462 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. I. Materiellrechtliche
Entscheidungen.

67. Zweit vom 12. Oktober 1911 in Sachen Witwe nottut-Armut und @euosseu,
Kl. u. Hauptber.-Kl., gegen YodenleesToggeubnrgbahn ghgh,

Bekl. u. Anschlussber·-Kl.

Art. 5 EHG. Ermässigte Haftung der Eisenbaknuntemehmung bee
Kausalkonkurrenz von Selbstversahulden des Verunfaiiten mit der
Verwirklichung einer dem Betriebe spezifisch inhärenten Gefahr.
Anwendbarkeit dieses Gr-undsatzes auch auf den Bahnbau--
Betrieb. Für den Berufungsr-ichter eerbindlictze Feststettimg
des Selbetuerschutdenstatbestandes (Art. 81 OG). Art. 2 i . f. EHG.
Aktivlegitimation der Braut des Getöteten, die dieser bereits tatsächlich
unterstützt hatte und die er voraussichtlich geheiratet haben würde,
Verneinung der Legitimation eines angeblichen Brautkindes wegen
mangelnden Naehweises der Vaterschaft des Gettîtelen. Unerlwbèe'chkeit
der beantragten Beweisea'gänzungEntschädiguflgsbemessung für Mutter
und Braut riesGetötetm. Unzulässiglceit der Berücksichtingg, im Sinne
eines Bedukte'omgrundes, der Mòyhchkeit einer spätem Scheidung der
voraussichtlichen Ehe der letzteren mit item Getò'tetefi.

Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Prozesslaget A. Mit Urteil
vom LG./21. Juli 1911 hat das Kantonsgericht St. Gallen in vorliegender
Streitsache erkannt: 1. Die Klage der Rosa Nutini ist im Betrage von
250 Fr., diejenige der Enrica Rest im Betrage von 2200 Fr. geschützt;
im übrigen sind die Klagen abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil haben die Klägerinnen rechtzeitig

und formrichtig die Berufung an das Bundesgericht ergriffen, mit den
Anträgen:

1. Es sei die Beklagte pflichtig zu erklären, der Klägerschaft den laut
Leitschein eingeklagten Betrag von 15,000 Fr., nebst Sins à 5 0/0 seit
23. März 1909, als Schuld anzuerkennen und zu bezahlen.

2. Für den Fall, dass eine Gesamtsumme nicht gesprochen würde, sei die
Beilagtschast pflichtig, zu bezahlen:

a) der Klägerin Antini 2000 Fr., eventuell 1000 Fr.;B. chfungsiustanz:
2. Haftpflicht aus Betrieb der Eisenbahnen, etc. N° 67. 463

b) der Klägerin Reffo 10,000 Fr.;

c) der Klägerin Angela Silvia 3000 Fr eventuell 4000 Fr·

Z. Eventueli sei der Fall abermals an das Kantonsgericht St. Gallen zur
Ergänzung des Beweisverfahrens zurückzuweisen, namentlich in dem Sinne,
dass die von der Klägerschaft für die Vaterschaft des Angeld Antini
an dem Kinde Angela Silvia produzierten Beweismittel abzunehmen seien,
nämlich: . . . .

C. Die Beklagte hat sich gültig der Berufung angeschlossenmit den
Begehren:

1. Es seien, unter Aufhebung des kantonsgerichtlichen Urteils-, die
Rechtsanspriiche der Antini, der Enrica Reffo und des Kindes "Angela
Silvia gänzlich abzuweisen

2. Eventuell sei die vom Kantonsgericht der Enrico Resfo zugesprochene
Entschädigung von 2200 Fr. aufzuheben oder doch erheblich zu reduzieren-

D. Zn der heutigen Verhandlung haben die Parteivertreter diese Begehren
wiederholt und begründet; '

in Erwägung:

1. Angelo Antini von Mercato-Saraceno (Italien), geboren den
29. Februar 1884, trat am 29. September 1908 als Mineur in den Dienst der
Beklagten. Am 28. Oktober gl. J. rückte er zum Vorarbeiter beim Regiebau
des Wassersluhtunnels vor, woselbst er am 23. März 1909 bei der Erstellung
des ersten Firstschlitzes einen tötlichen Unfall erlitt. Kurz vor 10
Uhr vormittags waren 14 Mitten geladen. Antini zog sich, wie üblich, mit
seiner Gruppe an den Schutzort zurück. Es explodierten aber nur 10 Mitten
Nach einer Wartezeit, die vom Zeugen Cantoni auf zirka 5, und vom Zeugen
Cavassi aus einige Minuten geschätzt wurde, forderte Antini diese beiden
Arbeiter auf, mit ihm nach dem Sprengort aufzubrechen Kaum waren sie auf
dem Firststolleugerüst angelangt, erplodierte eine weitere Mine direkt vor
Antini, der die ganze Ladung ins Gesicht erhielt und augenblicklich tot
war, während die beiden andern Arbeiter nur leicht verletzt wurden. Antini
hinterliess seine Mutter im Alter von 50 Jahren, sowie eine Brant, Eurica
Reffo, mit der er in gemeinsamem Haushalte lebte. Die Eheverkündung war
am 19. Mat-z, also 4. Tage vor dem Unfall, auf dem Zwilstandsamt Wattwil
erfolgt. Mutter und Braut traten in der Folge

AS 37 u _ 1911 30

464 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. I. Materiellrechfliche
Entscheidungen.

als Haftpflichtklägerinnen auf, letztere für sich und das am
15. September 1909 geborene Mädchen Angela Silvia, das nach ihrer
Behauptung das Kind des Verunsallten ist. Sie forderte von der Beklagten
eine Gesamtentschädigung von 15,000 Fr. nebst Zins zu 5 °,sosiseit
dem Unfallstag. Beide kantonalen Jnstanzen wiesen die Klage ab, die
obere wegen Selbstverschuldens des Getöteten, weil er vor Ablauf der
vorgeschriebenen Wartefrist von 10 Minuten nach Abgang des letzten
Schusses nach dem Sprengort aufgebrochen fei. Die Klägerinnen ergriffen
gegen dieses Urteil die Berufung an das Bundesgericht. Dieses erklärte
mit Urteil vom 24. Mai , 1911 * die Berufung dahin begründet, dass es das
kantonsgerichtliche Urteil aufhob und die Sache zur weiteren Abklärung
des Tatbestandes und zu neuer Entscheidung an die Vorinstauz zurückwies,
wobei die ganze Verschuldensfrage frisch zu untersuchen und namentlich
auch zu prüfen fei, ob Selbst-s oder blosses Mitverschulden Antinis
vorliege, und eventuell, wie hoch dieses Mitverschulden einzuschätzen
sei. Das Kantonsgericht hat nach nochmaliger Einvernahme des bauleitenden
Jngenieurs Hinterwadel und erfolgter Abhörung der neuen Zeugen Varesco
und Rocchi, das sub A hievor wiedergegebene Urteil gefällt.

2. Die Vorinstanz stellt nunmehr auf Grund der Aussagen des Oberaufsehers
Varesco fest, dass die Vorarbeiter und die Mineure mündlich angewiesen
wurden, eine Wartezeit von 15 Minuten am Schutzort einzuhalten, wenn
nicht alle Schüsse abgegangen seien. Ferner dürfe es als erwiesen
betrachtet werden, dass die bei den Akten liegende Anleitung des
eidg. Fabrikinspektorats

zur Verhütung von Unfällen bei Sprengarbeiten an der Baracke

beim Turmeleingang in deutscher und in italienischer Sprache angeschlagen
war. Diese Anleitung schreibt ebenfalls vor, dass die Deckung nicht vor
Ablauf von 15 Minuten verlassen werden dürfe, wenn ein Schuss versagt
habe. Wenn nun Antini. entgegen diesen mündlichen und schriftlichen
Weisungen, den Schutzort schon nach Verfluss von zirka 5 Minuten oder
von ewigen Minuten verliess, so handelte er nach der Auffassung der
Vorinstanz schuldhaft. Als schuldhaft so fährt die Vorinstanz weiter
müsse aber sein Verhalten auch dann bezeichnet werden, wenn es auf

' In der AS nicht publiziert. (Anm. of. Red. f. Publ.)B. Bemfungsinstanz :
2. Hafipflicht aus Betrieb der Eisenfiahnen, etc. N° 67. 465

Grund der Aussagen des Zeugen Hünerwadel beurteilt werde, wonach die
vorgeschriebene Wartezeit nur mindestens 10 Minuten betragen hätte,
einschliesslich des Rückweges an den Sprengort. Da sich herausgestellt
habe, dass der Schutzort vom Sprengort nur 50 60 m entfernt gewesen
sei, so wtirde die Wartefrist durch die für den Rückweg erforderliche
Zeit nicht wesentlich gekürzt. Demnach ist in Wirklichkeit von einer
Wartefrist von 15 Minuten auszugehen Diese Feststellung der Vorinstanz
ist weder aktennoch bundesrechtswidrig und daher laut Art. 81 OG
für das Bundesgericht verbindlich. Sie lässt sich insbesondere
nicht unter Hinweis auf das Zeugnis des bauleitenden Ingenieurs
Hörnerwadel anfechten. Einmal ergibt sich die Wartefrist von 15 Minuten
übereinstimmend aus den kategorischen Aussagen Varescos und aus der
Anleitung des eidg. Fabrikinspektorats Ferner fällt in Betracht, dass
der Oberaufseher Varesco naturgemäss in direkterer und beständigerer
Fühlung mit den Vorarbeitern war als der bauleitende Ingenieur. Die
Vorinftanz konnte daher hinsichtlich der Frage, wie die dem Antini bekannt
gegebene Vorschrift lautete, sehr wohl den Aussagen des Varesco höhere
Glaubwürdigkeit beimessen. Betrug somit die vorschriftsmässige Wartezeit
tatsächlich 15 Minuten, so folgt daraus ohne weiteres, dass Antini zu früh
vom Schutzort aufgebrochen ist. Und es ist angesichts der erheblichen
Differenz zwischen der vorgeschriebenen und der eingehaltenen Frist
kaum denkbar, dass Antini lediglich einen Irrtum in der ihm obliegenden
Abschätzung der Wartefrist begangen habe. Jeder Mineur kennt die hohe
Gefahr, die in der Möglichkeit der nachträglichen Erplosion nicht
abgegangener Minen liegt. Es gehört denn auch zu seinen elementarsten
Pflichten und noch in erhöhtem Masse zu denjenigen des Vorarbeiters ,
am Schutzorte so lange zu warten, bis die Gefahr aller Voraussicht nach
vorüber ist. Anderseits fällt in Betracht, dass Antini von den Zeugen
übereinstimmend als ein fleissiger und erfahrener Arbeiter geschildert
wird. Er war nur zu fleissig, sagt Varesco, und auch Jngenieur Hünerwadel
nimmt nicht an, dass er sich wissentlich indie Gefahr begeben habe.

Hieraus folgt, dass Antini offenbar aus Ubereifer, in der irrtüm-

lichen Meinung, dass die 4 Mitten nicht mehr abgehen wurden, vor Ablauf
der vorgeschriebenen Wartesrist an den Sprengort

465 A. Oberste Zivilgericmsinstauz. [. Maierieiirechtliche Entscheidungen.

zurückgekehrt ist Trotzdem ist in diesem Verhalten mit der Vormstanz
ein für den Unfall kausales Verschulden zu erblicken, das auch dadurch
nicht ausgeschaltet wird, dass Cantoni und Cavassi widerspruchslos mit
Antini aufgebrochen sind.

3. Nicht beizustimmen ist der Auffassung der Vorinstanz, dass die Beklagte
den Unsall mitverschuldet habe. Die Vorinstanz erblickt ein solches,
für den Unfall kausales Mitverschulden in der angeblich unzureichendeu
schriftlichen Justruierung der Arbeiter über die bei den Sprengarbeiten
zu beobachtenden Vorsichtsmassregeln. Die wichtige Vorschrift über die
Wartefrist trete in der umfangreichen und eng geschriebenen Anleitung
zu wenig hervor. Bei der vorhandenen grossen Gefahr hätte die Beklagte
die zahlreichen Tunnelarbeiter durch kurze, auffällige Warnungen auf
die einzuhaltende Wartefrist aufmerksam machen sollen. Nun steht aber
fest (Erw. 2 hievor), dass die Vorschrift über die Wartefrist von 15
Minuten dem Antini bekannt war. Ob die andern Arbeiter darüber im Klaren
waren und ob die Gefahren einer vorzeitigen Rückkehr an den Sprengort
ihnen von der Beklagten prägnant genug vor Augen geführt wurden, ist
irrelevant. Die Vorinstanz rechnet der Beklagten ferner den Mangel
an einer regelmässigen, praktisch gehandhabten Kontrolle über die
Einhaltung der Wartefrist zum Verschulden an. Doch geht auch dieser
Vorwurf fehl. Von einem Vorarbeiter kann und muss verlangt werden,
dass er eine solche Vorschrift unkontrolliert innehalte.

4. Wohl aber konkurriert das Verschulden des Antini mit der Eigenart
des vorliegenden Baubetriebes und der spezifischen Unfallgefahr, die
sich daraus für die damit in Berührung kommenden Personen ergibt. Das
Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 24. Januar 1907 i. S. Hüfer gegen
Birsigtalbahn (AS 33 II

S. 21 ff.) einlässlich auseinandergesetzt, dass das neue EHG durch '

eine besondere Bestimmung (Art. 5) den Gedanken zur Geltung gebracht
habe, dass bei Ursachenkonkurrenz von Verschulden des Betroffenen und
Betriebsgefahr eine ermässigte Haftpflicht Platz greife, im Gegensatz
zum Fall, wo ein eigentliches und ausschliess-

liches Selbstverschulden des Verunfallten vorliegt, d. h. ein

durchaus regelwidriges, nach der Lebenserfahrung in keiner Weise
voraussehbares, grob schuldhaftes Verhalten. An dieser Praxis
hatB. Berusungsinstanz: 2. Haftpflicht aus Betrieb der Eisenbahnen,
etc. N° 67. 467

das Bundesgericht seither konstant festgehalten (vergl. AS 33 II S. 501,
321 II S. 453 f., 35 II S. 21 f.). Da aber das neue EHG die Kausalhaft
auf die Vauunfälle ausgedehnt hat (vergl. Art. 1) und angesichts der
allgemeinen Fassung des am. 5, der nicht auf die Bahnbetriebsgefahr
und die Bahnbetriebsunfälle eingeschränkt ist, hat in gleicher
Weise bei Konkurrenz eines Verschuldens des Verunfallten mit der dem
Eifenbahnbau inhärenten, spezifischen Unfallgefahr eine reduzierte
Haftung der Bahn einzutreten, wobei die Baubetriebsgefahr an die Stelle
der Bahnbetriebsgefahr tritt. Im vorliegenden Fall war eine solche
spezifische Baugefahr, wie die Vorinstanz selber zugibt, in eminentem
Masse vorhanden und sie hat den Unfall zweifellos erheblich begünstigt,
zumal ja das Verhalten des Antini, der aus Übereifer unvorsichtig war, ein
solches war, womit nach den Erfahrungen des Lebens und dem regelmässigen
Lauf der Dinge je und je gerechnet werden muss. In Anwendung von Art. 5
EHG ist daher auf eine ermässigte Haftung der Beklagten zu erkennen. Die
Reduktion um 60 0/0, wie sie von der Vorinstanz unter Zugrundelegung
eines Mitverschuldens der Beklagten getroffen wurde, erweist sich auch
bei Annahme einer Konkurrenz zwischen dem Verschulden des Verunfallten und
der von der Beklagten zu vertretenden Baubetriebsgefahr als angemssenen,
da dem Verschulden Antinis doch überwiegende ursächliche Bedeutung
zukommt. Es ist daher an diesem Massstab der Schadensverteilung
festzuhalten.

5. Streitig ist unter den Parteien weiter die Aktivlegitimation der
Klägerin Enrica Reffo, sowie ihrer Tochter Angelo Silvia. Was zunächst
die Reffo betrifft, so führt die Vorinstanz aus, dass der Verunglückte
tatsächlich ihr Versorger war. Er habe mit ihr zusammengelebt, sie
unterstützt und es seien die Vorbereitungen zum Eheabschluss kurz vor dem
Unfall getroffen worden. Die Reffo sei also die Braut des Antini gewesen
und es dürfe nach dem normalen Gang der Dinge auch angenommen werden,
dass er sie geheiratet hätte, wenn der Unfall unterblieben wäre. Sie sei
daher zur Stellung einer Schadenersatzforderung legitimiert Zn der Tat
hat das Bundesgericht längst festgestellt, dass als Versorger im Sinn des
Art. 52
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 52 - 1 Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
1    Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
2    Wer in fremdes Vermögen eingreift, um drohenden Schaden oder Gefahr von sich oder einem andern abzuwenden, hat nach Ermessen des Richters Schadenersatz zu leisten.
3    Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden konnte.
OR und des dieser Bestimmung nachgebildeten Art. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 52 - 1 Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
1    Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
2    Wer in fremdes Vermögen eingreift, um drohenden Schaden oder Gefahr von sich oder einem andern abzuwenden, hat nach Ermessen des Richters Schadenersatz zu leisten.
3    Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden konnte.
des neuen EHG
(fiche AS 34 II S. 455 Crw. 1 2)

468 A. Oberste Zivilgerichtsinstauz. _ [. Materiellrechtliche
Entscheidungen.

nicht nur derjenige zu betrachten ist, der eine andere Person kraft
gesetzlicher Alimentationspflicht unterstützt, sondern dass darauf
abzustellen ist, ob der Verstorbene eine andere Person tatsächlich
unterstütze oder wenigstens nach dem natürlichen Lauf der Dinge
in Zukunft unterstützt hätte (vergl. AS 34 II S. 9 Erw. 4, 103, 455
Erw. 12, 620 Erw. 4 und die dortigen Zitate). In dem von der Vorinstanz
herangezogenen Urteil vom 21. Dezember 1907 i. S. Souvairan gegen Bise
sodann (Schweiz. Irrt-Zeitung 21 S. 298 f.) hat das Bundesgericht in
einem dem vorliegenden durchaus analogen Fall ausgeführt, dass die Braut,
die unmittelbar vor der Heirat steht, nach dem normalen Gang der Dinge
berechtigt sei, auf die Unterstützung durch ihren zukünftigen Ehemann
zu rechnen, und dass dieser kraft Sitte und moralischer Pflicht als
ihr Versorger im Sinne des Gesetzes anzusehen sei. Umsomehr trifft
das für den verunglückten Antini im Verhältnis zur Reffo, die ja
unbestrittenermassen von ihm bereits unterstützt wurde, zu. Abzuweisen
ist in diesem Zusammenhang auch der Einwand der Beklagten, dass Antini
mit der Resso im Konkubinat gelebt habe, dass dieses Verhältnis nach
st. gallischem Recht strafbar sei und deshalb keinen Haftpflichtanspruch
zu begründen vermöge. Die fBeklagte Übersieht dabei das massgebende
Faktum des Eheversprechens und der Eheberkündung Es steht fest, dass
Antini und die Resfo vom Willen beseelt waren, ihre wilde Ehe in eine
gesetzliche umzuwandeln, und hiefür bereits die nötigen Anstalten
getroffen hatten. Hierauf gründet sich die moralische Pflicht Antinis
und das Gebot der Sitte, das ihm, auch ohne rechtliche Verpflich-

tung, als den Versorger der Reffo erscheinen lässt. Die Frage

ob die blosse Tatsache des Zusammenlebens mit Antini die Reffo zur
Anhebung einer Schadenersatzklage aus Grund des Art. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 52 - 1 Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
1    Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
2    Wer in fremdes Vermögen eingreift, um drohenden Schaden oder Gefahr von sich oder einem andern abzuwenden, hat nach Ermessen des Richters Schadenersatz zu leisten.
3    Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden konnte.
EHG legitimiert
hätte, braucht also nicht gelöst zu werden und soll grundsätzlich durchaus
offen bleiben.

Verneint hat die Vorinstanz dagegen die Aktidlegitimation des ein halbes
Jahr nach dem Unfall geborenen Kindes Augela Sildia, weil kein Beweis
dafür vorliege, dass Antini der Vater dieses Kindes gewesen sei. Diese
tatsächliche Feststellung schliesst an sich den Zuspruch des non der
Resso namens ihres Kindes angehobenen Anspruchs aus. Es kann sich nur
fragen, ob entsprechendB, Berusungsinstanz : 2. Haftpflicht aus Betrieb
der Eisenbahnen, etc. N° 67. 469

dem Eventualbegehren der Resfo die Sache nochmals an die Vorinstanz
zuriickzuweisen sei, damit die von der Reffo angetragenen Beweise für die
Vaterschast Antinis (drei Zeugen und ihr eigener Eidesantrag) abgenommen
werden. Es fällt aus, dass die Vormstanz ihre Weigerung zur Abnahme dieser
Beweise nicht begründet hat, ja dass nicht einmal die Beweisanträge im
angefochtenen Urteil erwähnt find. Die Vorinstanz beschränkt sich auf die
Bemerkung, dass, da die Reffo keine unbescholtene, seriöse Person sei,
ununtersucht bleiben könne, ob die Vaterschaft des Nutini nicht aus den
Umständen zu folgern sei. Dieses Argument ist jedenfalls unzureichend,
da gegen die Reffo erst in Laufenburg wohin sie nach dem Tod des Nutini
zog, Klagen über leichtsertigen Lebenswandel erhoben wurden. Und es ist
zuzugeben, dass sich aus den Umständen und namentlich aus dem abgegebenen
Eheversprechen Jndizien für die Vaterschaft des Antini ergeben. Dennoch
kann eine nochmalige Rückweisung der Sache an die Vorinstanz nicht
in Frage kommen. Der Nachweis der Vaterschast Antinis könnte durch
die angerufenen Zeugen unmöglich in rechtsgenüglicher Weise erbracht
werden, indem diese Zeugen nicht über eigene Wahrnehmungen, sondern
über angebliche Äusserungen Antinis auszusagen hätten. Aus Zeugnisse
über blosses Hörensagen darf aber nicht abgestellt werden. Anderseits
könnte das Bundesgericht der Vorinstanz nicht vorschreiben, dass die
Bieffe zum Ergänzungseid zugelassen werde.

6. Bleibt somit nur noch die Höhe der Entschädigungen an Enrica Neffa und
an Mutter Antini (deren Aktivlegitimation keinem Zweifel unterliegt) zu
bestimmen, so ist darüber folgendes zu sagen. Von einem Jahreseinkommen
des Verunsallten von 1600 Fr. ausgehend, hat die Vorinstanz angenommen,
dass Antini seine Mutter-, die zur Zeit des Unfalles im Alter von
50 Jahren stand, noch während 10 Jahren mit je 100 Fr. unterstützt
hätte, und den entsprechenden Kapitalbetrag Von 831 Fr. 60 Cts. wegen
Mitverschuldens Antinis (60 %) und in Anbetracht des Vorteils der
sofortigen Kapitalabfindung auf 250 Fr. herabgesetzt Dieser Betrag
erscheint als angemessen Der Hinweis der Klägerschaft darauf, dass wie
die Vorinstanz selber feststellt die voraussichtliche Lebensdauer der
Mutter Antinis noch 20 und nicht bloss 10 Jahre betrage, genügt an sich
nicht. um bei der Familienlast

470 A. ObersteZivilgerîchtsinstanz. I. Materiellrechîiiche Entscheidungen.

Antinis, die mit der Zeit voraus-sichtlich zugenommen hätte, eine höhere
Entschädigung an die Mutter zu rechtfertigen Anders verhält es sich mit
der Entschädigung die der Rest zugesprochen wurde. Zwar ist der Vorinstanz
in der Annahme beiznpflichten, dass Antini jährlich 400 Fr. für die
Resfo verwendet hätte, was bei seinem Alter zur Zeit des Unfalls (25
Jahre) einem Kapital von 7769 Fr. 20 Cis entspricht. Hievon hat aber
die Vorinstanz aus vier verschiedenen Gründen einen Pauschalabzug auf
2200 Fr. vorgenommen. Neben dem Verschulden Antinis am Unsall führt
sie als Reduktionsgrund aus: die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit
der Verheiratung der Klägerin, die Möglichkeit, dass der fleissige und
solide Antini angesichts des sehr leichtfertigen Lebenswandels der Reffo
seine Verbindung mit ihr nach kürzerer oder längerer Zeit gelöst haben
würde, und endlich den Umstand, dass er gleichzeitig seine Mutter zu
unterstützen gehabt hätte. Anfechtbar ist nun jedenfalls das zweite
Motiv. Die Scheidungsmöglichkeit ist ein allzu hypothetischer Faktor,
als dass bei der Bestimmung der Entschädigung an die Refso darauf
Rücksicht genommen werden dürfte. Sodann ist auch hier wieder zu betonen,
dass das Betragen der Refso erst nach dem Unfall zu Klagen Anlass
gab, und es ist wohl möglich, dass die Ursache ihrer vorübergehenden
Entsittlichung gerade im Elend zu suchen ist, das infolge des tötlichen
Unfalles des Antini Über sie hereinbrach, wie denn auch die Behörden ihres
gegenwärtigen Wohnortes bezeugen, dass sie einen unbescholtenen Leumund
geniesse. Endlich ist zu sagen, dass auch die in Laufenburg gegen die
Neffa erhobenen Anschuldigungen sich zum Teil als unbegründet erwiesen
haben, so namentlich die Anklage wegen Abtretbung. Unter Berücksichtigung
dieser Umstände ist die Entschädigung an die Resfo von 2200 Fr. auf 2500
Fr. zu erhöhen; erkannt:

1. Die Hauptberufung wird in dem Sinne teilweise begründet erklärt, dass
die von der Beklagten an Enrica Resfo auszubezahlende Entschädigung von
2200 Fr. auf 2500 Fr. erhöht wird, nebst Zins zu 5 jo seit dem 23. März
1909. Im übrigen wird das angefochtene Urteil des Kantonsgerichts
St. Gatten vom 20/21. Juli 1911 bestätigt.

2. Die Anschlussberufung der Beklagten wird abgewiesenB. Berusungsinstanz:
3. Haftpflicht aus Fabrikund Gewerbebetrieb. N° 68. 471

3. Haftpflicht für den Fabrik und Gewerbebetrieb. Responsabilité civile
des fabricants.

68. guten vom 18. @Rtossee 1911 in Sachen Yutaka, Kl. u. Ver.-KL, gegen
Ytaumutinwerke Rheinfelden G.m.b.H., Bekl. u. Ver-Bekl-

Anspruch aus FHG. Mangelnder Unfalfstatbestand. Für den Berufungsrichter
nach Art. 81 OG verbindliche Bewefswùrdigung : Keine A kten wid r ig h
mit wegen Berücksichtigung des einen von zwei 35:33; widersprechen-knien
ärztlichen Gutachten durch den kunt. Richter. Nichtvea'letzueeg der
Beweisgae'antie 1333.471212 A b s. 2 F H G. Unzulàîssz'gkeit der direkten
Anordnung eine? Uber-expertise durch die Berufungsz'mtanz (Art. 82 Abs. 2
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 52 - 1 Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
1    Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
2    Wer in fremdes Vermögen eingreift, um drohenden Schaden oder Gefahr von sich oder einem andern abzuwenden, hat nach Ermessen des Richters Schadenersatz zu leisten.
3    Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden konnte.

OG). Rektiflkationsvorbehafî (Art. 8
SR 611.0 Bundesgesetz vom 7. Oktober 2005 über den eidgenössischen Finanzhaushalt (Finanzhaushaltgesetz, FHG) - Finanzhaushaltgesetz
FHG Art. 8 Erfolgsrechnung - Die Erfolgsrechnung weist den Aufwand und den Ertrag einer Rechnungsperiode aus; sie zeigt namentlich das operative Ergebnis und das Ergebnis aus Beteiligungen.
FHG)? Prezessuale und mater-teile
Vm'aussetzngen seiner Zulässigkeit.

Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Prozesslage:

A. Mit Urteil vom 19. Mai 1911 hat das Obergericht des Kantons Aargau
in vorliegender Streitsache erkannt:

Das bezirksgerichtliche Urteil ist aufgehoben und der Kläger mit seiner
Klage abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil hat der Kläger gültig die Berufung an das
Bundesgericht ergriffen, mit den Anträgen:

1. Es sei in Aufhebung des obergerichtlichen Urteils das erstinstanzliche
Urteil zu bestätigen '

2. Eventuell sei vor Ausfällung des Endurteiles eine Odem-pertise über
den Zustand des Klägers anzuordnen, wobei sich der Sachverständige darüber
auszusprechen habe, ob nicht beim Kläger trotz der vom obergerichtlicheu
Experten behaupteten Heilung eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit
vorhanden sei.

3. Unter allen Umständen sei dem Kläger gemäss Art. 8
SR 611.0 Bundesgesetz vom 7. Oktober 2005 über den eidgenössischen Finanzhaushalt (Finanzhaushaltgesetz, FHG) - Finanzhaushaltgesetz
FHG Art. 8 Erfolgsrechnung - Die Erfolgsrechnung weist den Aufwand und den Ertrag einer Rechnungsperiode aus; sie zeigt namentlich das operative Ergebnis und das Ergebnis aus Beteiligungen.
FHG das Recht
vorzubehalten, im Fall der Verschlimmerung feines Zustandes eine grössere
Entschädigung zu fordern.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 37 II 462
Datum : 12. Oktober 1911
Publiziert : 31. Dezember 1911
Quelle : Bundesgericht
Status : 37 II 462
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 462 A. Oberste Zivilgerichtsinstanz. I. Materiellrechtliche Entscheidungen. 67.


Gesetzesregister
EHG: 2  2i  5
FHG: 8
SR 611.0 Bundesgesetz vom 7. Oktober 2005 über den eidgenössischen Finanzhaushalt (Finanzhaushaltgesetz, FHG) - Finanzhaushaltgesetz
FHG Art. 8 Erfolgsrechnung - Die Erfolgsrechnung weist den Aufwand und den Ertrag einer Rechnungsperiode aus; sie zeigt namentlich das operative Ergebnis und das Ergebnis aus Beteiligungen.
OG: 81  82
OR: 52
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 52 - 1 Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
1    Wer in berechtigter Notwehr einen Angriff abwehrt, hat den Schaden, den er dabei dem Angreifer in seiner Person oder in seinem Vermögen zufügt, nicht zu ersetzen.
2    Wer in fremdes Vermögen eingreift, um drohenden Schaden oder Gefahr von sich oder einem andern abzuwenden, hat nach Ermessen des Richters Schadenersatz zu leisten.
3    Wer zum Zwecke der Sicherung eines berechtigten Anspruches sich selbst Schutz verschafft, ist dann nicht ersatzpflichtig, wenn nach den gegebenen Umständen amtliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt und nur durch Selbsthilfe eine Vereitelung des Anspruches oder eine wesentliche Erschwerung seiner Geltendmachung verhindert werden konnte.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vorinstanz • beklagter • bundesgericht • zeuge • mutter • kantonsgericht • ehg • wartezeit • frage • verhalten • bauleitung • selbstverschulden • sitte • weisung • ingenieur • schuss • 50 jahre • mass • zins • weiler
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