478 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. ]. Materiellrecbtliche
Entscheidungen.

Verursachen des Schadens durch zusammenwirkendes Vers chulden mehrerer
bei dieser Auffassung gegeben find. Anderseits ergibt sich daraus aber
auch, dass sie nicht notwendig für den ganzen effektiven Schaden haftbar
erklärt werden müssen, sondern für einen Teil von der Ersatzpsticht
entbunden werden können, sofern nämlich die Voraussetzungen, die Art. 51
dafür aufsteilt, zutreffen (vergl. speziell hinsichtlich des diesem
Artikel zu Grunde liegenden Prinzipes des Gleichgewicht-s zwischen
Schuld und Schadenersatz den bereits angeführten Entscheid in Sachen
Rückert gegen Bläsi Crw. 6). Dies ist aber der Fall. Denn einmal darf
das Verschulden der Beklagten, das nach dem Gesagten lediglich in einer
gewissen Vernachlässigung der Erziehung besteht, offenbar in Verhältnis
zu andern Fallen. wo Verletzungen der elementaren Überwachungspflichten
in Frage standen, als leichteres angesehen werden. Sodann ist auch auf
die wenig gänstigen ökonomischen Verhältnisse der Beklagten Guggisberg
hat acht, zum grösseren Teil noch unerwachsene Kinder, Buzzi bekleidet
die Stelle eines Werkführers billige Rücksicht zu nehmen Denn wenn auch
Art. 51 im Gegensatz zu Art. 44, Abs. 2 des neuen Obligationenrechts
dieses Moment nicht ausdrücklich erwähnt, so darf es doch unbedenklich als
in dem allgemeinen Begriff der zu wiirdigenden Umstände eingeschlossen
gelten. In Anbetracht all dieser Verhältnisse rechtfertigt es sich,
die Höhe des von den Beklagten insgesamt zu leistenden Erfatzes auf
3000 Fr. zu bestimmen. Für diese Summe haben sie nach dem Gesagten der
Klägerins solidarisch zu haften ; -

erkannt :

Die Berufung des Beklagten Guggisberg wird abgewiesen, diejenige der
Klägerin teilweise, d. h. dahin als begründet erklärt, dass die Beklagten
Buzzi und Guggisberg solidarisch zur Zahlung einer Entschädigung von
3000 Fr. samt Zinsen zu 5 °,si'o seit 29. August 1909 an die Kiägerin
verpflichtet werden.4. Obligationenrechl. N° 76. 479

76. guter der I. guitar-temini; vom 12. gum 1912 in Sachen Y. Maier
& gio., Bekl, Widerkl. n. Ver.-KL, gegen Hirten-dy, KL, Widerbekl
n. Ver.-Veil.

Art. 56 OG. Recktsauwendung beim Distsmzkauf. Beck! jeder Vertragspartei,
die ihr oblio-agende Teilleisrang aus einem Sukzessz'vliefe-
mngsgesekàîste zurièckzufealten, wenn sich der Gegcnkonlmàent Mit einer
s":-Wer eerfallenen Teilleismng im Vin-zage befindet. Die Masse Erklärung,
künftig nicht mehr bezw. nur zu vertragswidrigen Bedingungen liefern
zzz wollen, begründet noch Frei-ten Vez'zzeg des VerMaffi-s.

Das Bundesgericht hat

auf Grund folgender Prozesslage:

