894 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. lll. Abschnitt. Staatsverträge.

bewusst (vergl. Welti, Auslieferungswesen und Auslieferungsverlehr
zwischen der Schweiz und Deutschland S. 24) zwischen den im Gebiete
des ersuchenden und den im Gebiete eines dritten Staates verübten
Vergehen keinen Unterschied, wollen also die Auslieferungspflicht
in beiden Fällen nach denselben Grundsätzen beurteilt wissen. Dies
schliesst es aber notwendig aus, dem in Art. 1, Ziff. 9, 12 und 13 des
Vertrages aufgenommenen Vorbehalt, wonach die Handlungen sich auch nach
dem Rechte des ersuchten Staates als Vergehen darstellen müssen, einen
weitern als den oben umschriebenen Sinn beizumessen. Eine Beschränkung
der Auslieferungspflicht kann sich allerdings bei solchen in einem
dritten Staate verübten Vergehen insofern ergeben, als, wenn auch der
Staat des Begehungsortes die Auslieferung verlangt, dessen Begehren der
Vorrang zu geben ist. (Art. 14 , Abs. 1 AuslG). Dieser besondere Fall
liegt indessen hier nicht vor, da nach den vom Bundesrat vorgenommenen
Erhebungen feststeht, dass in Frankreich gegen die Angeschuldigte keine
Strafverfolgung eingeleitet worden isi.

Hievon ausgegangen sind aber alle Bedingungen für die Auslieferung
gegeben. Denn dass die der Angeschuldigten zur Last gelegten Handlungen
an sich, d. h. abgesehen von ihrem Begehungsorte, auch nach zürcherischem
Rechte strafbar wären, kann keinem Zweifel unterliegen. Die zürcherischen
Gerichte haben stets angenommen, dass auch der sog. Kreditbetrug d. h. die
Veranlassung eines anderen zur Kreditgewährung durch unwahre Angaben
über die Zahlungsfähigkeit sich als Betrug im Sinne von Art. 191 des
zürcherischen Strafgesetzbuchs darstelle (vergl. Zürcher, Kommentar zum
zürcherischen StrG zu Art. 191 N. 7).

erkannt:

Die Einsprache der Frau von Petersdorf gegen ihre Auslieferung an
Deutschland wird abgewiesen, und es hat die Auslieferung demnach
stattzufinden.B. STRAFREGHTLIGHE ENTSGHEIDUNGEN ARRETS DE DROIT PÉNAL

I. Fiskaldelikte. Délits de nature flscale.

66. gis-teil vom 24. Hentember 1913 in Sachen Franzen gegen Heuweizertlche
Yaudegauwattschast

Rechtzeitigkeit der Beschwerde (gegenüber Il'rilliser
Urteilen). Unrtchtige Zolldehlaration nach Art. 55 litt. g
26. Stellung des Zoll- deklaranten der Bundesbahnen. Nicht
diese, sondern der Deklarant ist für die unriohtige Deklaration
strafrechtlich verantwortlich. Inwieweit kann der Deklarant bei
der Verzollung der Ware auf die Angaben in den Begleitpapieren
abstellen? Art. 22
SR 631.0 Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG)
ZG Art. 22 Zollstrassen, Schiffszolllandestellen und Zollflugplätze
1    Der Warenverkehr über die Zollgrenze zu Land, zu Wasser und in der Luft muss über bestimmte Strassen (Zollstrassen), Häfen und Landestellen (Schiffszolllandestellen) und Flugplätze (Zollflugplätze) erfolgen, die vom BAZG bezeichnet werden.
2    Soweit sie über die Zollgrenze führen, gelten überdies als Zollstrassen:
a  die dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnlinien;
b  die elektrischen Leitungen;
c  die Rohrleitungen; oder
d  andere Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen, die vom BAZG als Zollstrassen bezeichnet werden.
3    Das BAZG kann mit Rücksicht auf besondere Verhältnisse den Warenverkehr auch anderswo bewilligen. Es legt die Bedingungen und Auflagen fest.
ZG, 2317. der zugehörigen Verordnung, Art. 10 des
internationalen Eisenbahnfrachtverhehrs-Uebereinkommens und Art. 10 des
Eisenbahntransportgesetzes. Frage, inwiefern eine Zollübertretung ein
Formaldeh'kt bilde. DieStrafbarkeit besteht, trotz objektiv unrichtiger
Deklaration der Ware, jedenfalls dann nicht, wenn der Deklarant seine
Amtspflicht voll erfüllt hat. Rückweisung nach Art. 18 F. u. P. StrG.

