&! A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. [. Materiellrechtliche Entscheidungen.

Kläger hat nichts getan, was die Haftungssumme erhöht oder den Eintritt
der Haftung befördert hatte. Auch die letzte Lieferung hat die Stellung
des Bürgers nicht schlechter gestellt, als sie ursprünglich war; denn,
wie oben erörtert, ging der Inhalt der Verpflichtung

des Beklagten von vornherein auf die Sicherstellung aller Liefe -

rungen. Dadurch, dass der Kläger die Holzlieferungen nur unter der
Bedingung einer Garantie seitens eines zahlungsscihigen Dritten übernahm,
wollte er gerade die Gefahr ausschalten, die in der Möglichkeit der
Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners lag. Es geht daher nicht an, die
Garantie des Beklagten gerade in dem Momente als hinfällig zu erklären,
wo der Grund ihrer Entstehung sich zu verwirllichen veoh te..

3. Ebensowenig können zu Gunsten des Beklagten andere Rechtssätze
angeführt Werdeu. Von einer Anwendung des Art. 50
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
OR (alt) kann schon
deshalb nicht die Rede sein, weil der Vollzug der Lieferungen die
Erfüllung eines Vertrages war: es geht der klägerischen Handlung das
Requisit der Widerrechtlichkeit ab. Auch die Anrufuug der strengeren
Grundsätze des neuen Rechtes (Verstoss gegen die guten Sitten, Art. 41
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.

am. 2 OR oder gegen die Grundsätze über Treu und Glauben, Art. 2 3GB) ist
unbehelslich Man konnte billigerweise vom Kläger nicht verlangen, dass
er um der Interessen des Beklagten willen aus die letzte Lieferung und
dadurch auf einen Teil des Gewinnes verzichte, den er aus dem Geschäfte
zu ziehen berechtigt war. Dies um so weniger, als aus diesem Verzicht
für ihn, unter Umständen, (wenn z. B. für diese Lieferung keine passende
Verwendung zu sindengewesen ware) positiver Schaden hätte entstehen
können. Auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben war der Kläger
nicht verpflichten die letzte Lieferung von der Zustimmung des Beklagten
abhängig zu machen. Einmal, weil der Beklagte nach dem Inhalte der
Verpflichtung auch dafür definitiv haftete und sodann weil dein Kläger
mitgeteilt worden war, dass gerade der Beklagte der Urheber des Konkurses
der Gebt-über Fritschi sei. Unter solchen Umständen konnte der Kläger mit
Recht erwarten, dass, wenn die Zahlungsnnfähigkeit wirklich bevorstehe,
der Beklagte ihm Vorschläge zur Abwendung eines Schadens mache, der doch
nur den Beklagten

allein hätte freser können. Der Bekiagte tat aber nichts und
es-4. Obligatioiienrecne. N° 52. 2923

geht nicht an, dass er nun die Folgen seines passiven Verhaltens auf den
Kläger abwälze; erkannt: 1. Die Berufung des Beklagten wird abgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers wird in dein Sinne gutgeheisseu, dass der
Beklagte zur Zahlung von 3408 Fr. 95 Cis. verpflichtet

wird, nebst Zins zu . "f.. seit dem T. Juli 1911.

72. Zitteil der II. Zinskabteiluug vom Z. Juli 1913 in Sachen Bandiera &
gie, Kl. u. I. Ver.-KL, gegen gem & Yale Bekl. u. II, Ver.-Kl.

Bürgschaft, Derssürg." wird infolge der Ne'cfesitmwzflldrmg der Förderung
durch den Gläubiger im. ,Ei'hschnflsscimIdem-uf (It's vento;-banfi),
l-Irmptscimldnmnsmer insoweit befreit, als dee Gläubiger bei erst-Lasters
Anmeldung aus der Etsdxcslmfisliifwies-either befriedigt. wurde-de (nà rv.