A. Der Kläger Siccardy verkaufte durch Vertrag vorn 22. Dezember 1909
der Beklagten SD. Maier & Eie. 4000 bis 5000 kg rondelies en caoutchouc
Ia Qualität, lieferbar bis 1. Dezember 1910, zum Preise von 'T Fr. 25
Ets. per kg. Nachdem schon in den Monaten Dezember 1909, Januar und
Februar 1910 kleinere Quanta geliefert und bezahlt worden wa ren,
sandte der Kläger am i). März 1910 der Beklagten neuerdings 138,8 kg
der fraglichen rondeiies, nämlich 38,8 kg durch die Posi, 100 kg als
Frachtgut und übermittelte ihr hiefür zwei Rechnungen von 283 gr. 30
(été. payable en ma traite fin mars und von 633 Fr., payable en ma
traits le 15 avril prochain . Andererseits rief die Beklagte am 11. März
je weitere 200 kg auf Anfang April und Mai 1910 ab und ermächtigie am
14. März den Klager, für die beiden Fakturen vom 2. März 2 Wechsel auf
fie, zahlbar zu den von ihm angegebenen Terminen bei der Cidgenössischen
Bank iu Basel zu ziehen. Noch vor Verfall dieser Wechsel erhoben
sich indessen zwischen den Parteien Meinungsverschiedenheiten über
einen von der Veklagten geforderten nachiräglichen Preisabzug an der
(bezak)lten) Faktur vom 27. Dezember 1909. Infolgedessen schrieb der
Kläger der Beklagten am 19. März, dass er nicht mehr liefern werde,
bevor die beiden noch ausstehenden Rechnungen, bezw. Tratten, also auch
diejenige per 15. April bezahlt seien: am 21. März stellte er die

480 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. I. Hateriellrechfliche
Entscheidungen.

weiteren Begehren, dass ihm vor Ausführung weiterer Lieferungen eine
genaue Tabelle über die Verteilung der künftigen Abrufe eingeschickt
merde, dass künftig die Waare in Laval vor Empfanguahme geprüft und auch
bezahlt werden müsse. Die Beklagte erwiderte auf den ersteren Brief am
20. März, dass sie keinerlei Zahlung leisten werde, wenn der Kläger die
abgeruere Ware nicht liefere, auf den letzteren erklärte sie am 23. Marg,
dass sie die darin gestellten Bedingungen nicht anerkenne. Dementsprechend
liess sie die beiden Wechsel per Ende März und 15. April 1910 uneingelöst
zurückgehen Der Beklagte seinerseits stellte die Lieferungen ein und
klagte bei den baslerischen Gerichten auf Zahlung der Wechselsummen,
inklusive Retonrund Zahlungsbefehlskosten, zusammen 921 Fr. 50 Cts. nebst
Zinsen zu 6 % ss auf den Wechselsummen je seit Verfalltag. Die Beklagte
bestritt diese Forderung an sich nicht erhob aber widerklageweise eine
Gegenforderung von 8000 Fr. wegen des ihr durch Nichtlieserung des
vertraglichen Restquantums von zirka 4000 kg rondeiles entgangenen
Gewinns.

B. Durch Urteil vom 22. Dezember 1911 hat das Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt in Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheides
die Klage gutgeheissen und die Widerklage abgewiesen.

C. Gegen dieses Urteil hast die Beklagterechtzeitig und formrichtig die
Berufung an das Bundesgericht ergriffen mit folgenden Anträgen:

1. Es seien die Urteile des Zivilgerichtes Basel-Stadt vom 11. November
1911 und des Appellationsgerichtes Basel-Stadt vom 22. Dezember 1911
aufzuheben

2. Der Kläger sei mit seiner Klage gänzlich abzuweisen und widerklageweise
zur Zahlung von 7083 Fr. 70 Cts. nebst 5 % Zins vom Tage der Widerklage
an zu verurteilen.

3. (Kosten). '_

4. Eventuell sei zunächst entweder durch das Bundesgericht selbst
oder durch Rückweisung der Akten an die Vorinstauz das Gutachten eines
Sachverständigen über folgende Punkte einzuholen:

a) dass es für einen Käuser, der auf Abruf kaufe, unmöglich
fei, von vornherein eine genaue Tabelle über seine künftigen
Ab-4. Obligationeureaht· N° 76. 481

rufe auszufertigen, und dass dies überhaupt und insbesondere in dieser
Brauche nicht üblich sei,

b) dass es in dieser Brauche üblich sei, die Zahlung dreissig Tage nach
Eingang der Ware zu leisten-