A. Der Kafsationskläger Heinrich Franzen ist Angestellter der
Schweizerischen Bundesbahnen und versieht als solcher die Funktionen
eines Zolldeklaranten auf der Station Brig. Danach hat er hinsichtlich
der Waren, die an dieser Station zollamtlich behandelt werden, für die
Bundesbahnen als Warenführer die Zolldeklaration abzugeben (Art. 22
des Zollgesetzes vom 28. Juni 1893). Am 29. Juni 1913 spedierte der
Weinhändler Carlo Amefano in Casale (Jtalien) an Pietro Vesini in Montreur
7 Fässer Wein, den er im Frachtbrief und in der mitgegebenen Zollerklärung
als Naturwein bezeichnete Gestützt auf diese An-

396 B. Strasrechtliche Entscheidungen.

gaben bezeichnete nun der Kafsationskläger bei seiner Zolldeklaration
gegenüber dem schweizerischen Zollamt in Brig die Sendung ebenfalls
als Naturwein, worauf der Zoll nach dem entsprechenden Tarifansatz
auf 403 Fr. 20 Cfs. festgesetzt wurde. Die Zollbehörde liess indessen
den Wein chemisch untersuchen und es stellte sich heraus, dass es
verdorbener Kunstwein war. Nach dem höhern Tarifansatze für Kunstwein
beläuft sich der umgangene Zoll auf 2620 Fr. 80 W. Bei der Aufnahme
des sog. Übertretungsprotokolls erklärte der Kasfationskläger, dass er
den Wein nach den Zollpapieren deklariert habe und vom Absender nicht
ermächtigt sei, sich einer Zollbusze zu unterziehen. _

Am 23. August 1912 legte das eidgen. Zolldepartement in Anwendung von
Art. 55 und 56 des Zollgesetzes dem Ainesano und dem Kassationskläger eine
solidare Busse von 800 Fr. auf, von der bei rechtzeitiger Unterziehung
1/4 abgezogen würde, und erklärte sie beide solidarisch verantwortlich
für den hinterzogenen Zoll. Mangels Unterwerfung verfügte das Departement
am 23. Oktober die Überweisung der Augeschuldigten an den zuständigen
Richter-. Amesano liess sich auf die Sache nicht ein, so dass gegen ihn
das Kontumazialverfahren beschritten werden musste. Der Angeschuldigte
Franzen machte geltend, er habe die Zolldeklaration in richtiger Ausübung
seiner Amtspflicht ausgestellt und notwendig auf die Begleitpapiere
abstellen müssen. Die Bundesanwaltschaft vertrat die Auffassung,
die Zollübertretung sei ein Formaldelikt, zu dessen Tatbestand irgend
ein Verschulden nicht gehöre; es genüge die objektive Unrichtigkeit der
Deklaration. Aus den Aussagen der einvernommenen Zeugen ist hervorzuheben:
Der Zollbureauchef H. Folly erklärte: er denke, dass der Kassationskläger,
der als Zolldeklarant der Zollbehörde gegenüber verantwortlich sei,
Deckung besitze und nach Vorschriften und Belegen gehandelt habe. Der
Zollbeamte Max Roth hält dafür, dass der Kassationskläger ganz korrekt
gehandelt habe. Der Stationsverstand Delaloye sagt aus: Im vorliegenden
Falle habe der Kassationskläger als Zolldeklarant ganz korrekt gehandelt,
es treffe ihn absolut keine Schuld, er habe nur seine Pflicht getan. Der
Bureauchef Christin endlich deponierte: Der Kassationskläger habe ganz
korrekt nach Reglement und Vorschrift gehandelt.[. Fiskaldelikte. N°
56. 397

