540 B. Strafrechtspflege.

II. Erfindungspatente. Brevets d'invention.

105. "gwen vom 19. Dezember 1911 in Sachen Hintermann gegen Zweiter
und Wieder-hausen

Begni)?" der vorsätzlichen Patentverletzung im Sinne des Art. 39 Pat.
Ges. 1907. Eine solche liegt nicht vor, wenn der Verletzende nach den
gegebenen Umständen der redlichen Ueberzeugung sein konnte, dass er
kein fremdes Patent verletze. Voraussetzungen eines [lolus eventualis
in dieser Materie.

A. Der Kassationskläger Hermann Hintermann hat am 28. August 1907 das
eidgenössische Patent Nr. 38,784 für einen erplosionssichern Behälter mit
Ausgnss für Petroleum (sogenanntes Kannensystem-Hinttrmann) erwirkt und
durch Vertrag vom 31. Oktober 1907 dem Allgemeinen Konsumverein (ACV) in
Basel, bei dem er als Vorsteher des Brennmaterialgeschäftes angestellt
war, das Recht des alleinigen und ausschliesslichen Gebrauchs jener
Kannen im Kanton Basel-Stadt gegen eine jährliche Entschädigung von
100 Fr. übertragen und zwar zunächst für zwei Jahre, mit Berechtigung
jedoch des Konsumvereins, den Vertrag bis zum Ablauf des schweizerischen
Patentschutzes zu verlängern. Am 13. Juli 1909 wurde vom Konsumverein der
Vertrag auf den 31. Oktober d. J. gekündigt, worauf der Kassationskläger
verlangte, der Konsumverein dürfe fortan von den Petrolkannen seines
Systems keinen Gebrauch mehr machen. Über den letztern Punkt hat
sich ein Zivilstreit zwischen den Vertragsparteien entsponnen, den
das Bundesgericht am 4. November 1910 unter Bestätigung des kantonalen
Urteils dahin entschied, dass es dem Konsumverein die weitere Verwendung
der Hintertnan11'schen Petrol-

kannen Über den 31. Oktober 1910 hinaus untersagte, und ihn

verhielt, dem heutigen Kassationskläger eine Entschädigung von 500
Fr. zu bezahlen, als Equivalent dafür, dass der Konsumverein die
von ihm verwendeten mehr als 2000 Kannen noch um Jahresfrist über die
Vertrags-feist hinaus an sich unberechtigt benutzen dürfe. Im weitern hat
der Kassationskläger in der Sache auchII. Erfindungspatente. N° 105. 541

noch eine Strasklage wegen Patentverletzung angehoben und zwar

gegen die beiden Kassationsbeklagten Emil Matter, den jetzigen Vorsteher
des Brennmaterialgeschäfts, und Dr. Rudolf Niederhauser, den Sekretär des
Allgemeinen Konsumvereins Am 21. April 1909 hat die Überweisungsbehörde
Dahinstellnng der Untersuchung wegen mangelnden Beweises des Tatbestandes
beschlossen und dieser vom Strafankläger durch Beschwerde weitergezogene
Beschluss ist vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt mit
Entscheid vom 15. Mai 1911 bestätigt worden.

B. Gegen diesen Entscheid richtet sich die nunmehrige, formrichtig
erhobene Kassationsbeschwerde des Strafklägers, womit Aufhebung
des angefochtenen Entscheides und Rückweisung der Sache an das
Appellationsgericht zu anderweitiger Entscheidung unter Kostenfolge zu
Lasten der beiden Angeschnldigten verlangt wird. Die letztern tragen in
ihrer Antwort auf Abweisung der Beschwerde an.

Der Kassationshos zieht in Erwägung:

Nach den Art. 39 und 40 des Patentgesetzes vom 21. Juni 1907 -dieses
Gesetz, und nicht das von der Vorinstanz angewendete frühere Patentgesetz
vom 29. Juni 1888 ist für den vorliegenden Fall massgebend kann
eine Patentverletzung strafrechtlich nur verfolgt werden, wenn sie
vorsätzlich begangen worden ist. Zum Nachweise des Vorsatzes führt
der Kassationskläger mit Unrecht unter Berufung auf Liszt (deutsches
Strafrecht 9. Aufl. S. 166) den strafrechtlichen Satz an, die irrige
Annahme, dass die objektiv rechtswidrige Handlung nicht rechtswidrig sei,
nütze dem Täter nichts. Ein Jrrtum über die Strafrechtswidrigkeit der
den Kassationsbeklagten vorgeworfenen Patentverletzung kommt hier nicht
in Betracht; denn es ist unbestritten, dass, wenn die Angeschnldigten
wirklich eine vorsätzliche Patentverletzung im Sinne des Patentgesetzes
begangen haben, ihnen ein Irrtum über die Natur ihrer Handlung als eines
strafbaren Deliktes nicht zugute kommt. In Frage steht vielmehr, ob sich
die Kassationsbeklagten über das Vorhandensein eines Tatbestandsmerkmals
des ihnen zur Last gelegten Deliktes geirrt, ob sie nämlich irrtümlich
angenommen haben, die dem Kassationskläger zustehenden patentrechtlichen
Befugnisse beständen nicht. Ein solcher Jrrtnm über ein zivilrechtliches
Ver-