A. Am 12. August 1901 gewährte die Klägerin dem BäckerFritz Lendi in
Davos gegen drei Obligationen von je 5000 Fr die zu 41/2 0/0 zu verzinsen
waren, ein Darlehen von 15,000 Fr für das sich die Firma Lendi, Parli &
Cie. in Chur solidarisch verbürgte Die Bürgschaftsuuterschrift ftammte
vom damaligen Gesellschafter Jakob Koch-Ardüser. Es ist nicht bestritten,
dass die heutige Ssseflagte, die Firma Lendi & Parti, an Stelle der
am 31. Dezember 1907 gelöschten Firma Lendi, Parli & Cie. getreten ist
und deren Aktiven und Passiven übernommen hat Die Zinsen des Darleheus
wurden mit 712 Fr. 50 Cts. bis zum Jahr 1907 vom Schuldner regelmässig
entrichtet Am 24. Juli 1907 siedelte der Schuldner nach Herisau über. Es
ist nicht festgestellt, ob die im August fällige Zinszahlung von Herisau
oder von Davos aus erfolgte Am 4. November 1907 starb der Schuldner Lendi
in Herisau. Über seinen Nachlass erging gemäss § 1, letzter Absatz,
des Erbgesetzes des Kantons Appenzell A.-Rh. vom 28. April 1861 der
Schuldenruf, der im Appenzeller Amtsblatt, in der Davoser Zeitung und im
Graubündner Amtsblatt hier unter der Rubrik Privatauzeigen veröffentlicht
wurde In dieser Publi-

296 A. Oberste Zivilgericmsinstanz. ]. Materielirechiliche Entscheidungen.

kation wird der Erblasser als Johann Friedrich Lendi-Moosdorf von
Tamins (Granbünden), Bäckermeister, wohnhast gewesen in Herisan,
früher in Davos, bezeichnet Die Gläubiger des Verstorbenen werden darin
aufgefordert, ihre Forderungen innert zwei Monaten der Gerichtskanzlei
Herisan einzugeben. Es wird darin auf die vorgenannte Gesetzesbestimmung
verwiesen, die im Eingang lautet: Wollen Erben sieh der Verpflichtung
entziehen, spätere Ansprüche unbekannter Gläubiger des Erblassers zu
befriedigen, so muss ein vom Obergericht bewilligter Schuldenruf Unter
Androhung des Ausschlusses erlassen werden." In dem Schuldenruf haben
Töndury & Cie. eine Eingabe nicht gemacht. Das kautetonale Obergericht
stellt fest, dass, wenn eine Eingabe gemacht worden ware, die Klägerin
für 8475 Fr. 70 (Stò. Deckung erhalten hätte und nur ein Rest von 6851 Fr·
05 Cts. ungedeckt geblieben wäre. Am 17. August 1908 teilte die Klägerin
der Beklagten mit, sie habe an den Schuldner Fritz Lendi in Davos für den
Jahreszins von 712 Fr. 50 Cis den gewöhnlichen Avisbrief erlassen, dieser
sei aber mit dem Postvermerk verreist zurückgekommen. Da ihr die Adresse
des Fritz Lendi unbekannt sei, ersuche sie Lendi & Parli, den Jahresins
der von ihnen verbürgten Forderung zu entrichten Die Beklagte antwortete
am 21. August 1908, es sei ihr von einer Bürgschast der früheren Firma
Lendi, Parli & Cie. für Fritz Lendi nichts bekannt. Zn einem späteren
Brief vom 12. August 1910 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass es
sich herausgestellt habe,v der frühere Gesellschafter der Firma Lendi,
Parli & Cie., der verstorbene Koch-Ardüser, habe diese Bürgschaft ohne
Wissen seiner Mitgesellschafter eingegangen Sie bestritt auch jetzt die
Zahlungspflicht und behielt sich alle Einreden aus der Tatsache vor,
dass Töndury &: Cie. eine Ting-:che im Schuldenrus über den Nachlass des
Fritz Lendi nicht gemacht hätten. Nach weiterer Korrespondenz zwischen
den Parteien, die zu keiner Verständigung führte, erhoben Töndnry &
Cie. Klage mit dem Begehren: Abrechnung und Auszahlung des Saldos zu
Gunsten der Klägerin, d. h. die Beklagte habe an die Klägerin zu bezahlen:
12,795 Fr. 85 Cis. Wert 38. Juni 1911 samt Zins à Ö % von diesem Tage
an. Das Abrechnungsbegehren beruht "darauf, dass die Klägerin, die mit
der Beklagten im Kontokorrentverkebr stand, ihr