Die beiden kantonalen Jnftanzen das Bezirksgericht Brig und das
Kantonsgericht von Wallis haben die zwei Angeklagten der Übertretung des
Zollgesetzes schuldig erklärt, sie solidarisch in die vom Zolldepartement
ausgesprochene Busse von 800 Fr. verfällt, und verfügt, dass diese
Busse bei Nichtbezahlung in Gefängnis, im Verhältnis zu 5 Fr. per Tag,
umgewandelt werde. Ferner haben sie die Angeklagten für die umgangene
Zollgebühr von 2620 Fr. 80 Cts. und für die Gerichtskosten solidarisch
haftbar erklärt. Das am 8. Mai 1913 erlassene Urteil des Kantonsgerichts
bemerkt im Dispositiv noch ausdrücklich, dass der Kassationskläger in
seiner Eigenschaft als Zolldeklarant bestraft werde. Dieses Urteil scheint
sich ferner nur auf den Art. 55 litt. g des Zollgesetzes zu stützen,
während die untere Instanz auch die Ziffer a des Artikels angewendet
hatte. In rechtlicher Beziehung erklärt das kantonsgerichtliche Urteil,
dass es sich einzig auf den bundesgerichtlichen Kassationsentscheid
i. S. Braun (AS 261 S. 338 ff.) als Präzedenzfall stütze.

B. Das Urteil des Kantonsgerichts wurde dem Angeschuldigten Franzen am
8. Mai im Dispositiv und am 28. Juni mit den Motiven eröffnet. Am 6. Juni
hat er dagegen Kassationsbeschwerde eingereicht mit dem Antrag: Das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur bessern Beurteilung
an das vom Kassationshof zu bezeichnende Gericht zurückzuweifen. Nach
Empfang des motivierten Urteils hat er seine Beschwerdebegründung noch
durch eine weitere Eingabe vom 7. Juli ergänzt. Als verletzt bezeichnet
er in seinen Ausführungen die Art. 22 und 55 des Zollgesetzes und die
Art. 11 und 22 der Vollziehungsverordnung dazu.

Die Bundesanwaltschaft hat auf Abweisung der Beschwerde angetragen
und diesen Antrag in einer Hauptund in einer ebenfalls noch innern der
Antwortfrist eingelangten Ergänzungseingabe

_ begründet Als Beilagen hat sie eingelegt: Ein für Abweisung der

Beschwerde sich ausfprechendes Exposé der Oberzolldirektion und ein
von den Schweizerischen Bundesbahnen erstelltes Verzeichnis ihrer
Zolldeklaranten, dem Bemerkungen über deren Funktionen zugefügt find. _

Auf Verfügung des Jnstruktionsrichters ist ferner in Abschrift

3398 B. Strasrechtliche Entscheidungen.

zu den Akten gegeben worden: Ein von der Bundesanwaltschaft in
ihrer Veschwerdeantwort erwähnter Kautionsschein der Direktion des
I. Kreises der Schweizerischen Bundesbahnen vom 12. März 1909, wonach
diese Kreisdirektion c s'engage . . . . . à répondre vis à vis de
l'Administration des douanes suisses, comme caution et codébiteur,
de toutes les obligations découlant pour les chemins de fer fédéraux
du Ier arrondissement des opérations de douanes auxquelles ils feront
procéder ..... Als zu den genannten obligations gehörend werden dann
im besondern noch genannt: les prétentions de l'Administration ..... par
suite de contraventions à la loi sur les douanes.

Der Kafsationshof zieht in Erwägung:

1. Die Kafsationsbeschwerde ist gültig, namentlich auch rechtzeitig,
eingereicht worden. Nach den Art. 306 und 324 der Walliser StrPO erfolgt
die für die Weiterziehung massgebende Eröffnung des Strafurteils durch
Zustellung der vollständigen Urteilsausfertigung und diese Kundgebung
bildet zugleich die Mitteilung des Urteils im Sinne von Art. 18 des
Bundesgesetzes über das Verfahren bei Übertretuug fiskalischer und
polizeilicher Bundesgesetze, von welcher Mitteilung an die 30tägige Frist
zur Kassationsbeschwerde läuft. Nach den obigen Feststellungen (B der
Fakta) ist diese Frist auch hinsichtlich der ergänzenden Rekurseingabe
vom 7. Juli innegehalten worden.