AS 37 [ 1911 se

542 B. Slrafrechtspflega.

hältnis, von dessen Vorhandensein die Möglichkeit einer
strafrechtswidrigen Handlung abhängt, ist aber kein für die Strafbarkeit
unwesentlicher Rechtsirrtum; sonst müsste jede Verletzung des betreffenden
Zivilrechtes von selbst auch strafbar sein, im besondern also auch
jeder objektive Eingriff in ein Patentrecht zugleich eine strafbare
Patentverletzung darstellen. Vielmehr muss subjektiv der Wille dessen,
von dem die objektive Rechtsverletzung ausgeht, mit gewürdigt werden,
und zwar hat sich gerade in Patentsachen die Rechtssprechung bereits dahin
ausgebildet, dass eine vorsätzliche Patentverletzung im strafrechtlichen
Sinne nur begeht, wer nach den gegebenen Umständen nicht der redlichen
und gewissenhaften Überzeugung hat sein können, dass er kein fremdes
Patent verletze (vergl. z. B. AS 30 I S. 138 Erw. 3, Entscheidungen
des Kassationshofes i. S. Norsk Hydro-elektrisk Kvaelstofaktieselskab
Kristiania gegen Aluminium-Jndustrie-Aktiengesellschaft Neuhausen vom
8. November 1910 und i. S. Müller & Hofstetter gegen Nicod vom 6. Dezember
1910 Crw. 3).

Jm vorliegenden Fall war nun zwischen dem Kassationskläger und
dem Allgemeinen Konsumverein in Basel, (als dessen Beamte die
Kassationsbeklagten mit der vorliegenden Strafklage belangt werden),
streitig, wie weit das dem Konsumverein vertraglich eingeräumte Recht
des alleinigen und ausschliesslichen Gebrauchs der zu Gunsten des
Kassationsklägers patentierten Kannen reiche. Der vom Kassationskläger
vertretenen Auslegung, mit dem Aufhören des Vertrages habe auch jene
Befugnis des Konsumvereins, Kannen nach dem fraglichen System zu benützen,
aufgehört, steht die Auslegung des Konsumvereins gegenüber, er könne die
von ihm während der Vertragszeit auf feine Kosten angeschafften und in
seinem Betrieb verwendeten Kannen auch weiterhin noch verwenden. Gegen
die letztere Auffassung sprechen weder der Vertragsinhalt noch sonstige
Umstände in schlechthin zwingender Weise. Wenn sie auch vom Zivilrichter
nicht als die zutreffende anerkannt wurde, so beweist das noch nicht,
dass die Organe des Konsumvereins und im besondern der rechtskundige
Kassationsbeklagtes Dr. Niederhauser nicht von der Richtigkeit ihres
Standpunktes hätten überzeugt sein und sich nicht in guten Treuen
zum Weitergebrauch der fraglichen Kannen hätten berechtigt halten
könnenil. _Erfindungspatente. N° 105. 543

Die erste Instanz hat ihnen denn auch dieses Recht des Weitergebrauchs
nicht vorbehaltslos abgesprochen, sondern ihnen noch eine Jahresfrist über
die Vertragsdauer hinaus für die Aussergebrauchsetzung der Kannen unter
Auferlegung einer Entschädigungsverpflichtung bewilligt, gegenüber welcher
Auffassung dann freilich die Berufungsinstanz Zweifel äusserte. Für den
guten Glauben des Konsumvereins spricht ferner der Umstand, dass er sein
Recht auf Verlängerung des Vertrages nicht ausgeübt hat, trotzdem er mit
vielen Kosten eine grosse Zahl von Kannen angeschafft hatte, deren weitern
Gebrauch er sich wohl nicht durch zu frühe Beendigung des Vertrages
verunmöglichen wollte. Dass die beiden Kassa- tionsbeklagten miteinander
über die Weiterbenützung beratschlagten und dass der Kassationskläger
ausdrücklich gegen die Weiterverwendung protestierte, vermag, namentlich
unter den gegebenen Umständen, einen strafrechtlichen Vorsatz nicht
darzutun; das auch nicht im Sinne eines dolus eventualis. Ein solcher
lässt sich, entsprechend dem Gesagten, nicht schon dann als vorhanden
ansehen, wenn überhaupt eine Möglichkeit der Verletzung eines gegnerischen
Zivilrechts besteht, sondern erst, wenn nach der Sachlage mit einer
solchen Verletzung gerechnet werden muss und der es Verletzende nicht
genügend Grund hat, um von den seinerseits beanspruchten gegenteiligen
Befugnissen überzeugt zu sein. Demnach hat der Kassationshof erkannt:

Die Kassationsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 37 I 540
Datum : 19. Dezember 1911
Publiziert : 31. Dezember 1911
Quelle : Bundesgericht
Status : 37 I 540
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 540 B. Strafrechtspflege. II. Erfindungspatente. Brevets d'invention. 105. "gwen


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