4. Obligationenrecht. N° 52. 297

2833 Fr. 50 Cis schuldete Die Beklagte hat auf Abweisung der Klage
angetragen; eventuell verlangte sie Herabsetzung der Forderung um
denjenigen Betrag, der bei rechtzeitiger Anmeldung im Schnidenrns
erhältlich gewesen wäre.

B. Durch Urteil vom 11. Februar 1913 hat das Kantonsgerächt von Granbünden
in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils erkannt:

L Die Appellation der Klägerin wird abgewiesen-

2. Die Beklagten sind pflichtig an die Klägerin aus Bürgîchaft die Summe
von 6851 Fr. 05 Cts. zu bezahlen. Für diese-n Betrag haben die Beklagten
der Klägerin vom 25. Januar 1908 bis 2. Oktober 1911 einen Zins von 41/2
0/0 und von ha an die gesetzlichen Verzugszinsen von 5 °/o zu entrichten.

3. Andererseits hat die Klägerin der Beklagten die Summe von 2833 Fr. 50
Ets. laut Kontokorrentauszug von Töndurv & Cie. vom 30. Juni 1911 samt
dem üblichen Kontokorrentzins von obigem Datum an zu vergüten-

C. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien die Berufung an das
Bundesgericht ergriffen:

a) hie Klägerin mit den Anträgen, es sei die Klage im vollen Umfange
gutzuheissen;

b) die Beklagte mit den Anträgen, die Klage sei, soweit damit Rechte
aus Bürgschaft geltend gemacht würden, gänzlich abzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Beklagte hat die im kantonaleu Verfahren geltend gemachten Einredem
die Bürgschaft sei von der Klägerin nicht gekündigt worden und es sei
der frühere Assoeiä Koch nicht berechtigt gewesen, ohne Einwilligung der
übrigen Gesellschafter die Bürgschaft einzugehen, vor Bundesgericht mit
Recht nicht

mehr aufrecht erhalten. Was insbesondere die zweite Einwendung betrifft,
ist zu bemerken, dass das Bundesgericht die Vertretungsbefugnis des
Gesellschafters aus Art. 561 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 561 - Ohne Zustimmung der übrigen Gesellschafter darf ein Gesellschafter in dem Geschäftszweige der Gesellschaft weder für eigene noch für fremde Rechnung Geschäfte machen, noch an einer andern Unternehmung als unbeschränkt haftender Gesellschafter, als Kommanditär oder als Mitglied einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung teilnehmen.
OR immer in möglichst weitem Umfange
anerkannt hat. Danach haftet die Gesellschaft für alle Handlungen des
zur Vertretung der Gesellschaft befugten Gesellschafter-A wenn sie sich
objektiv nur irgendwie aus dem Zwecke der Gesellschaft rechtfertigen
lassen (zuletzt in dem is se u iais in

