572 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. I. Materieiirechfliche
Entscheidungen.

an ein verurteilendes als auch an ein freifprechendes Strafurteil
gebunden sei (AS 12 S. 601 f. Casto. 2, 26 II S. 174, 28 II S. 227
ff). Dass bei Beurteilung einer Klage auf Schadenersatz aus unerlaubter
Handlung der Richter an das auf Grund einer auch das Fundament der
Zivilklage bildenden Tat erlassenes strafgerichtliches Urteil nicht
gebunden ist (BGE 29 II S. 61? Erw. 3, 35 II S. 570 f. Erw. 2), hat für
den vorliegenden Fall keine Bedeutung, weil ein aus unerlaubter Handlung
hergeleiteter Schadenersatzanspruch nicht an die Voraussetzung geknüpft
ist, dass aus jener Handlung ein staatlicher Strafanspruch entstanden sei.
Jn diesem Falle umfassen die Voraussetzungen des Zivilanspruchs nicht
zugleich diejenigen des Strafanspruchs, sondern beide sind durchaus von
aneinander verschieden

Steht somit fest, dass der Richter im vorliegenden Prozesse an das
Strafurteil des Bezirksgerichtes See vom 22. Februar 1911 gebunden ist
und dass dieses Urteil rechtskräftig entschieden hat, es sei weder aus dem
Unfall selbst, noch aus den als kansal für den Unfall in Frage kommenden
tatsächlichen Umständen ein Strafanspruch gegen den Beklagten entstanden,
so ist die Hauptbernfung unbegründet.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

' 1. Auf die Anschlussberufung wird nicht eingetreten.

2. Die Hauptberufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichtes
des Kantons St. Gallen vom 19. Oktober 1911 in allen Teilen bestätigt

. ; ein-aus-...... L......

Berufungsinstanz: 4. Ersindungepatenle. N° 83. 573

4. Erfindungspatente. Brevets d'invention.

83. Email vom 25. Yovember t91i in Sachen @. Zueidinger & glie
Kl. u. Ber.-Kl·, gegen Yavidson, Bekl. u. Ber.-Bekl.

Die Frage der Anfechtbarkeit eines Patentes wegen Nichtausführung
seines Gegenstandes baum dt sich bei Pate-utm, die unter dem &. PatG
V. 1888/1893 erteilt werden sind, auch seit dem Inkrafte'eten des n. Pat
G D. 21. Juni 1907 nach dem alten Gesetz (Mangel einer gegenteilégen
Vorschrift in AN. 50 n. Pat G). Nach Art. 9 Ziffer 3 3. Part; 13;
zum Aussckèuss des Anfechtungsgrundes nicht e-rforderlicfc, dass das
Patent in der Schweiz zur Anwendung gekommen sei; es genügt speziell die
Ausführung in Deutsc h land, entzweien-emier 5 Abs. 1 des Uebereinkommens
zwischen de? Schweiz n. Deutschland betr. den gegenseitigen Patent-,
Musée-ru. Marken-

ss schutz @. 13. April 1892/16. Aug. 1894.

A. Durch Urteil vom 26. September 1911 hat das Zwilgericht des Kantons
Basel-Stadt in vorliegender Streitsache erkannt:

Die Klage wird abgewiesen-

B. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin gültig die Berufung an das
Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage-, das angefochtene Urteil
aufzuheben und das dem Beklagten gehörige eidgenössische Patent Rr. 18,648
vom 1. Februar 1899 als erloschen zu erklären.

C. In der heutigen Verhandlung hat der Vertreter der Klägerin den
gestellten Berufungsantrag erneuert. Der Vertreter des Beklagten hat
auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils
angetragen.

DasBundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Beklagte, der englische Staatsangehörige S. C. Davidson, hat am
1. Februar 1899 für einen Ventilator das eidgenössische Patent Nr. 18,648
erlangt. Seine Erfindung hat er, wie unbestritten ist, in der Schweiz
nicht ausführen lassen; wohl aber wird der fragliche Ventilator in
Deutschland, woselbst er

574 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. ]. Materielirechtliehe
Entscheidungen.

ebenfalls patentiert ist, durch die Firma White, Child & Beney in Berlin
fabriziert.

Mit der vorliegenden, vorinsianzlich abgewiesenen Klage hat nunmehr die
Maschinenfabrik G. Meidinger & Eie. in Basel, die ebenfalls Ventilatoreu
herstellt, unter Berufung auf den Art. 18
SR 232.14 Bundesgesetz vom 25. Juni 1954 über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG) - Patentgesetz
PatG Art. 18 - 1 ...59
1    ...59
2    Das Prioritätsrecht kann vom Erstanmelder oder von demjenigen beansprucht werden, der das Recht des Erstanmelders erworben hat, die gleiche Erfindung in der Schweiz zur Patentierung anzumelden.60
3    Sind die Erstanmeldung, die Anmeldung in der Schweiz oder beide von einer Person bewirkt worden, der kein Recht auf das Patent zustand, so kann der Berechtigte die Priorität aus der Erstanmeldung geltend machen.61
PatG vom 21. Juni 1907 die
Löschung des Patentes Ne. 18,648 wegen Nichtausführnng in der Schweiz
verlangt. Der Beklagte hat auf Abweisung der Klage angetragen mit der
Begründunger habe vergebliche Versuche gemacht, die Erfindung in der
Schweiz auszuführen; und sodann bilde die Nichtausführung in diesem
Lande keinen Löschungsgrund, da nach dein Art. 5 des Übereinkommens
zwischen der Schweiz und Deutschland vom 13. April 1892 die Fabrikation
des Ventilators in Deutschland zur Wahrung auch des schweizerischen
Patentrechtes genügt habe. ss

