126 A. Staatsrechlliche
Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantonsverfassnngen.

lich, ob zur Erreichung dieses Gesetzeszwecks unter den hier gegebenen
Verhältnissen derartige Einschränkungen des Lastwagenverkehrss
erforderlich waren. Hinsichtlich dieser Frage verwaltungstechnischer Natur
aber hat sich das Bundesgericht als Staatsgerichtshof auf die Prüfung zu
beschränken, ob jene Massnahmen des Regierungsrates als rein willkürlich,
jeder sachlichen Berechtigung ermangelnd aus dem Gesichtspunkte des
Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV anfechtbar seien. Hievon kann jedoch offenbar keine Rede sein;
vielmehr geht aus der vom Regierungsrat angerufenen und aktenmässig
belegten Vorgeschichte der streitigen Verordnung zur Evidenz hervor,
dass die Erhaltung der Ortsverbindungsstrasse Frick-Wittnau-Kantonsgrenze
für den ordentlichen allgemeinen Verkehr Massnahmen solcher Art dringend
erheischte.

3. Auch die weitere selbständige Berufung der Rekurrentin --

auf die verfassungsmässige Garantie der Rechtsgleichheit geht völlig
fehl. Der Umstand, dass tatsächlich die Rekurrentin einzig von der
angefochtenen Verordnung betroffen wird, schliesst deren allgemeine
Verbindlichkeit, die in dieser Hinsicht allein das Kriterium der Wahrung
der Rechtsgleichheit bildet, natürlich nicht aus. Und die Angabe der
Rekurrentin, dass der Regierungsrat für keine andere Strasse des Kantons
Vorschriften über die Maximalladung der Lastfuhrwerke und über die Zahl
der täglich zulässigen Lastfuhren erlassen habe, wäre für die Begründung
der Beschwerde über rechtsungleiche Behandlung nur dann von Belang, wenn
feststände, dass auf andern aargauischen Strassen ähnliche Verhältnisse
vorliegen, wie auf dem Strassenstück Frick-Wittnau-Kantonsgrenze Dies
aber behauptet die Rekurrentin selbst nicht; erkannt:

Der Rekurs wird abgewiesen.

Gewaltentreunung. N° 20. 127

20. Hirten vom 13. Juni 1912 in Sachen @xtsgemetude Yieszenhofen und
Genossen gegen That-sann

Es liegt kein e Willkür (Verstoss gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV und Art. 8 thurg. KV)
und k e ine Verletzu ng der verfass ungs m ässigen Garantie der
Gewaltentrennung (g 19 thurg. K V) in der Bejahung der Kompetenz des
thurgauischen Grossen Rates gemäss § 47 des Gemeindeorganz'sationsgesetzes
vom 8. November 1874, Veränderungen der Gemeindesinteilung, auch gegen den
Willen des Regierungsrates vorzunehmen. Auch die vorliegende Anwendung
dieser Kompetenz involviert keine Wi k ur und ke ine Verletz un g der
verfassungsmà'ssig garantierten Gem eindeg e bietsei nteilung (S 45
thurg. K V).

Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Aktenlage:

A. Die Territorien der beiden thurgauischen Gemeinden Biessenhofen
und Oberaach im Bezirk Bischofszell, von denen die erstere südlich,
die letztere nördlich der Eifenbahnlinie FrauenfeldRomanshorn gelegen
ist, waren bisher in der Weise gegen einander abgegrenzt, dass das
Territorinm von Biessenhofen auf einer gewissen Strecke über die genannte
Bahnlinie hinaus nach Norden vorsprang. Auf diesem, durch die Bahnlinie
von der Ortschaft Biessenhofen abgetrennten Gebietsteil, der etwa 5 ha
umfasste, befindet sich die nach Oberaach benannte, auf Anregung und
unter erheblicher finanzieller Mitwirkung dieser Gemeinde geschaffene
Eisen- bahnstation, nebst einigen weiteren Gebäulichkeiten.

Schon im Jahre 1906 hatte die Gemeinde Oberaach eine Verschiebung ihrer
Grenze in dem Sinne angestrebt, dass das auf ihrer Seite der Bahnlinie
gelegene Gemeindegebiet von Biessenhofen ihr zugeschieden werde. Nach
erfolglosen Unterhandlungen mit der Gemeinde Biessenhofen war sie
mit einem darauf abzielenden Gesuch an den Regierungsrat des Kantons
Thurgau gelangt. Der Regierungsrat aber hatte sie wegen des Widerstandes
der Gemeinde Biessenhofen gegen die fragliche Gebietsabtrennung durch
Beschluss vom 31. Mai 1907 abgewiesen und diesen Entscheid auf eine neue
Eingabe der Gemeinde Oberaach, die er als Revisionsgesuch behan-

128 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. HL Abschnitt. Kanzonsverfassungen.

delte, durch weiteren Beschluss vom 15. November 1907 bestätigt Jn
beiden Beschlüssen gab er zwar zu, dass die von Oberaach gewünschte
Grenzverlegung an sich zweckmässig und zu begrüssen wäre, indem
dadurch eine Vereinfachung des Grenzverlaufes und im Zusammenhang
damit eine Bequeme Ausscheidung der Steuerobjekte und der späteren
Strassenunterhaltsund Schulpflichten sich erzielen "liege. Er verneinte
jedoch die absolute Notwendigkeit der Massnahme und führte hiezu aus, es
würde sich dabei um eine Veränderung in der Gemeindeeinteilung handeln,
die mangels einer gütlichen Verständigung der beiden Gemeinden nur mit
Bewilligung des Grossen Rates durchgeführt und nur dann zugelassen
werden könnte, wenn der derzeitige Bestand ein unerträglicher wäre,
was aber nicht der Fall sei.