2. Lant der dem vorinstanzlichen Strafurteil zu Grunde liegenden
Bestimmung von Art. 55 litt. g des Zollgesetzes vom 28. Juni 1893 begeht
eine Zollübertretung, wer eine Ware unrichtig deklariert und dadurch
den Zollbetrag vertürzt. Die Deklarationspflicht lag hier laut Art. 22
des Gesetzes den Bundesbahnen ob: Nach dieser Vorschrift ist die die
Einfuhr des Gutes besorgende Eisenbahn als Wareuführeriu soweit also
die Zollabfertigung während des Transportes geschieht gehalten, unter
eigener Verantwortlichkeit für die Richtigkeit dem Zollbeamten eine
genaue Deklaration der verzollbaren Waren zu geben.

3. Im vorliegenden Falle haben die Bundesbahnen ihre Deklarationspflicht
durch den Kassationskläger erfüllt, der als ihr Angestellter auf der
Station Brig die Funktion eines Zolldeklaranten der Bahn versieht und
als solcher in ihrem Namen[. Fiskaldelikte. N° 66. 399

die ihr laut Art. 22
SR 631.0 Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG)
ZG Art. 22 Zollstrassen, Schiffszolllandestellen und Zollflugplätze
1    Der Warenverkehr über die Zollgrenze zu Land, zu Wasser und in der Luft muss über bestimmte Strassen (Zollstrassen), Häfen und Landestellen (Schiffszolllandestellen) und Flugplätze (Zollflugplätze) erfolgen, die vom BAZG bezeichnet werden.
2    Soweit sie über die Zollgrenze führen, gelten überdies als Zollstrassen:
a  die dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnlinien;
b  die elektrischen Leitungen;
c  die Rohrleitungen; oder
d  andere Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen, die vom BAZG als Zollstrassen bezeichnet werden.
3    Das BAZG kann mit Rücksicht auf besondere Verhältnisse den Warenverkehr auch anderswo bewilligen. Es legt die Bedingungen und Auflagen fest.
ZG obliegenden Erklärungen über den Jnhalt
der dort zur Zollabsertigung kommenden Sendungen abzugeben hat. Bei
seinen Zolldeklarationen handelt der Kassationskläger lediglich als
Beamter der Bundesbahnen, denen gegenüber er damit seine dienstlichen
Verpflichtungen erfüllt. Der Umstand, dass nicht er persönlich die
Ware eingeführt hat und dafür deklarationspflichtig war, schliesst
indessen seine strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht aus. Soweit
eine Zolldeklaration den Tatbestand einer strafbaren Handlung bildet,
kann diese nicht, wie er meint, von den Bundesbahnen oder genauer, da die
Bundesbahnen nur einen Zweig der Bundesverwaltung bilden, nicht vom Bunde
begangen worden sein. Denn auch wenn man private juristische Personen als
deliktsfähig und ihnen gegenüber eine Bestrafung in Form der Auferlegung
einer Geldbusse als möglich ansehen sollte (vergl. AS 20 S. 355/56, 361;
23 II S. 1336 Erw. 2; 31 II S. 713), so kann diese Auffassung doch nicht
auch gegenüber dem Staate selbst als öffentlicher Korporation Geltung
beanspruchen, auch soweit nicht, als er, wie beim Warentransport,
neben konzessionierten Gesellschaften oder sonstigen Privaten sich
wirtschaftlich betätigt. Vielmehr kann hier stets nur die physische
Person, die als staatliches Organ durch ihr Handeln den Deliktstatbestand
verwirklicht oder verwirklichen hilft, das Delikt begehen. Im gegebenen
Falle aber wäre das der Kassationskläger, da er allein die Zolldeklaration
kraft selbständigen Willensentschlusses als eine zu seinem amtlichen
Pflichtenkreis gehörende Handlung zu besorgen hatte.

