A. STAATSBECHT DROIT PUBLIC s ss

I. GLEICHHEIT VOR DEM GESETZ (RECHTSVERWEIGERUNG)

ÉGALITÉ DEVANT LA LOI (DÉNI DE JUSTICE)

1. Urteil vom 27. Februar 1914 i. S. Bammert gegen St. Gallen.

Unvereinharkeit einer kantonalen Bestimmung, durch welche die Fr au
e n zwar zur Advokatur zugelassen, dagegen von der R e e ht s a g
e ntu r (Parteivertretung vor den untern Gerichtsinstanzen und im
Schuldhetreibungsund Konkursverfahren) a u 5 g e s c h l o s s e 11
werden, mit der G a rantie der Rechtsgleichheit.

A. Das Gesetz betr. die Zivilrechtspflege für den Kanton St. Gallen vom
31. Mai 1900 bestimmt in den Art. 77 und 31:

Art. 77 . In allen Streitsachen, welche von den Ver mittlerämtern, den
Bezirksgerichtspräsidenten und den Gerichtskommissionen entschieden
werden, mit Einschluss der Nichtigkeitsheschwerde, sowie in sämt
lichen snmmarischen Streitigkeiten, in Betreibungs. und Konkurssachen
ist die berufsmässige Vertretung von Parteien, soweit solche gesetzlich
zulässig ist, nur solchen Personen gestattet, welche vom Kantonsgericht
die Bewilligung zur Ausübung des Rechtsagentenherufes besitzen. '

Diejenigen Personen, welche die Bewilligung des Kantonsgerichts zur
Ausübung des Anwaltsberufes be sitzen, haben dieselbe Befugnis und
ausserdem auch diejenige zur berufsmässigen Vertretung oder Rechts-

A5 40 l 1914 1

2 staatsrecht-

verbeiständung in allen Streitsachen, für welche das Bezirksgericht oder
das Kantonsgericht zuständig ist. Art . 3 1. Das Kantonsgericht erteilt
die Bewilligung zur Ausübung des Anwalts-und Rechtsagentenberufes an
solche Personen, welche die hiefür nötigen Fähig keiten besitzen und
in bürgerlichen Rechten und Eh ren stehen. Es erlässt ein bezügliches
Reglement, wel ches der Genehmigung des Grossen Rates unterliegt.
Es übt die Oberaufsicht über die Berufsführung der Anwälte und
Rechtsagenten aus, und ist befugt, im Falle grober Pflichtverletzung
Rügen auszusprechen oder Ordnungsbussen bis auf 200 Fr. zu verhangen
oder die erteilte Bewilligung zeitweise oder ganz zu rückzuziehen.
Gestützt hierauf genehmigte der Grosse Rat des Kantons St. Gallen am
21. Mai 1901 ein vom Kantonsgericht ausgearbeitetes Reglement für die
Anwälte und Rechtsagenten im Kanton St. Gallen , worin für beide Berufe
folgende gemeinsame Erfordernisse aufgestellt ss werden : 1. Eigenschaft
als stimmberechtigter Schweizerbürger; 2. guter Leumund; 3. Besitz des
AnWaltsbezw.-Reehtsagentenpatents. Von dem ersteren Requisit wird in
Art. 1 Abs. 3 inbezug auf die Anwälte insofern eine Ausnahme gemacht,
als Frauenspersonen von diesem Berufe nicht ausgeschlossen sein
sollen. für die Rechtsagenten besteht eine analoge Bestimmung nicht. Hier
wird also stets Besitz des Aktivbürgerreehts verlangt (Art. 15 und
16). Vor Erteilung des Patents hat sich der Bewerber einer Prüfung
zu unterziehen, die sich bei den Rechtsagenten auf eidgenössisches
und kantonales Privatrecht und kantonales Zivilprozessrecht (auf
diese Fächer im Rahmen der gesetzlich normierten Tätigkeit eines
Rechtsagenten ), sowie auf Betreibungs und Konkursrecht, beiden Anwälten
auf allgemeine Reehtslehre, schweizerisches und kantonales Privatrecht,
BetreihungsundGleichheit vor dem Gesetz. N° 1. Es