Als dann im Jahre 1910 die Katastervermessung der beiden Gemeinden in
Angriff genommen wurde, erteilte die Gemeinde Oberaach dem damit betrauten
Geometer die Weisung, die Gemeindegrenzlinie gegen Biessenhofen zu auf
der fraglichen Strecke näher an der Bahnlinie, nämlich längs der Grenze
des Stationsgebietes, auszupflocken. Hiegegen protestierte die Gemeinde
Biesseuhofen, zunächst erfolglos beim Bezirksamt Bischofszell und hierauf
beim Regierungsrate des Kantons Thurgau, indem sie unter Hinweis auf
die Regierungsbeschlüsse vom Jahre 1907 neuerdings die Beibehaltung
der bisherigen Grenze verlangte. Der Regierungsrat gab mit Beschluss
vom 12. August 1910 grundsätzlich wiederum der Gemeinde Viessenhofen
Recht, nahm aber doch, nach Vorschlag des Kantonsgeometers, eine
Grenzberichtigung in dem Sinne vor, dass er die nördlich des Bahntraces
bisher schief zu diesem verlaufende Grenzlinie unter möglichster
Ausgleichung der beiderseitigen Gebietsverschiebungen nunmehr in der
Hauptsache parallel zum Bahntrace verlauer liess.

Damit gab sich die Gemeinde Oberaach nicht zufrieden, sondern richtete mit
Eingabe vom 22. September 1910 an den Grossen Rat des Kantons Thurgau das
Gesuch, er möchte in Abänderung in-s regierungsrätlichen Entscheides das
Gebiet des Gemeindebannes .Biessenhofen, welches bei der Station Oberaach
diesseits der .Bahnlinie liegt, von dem Gemeindebann Biessenhofen loslösen
und mit der Ortsgemeinde Oberaach vereinigen. Sie bezeichnete die

fiewaiicntrcnnnng. NO 20. 129

Auffassung des Regierungsrat-es wonach eine Grenzverschiebung nur
bei absoluter Notwendigkeit zwangsweisc angeordnet werden dürfte,
als innichtig und führte unter Hinweis auf die bisherige Praris aus,
dass schon die blosse Zweckmässigkeit einer Verschiebung (die nach den
näher erörterten Verhältnissen im vorliegenden Fall gegeben sei und auch
vom äliegierungsrat nicht in Abrede gestellt werden könne) für deren
Anordnung genüge.

Die Gemeinde Viessenhofen bestritt in ihrer Vernehmlassung
zunächst die Kompetenz des Grossen Rates-, weil nach § 47 des Ge-
meindeorganisationsgesetzes mit der Vorschrift, dass Veränderungen in
der Gemeindeeinteilung der Zustimmung des Grossen Rates bedürfen,
dieser nur gegenüber den eine Grenzverschiebung zulassenden
Regiernngsratsbeschliifsen angerufen werden könne, während die
Ablehnung eines Grenzverschiebungsgesuches, wie sie hier erfolgt sei,
in der endgültigen Kompetenz des Regierungsrates liege. Ferner wies
sie darauf hin, dass die Voraussetzung des Art. 45 Abs. 3 thurg. KV,
wonach die Gesetzgebung durch die beteiligten Einwohnerschaften angeregte
Vereinfachungen in der Gemeindegebietseinteilung unterstützen soll, hier
nicht erfüllt sei, da die beteiligte Einwohnerschaft von Biessenhofen
sich der streitigen Gebietsverschiebung widersetze.

B. Die vom Grossen Rat zur Vorberatung der Angelegenheit eingesetzte
Spezialkommission gelangte zu einstimmiger Befahung der Kompetenzfrage
und in der Sache selbst mit Mehrheit zu dem Antrage, die von der
Gemeinde Oberaach nachgesuchte Gebietsverschiebung zu bewilligen
Der Regierungsrat dagegen schloss in seiner Vernehmlassung in
erster Linie auf Infompetenzerklàruug, mit der Begründung, das; seiu
Grenzregulierungsentscheid vom 12. August 1910 gemäss § 2 der kantonalen
Verordnungen betr. Grenzausscheidung von 1846-"47,i54 der Weiterziehung
nicht fähig sei; eventuell beantrage er Abweisung des Gesuches von
Oberaach, wobei er unter Hinweis auf seine Beschlüsse vom Jahre 1907
ausdrücklich bemerkte, falls dem Gesuch entsprochen werden sollte, würde
es sich allerdings nicht mehr bloss um eine Grenzregulierung sondern
um eine Änderung der Gemeindeeinteilung handeln, die der Zustimmung des
Grossen Rates bedürfte.

Jn der Sitzung des Grossen Rates vom 29. Februar 1912

AS 38 i wie a

130 A. Staalsrechtliche Entscheidungen. .... Abschnitt Kantonsvermssungen.

wurde der Mehrheitsantrag der vorberatenden Kommission zum Beschluss
erhoben.

Dem Bericht dieser Kommissionsmehrheit ist zu entnehmen:

Für die Kompetenzfrage sei unerheblich, bei welchem Anlass das vorliegende
Begehren gestellt worden sei, und ob allfällige Vorinstanzen sich bereits
einmal oder mehrmals mit der Materie be- schäftigt hätten; denn eine
Frist für die Beanspruchung des Grossen Rates nach einem vorinstanzlichen
Entscheide gebe es überall nicht. Direkt unzutreffend aber sei die
Argumentation der Gemeinde Biessenhofen, dass eine Veränderung in
der Gebietseinteilung einen positiven Beschluss des Regierungsrates
voraussetze, dass also der Regierungsrat einem bezüglichen Begehren
zugestimmt haben müsse, bevor der Grosse Rat um seine Zustimmung
angegangen werden könne, und dass im Falle der Ablehnung des Begehrens
durch den Regierungsrat eine Genehmigung durch den Grossen Rat nicht
denkbar sei. Aus § 47 des Gemeindeorganisationsgesetzes folge nur, dass
eine Veränderung des Gemeindegebiets niemals endgültig ohne Begrüssung des
Grossen Rates vorgenommen werden könne, nicht aber, dass der Regierungsrat
ihr vorher beigepflichtet haben müsse. Es wäre eine förmliche Karikatur
des thurgauischen Staatsrechts, wenn das gesetzlich geforderte endgültige
Zustimmungsrecht des Grossen Rates nur dann angerufen werden könnte und
wirksam würde, wenn eine administrative Behörde durch ihre Schlussnahme
dem Grossen Rate die Möglichkeit einer Entscheidung lasse, also diese
Möglichkeit auch beseitigen könnte. Übrigens habe der Regierungsrat
den geradezu selbstverständlichen Rechtsstandpunkt, dass der Grosse
Rat frei entscheiden könne und nicht an die materielle Entschliessung
des Regierungsrates gebunden sei, ausdrücklich als richtig anerkannt,
indem er im Jahre 1883 ein von den Bewohnern von Nägelishub gestelltes
Gesuch um Lostrennung von der Ortsgemeinde Affeltrangen und Znteilung an
Märweil abgelehnt und den Betenten dabei erklärt habe, dass sie jedoch
ihr Gesuch im Wege der Beschwerdeführung direkt beim Grossen Rat geltend
machen könnten, und ebenso schon im Jahre 1877 seinem, das Begehren der
Ortsgemeinde Wetzikon um Trennung von der Munizipalgemeinde Lommis und
Anschluss an Thundorf ablehnenden Entscheide ausdrücklich beigefügt habe,
dass die Petenten hierüber noch den Entscheid des