4. Durch seine Erklärung hat nun der Kassationskläger zunächst zweifellos
in objektiver Hinsicht den Tatbestand der unrichtigen Deklarierung
einer Ware und der dadurch verursachten Verkürzung des Zollbetrages
geschaffen. Denn es steht fest, dass die Sendung nicht Naturwein, wie er
gestützt auf die Begleitpapiere angab, sondern Kunstwein enthielt und
dass infolge seiner Angabe der Zollbetrag auf Grund des für Natur-mein
geltenden niedrigern Ansatzes bestimmt und erhoben wurde.

5. In subjektiver Hinsicht ergibt sich aus den Akteu, dass der
Kafsationskläger, indem er bei seiner Zolldeklaration auf die Angaben
in den Begleitpapieren (Frachtbrief und Zollerklärung

400 B. Sirai'rechtliche Entscheidungen.

des Absenders) abstellte, weder eine Gesetzesoder VerordnungsBestimmung
noch eine Verwaltungsvorschrift (Dienstinftruktion) verletzt noch
sonst irgendwie schuldhaft gehandelt hat: Der Art. 22
SR 631.0 Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG)
ZG Art. 22 Zollstrassen, Schiffszolllandestellen und Zollflugplätze
1    Der Warenverkehr über die Zollgrenze zu Land, zu Wasser und in der Luft muss über bestimmte Strassen (Zollstrassen), Häfen und Landestellen (Schiffszolllandestellen) und Flugplätze (Zollflugplätze) erfolgen, die vom BAZG bezeichnet werden.
2    Soweit sie über die Zollgrenze führen, gelten überdies als Zollstrassen:
a  die dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnlinien;
b  die elektrischen Leitungen;
c  die Rohrleitungen; oder
d  andere Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen, die vom BAZG als Zollstrassen bezeichnet werden.
3    Das BAZG kann mit Rücksicht auf besondere Verhältnisse den Warenverkehr auch anderswo bewilligen. Es legt die Bedingungen und Auflagen fest.
ZG, auf den
sich die Strafsanktion des Art. 55 litt. g in erster Linie bezieht,
ordnet die Deklarationspflicht des Warenführers nicht näher, namentlich
auch nicht in dem Sinne, dass dieser stets oder doch regelmässig die
Angaben der Begleitpapiere betreffend die Erfüllung der Zollpflicht
irgendwie noch besonders auf ihre Richtigkeit zu prüfen hätte. Jm
Gegenteil aber entbinden gleichlantende Bestimmungen in den Art. 10
des internationalen Übereinkommens über den Eisenbahnsrachtverkehr vom
14. Oktober 1900 und des Eisenbahntransportgesetzes Dom 29. März 1893
die Bahn als Warenführerin ausdrücklich von einer solchen Prüfung der
Papiere auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit, wobei freilich zu
beachten ist, dass man es hier mit der Ordnung der Deklarationspflicht
nur in Beziehung auf das transportrechtliche Verhältnis zwischen Absender
und Bahn zu tun hat, und dass diese Regelung nicht ohne weiteres auch
im Verhältnis zwischen dem deklarationspflichtigen Warenführer zur
Zollbehörde gilt. Die Bundesanwaltschaft beruft sich nun ferner auf
die Art. 23 ff. der Verordnung vom 12. Februar 1895 zum Zollgesetze,
wonach der Kassationskläger eine Vorrevision hätte vornehmen und dazu
einen ZollBeamten hätte beiziehen können und wonach er auch berechtigt
gewesen wäre, durch Verweigerung der Deklaration die Rücksendung der
Ware über die Grenze oder die Abfertignng in ein eidgenössisches
Lagerhaus zu veranlassen. Allein sie behauptet selbst nicht, dass
der Kassationskläger unter den vorliegenden Umständen hiezu amtlich
verpflichtet gewesen ware. Der Art. 23 der Verordnung spricht denn auch
nur von einer Befugnis, keiner Verpflichtung des Deklaranten zur Vornahme
einer Vorrevision und stellt als Voraussetzungen dieser Befugnis auf,
dass der Deklarant nicht über die zur vorschriftsgemässen Deklaration
nötigen Answeise verfüge oder die Richtigkeit der in den Begleitpapieren
enthaltenen Angaben bezxveisle An der erstern Voraussetzung fehlt es nach
der Sachlage zum vornherein. Aber auch die zweite mangelt, da die Akten
keinen Anhaltspunkt dafür bieten und auch nicht behauptet worden ist,
dass der Kassationskläger irgend einen Anlass gehabt