Konkursrecht, Strafrecht, Strafprozess, Zivilprozess, Staatsrecht
erstreckt. si

Die Tätigkeit der Rechtsagenten ist nach dem zitierten Art. 77
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 77 Wirkungen der Intervention - Ein für die Hauptpartei ungünstiges Ergebnis des Prozesses wirkt auch gegen die intervenierende Person, es sei denn:
a  sie sei durch die Lage des Prozesses zur Zeit ihres Eintritts oder durch Handlungen oder Unterlassungen der Hauptpartei verhindert gewesen, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen; oder
b  ihr unbekannte Angriffs- oder Verteidigungsmittel seien von der Hauptpartei absichtlich oder grobfahrlässig nicht geltend gemacht worden.
in
Verbindung mit den Art. 25
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 25 Feststellung und Anfechtung des Kindesverhältnisses - Für Klagen auf Feststellung und auf Anfechtung des Kindesverhältnisses ist das Gericht am Wohnsitz einer der Parteien zwingend zuständig.
27 ZPO teils eine gerichtliche Vertretung
vor den unteren Gerichtsinstanzen (Zivilstreitigkeiten bis auf 25
Fr. vor Vermittler, von über 25 200 Fr. vor Gerichtskommission,
Niehtigkeitsbeschwerden gegen Urteile des Vermittlers an den
Bezirksgerichtspräsidenten, summarisehe Streitigkeiten) teils eine
aussergerichtliche Vertretung in Schuldbetreibungs und Konkurssaehen
und darauf bezüglicher Inkasso (Art. 27
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 27 - 1 Jede handlungsfähige Person ist berechtigt, andere Personen im Zwangsvollstreckungsverfahren zu vertreten. Dies gilt auch für die gewerbsmässige Vertretung. Die Kantone können einer Person aus wichtigen Gründen die gewerbsmässige Vertretung verbieten.
1    Jede handlungsfähige Person ist berechtigt, andere Personen im Zwangsvollstreckungsverfahren zu vertreten. Dies gilt auch für die gewerbsmässige Vertretung. Die Kantone können einer Person aus wichtigen Gründen die gewerbsmässige Vertretung verbieten.
2    Die Kosten der Vertretung im Verfahren vor den Betreibungs- und Konkursämtern dürfen nicht der Gegenpartei überbunden werden.
SchKG). Die Ver-gütung für
ihre Verrichtungen, wie für diejenigen der Anwälte, richten sich gemäss
Art. 347
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 347 Vollstreckbarkeit - Öffentliche Urkunden über Leistungen jeder Art können wie Entscheide vollstreckt werden, wenn:
a  die verpflichtete Partei in der Urkunde ausdrücklich erklärt hat, dass sie die direkte Vollstreckung anerkennt;
b  der Rechtsgrund der geschuldeten Leistung in der Urkunde erwähnt ist; und
c  die geschuldete Leistung:
c1  in der Urkunde genügend bestimmt ist,
c2  in der Urkunde von der verpflichteten Partei anerkannt ist, und
c3  fällig ist.
ZPO nach einem vom Regierungsrat auf Antrag des Kantonsgerichts
festzusetzenden Gebührentarif.

B. Am 8. November 1913 fragte die Rekurrentin Fräulein B. Bammert,
die nach ihren Angaben während sechs Jahren auf einem st. gallischen
Anwaltsbureau angestellt war, das Kantonsgericht an, ob sie
zur Rechtsagentenprüfung zugelassen Würde, erhielt aber darauf am
28. November 1913 vom Kantonsgeriehtspräsidenten den Bescheid, dass nach
der Auffassung des Kantonsgerichts die Erteilung des Rechtsagentenpatentes
an Frauenspersonen ausgeschlossen sei, weil Art. 15v des Reglements vom
21. Mai 1901 dafür die Stimmberechtigung als notwendiges Erfordernis
voraussetze.