298 A. Oberste Zivilgenchtsinstanz. l. Materiellreehtliche Entscheidungen.

Urteil vom 6. Dezember 1912 in Sachen Holliger gegen Scheitlin Fc Cie.). -

2. Streitig ist daher nur noch die Frage, welche Bedeutung dem Umstand
zukommt, dass die Klägerin im Schuldenruf über die Verlassenschaft des
Fritz Lendi keine Eingabe gemacht hat. Nach der von der Vorinstanz dem
Erbrecht des Kantons Appenzell A.-Rh. gegebenen Auslegung, die für das
Bundesgericht verbindlich ist, hat die Nichtanmeldung im Schuldenruf den
Verlust des Ansvrnches gegen die Erben zur Folge, die auch im Falle der
Wiedereinsetzung, der aber hier nicht gegeben ist, nur insoweit haften,
als die Erbschaft ausreicht, um die wiederhergestellte Forderung zu
befriedigen. Ebenso steht auf Grund der Feststellungen der Vorinstanz
fest, dass die Klägerin, wenn sie ihre Forderung im Schuldeurus angemeldet
hatte, für einen Betrag von 8475 Fr. 70 Cts. gedeckt worden ware. Die
Vorinstanz hat nun in analoger Anwendung des Art. 510 aOR die Klage
des Gläubiger-S nur für den Betrag gutgeheissen, für den er auch bei
rechtzeitig-er Anmeldung seiner Forderung nicht befriedigt worden ware,
d. I}. für 6851 Fr. 05. Ets.

In Art. 161 aOR ist das Erlöschen von Forderungen wegen unterlassener
Anmeldung bei öffentlichen Auskündigungen allgemein dem kantonalen
Rechte überlassen Hievon bildet Art. 510 insofern eine Ausnahme, als beim
Konkurs, der zur Zeit des Jnkrafttretens des alten Obligationenrechtes
noch vom kantonalen Rechte beherrscht war, dem Gläubiger die Pflicht
überbunden wurde, seine Forderung im Konkurs des Hauptschuldners
einzugehen Bei Unterlassung der Eingabe trat Befreiung des Bürgen
insoweit ein, als ihm ans solcher Unterlassung ein Schaden entstanden
war. Es ist nun nicht zu verkennen, dass sich bei der Unterlassung der
Eingabe in einem amtlichen Schuldeneus mit den Folgen, wie sie im Erbrecht
des Kantons Appenzell ill.-Nh. geordnet waren, eine analoge rechtliche
Situation ergibt und dass es deshalb für die tantonale Instanz nahe lag,
die Analogie mit Art. 510 aOR zur Begründung ihres Urteils zu verwenden Es
darf aber nicht ausser Acht gelassen werden, dass Art. 161 eine allgemeine
Vorschrift enthält, die nur da nicht zur Anwendung gelangen kann, wo das
Gesetz ausdrückliche Ausnahmebestimmungen aufstellt. Dem kantonalen Rechte

4. Obiigationenrecht. N° 5%. ' 299

untersteht jedoch nach Art. 161 nur das Erlöschen von Forderungen wegen
unterlassener Anmeldung, also im vorliegenden Falle das Rechtsverhältnis
zwischen der Klagerin und ihrem Hauptschuldner Fritz Lendi, bezw. nach
dessen Tod zwischen der Klägerin und den Erben des Fritz Lendi. Das
Rechtsverhältnis zwischen Töndury und der Beklagten als Solidarbürgin
des Fritz Lendi bleibt vom eidgenöfsischen Rechte beherrscht. Man könnte
nun unter Berücksichtigung des akzessorischen Charakters der Bürgschaft
versucht sein, den Art. 501 aOR zur Anwendung zu bringen und zu sagen, die
Hauptschnld sei erloschen, also sei auch die Bürgschaft unter-gegangen
Man würde aber hiebei den Solidarcharakter der im vorliegenden Fall
geleisteten Bürgschaft vollständig ausser Acht lassen müssen und zu
dem un-

billigen Resultate gelangeu, dass der Gläubiger seine ganze For-

derung verlieren würde ohne Rücksicht darauf, ob die Erbschaft in der
Lage gewesen wäre, sein-e Forderung ganz oder nur teilweise zu baden,
m. a. W., es würde der Gläubiger, wie gerade der gegenwärtigeFall zeigt,
seine ganze Forderung verlieren, obgleich er bei rechtzeitiger Eingabe in
den Schulder nur für einen Teil Zahlung erhalten litte. Es ist deshalb
aus die Vorschriften über Solidarschulden zurückzugeben Art. 166 aOR
Abs. 2 beschlägt den Falldass ein Solidarschuldner ohne Befriedigung
des Gläubigers