i;c-wall.:utrcnnuug. Ni'm 1151

Grossen Rates anrufen könnten. Über die Kompetenz des Grossen Rates sei
demnach ein Zweifel nicht möglich, sofern das Verlangen von Oberaach
sich eben als eine grössere Gebietsverschievitiig, eine Anderung in der
Gemeindeeinteilung, darstelle. Dies aber sei, wie schon der Regierungsrat
im Jahre .!90'? klar und deutlich bemerkt habe, zu bejahetr

,S) n materieller Hinsicht sodann sei gänzlich abzuweisen die
Auffassung der lisjemeinde Biessenhofen, dass ein Entscheid. sei es
des kiiegierungsrates oder des Grossen rifa nes, in der vorliegenden
Materie die Zustimmung beider Parteien eur Voraussetzung habtund dass
auf ein einseitiges Begehren hin eine lsirenzvererung im Gegensatz
zu einer bloss untergeordneten Grenzregulierung nicht verfügt werden
könne; es bestehe htefür keine gesetzliche Handhabe· Ferner brauche für
eine solche Grenzveränderung keine unbedingte Notwendigkeit vorzuliegen,
sondern schon die Zweckmiissigieit und hohe Wünschbarkeit genüge. Diese
Erfordernisse aber seien hier als gegeben zu erachten. Die Lagedes
fraglichen Landstreifens von etwa 15 Jucharten ergebe nämlich an
Ort und Stelle, mit Rücksicht sowohl auf die erstandene Bahnstation,
als auch auf die Entfernungen und die Verkehrsverbindnngeu Zu Oberaach
einerseits und zu Biessenhofeu anderseits-, auf den ersten Blick, dass
dieses Terrain seiner natürlichen Zwecksbestimmung gemäss zu Oberaach
gehören sollte, an das allein es seine ungekünstelte Anlehnung in lokaler
und wirtschaftlicher Beziehung haben könne, während Biessenhofen dabei
gar nicht in Betracht komme. Wer auf dem Territorium, das nur nominell
d. (). politisch zu Biessenhofeu, privatrechtlich dagegen ausschliesslich
Bewohnern von Oberaach gehöre, Wohnung genommen habe oder noch nehmen
werde, sei mit Bezug auf seine Lebensbedürfnisse und seine nächsten
wirtschaftlichen Anforderungen, soweit diese nicht etwa durch die
Eisenbahn vermittelt würden, unbedingt auf Oberaach angewiesen: Klein
und Gross werde Beziehungen mit dieser ganz nahe gelegenen Ortschaft
unterhalten, besonders seitdem dieselbe ihre verkehrsfördernde Richtung
nach dem neu entstandenen Bahnhof zu gefunden habe, die durch den
streitigen Landstreifen hindurchführe, während dessen wirtschaftlicher
Zusammenhang mit Biessenhofen seit dem Bestehen der Station ganz und
gar verloren gegangen sei Schon nach den Verordnungen über die

132 A. Stautsracîiiliche
Entscheidungen. Hl. Abschnitt. Kantonsvm'thssungen.

Grenzausscheidungen der 1840er und 1850er Jahre, die ausdrücklich
erklärt hätten, dass jeder Gemeindebann ein in sich zusammenhängendes und
wohlgeordnetes Ganzes bilden solle und dass zur Erzielung natürlicher
und möglichst arrondierter Grenzen auch die Lokalitätsverhältnisse
in angemessene Würdigung zu ziehen seien, hätte das vorliegende
Gesuch unzweifelhaft geschützt werden müssen. Aber auch die modernen
kantoitalen Vermessungsvorschriften vom Jahre 1897 huldigten einer
rationellen Grenzregulierung indem sie sogar verlangten, es seien die
Gemeindegrenzen wo immer möglich so zu verlegen, dass keine Grundstücke
von ihnen durchschnitten werden. Die Gemeinden seien darum geradezu
verpflichtet, bei Anlass der neuen Katastervermessung irrationelle
Grenzlinien abzuändern; sie müssten dies tun, wo immer es möglich
sei, und dürften es- nur unterlassen, wo unübersteigliche Hindernisse
vorlägen. Da nun der Vorschlag von Oberaach, wie die Regierung selber
anerkenne, ganz dem Sinn der Vermessungsinstruktioneu entspreche und den
gesetzlichen Tendenzen vollkommen gerecht werde, so müsse dieselVorschlag
auch gegen den Willen der Nachbargemeinde prinzipiell geschützt werden,
sofern nicht ganz durchschlagende Momente seine Ausführung verbieten
sollten. Dies sei jedoch nicht der Fall; iusbesoudere könne nicht gesagt
werdeu, dass die Abtrennung von 12 bis 15 Jucharten Land. auf dem der
Gemeinde Biessenhofen zur Zeit, nach den Erhebungen der Kommission ein
Vermögen von 2000 ,Er. und ein Einkommen von EIle [gr. versteuert werde,
während die ganze Ortssgemeinde Bieszenhofen ein Steuerkapital von 457,800
Fr. und eine Einkommenssumme von '76,800 Fr. aufweise, dieser Gemeinde
eine erhebliche ökonomische Schädigung bringen würdeUnd noch weniger
könne von einer wesentlichen Schädigung der Schulgemeinde Mühlebach zu
der die Ortsgemeinde Messeniiofen gehöre und die über ein Steuerkapital
von 1,946,500 Fr. und eine Einkommenssumme von 343,900 Fr· verfüge, die
Rede {ein. Aus der Praris des Regierungsrates in früheren Jahrzehnten
aber ergehe sich, das; ausser der Lage des abzutrenneuden Gebietes zur
bisherigen und zur neuen Gemeinde namentlich daraus abgeitellt worden
sei, ob grosse materielle Gemeindeinteressen durch die Grenzverscbiebung
geschädigt würden. Dabei ziehe sich als Kriterium mir ein roter Faden
durch alle Entscheide, ob eine derartige Schwä-

