34 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Bestimmung zu entnehmen ist. Ein Kanton könnte sonst die Erfüllung
solcher Vorschriften durch Strafen in einer Weise erzwingen, die der
Androhung der Niederlassungsverweigerung unter Umständenin der Wirkung
gleichkäme. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um mehrfache
Niederlassungen im nämlichen Kanton oder in verschiedenen Kantonen
handelt, da die Niederlassungsfreiheit nicht bloss im Umfange des
interkantonalen Verhältnisses garantiert ist. Zum gleichen Ergebnisse
müsste man übrigens auch vom Standpunkte des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV aus gelangen;
denn es bedeutete geradezu eine Rechtsveriveigerung, wenn Strafen aus
einem Umstande hergeleitet werden, dem der Niedergelassene allseitig
Genüge zu leisten gar nicht in der Lage ist.

4. Demgemäss erscheint die Auflage des Gemeinderate-s von Oetwil vom
19. Juli 1.910, die Originalausweispapiere zu hinterlegen, als eine
Verletzung der Niederlassungsfreiheit des Rekurrenten. Das Urteil der
III. Appellationskammer des zürcherischen Obergerichtes vom 18. Oktober
1910 ist daher als Akt der Vollziehung jener gemeinderätlichen Verfügung
aufzuheben; damit wird der Frage, ob der Rekurrent den eigentlichen
Wohnsitz und damit die Hauptniederlassung in Egg oder in Oetwil habe, in
keinerWeise vorgegriffen. Ebenso bleibt es der Gemeinde Oetwil unbenommen,
nach Massgabe der zürcherischen Gesetzgebung für die Niederlassung der
Pflegetochter Kaution zu verlangen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen. Demgemäss wird das Urteil derIII.
Appellationskammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. Oktober
1910 und damit auch das Urteil des Bezirksgerichtes Meilen vom
22. September 1910 aufgehoben.III. Doppelbesteuerung N° 7. 35

III. Doppelbesteuerung. Double imposition.

7. Arten vom 20. Januar 1911 in Sachen
Hinweis-. Dementiudustriegesekisihaft gegen Dur-ich und Di. Gatten

Besteuerung eines sich auf das Gebiet dreier Kantone

. ' _ , __ . , erstreckenden, einheitlichen Gesehaftsbetriebes: zur
Besteuerung eines Teils (in casu _100/0) des Gesehaftseinlcommens ist
auch derjenige Kanton berechtigt zu dessen Gebiet sich lediglich die
Überleitung befindet. ,

A. Die Rekurrentin, eine Aktiengesell a t, at in Üri ihren Sitz und
ist dort im Handelsregisth feinkketrageitxZ $$$? technische Teil ihres
Unternehmens-, die Gewinnung des Rohmaterials, dessen Verarbeitung und
der Versand der Ware findet statt in Unterterzen und Wallenstadt. Die
kaufmännische Leitung des Geschäftes dagegen befindet sich in Ennenda;
dort wird di Vuchhallung und die Korrespondenz geführt; von dort aus
werden die Verträge abgeschlossen Jii Zürich, am Sitze der Gesellschafte
wohnt der Verwaltungsratspräsident. Von dort aus werden die rechtlichen
Anstände und überhaupt die Präsidialangelegenheiten erledigt. Bis zum
Jahre 1909 wurde die Rekurrentin ausschliesslich im Kanton St. Gallen
besteuert. Für dieses Jahr dagegen wurde sie auch im Kanton Zürich zur
Besteuerung herangezogen. Die Steuerkommission der Stadt Zürich setzte
ihr steuerpflichtiges Einkommen auf 9700 Fr. fest, nämlich auf 10 °o
des gemäss den tsteuergesetzlichen Vorschriften berechneten Einkommens
Durch Verfügung der zürcherischen Finanzdirektion vom 29. Oktober 1910
wurde diese Besteuerung aufrecht erhalten. Der Regierungsrat des Kantons
St. Gallen beschloss seinerseits am 8. November 1910 daran festzuhalten,
dass die Rekurrentin im Kanton St. Gallen für ihr ganzes Einkommen
steuerpflichtig sei.