C. Gegen diese Verfügung des Kantonsgeriehts hat Fräulein Bammert den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage,
sie sei aufzuheben und das Kantonsgericht anzuweisen, die Rekurrentin
zur Reehtsagentenprüfung zuzulassen und ihr nach bestandener Prüfung
das Patent zu erteilen. ZurBegründung wird geltend gemacht, dass der
Ausschluss der Frauen vom Rechtsagentenheruf gegen Art. SI,-je-

4 Staat-steckt.

denfalls aber, mit Rücksicht auf ihre Zulassungzur Advokatur, gegen
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV verstosse.

D. Das Kantonsgericht St. Gallen hat auf Abweisung des Rekurses
angetragen und ausgeführt: Art. 33
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
1    Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
2    Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen.
BV hindere die Kantone nicht, die
Ausübung wissenschaftlicher Berufsarten noch von anderen Requisiten als
dem Befähigungsausweis abhängig zu machen. So sei allgemein anerkannt,
dass der Nachweis guten Leumunds verlangt werden könne. Ob sich das
Reglement vom 21. Mai 1901, wenn es daneben für die Rechtsagentur
ausserdem noch diestimmkähigkeit und damit das männliche Geschlecht
fordere, auf verfassungsmässigem Boden befinde, möge das Bundesgericht
entscheiden. Sicher sei jedenfalls soviel, dass es nicht auf Zufall
beruhe, wenn darin die Frauen zu dem höherstehenden Berufe des An'walts
zugelassen würden, zum Rechtsagentenberufe aber nicht. Infolge
der Beobachtung, dass die Tätigkeit der Rechtsagenten häufig keine
einwandfreie sei, habe sich bei Erlass des Prozessgesetzes bezw. des
Reglementes eine starke Bewegung dahin geltend gemacht, die Rechtsagenten
überhaupt zu beseitigen oder doch zum mindesten den Stand ihrer Vertreter
möglichst zu beschränken. Wenn sich diese Bewegung auch nicht ganz
habe durchsetzen können und das Gesetz den Reehtsagenten-beruf nach
wie vor zulasse, so habe sie doch ihren Niederschlag in der Bestimmung
des Art. 15 des Reglementes gefunden, welche als Vorbedingung für die
Erteilung des Patents die Stimmbereehtigung aufstelle. Man habe es also
mit einer bewusst aufgestellten Schranke zu tun.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung: l. ...... (Anerkennung
desangefochtenen Bescheides

des Kantonsgerichtes als verbindliche Verfügung aim Sinne von Art. 178
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
1    Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
2    Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen.

OG.)

2. In der Sache selbst'mag dahingcstellt bleiben,

H-

,

Gleichheit vor dem Gesetz. N° 1. :

ob die Rechtsagentur in St. Gallen sich als reines Gewerbe i. s. von
Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
BV darstelle, dessen Ausübung nur im Rahmen der litt. e ebenda aus
gewerbe-polizeilichen Gründen beschränkt werden könnte, oder ob nicht der
Rechtsagent gleich dem Anwalt, nach der ihm durch das Gesetz zugewiesenen
Aufgabe und mit Rücksicht auf die aus der gegenwärtigen Ordnung des
Prozessverfahrens sich ergebende Unentbehrlichkeit der sachverständigen
Parteivertretung, daneben zugleich als Hilfsorgan der staatlichen
Rechtspflege anzusehen, seine Tätigkeit mithin insoweit eine auf die
Besorgung öffentlich-rechtlicher Funktionen gerichtete und den Charakter
eines Amtes tragende sei (vgl. im letzteren Sinne LABAND, staatsrecht,
5. Aufl. III S. 491 ff.), was zur Folge hätte, dass die Zulassung
zu ihr, soweit es jener Charakter fordert, auch noch von weiteren,
durch den Vorbehalt der Art. 31 litt. e nicht gedeckten Erfordernissen
abhängig gemacht werden dürfte. Ebenso, ob bei der letzteren Annahme
der Ausschluss der Frauen von der berufsmässigen Parteivertretung vor
Gericht, sofern er ein allgemeiner wäre, d. h. sich auf Rechtsagentur

und Advokatur bezöge, vom Standpunkt des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.