, befreit wird und enthält die Siegel, dass die eingetretene Befreiung

zu Gunsten der anderen Solidarschnldner nur snweist wirkt, als die
Umstände oder die Natur der Verbindlichkeit es rechtfertigen Dieser
Fall ist gegeben. Von den zwei Solidarschnldnern Fritz Lendi und Parli &
Cie. ist der erstere ohne Befriedigung des Glänbigers, Töndurh & Cie.,
befreit und es ist zu untersuchen, wie weit diese Befreiung zu Gunsten
des andern Solidarschuldners eine Wirkung ausüben fami. Hierbei fällt nach
dem Gesetz in erster Linie die Natur der Verbindlichkeit in Betracht. Die
Verbindlichkeit ist eine Bürgschaft, deren akzessorischer Chat-after,
wie gerade Art. 510 aOR zeigt, auch bei der Solidarhaft nicht vollständig
verloren geht. Die Bürgschast setzt immer einen Hauptschuldner voraus, auf
welchen der Binge, wenn er auch als Solidarschuldner ohne Vorausklage das
ganze zahlen muss, einen Regress hat. Er haftet auch als Solidarbürge dem
Gläubiger gegenüber für eine fremde Schuld. Wird ihm durch irgendwelches
Verhalten des Gläubigers der Regress aus

300 A. Oberste Zivilgerichisinstanz. [. Matcriellrechtliche
Entscheidungen.

den Hauptschuldner entzogen, so entsteht ihm ein Schaden, den er
allein tragen muss, wenn er den Gläubiger nicht dafür verantwortlich
machen farm. Andererseits ist in Betracht zu ziehen, dass nach dem
appenzellischen Erbgesetz der Zweck des Schuldenrnfs in letzter Linie
doch dahin geht, die Erben von einer Haftung über die ans der Erbschaft
erhältlichen Aktiven hinaus zu befreien. Dies ergibt sich aus der
Möglichkeit der Wiedereinsetzung, die überhaupt nur insoweit gestattet
werden kann (wenn erhebliche Gründe vorliegen), als anzunehmen ist,
dass die Erbschaft zureiche, um auch eine solche wiederhergestellte
Forderung zu befriedigen. Es konnte also der Gläubiger sowohl im Falle
rechtzeitiger Eingabe, als im Falle einer zugelassenen Wiedereinsetzung
niemals mehr erhalten, als den Betrag von 8475 Fr. 70 Ets. Durch die
Unterlassung des GläubigersX im Schuldenruf einzugehen, ist nun, da eine
Wiedereinsetzung nicht gegeben ist, der Hauptschuldner definitiv befreit
und dem Bürgen der {Regi-e)}, der, wie angenommen werden muss, ebenfalls
für den Betrag von 8475 Fr. 70 CUS. möglich gewesen wäre-, verloren
gegangen Es braucht dabei nicht einmal untersucht zu werden, wie weit
die Unterlassung auf ein Verschulden von Töndnry & (Sie. zurückzuführen
ist, denn Art. 168 aOR setzt das Verschulden des Gläubiger-Z nicht als
besondere Ursache der Befreiung des andern Solidarschuldners voraus;
sie kann sich also aus der blossen Tatsache der Unterlassung der Eingabe
im Schuldenrnfe des Hauptschuldners ergeben. Wenn man dieses Verschulden
aber auch in Betracht ziehen wollte, so müsste man dazu gelangen, insofern
eine Säumnis inder Diligenzpflicht des Gläubigers zu besahen, als er es
unterlassen hat, von dem im Amtsblatte des eigenen Kantons erschienenen
Schuldenrnf Kenntnis zu nehmen. Er kann sich nicht darauf hernfen,
dass dieser Schuldenruf unter der Rubrik Privatanzeigen" erschien,
und ebensowenig darauf, dass der Erblasser als Fritz Lendi-Moosdorf
bezeichnet war; denn die Auskündigung nannte ihn Bäckermeifter und gab
seinen früheren Wohnsitz Davos ausdrücklich an. Bei einiger Aufmerksamkeit
wäre es einem Bankbeamten zuzumuten gewesen darin den Schuldner der Bank
zu erkennen. Übrigens hätte eine Anfrage nach Herisau darüber sofort
Klarheit verschafft. Endlich kann auch nicht eingewendet werden dass
auch dem Bürgen eine Eingabepflicht obgelegen