I. Fiskaldelikte. N° 66. 401

hätte, gegen die Angaben der Begleitpapiere Verdacht zu hegen. Dabei ist
zu beachten, dass der Deklarant für dieBahn als Beauftragte des Absenders
handelt und also zugleich das Jnteresse des Absenders an einer intakten
Erhaltung und raschen Beförderung des Gutes wahren muss und dass nach
Art. 23 die Vorrevision auf eigene Gefahr und Kosten des Warenführers
beziehungsweise Deklaranten geschieht. Auch wäre dem Kafsationskläger
eine Untersuchung, ob man es mit Natur: oder Kunstwein zu tun habe wozu
es einer zeitersordernden chemischen Analhse bedurft hätte , innert
der Höchftfrist von 7 Tagen, die der Art. 25 der Verordnung für die
Vorlage der Zolldeklaration gestattet, kaum möglich gewesen; hat doch
die Zollverwaltung dafür vier Wochen gebraucht. Eine Rückseudung der Ware
über die Grenze aber oder eine Abfertigung nach einem Niederlagshause fiel
ausser Betracht, weil die Voraussetzung, die der Art. 27 ber Verordnung
hiefür aufstellt, Unmöglichkeit der Beibringnng einer tarifmässigen
Deklaration im Sinne von Art. 23, nicht vorlag. Dass im übrigen der
Kassationskläger auch nicht irgend eine sonstige Bestimmung verletzt
hat, ergibt sich aus den Aussagen der abgehörten, teils im Bahn-, teils
im Zolldienst stehenden und in den Obliegenheiten dieser Dienstzweige
erfahrenen Zeugen (A der Fakta). Soweit aber besondere Vorschriften
fehlten und er nach seinem freien Ermessen vorzugehen hatte, hat er hievon
nach der Sachlage einen völlig richtigen Gebrauch gemacht. Demnach also
hat er nicht nur im Verhältnis zur Bahn, als ihr Angestellter, sondern
auch gegenüber der Zollverwaltung durchaus pflichtgemäss gehandelt und
unter den gegebenen Umständen nicht anders handeln können.

6. Trotz alledem wäre die Strafbestimmung des Art.5511tt. g auf den
Kafsationskläger anwendbar, wenn man sich streng an die Ausführungen des
von der Vorinstanz als massgebend erachteten Bundesgerichtsentscheides
i. S. Braun (AS 26 I S. 340) und des schon früher ergangenen, noch das
alte Zollgesetz betreffenden i. S. Schwab und Müller (AS 19 S. 683)
halten wollte. Laut jenem Entscheide würde nämlich der Art. 55
SR 631.0 Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG)
ZG Art. 55 Lager für Massengüter
1    In Lagern für Massengüter dürfen nur die vom BAZG zugelassenen Waren gelagert werden.
2    Sie dürfen höchstens zwei Jahre gelagert werden. In begründeten Fällen kann diese Frist auf Antrag auf höchstens fünf Jahre verlängert werden.
3    Die Einlagerung von Massengütern ist bei der zuständigen Zollstelle anzumelden.
ZG die
Bestrafung jeder objektiven Zollübertretung fordern und es könnte der
Richter beim Nachweis der Schuldlosigkeit nicht völlige Straf-

402 B. Strasrechtliche Entscheidungen.

befreiung aussprechen und laut diesem wäre auch der in gutem
Glauben eine Zollübertretung Begehende strafbar, weil es sich um ein
Formaldelikt handelt, bei dem der Mangel der rechtswidrigen Absicht die
Bestrafung nicht ausschliesst, sondern nur dem Bundesrat das Recht des
Strafnachlasses gibt.