c) dass der Ranker, der auf Abruf kaufe, wenn der Vertrag nichts
Gegenteiliges bestimme, vollständig frei sei, abzurufen, wann und wie
er wolle,

d) dass die fraglichen rontleiles ein Saifonartikel seien, für den in
den Monaten Juni-August die Hauptnachfrage herrsche, und dass daher die
Nachfrage nach solchen im Sommer 1910 sehr gross gewesen sei,

e) dass der ihr, der Beklagten, entgangene Gewinn mindestens 2 Fr. per
kg betrage-

f) dass solche rondelies aus Automobilschläuchen verfertigt werden,
und die Selbstfabrikation unter diesen Umständen für fie, die Beklagte,
einen Verlust habe bringen müssen.

D. In der heutigen Verhandlung hat der Vertreter der Beklagten die
gestellten Berufungsanträge erneuert. Der Vertreter des Klägers hat auf
Abweisung der Berufung angetragen; -

in Erwägung:

1. Die Zuständigkeit des Bundesgerichtes ist gegeben. Denn einerseits
übersteigt der Streitwert der allein materiell zu beurteilenden
-Widerklage auch nach Abzug des nur zur Vernehnung mit der Klageforderung
geltend gemachten Teiles den Betrag von 2000 Fr., übrigens speziell
auch die für das mündliche Berufungsverfahren erforderlichen 4000
Fr. Anderfeits ist auch das weitere Erfordernis der Anwendbarkeit
eidgenössischen Rechtes gegeben, nachdem beide Parteien der Kläger
schon vor erster, die Beklagte ausdrücklich vor zweiter Instanz sich
auf schweizerisches Recht berufen und damit zur Genüge bekundet haben,
dass sie die Regelung ihrer vertraglichen Beziehung diesem unterstellt
haben wollten.

2. In der Sache selbst ist mit den Vorinstanzen davon auszugehen, dass
von einer Schadenersatzforderung wegen Nichterfüllung, wie sie den
Gegenstand der Widerklage bildet, vorliegend schon deshalb nicht die
Rede sein kann, weil die Beklagte durch ihr Verhalten den Kläger zur
Einstellung der Lieferungen berechtigt hat. Denn un-

482 A. Oderle Zivilgerichtsinslanz. [. Matcricllrechtliehe Entscheidungen,

bestrittenermassen handelt es sich bei dem Vertrage vom 22. Dezember 1909
zwischen den Parteien um ein sog. Sukzessivlieferungsgeschäft, d. h. um
einen Kauf, bei dem die Ware nach Meinung der Parteien in Raten auf Abruf
geliefert werden follie. Bei solchen Geschäften kann aber zwar jeder
Kontrahent im Zweifel die ihm obliegende Teilleiftung (der Verkaufer
die weitere Lieserungsrate, der Känfer den Kaufpreis für die frühere
Teillieferuith zurückhalten wenn der Gegenkontrahent seinerseits mit
einer Teilleistung (aiso der Käufer mit einer Kaufpreis-, der Verkaufer
mit einer Lieferungsrate) im Verzuge ist, dagegen besteht dieses Recht
nicht etwa auch schon bei bloss drohendem Verzuge: die Rückhalzung
ist also nur zulässig, um die Vornahme einer bereits verfallenen und
nicht um die Vornahme einer erst künftig dersallenden Leistung durch den
Gegenkontrabenten zu erzwingen fvergL darüber einerseits die Entscheide
in Prati fa' des Bundesgerichtes Bd. I Fir. 64und 103, anderseitsSt
an v, Erkurs zu § 374 Nr. 119ff.). Demnach war aber der Klager mit dem
Momente und für so lange befugt, weitere Lieserungen zu verweigern, als
die Beklagte den per Ende März 1910 verfallenen Wechsel über 283 Fr. 30
Cfs. nicht einlöste. Denn dieser Wechsel war für die eine Teillieferung
vom '2. März gezogen worden. Indem die Beklagie sich am 14. März mit
der Wechselziehung einverstanden erflarfe, anerkannte sie, dass der
Kaufpreis für jene Liefernng am Verfailtage des Wechsels fällig sei;
sie kann sich daher nicht, wie sie dies im Prozesse versucht hat, zur
Rechtfertigung der Nichtseinlösung des Wechsels darauf Berufen, dass sie
nach der bisherigen Übung eine längere Zahlungsfrist hätte beanspruchen
können; denn diese Übung könnte nur dann irr-Betracht fallen, wenn keine
Vereinbarung über den Zahlungstermin Portage. Vielmehr hätte sie die
Zahlung nur dann derweigern bin-fen, wenn der Kläger seinerseits sich
an letzterem im Lieferungsverzuge befunden hatte... Dies behauptet nun
allerdings die Beklagte, aber zu Unrecht. Denn efsteht fest, dass sie die
nächste Lieferung erst aus Anfang April abgerufen hatte, und zwar wie
aus dem massgebenden Briefes vom 11. März hervorgeht, ausdrücklich nur
in dem Sinne, dass die abgernfenen 200 kg bis dann spediert, d. h. ab
Laval versandt sein und nicht, dass sie bis dann in Basel eingetroffen
sein müssen4. Obligationenrecht. N° 76. 483"