. ..,_____

.L. ()Îliigatinncm'cchi. N° 5%. 3301

hätte-, denn es fehlt eine Feststellung darüber, ob nach dem Erbrecht des
Kantons Appenzell A.-Rh. auch dem Burgen die Eingabepflicht im Schuldeanf
obliegt. Aus dem Wortlaut des Gesetzes ist darüber nichts bestimmtes zu
entnehmen, da er nur von der Verpflichtung der Gläubiger spricht, ihre
Forderungen anznmelden, der Bürge aber, solange er nicht bezahlt hat, dem
Hauptschuldner gegenüber keine Forderung besitzt. Dazu kommt, dass Lendi &
Parli unter den gegebenen Umständen, da sie von der durch den früheren
Associö eingegangenen Bürgschaft überhaupt keine Kenntnis besassen,
keine Veranlassung hatten, im Zeitpunkt, als der Schuldenruf über Fritz
Lendi erging, eine Eingabe für einen eventuellen Negressanfpruch zu machen

Man gelangt somit vom Standpunkte des Art. 166 aOR zu demselben Resultate,
wie bei analoger Anwendung des Art. 510aOR. Der Bürge ist insoweit
befreit, als ihm aus der Unterlassung des Gläubigers, im Schuldenrnfe des
Hauptschuldners eine Eingabe zu machen, ein Schaden erwachsen isi. Dies
führt zur Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils-.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufungen beider Parteien sind abgewiesen; das Urteil des
Kantonsgerichtes Graubunden vom 11.Februa1.1913 wird bestätigt

Bei-al. auch :iir. TO. Voir aussi nu Yi).
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 39 II 295
Datum : 01. Juli 1913
Publiziert : 31. Dezember 1914
Quelle : Bundesgericht
Status : 39 II 295
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : &! A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. [. Materiellrechtliche Entscheidungen. Kläger


Gesetzesregister
OR: 41 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 41 - 1 Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
1    Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.
2    Ebenso ist zum Ersatze verpflichtet, wer einem andern in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise absichtlich Schaden zufügt.
50 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 50 - 1 Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
1    Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet, sei es als Anstifter, Urheber oder Gehilfen, so haften sie dem Geschädigten solidarisch.
2    Ob und in welchem Umfange die Beteiligten Rückgriff gegeneinander haben, wird durch richterliches Ermessen bestimmt.
3    Der Begünstiger haftet nur dann und nur soweit für Ersatz, als er einen Anteil an dem Gewinn empfangen oder durch seine Beteiligung Schaden verursacht hat.
561
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 561 - Ohne Zustimmung der übrigen Gesellschafter darf ein Gesellschafter in dem Geschäftszweige der Gesellschaft weder für eigene noch für fremde Rechnung Geschäfte machen, noch an einer andern Unternehmung als unbeschränkt haftender Gesellschafter, als Kommanditär oder als Mitglied einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung teilnehmen.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • schuldenruf • bundesgericht • lieferung • schuldner • schaden • vorinstanz • erbe • herisau • zins • amtsblatt • erblasser • koch • erbrecht • weiler • kantonales recht • kenntnis • verhalten • regress • treu und glauben
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