Nun verstösst es aber sicherlich in hohem Masse gegen das
Gerechtigkeitsgefühl, einen Beamten wegen einer Handlung, mit deren
Vornahme er seine Amtspflicht in richtiger Weise erfüllt hatzu
bestrafen. Um eine eigentliche Rechtsstrafe, nicht um eine Ord-T
nungsbusse handelt es sich nämlich bei der Zollbusse des Art. 55; sie
wird nötigenfalls in Gefängnis umgewandelt, und ihre Verhängung wirft
nach der Auffassung des Lebens einen gewissen leichtern Makel auf den
Betroffenen. Angesichts dieser Konsequenzen drängt sich die Frage auf,
ob nicht jene Bundesgerichtsentscheide in der Art und Weise, wie sie
jedes Schuldmoment aus dem Tatbestand der Zollübertretung eliminieren,
zu weit gehen. Hiebei braucht nicht allgemein und grundsätzlich geprüft
zu werden, inwiefern sich der Begriff des Formaldelikts als eine
ohne jedes Verschulden begehbare strafbare Handlung strafrechtlich
überhaupt rechtfertigen lasse (vergl. die kritischen Bemerkungen
Bindings dagegen in dessen Normen, 2. Ausl. S. 319) und inwieweit er
im besondern im Gebiete des Fiskaldeliktes Geltung beanspruchen könne
(vergl. hierüber Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I S. 451/2 und
Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts S. 181, die beide
auch beim Fiskaldelikt grundsätzlich ein Verschulden fordern). Vielmehr
genügt es, festzustellen, dass der in jenen Entscheiden angenommene
Formalcharakter der Zollübertretung nicht schlechthin absoluten Sinn haben
kann. Vorerst kann eine strafbare Zollübertretung dann nicht vorliegen,
wenn feststeht, dass dem Angeschuldigten die vom Zollgesetz verlangte
Leistung, hier die richtige Deklaration, nach den Umständen unmöglich
gewesen ist (vergl. Mayer, a. a. O. auf S. 452). Diesem Falle sodann
muss der andere gleichgestellt werden, wo, wie hier, ein Beamter den
objektiven Tatbestand der Zollübertretnng durch ein Verhalten verwirklicht
hat, worin lediglich eine richtige Erfüllung seiner amtlichen Pflichten
liegt. Ein in richtiger Erfüllung seiner Amtspslicht handelnder Beamter
kann überhaupt nicht wegenI. Fiskaldelikte. N° 66. 403

seines Handelns strafrechtlich verantwortlich gemacht werden, besonders
nicht wegen Verletzung von Fiskalinteressen des Staates, als dessen Organ
er die ihm vorgeschriebene Amtshandlung vorgenommen hat; es handelt sich
hiebei wohl geradezu um einen Fall, wo ein Strafanspruch ausgeschlossen
ist. Die genannten zwei Fälle dem Art. 55
SR 631.0 Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG)
ZG Art. 55 Lager für Massengüter
1    In Lagern für Massengüter dürfen nur die vom BAZG zugelassenen Waren gelagert werden.
2    Sie dürfen höchstens zwei Jahre gelagert werden. In begründeten Fällen kann diese Frist auf Antrag auf höchstens fünf Jahre verlängert werden.
3    Die Einlagerung von Massengütern ist bei der zuständigen Zollstelle anzumelden.
ZG zu unterstellen, fehlt unter
allen Umständen ein genügender Grund. Der Artikel erwähnt freilich das
subjektive Moment nicht besonders als Tatbestandsmerkmal. Hieraus aber
ist nicht zu folgern, dass er unbedingt nur auf die Verwirklichung des
objektiven Tatbestandes abstellen wolle, da dies sicherlich bei einer so
weitgehenden Strafandrohung ausdrücklich gesagt worden wäre. Vielmehr
lässt sich daraus nur schliessen, dass für die Zollübertretung wegen
ihrer Eigenart als Finanzdelikt die allgemeinen strafrechtlichen Regeln
über das Verschulden als Erfordernis der Strafbarkeit nicht schlechthin
massgebend sein sollen, sondern strengere Grundsätze Platz greifen müssen.

7. Ist sonach der angesochtene Entscheid als gegen Art. 55 litt. g
verstossend aufzuheben, so bedarf es keiner Prüfung mehr-, ob auch die
ferner noch namhaft gemachten zollrechtlichen Bestimmungen verletzt seien.

