 40 n _ 1914 ' 18260 Obligaüonenrecht. N ° 45.
Beklagte ihrerseits aus dem bezahlten Betrag Zinsen bezogen hat
(vergl. Entscheid des Bundesgerichts vom 6. März 1914 i. S. Specht und
Haase g. Vollert, Erwägung 8 a. E.).
Demnach hat das Bundesgericht erkannt :
Die Berufung wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und
die Beklagte verurteilt, dem Kläger 7593 Fr. 25 Cts. samt Zins zu 5%
seit dem 30. Oktober 1909 zu bezahlen.
45. Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. April 1914 i. S. Meyer, Beklagter,
gegen Bigler und Egger, Kläger.
Haftung des Tierhalters aus Art. 65 a
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 84 - 1 Geldschulden sind in gesetzlichen Zahlungsmitteln der geschuldeten Währung zu bezahlen. |
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1 | Geldschulden sind in gesetzlichen Zahlungsmitteln der geschuldeten Währung zu bezahlen. |
2 | Lautet die Schuld auf eine Währung, die am Zahlungsort nicht Landeswährung ist, so kann die geschuldete Summe nach ihrem Wert zur Verfallzeit dennoch in Landeswährung bezahlt werden, sofern nicht durch den Gebrauch des Wortes «effektiv» oder eines ähnlichen Zusatzes die wortgetreue Erfüllung des Vertrags ausbedungen ist. |
Haftung. Diligenzpflicht des Pferdehalters. Verschulden des Getöteten. Tod
der entschädigungsberechtigten Witwe.
A. Durch Urteil vom 31. Oktober 1913 hat die II. Zivilkammer des
Appellationshofes des Kantons Bern über die Klagebegehren: ·
1. Der Beklagte sei schuldig und zu verurteilen, der Klägerin den ihr
infolge des Todes ihres Ehemannes Friedrich Bigler erwachsenen Schaden
zu ersetzen.
2. Es sei der Betrag der Entschädigung gerichtlich zu bestimmen und
vom 19. August 1911 hinweg zu 5 % verzinsbar zu erklären
erkannt :
1. (Abweisung von Beweisanträgen.)
2. Der Klägerin sind ihre Klagsbegehren zugespro chen und es hat ihr der
Beklagte einen Entschädigungs betrag von 1200 Fr. nebst Zins davon à 5 %
seit 19. August 1911 zu bezahlen.
B.Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die Berufung an das Bundesgericht
erklärt mit dem Antrag auf Aufhebung und auf gänzliche Abweisung der
Klage.Obligationenreeht. N° 45. ' 261
C. Die Klägerin hat sich der Berufung angeschlossen und beantragt, es
sei die vom Beklagten zu zahlende Schadenersatzsumme nach richterlicher
Bestimmung angemessen zu erhöhen.
D. Am 19. März 1914 teilte Fürsprecher S. mit, dass die Klägerin nach
Fällung des obergerichtlichen Urteils gestorben sei und dass sie als
Noterben drei Kinder hinterlassen habe, welche die Erbschaft angetreten
haben und den Prozess weiterführen.
Das Bundesgericht zieht in E r w ä g u n g :
1. Der Beklagte ist Fuhrhalter in Bern. Seine Stallungen befinden
sich an der Sandrainstrasse. Am 19. August 1911 hatte er seinen Karrer
Friedrich Beck, der seit Jahren Fuhrknecht und seit einigen Monaten bei
ihm angestellt war, mit der Besorgung von Fuhrungen für die Bauunternehmer
Merz & Cie. betraut. Von diesen erhielt Beck, als er nachmittags zwischen
4 und 5 Uhr auf ihrem an der Konsumstrasse im Mattenhof gelegenen
Werkplatz anlangte, den Auftrag, einen auf dem Kirchenfeld stehenden, mit
Holz beiadenen Wagen abzuholen. Beck spannte daher die beiden Pferde,
von denen das eine 4-, das andere 6-jährig war, aus und führte sie
geschirrt, aber etwas weit zusammengekoppelt, durch die Sulgeneckstrasse
in die Marzilistrasse, um von da auf das Kirchenfeld zu gelangen. Bei der
Mündung in die Marzilistrasse drängten die Pferde rechts dem nahen Stalle
zu und wurden störrisch. Beck, welcher das eine Pferd am Zügel führte,
musste einen Augenblick die bei_ den Pferde freigeben und diese liefen
eine kurze Strecke gegen den Stall zurück. In der Nähe war der städtische
Wegknecht Friedrich Bigler mit Strassenreinigungsarbeiten beschäftigt. Er
hielt die Pferde auf und übergab sie dem Beck wieder. Dieser brachte
sie aber neuerdings nicht recht vorwärts. Das Vonderhand pferd blieb
stehen und sodann auch das Zurhand pferd. Bigler war