Wurde aber die nächste Lieferungsrate erst Anfang April fällig, so kamt
logischer Weise nicht davon gesprochen werden, dass der Beklagte sich
bei Verfall des Wechsels, Ende März tm Verzuge befunden habe. Denn die
blosse Drohung, nicht zu liefern, begiundet sowenig einen Lieferungsverzug
des Berti-users wie die Drohung, nicht zu zahlen, einen Zahlungsverzug
des KaufersY nus beiden ergibt sich vielmehr nur die Möglichkeit und
Wahrscheinlichkeit eines künftigen Verzuges. Vorhanden ist der Verzug
erst dann, wenn die Drohung verwirklicht, diesLeistung also tatsächlich
bei Verfall nicht bewirkt worden ist. Die in den Schreiben des Klägers vom
19. und 21. März 1910 enthaltene Erklärung, dass er kunstig nur noch unter
gewissen Bedingungen liefern werde, konnte ihn für sich allein also auch
dann nicht in Verzug bringen wenn diese Bedingungen, wie dies wenigstens
zum Teil offensichtlich zutrifft, Vertragswidrig waren. Lediglich wegen
der daraus sich ergebenden Wahrscheinlichkeit eines künftigen Verzuge-s
aber durfte die Beklagte nach dem eingangs Gesagten die Zahlung bereits
ausgeführter Lieferungen nicht verweigern. Indem sie dies dennoch sstat,
geriet sie ihrerseits in Zahlungsverzug und gab damit dem Klager das
Recht, die Lieferungen einzustellen Zu einem andern Ergebnis könnte man
auch dann nicht gelangen, wenn man enfprechenddem heutigen Verlangen der
Beklagten bei der Bestimmung der Falligkeit des Wechsels die Respekttage
mitberückfichttgen wollte, da der Kläger nach dem Wortlaute des Abrufes
seiner Vertragspflichtv offenbar auch dann noch genügt hätte, wenn er
die Ware erst am 2. oder 3. April versandt hatte.

Die Widerklage muss daher schon aus diesen Gründen, und ohne dass es
des Eintretens auf die weiteren Einreden des Klägers bedürfte, verworfen
werden; -

erkannt:

Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationsgerichtes
des Kantons Basel-Stadt vom 22. Dezember 1911 in allen Teilen bestätigt
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 38 II 479
Datum : 12. Januar 1912
Publiziert : 31. Dezember 1913
Quelle : Bundesgericht
Status : 38 II 479
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 478 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. ]. Materiellrecbtliche Entscheidungen. Verursachen


Gesetzesregister
OG: 56
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • verzug • lieferung • bundesgericht • widerklage • basel-stadt • bedingung • kaufpreis • vertragspartei • tag • monat • brief • schaden • zahl • ware • entscheid • aufhebung • fälligkeit • berechnung • voraussetzung
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