Laut Art. 18 Abs. 2 des eidg. F. u. P. StrG muss die Sache an ein
beliebiges kantonales Gericht von gleichem Range zurückgewiesen werden. Zu
einer Rückweisung an ein anderes Gericht als die Vorinstanz liegt kein
Grund vor. Diese hat sich nach Art. 172 Abs. 2
SR 631.0 Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG)
ZG Art. 55 Lager für Massengüter
1    In Lagern für Massengüter dürfen nur die vom BAZG zugelassenen Waren gelagert werden.
2    Sie dürfen höchstens zwei Jahre gelagert werden. In begründeten Fällen kann diese Frist auf Antrag auf höchstens fünf Jahre verlängert werden.
3    Die Einlagerung von Massengütern ist bei der zuständigen Zollstelle anzumelden.
OG bei ihrem neuen Urteile
an die rechtlichen Ausführungen dieses Entscheides zu halten, namentlich
auch was die in Erwägung 5 erörterte Verschuldensfrage anbetrifft.

Demnach hat der Kassationshof erkannt:

Die Kassationsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts
des Kantons Wallis vom 8. Mai 1913 aufgehoben und die Sache zu neuer
Behandlung an die Vorinstanz zu rückgewiesen. .

AS 39 l 1913 27
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 39 I 395
Datum : 24. Januar 1913
Publiziert : 31. Dezember 1914
Quelle : Bundesgericht
Status : 39 I 395
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 894 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. lll. Abschnitt. Staatsverträge. bewusst


Gesetzesregister
AuslG: 14
OG: 172
ZG: 22 
SR 631.0 Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG)
ZG Art. 22 Zollstrassen, Schiffszolllandestellen und Zollflugplätze
1    Der Warenverkehr über die Zollgrenze zu Land, zu Wasser und in der Luft muss über bestimmte Strassen (Zollstrassen), Häfen und Landestellen (Schiffszolllandestellen) und Flugplätze (Zollflugplätze) erfolgen, die vom BAZG bezeichnet werden.
2    Soweit sie über die Zollgrenze führen, gelten überdies als Zollstrassen:
a  die dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnlinien;
b  die elektrischen Leitungen;
c  die Rohrleitungen; oder
d  andere Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen, die vom BAZG als Zollstrassen bezeichnet werden.
3    Das BAZG kann mit Rücksicht auf besondere Verhältnisse den Warenverkehr auch anderswo bewilligen. Es legt die Bedingungen und Auflagen fest.
55
SR 631.0 Zollgesetz vom 18. März 2005 (ZG)
ZG Art. 55 Lager für Massengüter
1    In Lagern für Massengüter dürfen nur die vom BAZG zugelassenen Waren gelagert werden.
2    Sie dürfen höchstens zwei Jahre gelagert werden. In begründeten Fällen kann diese Frist auf Antrag auf höchstens fünf Jahre verlängert werden.
3    Die Einlagerung von Massengütern ist bei der zuständigen Zollstelle anzumelden.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
richtigkeit • zollgesetz • kantonsgericht • vorinstanz • busse • wein • verhältnis zwischen • funktion • wallis • strafbare handlung • zollabfertigung • zollbehörde • obliegenheit • kassationshof • weiler • zeuge • bundesrat • frist • tag • frachtbrief • begehungsort • deutschland • frage • entscheid • kommunikation • verkehr • lagergebäude • falsche angabe • anschreibung • gesuch an eine behörde • veranstaltung • abweisung • beschuldigter • akte • angabe • widerrechtlichkeit • bedürfnis • berufspflicht • eröffnung des entscheids • richterliche behörde • gerichtskosten • bescheinigung • voraussetzung • zollmeldepflicht • beurteilung • eisenbahn • verordnung • ermessen • deckung • leben • rang • ersuchter staat • verdacht • norm • bundesgericht • kreis • wissen • beilage • eigenschaft • strafverfolgung • departement • empfang • treffen • allgemeines strafrecht • guter glaube • frankreich • juristische person • verwirkung • orden • bedingung • strafgesetzbuch • betrug • verhalten • zweifel • mass • einfuhr
... Nicht alle anzeigen