BV anfechtbar wäre, eine Frage, die bekanntlich vom Bundesgericht in
einem früheren Entscheide (i. S. Kempin AS 13 N° 1) verneint worden
ist. Entscheidend ist, dass jedenfalls eine Differenzierung, wie sie das
st. gallische Reglement vom 21. Mai 1901 trifft, wonach die Frauen zwar
zur Advokatur zugelassen, dagegen von der Rechtsagentur ausgeschlossen
sind, vor dem durch die erwähnte Verfassungsnorm gewährleisteten Grundsatz
der Rechtsgleichheit nicht Stand hält.

Nach dem eingangs zitierten Art. 77 des st. gallischen
Rechtspflege-gesetzes kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Tätigkeit
des Anwaltes und des Rechtsagenten ihrem Gegenstand nach eine durchaus
gleichartige ist. Beide befassen sich mit der berufsmässigen Vertretung
der Parteien im Prozessund Zwangsvollstreckungs--

6 Staatsrecht.

(Schuldbetreibungs und Konkurs-)verfahren. Ein Unterschied besteht nur
hinsichtlich des Umfangs und der Wichtigkeit ihrer Funktionen, indem das
Anwalts'patent die Befugnis zur Vertretung vor allen Gerichtsinstanzen
gibt, während die Vertretungsbefugnis der Rechtsagenten sich auf
gewisse untere Instanzen und das Séhuldbetreibungsund Konkursverfahren
beschränkt. Der Ausschluss der Frauen von der Rechtsagentur kann daher
nicht von dem im angeführten Urteile i. S. Kempin geltend gemachten
Gesichtspunkte aus gerechtfertigt werden, dass die verschiedene
Behandlung der Geschlechter auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts,
insbesondere inbezug auf die Betätigung im öffentlichen Leben und damit
inbezug auf das Auftreten als Parteivertreter vor Gericht der bisherigen
Rechtsentwicklung und den traditionellen, zur Zeit noch herrschenden
Rechtsanschauungen entspreche und deshalb der inneren Begründung nicht
entbehre. Denn indem der Kanton St. Gallen die Frauen zur Advokatur
zugelassen hat, hat er sich eben auf dem hier in Frage stehenden
Gebiete, der Parteivertretung vor Gericht, über jene traditionellen
Rechtsanschauungen grundsätzlich bereits hinweggesetzt. Nachdem er dies
getan, ist er aber selbsverständlich in der Art, wie er die Zulassung
der Frauen zu der fraglichen Tätigkeit regelt, an das Prinzip der
Rechtsgleichheit gebunden und darl keine Unterschiede aufstellen, die
damit nicht vereinbar sind. Die Bestimmung des Art. 15 des Reglementes von
1901, welche die Frauen von der Rechtsagentur ausschliesst, Wäre mithin
nur dann haltbar, wenn zwischen der Berufstätigkeit eines Rechtsagenten
und derjenigen des Anwaltes tatsächliche Verschiedenheiten bestünden,
welche die vom Reglement gemachte rechtliche Unterscheidung hinsichtlich
der Zulassung der Frauen zu stützen vermöchten. Als solches Motiv kann
nun aber das vom Kantonsgericht angeführte Argument, dass man wegen der
in praxi vielfach nicht einwandfreien Geschäftsfüh-Gleichheit vor dem
Gesetz. N° 1. 7

rung der Rechtsagenten den Stand ihrer Vertreter möglichst habe
beschränken wollen, unzweifelhaft nicht angesehen werden. Wenn die
Tätigkeit mancher Rechtsagenten für das Publikum Gefahren bietet, so
mag mit Rücksicht hierauf eine Verschärfung der Zulassungsbedingungen in
qualitativer Beziehung, nach der Richtung der erforderlichen Kenntnisse
und des Nachweises absoluter moralischer Integrität, vielleicht auch
die Statuierung einer Kautionspflicht am Platze sein. Die vollständige
Fernhaltung der Frauen vom Rechtsagentenberuf kann diese Tatsache nicht
begründen. Denn dass etwa den Frauen allgemein die Fähigkeit zum Erwerb
der für die Rechtsagentur nötigen Kenntnisse abginge oder sie den mit
dem Berufe verbundenen moralischen Versuchungen leichter unterliegen
würden als die Männer, kann gewiss nicht gesagt werden und wird überdies
ohne weiteres dadurch widerlegt, dass der kantonale Gesetzgeber sie
zu dem schwierigeren und verantwortungsvolleren Berufe des Anwaltes,
der ein grösseres Mass beruflichen Wissens und mindestens dasselbe Mass
moralischer Garantien verlangt, zugelassen hat.