Gewalientrennung. N° 20. 133

chung der territorial verminderten Gemeinde zu befürchtete sei,
dass sie ohne grossen Nachteil, ihre Gemeindeaufgaben nicht mehr zu
lösen vermöchte; nur wenn diese Gefahr bestanden habe, seien (wie an
einzelnen Präzedenzsällen gezeigt wird) die Gesuche abgewiesen worden. Jm
Gegensatz zu diesen Fällen seien norliegend die Berhältnisse im Sinne
der Gutheissung des Gesuches liquid; denn es handle sich hier nicht
um die Lösung alter, längst bestehender organischer Verbindungen eines
grossen bewohnten Gebietsteils, sondern um ein relativ kleines Areal,
dessen Bewohnungsverhältnisse erst im Entstehen begriffen seien und
von Anfang an unleidlich winden so dass man ihnen sofort die innerlich
berechtigte Ordnung geben müsse. 65 lasse sich kaum ein Fall denken, wo
so prägnant die Macht der begleitenden Umstände in ihrer Natürlichkeit
einem Gesuche auf Grenzveränderuug zur Seite stehen, wie hier

C. Gegen den ihr durch Protokollauszug des Regierungsrates vom 1:3. März
1912 bekannt gegebenen Beschluss des Grossen Rates hat die Qrtsgemeinde
Biessenhofen, zusammen mit 32, teils bürgerlichen, teils bloss
niedergelassenen Gemeindeeinwohnern, die sich ihrer Eingabe angeschlossen
haben, rechtzeitig den staatsrechtlichen stieturss an dasBande Egeria);
ergriffen und Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt

Die Rekurrenten beschweren sich zunächst über Millkür und Verletzung
der durch am. .Je BY (Art. 8 thurg KV) garantierten Rechtsgleichheit:

Ein Willkiirakt liege einmal darin, dass der Grosse Rat seine
Kompetenz zur Behandlung des Gesuches der Gemeinde Oberaach
bejaht habe. Die streitige Angelegenheit sei durch die Entscheide
des tiiegierungsrates vom 31. Mai und 15. November 1907 und vom
1'2. August 19-ltl, die der Regierungsrat in seiner Eigenschaft als
oberste Administrativjustizbehörde, gemäss § 1 lit. f. des Gesetze-Z
Tiber die Administrativsireitigkeiten vom 14. März 1866, getroffen
habe, rechtskräftig und endgültig erledigt worden Denn das Gesetz
über die Administrativstreitigkeiten sehe nirgends einen Weiterzug
der regiernngsriitlichen Administmtiventscheide an den Grosen Rat dor,
und auch die Verordnung betr. Grenzausscheidnng vom 1. April L'è-40,
Ei. Juli 1847 und 'il. März 1854 getviihre in §2 nur das Ilieeln der
Beschwerdeführung beim Regierungsraie gegenüber

134 A. staats-rechtliche
Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

dem Entscheide des Bezirksamts. Damit im Einklang bestimme übrigens
Art. 39 Biff. 5 KV von 1869 ausdrücklich, der Regierungsrat beurteile
in letzter {'in stanz die Streitigkeiten im Ver- waltungsfache
gemäss der durch das Gesetz zu treffenden Kompetenzansscheidnng,
und dementsprechend habe sich der Grosse Rat bisher in konstanter
Praris bei Beschwerden gegenüber Adminisirativentscheiden des
Regierungsrates als inkompetent erklärt Zum Beleg hiefür werde auf den
Beschwerdefall der Schnlgemeinde Kreuzlingen gegen einen Beschluss des
Regierungsrates betreffend Vereinigung der Schulgemeinden Kreuzlingen und
Egelshofen, sowie allgemein auf einen Amtsbericht des Iiiegierungsrates
verwiesen. Überdies habe die Gemeinde Oberaach mit ihrer Eingabe an
den Grossen Rat die im Administrativverfahren gemäss § 3 des lsiesetzes
über die Administrativstreitigkeiten geltende Frist von 14 Tagen nicht
eingehalten und ihr Begehren gegenüber der vor Bezirk-samt Bischofszeil
und kliegierungsrat verlangten Gebietszuteilnug in unstatthafter Weise
erweitert.

Als willkürlich charakterisiere sich der Beschluss des Grossen
Rates ferner dadurch, dass er die Verfassungs-vorschriften über die
Gewaltenirennung (g 19 in Verbindung mit den §§ 311, 36, 37 und 39 Biff. 5
KY) und über die Gemeindegebietseinteilung ( § 45 KV) verletze. Während
nämlich der Grosse Rat in dem mit Art. 31 beginneuden Verfassungsabschnitt
ausdrücklich als gesetzgebende und anfsehende Behörde betiielt werde,
sei der Regierungsrat in Art. 87 ausdrücklich als oberste Vollziehungsund
Verwaltungsbehörde bezeichnet, und Art. 39 Biff. 5 setze insbesondere
seine letztinstanzliche Kompetenz in Streitigkeiten im Verwaltungsfache
fest. Dass es sich aber vorliegend um eine Administrativsache handle,
bedürfe keiner weitern Ausführung; denn von der in Art. 39 Ziff. 5
vorbehaltenen Gesetzgebung führe das bereits erwähnte Gesetz über die
Administrativstreitigkeiten in § 1 lit. f. speziell die Streitigkeiten
der Gemeinden in Hinsicht auf die Einteilung und Abgrenzung ihrer
Territorien aus und sehe gleich wie auch die ebenfalls schon zitierte
Verordnung betr. Grenzausscheidnng ausdrücklich den Regierungsrat als
beurteilende Instanz vor. Auch Art. 45 KV gebe dem Grossen Rate keine
Handhabe zu einem Eingriff in den Kreis der vollziehenden Gewalt, und
ebensowenig die Gesetzgebung

Gewaltentrennung. N° 20. 135

der in Art. 45 Abs. 3 gerufen werde, indem der hier einzig in
Betracht fallende § 47 des Gesetzes betr. die Organisation der
Gemeinden vom 8. November 1874 bloss besage, dass Veränderungen in der
Gemeindeeinteilung der Zustimmung des Grossen Rates bedürfen, also
dem Grossen Rate lediglich die aufsehende Kompetenz einräume, einem
positiven Beschlüsse der vollziehenden Behörde in der Materie seine
Zustimmung zu erteilen, d. h. ihm kein materielles Administrationsrecht,
sondern lediglich ein formelles Sanktionsrecht gewähre. Art. 45
KV aber enthalte die verfassungsmässige Garantie der bestehenden
Gemeindegebietseinteilung und nehme nur als Ausnahme Veränderungen
dieser Einteilung in Aussicht. Ein solcher Ausnahmefall liege jedoch
hier nicht vor; denn Art. 45 Abs. 3 bestimme, dass die Veränderung durch
die beteiligten Einwohnerschaften angeregt- sein müsse, was hier nicht
zutreffe, und verweise im übrigen auf die Gesetzgebung, von der einzig §
47 des Gemeindeorganisationsgesetzes in Betracht fallen könne, der nur die
Vereinigung von kleinern Gemeinden unter sich oder die Verschmelzung mit
grösseren vorsehe und somit vorliegend ebenfalls nicht anwendbar sei. ss

Endlich liege eine Willkür auch noch darin, dass der Entscheid des
Grossen Rates, im Gegensatz zu demjenigen des Regierungsrates, sich
auf keine klare gesetzliche Bestimmung stützen könne. Der grossrätliche
Entscheid sei materiell nicht gerechtfertigt; Biessenhofen müsse gegen die
wirtschaftliche Schwächuug der kleinen Gemeinde durch die Abtrennung eines
baulich und verkehrspolitisch so eminem wertvollen Gebietes protestieren

Im weitern machen die Rekurrenten die im vorstehenden Sinne
motivierten Verletzungen der kantonsverfassungsmässigen Garantien
der Gewaltentreunung und der Geineindegebietseinteilung auch noch als
selbständige Beschwerdegründe geltend.

I). Der Grosse Rat des Kantons Thurgau hat auf Abweisung des Rekurses
antragen lassen. Er macht wesentlich geltend, dass der Grundsatz der
Gewaltentrennung im Kanton Thurgau nicht strikie durchgeführt sei, sondern
in der Gesetzgebung verschiedene Ausnahmen erfahren habe, insbesondere
in dem Sinne, dass dem Grossen Rate zu den ihm in Art. 36 KV zugewiesenen
Anfgaben noch eine Reihe von Verwaltungskompetenzen eingeräumt

186 À. Staatsrechtliche
Entscheidungen. .... Abschnitt. Kantonsverfassungen.

worden seien. So sei durch § 47 des Gemeindeorgauisatiousgesetzes,
m Ausführung des Art. 45 Abs. 3 KV der mit dem Erfordernisder Anregung
durch die beteiligten Einwohnerschaften natürlich nicht die Einigkeit
aller beteiligten Kreise voraussetze (nur für diese Fälle hätte ekkauui
des Apparates der Gesetzgebung bedurft; die gegenteilige Praxis ergebe
sich übrigens aus dem k)iechenschastsbericht des Regierungsrates pro
1872 S. 15), eine spezielle Kompetenz des Grossen Rates hinsichtlich
der Gemeindegebietsoeränderungen geschaffen worden. Darin liege nicht
bloss ein formelles Sanktionsrecht, sondern vielmehr eine selbständige
materielle Entscheidnngsbefngnis auch gegenüber ablehnenden Entscheiden
des 5'tiegielungst·ates. Von dieser Befugnis habe der Grosse Rat im
vorliegenden Falle Gebrauch gemacht und deshalb träer alle von den
Rekurrenieu vorgeht-achten Beschwerdegründe nicht zu; in Erwägung:

i. ...Die Rekurrenten beanstanden den angefochteuen Grossratsbeschluss
in erster Linie wegen augeblicher Jnkompetenz des Grossen Rates zur
Behandlung der Angelegenheit Sie erblicken darin, dass der Grosse Rat,
entgegen der Stellungnahme der Gemeinde Biessenhofen und dem prinzipalen
Antrage der regierungsrätlichen Bernehmlassung, seine Kompetenz bejaht
hat, einen Willkürakt und berufen sich im Zusammenhange damit auch
noch auf Verletzung der kantonsverfafsungsmässigen Garantien der
Gewaltentrennung und der Gemeindegebietseinteilung

Bei Würdigung dieses Beschwerdepunktes ist von Art. 45 thurg KV
(vom Jahre 1869) auszugehen, der bestimmt: Es-m allgemeinen bilden
die gegenwärtig bestehenden Ortsgemeinden die Grundlage für die
Gemeindegebietseinteilung. Wo die Multizipalgemeinde und die Ortsgemeiude
über das nämliche Gebiet sich erstrecken, da soll die Vereinigung ihrer
bisher getrennten

Verwaltungen stattfinden Die Gesetzgebung wird weitere, durch die
beteiligten Einwohnerschaften angeregte Vereinfachungen unterstützen

Das letzte Alinea dieser Bestimmung hat in der Gesetzgebung eine
Ausführung erhalten durch das kantonale Gesetz betr. die Organisation
der Gemeinden und der Gemeindebehörden, sowie über den Bürgerrechtserwerb
vom 8. November :l874, dessen § 47

Gewaltentrennung. N° 20. 137

lautet: Veränderungen in der Gemeindeeinteilnng bedürfen der Zustimmung
des Grossen Rates. Es ist jedoch im besondern daran Rücksicht zu nehmen,
dass kleinere Gemeinden, zunächst namentlieh Munizipalgemeinden, welche
ihrer Aufgabe in befriedigender Weise nicht nachkommen, miteinander
vereinigt oder mit grösseren verschmolzen werden

Die Parteien sind darüber einig, dass die hier oorbehaltene Zustimmung
des Grossen Rates erforderlich ist, nicht nur für die anschliessend
erwähnten Fälle der Vereinigung oder Berschmelzung ganzer Gemeinden,
sondern auch für Fälle vorliegender Art, in denen es sich um eine
Verschiebung von Gemeindegrenzen in dem Sinne handelt, dass ein Teil
des Gebiets einer Gemeinde demjenigen einer andern Gemeinde zugeschieden
wird, ohne dass die dieses Gebiet verlierende Gemeinde hiefür durch eine
anderweitige Gebietszuteilung seitens der es gewinnenden Gemeinde einen
Ausgleich erhält. Eine solche Grenzverschiebung lässt sich in der Tat
sehr wohl unter den Begriff der Veränderuugen in der Gemeindeeinteilungtt
bringen. Dies nimmt denn auch derRegierungsrat des Kantons Thurgau an,
indem er schon in seinen Beschlüssen vom Jahre 1907 und sodann wiederum
in seiner Vernehmlas ssung an den Grossen Rat ausgeführt hat, es handle
sich beim hier streitigen Begehren der Gemeinde Oberaach nicht um eine
blosse Grenzregulierung, sondern um eine Änderung der Gemeindeeinteilung,
die der Zustimmung des Grossen Rates bedürfe.

Als Ausführungsnorm der besonderen Versassungsbestimmung des Art. 45
Abs. 3 nun könnte die Kompeteuzzuweisung an den Grossen Rat in § 47 des
Gemeindeorganisationsgesetzes selbst dann nicht als verfassungswidrig
bezeichnet werden, wenn sie mit dem allgemeinen Verfassungsgrundsatze
der Gewaltentrennung an sich im Widerspruch stände und eine Abweichung
von der allgemeinen verfassungsmässigen Stellung des Grossen Rates
enthielte. Dies ist aber zudem keineswegs der Fall. Denn Art. 19
KV, der in Absatz 1 die grundsätzliche Trennung der gesetzgebenden,
der vollziehenden und der richterlichen Gewalt postuliert, überlässt
laut Absatz 2 die nàhere Ausscheidung- der Gewalten ausdrücklich der
Gesetzgebung Und die verfassungsmässige Bezeichnung des Grossen Rates
als oberste-. gesetzgebende und aussehende Behörde im

138 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. III.Abschnitt.
Kantousverfassungen.

Titel vor Art. 31 und im Texte dieses Artikels, mit der direkten
Aufzählung seiner Befugnisse in Art. 36 (in der allerdings eine Befugnis
hinsichtlich der Gemeindegebietseinteilung nicht erwähnt ist), hat
nicht die Meinung einer abschliessenden Kompetenzumgrenzung, sondern
bezweckt lediglich eine allgemeine Charakterisierung seiner Stellung
und die Festlegung seiner Hauptfunktionen. Art. 36 spricht von der
Übertragung insbesondere folgender Befugnisse, und deren Aufzählung
weist dem Grossen Rate nicht nur die Aufgabe der Gesetzesberatung
und die Rolle einer die gesamte Staatsverwaltung beaufsichtigenden
und kontrollierenden Behörde zu, sondern umfasst auch eine Reihe rein
verwaltung-Zrechtlicher Funktionen, wie z. B. die Erteilung des Landrechts
(1it. d), den Abschluss von Verträgen mit andern Kantonen und Staaten
(lit. e), die Bewilligung der Aufnahme von Staatsanleihen (lit. g),
den Entscheid über Staatsbauten, über Ankauf, Verkan und Verpfändung
von Staatsgütern, die einen gewissen Betrag übersteigen (lit. h), die
Gewährung ausserordentlicher Beiträge in Notfällen (lit. i). Die direkte
Regelung der Kompetenzen des Grossen Rates in der Verfassung steht also
einer anderweitigen Kompetenzergä nzung überhaupt und insbesondere
im Sinne der Zuweisung weiterer Befugnisse an sich administrativer
Natur an ihn durchaus nicht entgegen. Endlich greift der Vorbehalt
der grossrätlichen Kompetenz in § 47 des Gemeindeorganisationsgesetzes
auch nicht ein in den verfassungsmässig festgelegten Koutpetenzbereich
des Regierungsrates als oberster Vollziehungsund Verwaltungsbehörde,
speziell nicht in die ihm durch Art. 39 Ziff. 5 KV eingeräumte Befugnis,
in letzter Jnstanz die Streitigkeiten im Verwaltungsfache gemäss der
durch das Gesetz zu treffenden Kompetenzermittlung zu beurteilen. Die
Ausführung dieser letzteren Verfassungsbestimmung findet sich im
Gesetze betr. die Administrativstreitigkeiten vom 14. März 1866,
das in § 1 lit.f dem Regierungsrate den Entscheid übers Anstände in
Hinsicht auf die Einteilung und Abgrenzung der Territorien der einzelnen
Gemeinden zuweist. Nun sieht dieses Gesetz allerdings eine Weiter-
ziehung der Entscheidungen des Regierungsrates in den darin ausgeführten
Verwaltungssachen an den Grossen Rat nicht vor. Allein das später (1874)
erlassene Gemeindeorganisationsgesetz

Gewaltentrennung. N° 20. 139

hat durch die Bestimmung seines § 47 diesen ( verfassungsmässig der
Ordnung aus dem Wege der Gesetzgebung vorbehaltenen) Rechtszustand
eben im Sinne einer Einschränkung der Entscheidungskompetenz des
Regierungsrates dahin abgeändert, dass, soweit sich die Einteilung und
Abgrenzung der Territorien einzelner Gemeinden als eine Veränderung in der
Gemeindeeinteilung darstellt, der regierungsrätliche Entscheid nun nicht
mehr endgültig, sondern von der Zustimmung des Grossen Rates abhängig
ist. Ebenso ist dieser gesetzlichen Neuernng gegenüber natürlich auch der
Umstand ohne Belang, dass die Verordnungen betr. die Grenzausscheidungen
aus den Jahren 1846, 1847 und 1854 den Rekurs an den Grossen Rat ebenfalls
nicht vorsehen.

Es kann sich demnach nur fragen, ob die dem angefochtenen grossrätlichen
Beschlusse zu Grunde liegende Auffassung, wonach der Grosse Rat
eine Veränderung in der Gemeindeeinteilung auch gegen den Willen des
Regierungsrates soll vornehmen können, mit Sinn und Wortlaut von §
47 des Gemeindeorganisationsgesetzes vereinbar sei. Zn dieser Hinsicht
erscheint auf den ersten Blick, nach der Ausdrucksweise des Gesetzes
Veränderungen in der Gemeindeeinteilung bedürfen der Zustimmung des
Grossen Rates an sich, allerdings die Einwendung der Rekurrenten, dass der
Grosse Rat darauf beschränkt sei, eine von der Regierung beschlossene
Gebietsveränderung zu sanktionieren, als schlüssig; denn es lässt
sich gewiss sagen, der Begriff der Zustimmung setze einen positiven,
bejahenden Vorentscheid voraus. Allein angesichts der Vorschrift des
Art. 45 Abs. 3 KV, welche die verfassungsrechtliche Grundlage sener
Gesetzesbestinnnung bildet, muss diese Auslegung als zu eng abgelehnt
werden. Denn wenn die Verfassung es als Aufgabe der Gesetzgebung
bezeichnet, die Vereinfachung der Gemeindeeinteilung zu unterstützen,
so geht es doch wohl schlechterdings nicht an, diejenige Behörde, welcher
der oberste Entscheid über die Verfolgung dieses Zweckes zugewiesen wird,
in ihrer Kompetenz im Sinn des Standpunktes der Rekurrenten zu beschränken
Vielmehr ist nach Sinn und Zweck jener Verfassungsvorschrift dem Grossen
Rate, dessen Mitwirkung das Gesetz vorbehält, eine unabhängigere Stellung
zu vindizieren und ihm das Recht zuzuerkennen, Vereinfachungen der
Gemeindeeinteilung auch durch selbständige Verfügung, im Wider-

140 A. Sfaaisrechtliche
Entscheidungen. .... Abschnitt. Kantonsverfassungen.

spruch mit einem voraus-gegangenen Entscheide des Regierungsrates,
durchzusetzen Für diese vom Grossen Rate vertretene Gesetzesauslegung
spricht übrigens entscheidend auch noch die allgemeine Erwägung,
dass der Grosse Rat des Kantons Thurgau als oberste Landesbehörde und
speziell gesetzgebende Behörde, der nach Vorschrift des Art-. 36 lit.. a
KV auch die Erläuterung der Gesetze zusteht-, am ehesten berufen ist,
eine kantonale Gesetzesbestimmnng in inassgebender Weise auszulegen,
und dass das Bundesgertcht gerade oorliegend um so weniger Veranlassung
hat, von der grossrätlichen Interpretation abzuweichen, als diese
durch die von der vorberatenden Grossratskommission angeführten
Präjudizien unterstützt wird, nach denen der Regierungsrat selber
schon früher in mehreren Fällen die Auffassung vertreten hat, dass dem
Grossen Rate auch gegenüber ablehnenden Entscheidungen der Regierung
in Gemeindeeinteilungsangelegenheiten das Recht der Überprüfung und
definitiven Schlussnahme zukomme (vergl. die Rechenschaftsberichte des
Regierungsrates pro 1877, S. 117 und pro 1883, S. 47ss

Utit dieser Auslegung von § 47 des Gemeindeorganisationsgesetzes
aberentfallen die sämtlichen Argumente der Rekurrenten gegen die
Kompetenzbejahung des Grossen Rates; es kann danach weder von einein
Willkürakt, noch von einem verfassungswidrigen Eingriff dieser Behörde in
die Kompetenzen der vollziehenden Gewalt die Rede sein. Ferner erledigen
sich mit dem Gesagten ohne weiteres auch die von den Reknrrenten,
allerdings ohne ausdrückliche Anrufuug einer Verfassungsverletzung
vorgebrachten Rügen der Fristoersäumung und der unsiatthaften Erweiterung
des Begehrens der Gemeinde Oberaach vor dem Grossen Rate. Da das Gesetz
betrdie Administrativstreitigkeiten· vom Jahre 1866, wie erwähnt eine
Weiterziehung der regierungsrätlichen Entscheidungen noch nicht norsah,
konnte es hiefür auch keine Frist ansetzen; die 14tägige Frist seines
§ 3 bezieht sich vielmehr ausschliesslich auf den beim Regierungsrat
zu erhebenden Rekurs und darf auch nicht per analogia... auf die
erst später zugelassene Beschwerdeführung beimGrossen Rate übertragen
werden. Die Angabe im Bericht der grossrätlichen Kommissionsmehrheit,
dass eine Frist für die Beanspruchung des Grossen Rates nach einem
vorinsjanzlichen Entscheide überall nicht bestehe, ist somit für den
hier gegebenen Beschwerdefalt

Gewallgutrennung. N° 20. M]

nicht widerlegt. Und was die Bemängelung der Erweiterung des
Beschwerdebegehrens vor dem Grossen Rate betrifft, haben die Rekurrenten
überhaupt keine Gesetzesbestimmung namhaft zu machen ;J:ttnocht, gegen
die das Vorgehen der Gemeinde Qberaach verstossen a e.