2. Es erhebt sich vor allem die von den Parteien zwar nicht
ausgeworfene, aber von Amtes wegen zu prüfende Frageob der Art. 18 des
geltenden Patentgesetzes vom 21. Juni 190'T, auf den der Kläger sein
Löschungsbegehren stützt; im vorliegenden Falle anwendbar sei, oder
ob dieser Fall sich nicht nach dem frühem Patentgesetz vom 29. Juni
1888 und der Novelle dazu vom 23. März 1893 beurteile, unter deren
Herrschaft das angefochtene Patent erteilt worden isi. Zu der letztern
Lösung führt der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Privatrechtes,
dass für die rechtlichen Wirkungen von Tatsachen, die unter dem alten
Gesetze eingetreten find, dieses Gesetz auch nach dem Inkrafttreten des
neuen Gesetzes noch massgebend bleibt (oergl. am. 882 OR und Art. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
1    Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.
2    Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
3    Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.

des Schlusstitels des ZGB). Ob somit der Umstand, dass die Erfindung
des Beklagten in der Schweiz nicht, auch nicht seit der Geltung des
jetzigen Patentgesetzes, ausgeführt worden isteinen Löschnngsgrund bilde,
entscheidet sich ausschliesslich nach der frühern Patentgesetzgebung
Hieran ändern auch die besondern intertemporalen Rechtsnormeu in Art. 50
des gegenwärtigen Gesetzes nichts. Sie erweitern freilich, entgegen
dem genannten Grundsatze, den zeitlichen Geltungsbereich des neuen
Gesetzes gegenüber dein des alten; aber sie tun dies nur für einzelne,
hier nicht in Betracht kommende TatbestäUde und deren Rechtswirkungen,
indem sie die Fragen regeln, wie nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes
dieBerufungsinstanz : 4. Erfindungspatente. N° 83. 575

frihrern Patente und Patentgesuchehinsichtlich des vom alten
Gesetz aufgestellten, vom neuen fallengelassenen Erfordernisses der
Modelldarstellbarkeit zu behandeln seien und ob die jetzigen Bestimmungen
über die Schutzwirkungen ausländischer Patentanmeldungen im Jnland
auch den frühem Anmeldungen, und die jetzigen Bestimmungen über den
Ansstellungsschutz auch einer früher erfolgten Ansstellung der Erfindung
zugute kommen. In allen diesen Beziehungen will übrigens das neue Gesetz
den bisher Berechtigten unter der neuen Ordnung durch Gewährung weiterer
Befugnisse fgunstigler stellen, als er ohne diese Sonderbestimmungen
gestellt ware, wahr-end sich hier das zwischenzeitliche Verhältnis auf
die Regelung einer Pflicht des Patentberechiigten des Aussührungszwanges
und seines Um ans es beie t.

Sf. gDas azlteh Patentgesetz von 1888 hat nun den Ams-z führungszwang
in der (durch die Novelle von 1893 unbemhri gelassenen) Ziffer 3 seines
Art. 9 dahin geordnet, dass er das Patent ais erloschen erklärt, wenn
die Erfindung nach Ablauf des dritten Jahres, vom Datum der Anmeldung
,an gerechnet, nicht zur Anwendung gekommen ist-L Danach wier also
nicht gefordert, dass die Erfindung während der genannten-Frist in der
Schweiz angewendet worden sei, sondern es genugt auch eine Anwendung
im Auslande. Dieses frühern Rechtszustandes sind sich denn auch die
gesetzgebenden Behörden bei der Revision des alten Gesetzes wohl bewusst
gewesen, indem sie infolge einer besonderen Anregung aus interessierten
Kreisen im neuen. Gesetze die Pflicht zur Ausführung dahin verschärft
haben, dass ihr nu; noch im Julande genügt werden kann [s. BBl 1906 IV
S. 25
.oben). ·

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: .

Die Berufung der Klägerin wird abgewiesen und das Urteil des Zivilgerichts
des Kantons Basel-Stadt vom 26. September 1911 in allen Teilen bestätigt.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 37 II 573
Date : 22. Februar 1911
Published : 31. Dezember 1911
Source : Bundesgericht
Status : 37 II 573
Subject area : BGE - Zivilrecht
Subject : 572 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. I. Materieiirechfliche Entscheidungen. an ein


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29-II-60
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BBl
1906/IV/25