Da irgendwelcher andere Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses, der
für die verschiedene Behandlung der Frauen mit Bezug auf die Zulassung
zur Advokatur

'und Rechtsagentur sprache, vom Kantonsgericht, dem

Urheber des Reglements, nicht namhaft gemacht worden und auch nicht
ersichtlich ist, muss dieselbe daher als unzulässig betrachtet und der
Rekurs gutgeheissen werden ;

Demnach hat das Bundesgericht erkannt :

Der Rekurs wird begründet erklärt und die damit angefochtene Verfügung
des Kantonsgerichts vom 28. Nolvember 1913 in dem Sinne aufgehoben,
dass die Rekurrentin zur Rechtsagentenprüfung zuzulassen ist.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 40 I 1
Datum : 27. Februar 1914
Publiziert : 31. Dezember 1914
Quelle : Bundesgericht
Status : 40 I 1
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : A. STAATSBECHT DROIT PUBLIC s ss I. GLEICHHEIT VOR DEM GESETZ (RECHTSVERWEIGERUNG)


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
31 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1    Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
2    Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen.
3    Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist.
4    Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs.
33
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
1    Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen.
2    Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen.
OG: 178
SchKG: 27
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 27 - 1 Jede handlungsfähige Person ist berechtigt, andere Personen im Zwangsvollstreckungsverfahren zu vertreten. Dies gilt auch für die gewerbsmässige Vertretung. Die Kantone können einer Person aus wichtigen Gründen die gewerbsmässige Vertretung verbieten.
1    Jede handlungsfähige Person ist berechtigt, andere Personen im Zwangsvollstreckungsverfahren zu vertreten. Dies gilt auch für die gewerbsmässige Vertretung. Die Kantone können einer Person aus wichtigen Gründen die gewerbsmässige Vertretung verbieten.
2    Die Kosten der Vertretung im Verfahren vor den Betreibungs- und Konkursämtern dürfen nicht der Gegenpartei überbunden werden.
ZPO: 25 
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 25 Feststellung und Anfechtung des Kindesverhältnisses - Für Klagen auf Feststellung und auf Anfechtung des Kindesverhältnisses ist das Gericht am Wohnsitz einer der Parteien zwingend zuständig.
77 
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 77 Wirkungen der Intervention - Ein für die Hauptpartei ungünstiges Ergebnis des Prozesses wirkt auch gegen die intervenierende Person, es sei denn:
a  sie sei durch die Lage des Prozesses zur Zeit ihres Eintritts oder durch Handlungen oder Unterlassungen der Hauptpartei verhindert gewesen, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen; oder
b  ihr unbekannte Angriffs- oder Verteidigungsmittel seien von der Hauptpartei absichtlich oder grobfahrlässig nicht geltend gemacht worden.
347
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 347 Vollstreckbarkeit - Öffentliche Urkunden über Leistungen jeder Art können wie Entscheide vollstreckt werden, wenn:
a  die verpflichtete Partei in der Urkunde ausdrücklich erklärt hat, dass sie die direkte Vollstreckung anerkennt;
b  der Rechtsgrund der geschuldeten Leistung in der Urkunde erwähnt ist; und
c  die geschuldete Leistung:
c1  in der Urkunde genügend bestimmt ist,
c2  in der Urkunde von der verpflichteten Partei anerkannt ist, und
c3  fällig ist.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
kantonsgericht • bundesgericht • prozessvertretung • zivilprozess • rechtsanwalt • funktion • konkursverfahren • geschlecht • vermittler • frage • mass • charakter • entscheid • stimmberechtigter • bewilligung oder genehmigung • schuldbetreibungs- und konkursrecht • rechtsgleiche behandlung • begründung des entscheids • richterliche behörde • voraussetzung
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