B. Gegen die Entscheide der zürcherischen Finanzdirektion und des
st. gallischen Regierungsrates hat die Rekurrentin rechtzeitig den
staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage,
es sei ihre Steuerpflicht nach billigem Ermessen

36 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

unter die Kantone zu verteilen. Sie macht geltend, dass unzulässige
Doppelbesteuerung vorliege, und bemerkt im übrigen, das Domizil in
Zürich sei rein formell und für den Geschäftsund Fabrikationsbetrieb ohne
Bedeutung; es sei nur wegen der Möglichkeit der Vereinigung verschiedener
Zementfabriken mit derjenigen der Rekurrentin gewählt worden. Zum
Schlusse erklärt sie sich für den Fall, dass Zürich prinzipiellals zur
Besteuerung berechtigt betrachtet würde, damit einverstanden, dass 10
°0 ihres Einkommens in Zürich versteuert würden·

C. Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat beantragt, ihn für berechtigt
zu erklären, 10 0/0 des vorschriftsgemäss berechneten Einkommens der
Rekurrentin zu besteuern, und diesen Antrag im wesentlichen damit
begründet, dass der Geschäftszweck der Rekurrentin unter anderm die
Errichtung neuer und die Erwerbung bestehender Unternehmungen sei Und
diese Geschäfte in Zürich behandelt würden.

D. Der Regierungsrat des Kantons St. Gallen hat den Antrag gestellt,
den Rekurs in dem Sinne gutzuheissen, dass der Kanton Zürich als zur
Besteuerung der Rekurrentin nicht berechtigt erklärt werde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Es könnte sich fragen, ob nicht schon die blosse Tatsache, dass der Sitz
der Rekurrentin Zürich ist, grundsätzlich ihre Steuerpflicht diesem
Kanton gegenüber begründete. Jedenfalls dürfte dieser Umstand für die
Frage der Steuerpflicht höchstens da als unerheblich bezeichnet werden,
wo der Sitz im Geschäftsbetrieb überhaupt keine Rolle spielt, sondern
nur formelle, für den ordentlichen Geschäftsbetrieb nicht in Betracht
fallende Bedeutung hat. Das trifft hier nicht zu, da nach eigener Angabe
der Rekurrentin gewisse, in die Kompetenz des Präsidiums fallende
Angelegenheiten Von Zürich aus besorgt werden. Ob dies nun, wie die
Rekurrentin behauptet, nur deshalb so sei, weil zufällig der Präsident
des Verwaltungsrates in Zürich wohnt, darf füglich bezweifelt werden,
da wohl eher anzunehmen ist, der Sitz sei mit Rücksicht aus den Wohnsitz
und die geschäftliche Stellung des Präsidenten des Verwaltungsrates
nach Zürich verlegt worden; es ist übrigens gleichgültig, da die
Tatsache, dass eine gewisse Geschäftstätigkeit in Zürich vor sich geht,
genügt.III. Doppelbesteuerung. N° 8. 37

Da die Rekurrentin sich eventuell damit einverstanden erklärt hat, dass
der Kanton Zürich sie für 10 0/0 ihres Einkommens besteuere, und auch
die Regierung von St. Gallen gegen diese Teilungszifser eventuell keine
Einwendungen erhoben hat, ist demnach der Kanton Zürich als berechtigt
zu erklären, die Rekurrentin für den erwähnten Einkommens-teil zu
besteuern, und der Kanton St. Gallen anzuweisen, sich mit Bezug hierauf
der Besteuerung zu enthalten. Dabei bleiben selbstverständlich allfällige
Ansprüche des Kantons Glarus auf Besteuerung der Rekurrentin vorbehalten.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird in dem Sinne erledigt, dass der Kanton Zürich als
berechtigt erklärt wird, die Rekurrentin für 10 0/0 ihres Einkommens zu
besteuern, und demgemäss derZKanton St. Gallen angewiesen wird, sie für
diesen Einkommensteil nicht zu besteuern.

8. