228 Oberste Zivilgerichtsinstanz. l. blatekiellkschttiehe Entscheidungen.

34. "genus vom 1. Juni 1911 in Sachen Hehlumpfsxöeer und Dchlumpss
Kl. u. Ber.-Kl., gegen ZEUtgddtfsThUnsYaijn, gt.-@, Bekl. u. Ber.-Bekl.

Art. 1 EHG. Begrifie der besonderen Gefahr des Eisenbahnbetriebas, welche
die Haftpflicht für die Hùlfsarbeiten bedingt: Gefahr zufolge der N atmdes
Bahnheä'riebes (nase/ie Fortbewegung scàwerer Messen auf Schienengelesen
u. mit besonderer Eile) u. Gefahr zufolge der Betriebsmittel (der zum
Betriebe uerwendeien Kraft). -Nichtverwirklichung einer dieser Gefahren
im gegebene-a Falle (Unfall, verursacht durch den zum Balmäelrieöe
verwendeten elektrischen 8 How , anlässlich der Reparaäm' einer
Lokomotive. während der excelsis-italieSteam in der Heparatm'werksldlte
lediglich ZieHeizungsund Beleuchtungszweeken diente). A terrestr-time
irr-it der Fabrikhafipflichi'.

Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Prozesslage:

A. Durch Urteil vom 10. März 1911 hat der Appellationshof des Kantons
Bern Über die Rechtsbegehrent

&) der Klagepartei:.

Es sei zu erkennen, die Beklagte sei schuldig und zu verurteilen, den
Klägern sür allen Schaden Ersatz zu leisten, der ihnen dadurch entstanden
ist, dass am 30. Dezember 1908 ihr Versorger in der Person des Montenrs
Wilhelm Schlumpf bei der Arbeit, im Dienst, bezw. beim elektrischen
Betrieb der Burgdorf-Wun-Bahn, verunglückt und gestorben is .

b) der Beklagtschast:

Die Kläger seien mit ihrem Rechts-begehren soweit mehr als die anerkannten
5400 Fr. verlangt werden, abzuweisen; --

erkannt:

Der Klägerschaft ist ihr Klagsbegehren zugesprochen sür einen Betrag
von 400 Fr, nebst Zins davon zu 5 DXo seit 30. Dezemher 1908".

B. Gegen dieses Urteil haben die Klägerinnen rechtzeitig und sormriehtig
die Berufung an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrag auf Gutheissung
der Klage im ganzen Umfange.Berufungsinstanz: 2. Haftpflicht aus Betrieb
der Eisenbahnen, etc, N' 34. 229

C. Die Beklagte hat Abweisung der Berufung und Bestätigung des
angesochtenen Urteils beantragt ; --

in Erwägung:

1. Der am 28. Mai 1876 geborene Ehemann und Vater der Klägerinnen,
Witwe Schlumpf-Heer und Tochter Martha Schlnmps, war beider Beklagten als
Montenr und Kleinmechaniker mit Jahresgehalt angestellt. Am 30. Dezember
1908 hatte er zusammen mit dem Vorarbeiter Fries und dem Reservesührer
Glauser die schadhaften Widerstandsbänder einer elektrischen Lokomotive
zu ers eigen, eine Reparatur, die durchschnittlich einmal per Monat
vorgenommen werden musste und jeweilen einige Stunden in Anspruch nahm.
Zum Zwecke dieser Reparatnr wurde die fragliche Lokomotive am genannten
Tage abends 4 Uhr in den Vorraum des Maschinendepots gebracht; am andern
Morgen (6 Uhr) musste sie wieder in betriebssähigem Zustande sein, wenn
verhindert werden wollte, dass die Requisition einer Dampflokomotive
von der Emmentalbahn nötig merde. Die Arbeit wurde um 4 Uhr begonnen,
und die mutmassliche Dauer der Reparatur ans 4 5 Stunden geschätztUm
6 Uhr beschlossen die Arbeiter, die Arbeit zu unterbrechen und sie um
'? Uhr wieder auszunehmen Die Lokomotive befand sich aus den Schienen, und
die Bügel waren mit der elektrischen Leitung in Berührung; indessen war
das eigentliche Arbeitsfeld stromlos, und es diente der Strom lediglich
zur Beheizung und Beleuchtung des Maschinenraums. Aus diesem waren die
Sicherungen, durch die der Betriebsstrom abgegeben wird, herausgenommen;
ebenso die Widerstandsbänder.

Gegen 9 Uhr waren Fries und Glauser mit der Wiedereinschaltung der
mittleren Widerstandsserie beschäftigt, während Schlumps ihnen zu diesem
Behufe mit einer, in der linken Hand gehaltenen elektrischen Handlampe
an langem Metallschlauch leuchtete. Plötzlich glitt er auf der eisernen
Plattform der Lokomotive aus und erfasste dabei instinktiv mit der
rechten Hand das isolierte Einsührungskabel beim Blitzschutzapparat an der
Decke der Lokomotive, Durch den kräftigen Ruck des im Fallen begriffenen
Schlumpf. eines grossen und schweren Mannes, brach jedoch die Jsolation
an der Biegungssei te der Kabelschuhe, sodass die Hand mit dem blanken,
stromsührenden Metalldraht in Berührung fam, was bei der vor-

330 Oberste Zivilgerichtsimtanz. !. Maieriellrechfliche Entscheidungen.

handenen Spannung von 750 900 Volt (gleich der vollen Betriebsspannnng
der Beklagten) den sofortigen Tod des Schlumpf bewirkte

Über den Grad der Gefährlichkeit des bei der Beklagteu zur Verwendung
gelangenden elektrischen Stromes haben sich die gerichtlich
bestellten Erperten folgendermassen geäussert: Bei gewöhnlichen
Drehstrom-Kraftanlagen mit 750 Volt für Fabrikbetrieb werde der Strom
den Motoren durch drei von der Erde isolierte Leitung-Zdrähte zugeführt
Wenn eine mit der Erde in Verbindung stehende Person mit der einen
Hand einen der drei Leitungsdrähte berühre, so werde sie von einem
Strom durchstossen, dessen Spannung 750: 1/3: 435 Volt betrage. Die
Leitungsanlage für 750 Volt Drehstrom der Burgdorf-Thun-Bahn unterscheide
sich von den vorgenannten Drehstromanlagen für Fabrikbetrieb dadurch,
dass, statt dreier, nur zwei von der Erde isolierte Leitungsdrähte
(Kontakt: oder "Fahrdrähte) angebracht seien, und dass als dritter
Leitungsdraht das von der Erde nicht isolierte Geleise benutzt
merde. Komme nun eine auf der Lokomotive, auf den Geleisen oder auf der
Erde stehende Person mit dem einen der beiden isolierten Leitungsdrähte in
Berührung, so werde sie von einem Strom durchflofsem dessen Spannung nicht
bloss 435 Volt, sondern die volle Betriebsspamiung von 750 Volt aufweise
und demnach naher doppelt so gefährlich sei, als im erstgenannten Falle.
Es bilde also die elektrische Betriebskraft der Burgdorf-Thun-Bahn

. nicht nur im Vergleich mit Dampfkraft, sondern auch im Vergleich mit
gewöhnlichen elektrischen Fabrikkraftanlagen gleicher Betriebsspannung
und Stromart, für alle diejenigen, welche mit ihr in Berührung kommen,
eine charakteristische sowohl der elektrischen Betriebskraft selbst, als
auch dem für ihre Zuleitung zur Lokoinotive verwendet-en Leitungssystem
eigentümliche Betriebsgefahr. Der von der erfassten Zuleitung des
Blitzschutzapparates in die rechte Hand überfliessende Wechselstrom habe
durch den Körper des Verunglückten zwei Wege nehmen können:

i. einen Weg durch die linke Hand, über den Metallschlauch der Handlampe
und das eiserne Untergestell der Lokomotive nach der Geleiserückleitung
(Schienenphase);

2. einen Weg durch die Füsse und das Schuhwerk nach derBerufungsinstanz:
2. Haftpflicht aus Betrieb der Eisenbahnen pete, N° 34. 231

eisernen Plattform und durch Vermittlung des eisernen Unterges stells
nach dem Geleise

Jeder dieser beiden Stromwege könne für sich allein genügen, um bei
Durchgang eines Stromes von 750 Volt den Tod eines Menschen herbeizuführen
Die Starkftromgefahr, der Schlumpf ausgesetzt gewesen sei, sei dadurch
charakteristisch und grösser als bei Starkstromanlagen mit nicht geerdeten
Leitungen und gleicher Betriebsspannung, weil die auf der Lokomotive
befindlichen Personen mit der Schienenrückleitung durch die Füsse stets
verbunden seien, und weil bei Berührung eines mit der Kontaktleitung in
leitender Verbindung stehenden Metallteiles die Gesahrspannnng gleich der
vollen Betriebsspannung sei. Die Berührung sei stets eine zwei-polige,
wobei die Füsse mit dem einen Pol und die das Metallstück berührende
Hand mit dem andern Pol in Verbindung "famme.

Gestützt auf dieses Expertengutachten hatte die I. Instanz, das
Amtsgericht Burgdorf, angenommen, der Unfall habe sich bei einer solchen
Hülfsarbeit ereignet, mit welcher im Sinne von Art. 1 EHG die besondere
Gefahr des Eisenbahnbetriebes verbunden war, was zum Zuspruch einer
Rente im Kapitalwert von weit über 6000 Fr. führte. Die II. Instanz,
der Appellationshof des Kantons Bern, hat dagegen das Vorliegen einer
solchen betriebsgefährlichen Hülfsarbeit verneint und demgemäss nur das
bei der Fabrikhaftpslicht zulässige Maximum von 6000 Fr abzüglich 200
Fr. für Zufall, zugesprochen

2. Zn rechtlicher Beziehung ist zunächst festzustellen, dass ein
eigentlicher Betriebsunsall, d. h. ein Unfall, der sich beim Betrieb der
Eisenbahn selber ereignet hätte, nicht vorliegt, da ja die Arbeit, bei
der Schlnmpf verunglückt ist, gerade eine momentan ausser Betrieb gesetzte
Lokomotive betraf, die zum Zwecke der Reparatur völlig demontiert worden
war und sich also nicht einmal in betriebsfähigem Zustande befand. Die
Klagpartei hat denn auch heute ausdrücklich anerkannt, dass von einem
eigentlichen Betriebsunfall hier nicht gesprochen werden fünfte, sondern
dass es sich bloss um eine Hülfsarbeit handle.

3. Fragt es sich nun, ob der Unfall sich bei einer solchen Hülfsarbeit
ereignet habe, mit welcher im Sinne des am. i EHG

232 0bersteszivtlgerichtsiHotaru-. l. Materiellrechtliche Entscheidungen.

die besondere Gefahr des Eisenbahnbetriebes verbunden war, so ist
davon auszugehen (vergl. Stenogr. Bulletin der Bundesversammlung
1902 S. 378, sowie BGE 34 II S. 444), dass mit der gegenwärtigen
Fassung des Art. 1 EHG in Bezug auf die Hülfsarbeiten lediglich
die Praxis des Bundesgerichts funktioniert werden wollte, wie sie
sich schon unter der Herrschaft des EHG von 1875 ausgebildet hatte,
die Praxis nämlich, wonach diejenigen Hitlfsarbeiten, mit denen bie
besondere Gefahr des Eisenbahnbetriebes verbunden ist, in Bezug auf
die dabei vorkommenden Unfälle dein eigentlichen Betrieb gleichgestellt
wurden. Der einzige Unterschied gegenüber früher besteht, soweit diese
Hülfsarbeiten in Betracht kommen, darin, dass die Unfälle, die sich bei
den betriebsgefährlichen Hülfsarbeiten ereignen, unter der Herrschaft
des neuen Gesetzes nicht mehr direkt unter die Beiriebsunfälle subsumiert
werden, sondern eine Kategorie für sich bilden und nur in ihren Wirkungen
den eigentlichen Vetriebsunfällen gleichgestellt werden In Bezug auf die
Voraussetzungen dieser Gleichstellung aber, b. h. in Bezug auf die Frage,
wann eine Hülfsarbeit mit der besonderen Gefahr des Eisenbahnbetriebes
verbunden- sei, ist an den von der frühem Praxis aufgestellten Grundsätzen
(vergl. darüber BGE 16 S. 125, 19 S. 798, 26 II S. 27 s. Erw. 2, 27 II
S. 376) nichts geändert worden.

Danach sind es nun lediglich zweierlei Arten von Gefahren, die als
besondere Gefahren des Eisenbahnbetriebes in Betracht kommen können:
einerseits diejenigen Gefahren, welche sich aus der dein Eisenbahnbetrieb
eigentümlichen raschen Fortbewegnng schwerer Massen auf Schienengeleisen,
insbesondere aus der dabei anzuwendenden Eile ergeben,. anderseits
diejenigen, welche mit den besonderen Betriebsmitteln der Eisenbahuen,
speziell mit der zur Lokomotion verwendeten Kraft (als solche wurde früher
naturgemäss nur die Dampf-kraft erwähnt; es ist aber selbstverständlich
heute auch die Elektrizität zu berücksichtigen) in einem ursächlichen
Zusammenhang stehen.

4. Im vorliegenden Falle kann nun zunächst nicht gesagt werden, dass die
Arbeit, um die es sich handelt, die spezifischen Gefahren aufwies, die
sich aus der raschen Fortbewegung schwerer Massen auf besonderm Geleise
zu ergeben pflegen, oder dass sieBerufungsinstanz: 'l. Haftpflicht aus
Betrieb der Eisenbahnen, etc. NO 34. 233

auch nur mit derjenigen Eile ausgeführt werden musste, die für den
Bahnbetrieb charakteristisch ist Allerdings stand für die Reharatur
der Lokomotive nur die Zeit von nachmittags 4 Uhr bis morgens 6 Uhr zur
Verfügung, und es ist auch zugegeben, dass dieser Umstand eine gewisse
Eile mit sich brachte, trotzdem die Reparatur als solche nur 4 5 Stunden,
also nur etwa 1/3 der im Notfall verfügbaren Zeit, in Anspruch nahm;
denn es lag in der Natur der Sache und ist zudem durch die Zeugenaussagen
bestätigt worden, dass eigentliche Nachtarbeit, b. h. solche zwischen
11 Uhr abends und 6 Uhr morgens, sowohl im gesundheitlichen Interesse
der Arbeiter-, als auch im pekuniären Interesse der Verwaltung (wegen
des 50 sisi-ssoigen Lohnzuschlages für die Arbeit nach 11 Uhr abends)
von vornherein vermieden werden wollte. Allein die durch diesen Umstand
bedingte Eile hatte nichts mit jeuer, dem Eisenbahnbetrieb eigentümlichen,
raschen Fortbewegung schwerer Massen auf Schienengeleisen zu tun,
wie z. B. die Eile, mit welcher bei Rangiermanövern vorgegangen werden
muss, sondern sie beruhte einfach darauf, dass es sich um einen Betrieb
handelte, der nicht wohl einen Tag unterbrochen werden konnte. Diese
Art von Eile kommt aber bei der Reparatur fast aller in gewerbsmässigen
Betrieben verwendeten Maschinen vor, sofern nicht etwa, was bei grösseren
und kostspieligen Maschinen verhältnismässig selten der Fall istf eine
Resvemaschine zur Verfügung steht.

5. Weniger liquid ist die Frage, ob bei der Arbeit, deren Ausführung
für Schlumps verhängnisvoll geworden ist, die Elektrizität, und zwar
als spezifische-Z Betriebsmittel der Eisenbahn Burgdorf-Muth ein
gefahrerhöhendes Moment bildete.

Es könnte naheliegend erscheinen, diese Frage zu besahen, weil der Unfall
direkt durch die Elektrizität bewirkt wurde, die Cletuszität aber eben die
spezifische Betriebskrast der Eisenbahn BurgdorfThun darstellt. Indessen
ist doch vor allem zu berücksichtigen, dass im Momente des Unfalles
der elektrische Strom nicht der Fortbewegung von Lokomotiven oder Wagen
biente, sondern lediglich zu Heizungsund Beleuchtungszweeken verwendet
wurde. Die Elektrizität erüllte somit hier nicht ihre Funktion als
Betriebs-kraft der in Betracht kommenden Eisenbahn, wie denn auch die
mit ihrem Gebrauch verbundene Gefahr hier nicht grösser und nicht

234 Oberste Zivilgerichisisinstanz. [. Materiellrechtliche Entscheidungen.

anders geartet war, als bei jeder Verwendung von Elektrizität hoher
Spannung zu Heizungsund Beleuchtungszwecken. Freilich pflegt zu
diesen beiden Zwecken Elektrizität hoher Spannung nur da benutzt zu
werden wo sie bereits zu andern Zwecken vorhanden ist. Es steht daher
der dem Schlnmpf zugestossende Unfall allerdings in einem gewissen
Kausalzusammenhang mit dem Umstand, dass die Beklagte zum Zweck des
Eisenbahnbetriebes den elektrischen Strom verwendet Allein es gibt
noch zahlreiche andere Betriebe, in denen ebenfalls Elektrizität hoher
Spannung als Betriebsmittel vorkommt und dabei gelegentlich zu Heizungsund
Beleuchtungszwecken dienen muss, und es ist auch die Spannung des zu
Lokomotionszwecken verwendeten Stromes sowohl im allgemeinen als speziell
bei der Beklagten (wo sie 750-900 Volt beträgt) keineswegs eine höhere,
als die in andern Industrien oder gar bei Fernleitungen vorkommende
Spannung, welch letztere u. U. sogar bis 30,000 Volt beträgt. Von einer
speziellen Eisenbahnbetriebsgefahr könnte somit im vorliegenden Falle
nur dann gesprochen werden, wenn die Gefahr, dass Schlumpf mit dem
Strom in Berührung fam, durch den Umstand erhöht worden wäre, dass es
sich gerade um die Reparatur einer Lokomotive und nicht um diejenige
irgend einer andern Maschine handelte, oder wenn sich ergeben würde,
dass dieser Umstand auf die schädliche Wirkung der Berührung einen
Einfluss gehabt hat. In ersterer Beziehung ist nun von der Klagpartei,
wie auch vom erstinstanzlichen Richter, darauf hingewiesen worden,
dass die elektrischen Jnstallationen auf der Lokomotive in dem wenig
Bewegungsfreiheit gewährenden, kleinen Maschinenraum eng zusammengedräugt
find. Allein einerseits kommen eng zusammengedrängte elektrische
Jnstallationen noch bei zahlreichen andern Maschinen vor, anderseits
aber bringt es der Beruf der Elektrizitätsarbeiter mit sich, dass sie
auch bei reichlich zur Verfügung stehendem Raume oft in unmittelbarer
Nähe lebensgefährlicher Leitungen zu tun haben, wobei ein Ausglitschen,
_wie es bei Schlumpf vorgekommen ist, auch anderswo m ganz gleicher Weise
eine tötliche Berührung bewirken kann. Was aber die Frage betrifft,
ob vielleicht durch besondere, mit dem elektrischen Eisenbahnbetrieb
in Beziehung stehende Momente die schädliche Wirkung der Berührung im
vorliegenden Falle erhöhtBerusungsinstanz : 2. Haftpflicht aus Betrieb
der Eisenbahnen, etc. N° 34. 235

wurde, so ist allerdings dem Gutachten der gerichtlichen Erperten zu
entnehmen, dass bei der Beklagten der elektrische Strom· den Motoren nur
durch zwei von der Erde isolierte Leitungsdrähte zugeführt, der dritte
Leitungsdraht dagegen durch die nicht isolierten Geleis e ersetzt wird,
während bei gewöhnlichen, für den Fabrikbetrieb bestimmten elektrischen
Anlagen gleicher Spannung drei isolierte Leitungsdrähte vorhanden sind,
und dass infolgedessen die Berührung mit einer der Leitungen bei der
Beklagten das Durchsliessen des Körpers durch einen Strom von 750 Volt
Spannung zur Folge hat, während beim Vorhandensein dreier isolierter
Leitungen die Spannung nur 750: Î = 435 Volt betragen würde. Die
Experten folgern denn auch hieraus, dass die elektrische Betriebskraft
der Burgdorf-Thun-Bahn nicht nur im Vergleich mit Dampskraft, sondern
auch im Vergleich mit gewöhnlichen elektrischen Fabrikkraftanlagen
gleicher Betriebssparmung und Stromart für alle diejenigen, welche mit
ihr in Berührung kommen, eine charakteristische, sowohl der elektrischen
Betrieb-straft selbst, als auch dem für ihre Zuleitung zur Lokomotive
verwendeten Leitungssystem eigentümliche Vetriebsgefahr bildet.

Indessen ergibt sich aus dieser, für das Bundesgericht allerdings
verbindlichen Feststellung der Erperten doch immerhin nur soviel, dass
die elektrische Betrieb-straft der Beklagten gefährlicher ist, als
diejenige anderer elektrischer Anlagen mit gleicher Betriebsspannung,
nicht aber, dass sie überhaupt gefährlicher ist, als die in andern
Betrieben verwendete Elektrizität. Denn wenn bei einer Bewiebsspanmtng
von z. B. 2500 Volt auch nur 1445

(_ 2500) Bolt den menschlichen Körper durchströmen (wie dies_ L Î nach
dem Gutachten der Fall ist, wenn drei isolierte Leitungen vorhanden
sind), so handelt es sich dabei eben doch noch um einen Strom von nahezu
doppelt so hoher Spannung, wie wenn bei einer Jnsiallation mit 750 Volk
Beniebsspannung und bloss zwei isolierten Zeitungen die vollen 750 Volk
in Wirksamkeit treten.

Analog verhält es sich mit der Tragweite der von den Experten
festgestellten weitern Tatsache, dass die auf der Lokomotive befindlichen
Personen mit der Schienenriickleitung durch die Füsse stets verbunden
sinds-. Auch dies konnte im schlimmsten Falle lediglich

236 Oberste Ziviîgerichtsiustanz, [. Materiellmclxllichc Entscheidungen.

zur Folge haben, dass Schlumps von dem vollen Betriebsstrom (750900 Volt)
durchstossen wurde, statt nur von einem Teil dieses Stromes Dagegen
wurde dadurch nichts an dem Umstande geändert, dass der Betriebsstrom
bei der Beklagten doch nur 750 900 Volt beträgt, also bedeutend weniger,
als in zahlreichen andern elektrischen Betrieben.

6. War darnach die Hülfsarbeit, bei der Schlumps verunglückt isf,
keineswegs gefährlicher, als die Arbeit in irgend einem andern Betrieb,
in welchem Elektrizität hoher Spannung verwendet wird, und war sie
speziell auch nicht etwa deshalb gefährlicher, weil es sich Um einen
zu Lokomotionszwecken dienenden Strom handelte, oder weil dabei die
spezifische Eile des Eisenbahnbetriebs eine Rolle gespielt hatte,
so kann sie nicht unter diejenigen Hlfsarbeiten subsumiert werden,
mit denen die besondere Gefahr des Eisenbahnbetriebs verbunden ist.

Ein Haftpflichtanspruch war somit im vorliegenden Falle nur auf Grund des
Fabrikhaftpflichtgesetzes bezw. des Ausdehnungsgesetzes von 1887 gegeben,
und es ist deshalb, da die Beklagte das zweitinstanzliche Urteil nicht
angefochten, ihrerseits aber die Klagpartei, übrigens mit Recht, den
bereits sehr geringen Zufallsabzug von 200 Fr. nicht beanstandet hat,
das vorliegende Urteil des bernischen Appellationshofes ohne weiteres
zu bestätiget-; --

erkannt:

Die Berufung wird abgewiesen und damit das Urteil der

Il. Zivilkammer des Appellationshoses des Kantons Vern vom "LO. März
1911 in allen Teilen bestätigt.Berufungsinsianz: 2. Haftpflicht aus
Betrieb der Eisenbahnen, etc. N° 35. 237

35. Arten vom ?. Juni 1911 in Sachen Eint-rann Kl. u. Ver.-KL, gegen
Schweiz. Bunde-bahnen Bekl. u. Ber.-Bekl.

Art.1 EHG. Ausschluss der Haftpflicht für einen Unfa,der durch das
Verschulden eines Dritten verursacht werden ist. (Verletzung eines
Reisenden durch die Explosion einer Bombe einer mit Explosiesto/f
gefüäiten Flasche , die von einer nicht zur Bahnverwaltung gehörenden
Fersen in einen Personenwagen gelegt werden war und bei-m Versucfee des
Reisenden, sie daraees zu entfernen, in seiner Hand exploeiierte. ) Regt-W
der Unfallsursneäe im Reehtssinne; Verneinung eines rechtlich Text-muten
Kmtsalzusammenlmngs des hier gegebenen Unfalls mit dem Balmbetriebe.

A. Durch Urteil vom 7. Dezember 1910 hat der Appellationshof des Kantons
Bern über die Klage:

i. Die Beklagtschaft sei zu verurteilen, dem Kläger Schadenersaiè zu
leisten, im Sinne der Art. 1 und 3 des Bundesgesetzes nem 28. März 1905
betreffend die Haftpflicht der Eisenbahnmtb Dampfschiffahrtunternehmungen,
für die Folgen des Unfalls "vom 8. Oktober 1907.

2. Es sei diese Entschädigung durch das Gericht festzusetzen, oerzinsbar
zu 5% vom Tage des Unfalls an gerechnet. --

erkannt:

Der Kläger wird, in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils, mit seiner
Klage abgewiesen.

B. Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig die Berufung an das
Bundesgericht ergriffen und beantragt, es sei die Klage gutzuheissen,
eventuell die Sache zur Abnahme der anerbotenen Beweise und zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen

C. In der heutigen Verhandlung hat der Vertreter des Klägers diesen
Antrag erneuert. Der Vertreter der Beklagten beantragt die Abweisung der
Berufung, eventuell die Rückweisung an die Vorinstanz in dem Sinne, dass
ihr der Gegenbeweis gemäss der vor den kantonalen Jnstanzen gestellten
Beweisanträge abgenommen werde. --

As 37 n _ 1911 u;
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 37 II 228
Datum : 01. Juni 1911
Publiziert : 31. Dezember 1911
Quelle : Bundesgericht
Status : 37 II 228
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : 228 Oberste Zivilgerichtsinstanz. l. blatekiellkschttiehe Entscheidungen. 34. "genus


Gesetzesregister
EHG: 1
BGE Register
34-II-439
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • uhr • ehg • bundesgericht • weiler • fortbewegung • frage • thun • betriebsmittel • mass • tag • elektrische anlage • tod • vorinstanz • verurteilung • polen • entscheid • gefahr • kausalzusammenhang • dauer
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