2. In materieller Hinsicht beschweren sich die Rekurrenten zunächst
Über Verletzung der verfassungsmässigen Garantie der bestehenden
Gemeindegebietseinteilung, indem sie sich auf die Behaup- tung
stützen-. es seien vorliegend die Voraussetzungen weder des Art. 45
Abs. 3 KV, noch des § 47 des Gemeindeorganisationsgesetzes gegeben. Sie
vertreten dabei die Auffassung, um eine Anregung durch die beteiligten
Einwohnerschaften im Sinn des Artzt45 Abs. 3 KV handle es sich nur dann,
wenn alle beteiligten Kreise mit der angeregten Gebietsverschiebung
einverstanden seien. Allein die fragliche Verfassungsbestimmung kann
gewiss sehr wohl, jedenfalls ohne Willkür, mit dem Grossen Rate dahin
aus-gelegt werden, dass zur Verfügung einer Gebietsverschiebung die
Anregung einer der beteiligten Gemeinden genügt. Der Vertreter des
Grossen Rates bemerkt in der Reknrsbeantwortnng mit Recht, dass
es wohl kaum des Apparates der (in Art. 45 Abs. 3 vorbehaltenen)
Gesetzgebung bedurft hätte, wenn man eine Verschiebung nur unter
Zustimmung sämtlicher beteiligten Kreise hätte eintreten lassen wollen.
Und die gleichzeitig angerufene Stelle im Rechenschaftsbericht des
Regierungsrates pro 1872, wo diese Behörde die Erwähnung einer von ihr
mit Zustimmung des Grossen Rates verfügten Gemeindegebietsänderung mit
dem Satze schliesst, als auffallende Tatsache dürfe vermerkt werden, dass
selbst so einfache und begründete Begehren in den betreffenden Gegenden
auf ernsten Widerstand stossen , lässt in der Tat darauf schliessen,
dass in der Praxis Gemeindegebietsverschiebungen auch schon gegen den
Willen wenigstens einzelner der beteiligten Kreise angeordnet worden
sind. Sollten aber die Rekurrenten mit ihrem Einwande sagen wollen,
ausser dem besonders vorgesehenen, hier jedoch nicht zutreffenden Falle
des § 47 des Gemeindeorganisationsgesetzes (wonach kleinere Gemeinden,
die ihrer Aufgabe nicht in befriedigender Weise nachzukommen vermögen,
miteinander vereinigt oder mit grösseren Gemeinden verschmolzen werden
dürfen) könne ohne die

142 A. staut-rechtliche
Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantonsvcrl'ussungcn.

Zustimmung aller Beteiligten eine Gebietsverschiebung nicht durchgeführt
werden, so stände dieser Argumentation der klare Gesetzestext entgegen,
indem § 47 des Gemeindeorganisationsgesetzes nur vorschreibt, es sei bei
Veränderungen in der Getneindeeinteilung im besondern darauf Rücksicht zu
nehmen, dass kleinere Gemeinden . . . . , also anderweitige, nicht zum
voraus bestimmte Fälle solcher Veränderungen nicht etwa ausschliesst,
sondern gegenteils ausdrücklich vorbehalt. _ '

8. Im weitern berufen sich die Rekurrenten noch aus Willkür als materielle
Rechtsverweigerung mit der Begründung, ver angefochtene Beschluss des
Grossen Rates entbehre in sachlicher Hinsicht der gesetzlichen Grundlage
Sie haben jedoch keine posttive Gesetzesbestimmung namhaft zu machen
vermocht, in der die Voraussetzungen der Zulässigkeit von Abänderungen
der Geitieiiidegebtetseinteilung normiert wären. Aus den im vorliegenden
Falle ergangenen Entscheidungen des Regierungsrates und auch aus dem
Bericht der Grosseatskommission ergibt sich vielmehr ohne weiteres:
dass em positives, genau umschriebene-Z gesetzliche-Z Kriteriutn hiesür
Eberhaupt nicht besteht, indem irgend ein Gesetzestext von keiner Seite
jemals angerufen worden ist. Eine willkürliche Missachtung klaren Rechts
ist daher mit Bezug auf die Frage, ob eine Grenzverschtebung einzutreten
habe, zum vornherein undenkbar; vielmehr hat die Beantwortung dieser
verwaltungsrechtlichen Frage ausschliesslich nach dem pflichtgemässen
Ermessen der entscheidenden Behörde zu erfolgen. Von diesem Ermessen
aber hat der Grosse Rat vorliegend jedenfalls nicht in willkürlicher
Weise Gebrauch gemacht; gegenteils ist sein Beschluss im Berichte der
vorberatenden Kommission mit eingehenden, durchaus sachlich gehaltenen und
ernst zu nehmenden Erwägungen begründet, deren Schlüssigkeit im·ubrigen
das Bundesgericht als Staatsgerichtshof nicht nachzuprüsen hat. Auch in
diesem Punkte erweist sich der Rekurs somit als unbegründet; --

erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.!. Gex-ichlsniandsvertrag mit
Frankreich. N° 21. 14.5

Vierter Abschnitt. Quatrième section.

Staatsverträge der Schweiz mit dem Ausland-. Traités de la Suisse avec
l'étranger.

***-CL'--

I. Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich _ vom 15. Juni 1869. Convention
franco-suisse du 15 juin 1869.

21. Arrèt (lu-28 mars 1912 dans la cause Suchet contre Bourget.

L'art. ler a.]. 2 du Traité france-suisse sur la compétence judiciaire
est applicable à un séquestre. Notion dela résidance. N'implique pas
une violation du traité un séquestre opéré en Suisse par un Suisse sur
les biens d'un Francais pour

' une créance résultant d'un traitement médical suivi durant un mois
par le déhiteur au lieu où le séquestre a été pratiqué.

A. En date du 29 octobre 1911, le Professeur Dr Bourget, invoquant
l'article 271 al. 3 et 4 LP, a obtenu du Juge de Paix du cercle de
Lausanne une ordonnance de séquestre pour une note d'honoraires de 500
fr. contre le recourant Louis-Joseph Suchet, marquis d'Albuféra. Le
séquestre a été exécuté dans la. soirée du dimanche 29 octobre à l'Hòtel
Royal, à Lausanne, où le recourant était descendu le 1" octobre.

B. Le 28 décembre 1911, Louis-Joseph Suchet %. adressé au Tribunal fédéral
un recours de droit public, concluant à l'annulation de l'ordonnunce de
séquestre obtenue contre lui par le D' Bourget. Il invoque les motifs
suivants:
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 38 I 127
Datum : 13. Juni 1912
Publiziert : 31. Dezember 1913
Quelle : Bundesgericht
Status : 38 I 127
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 126 A. Staatsrechlliche Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantonsverfassnngen. lich,


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
gemeinde • regierungsrat • kv • thurgau • gewaltentrennung • frist • kreis • verfassung • wille • frage • kantonsverfassung • bundesgericht • zahl • bewilligung oder genehmigung • rechtsmittel • weisung • 1847 • bezirk • lausanne • ermessen
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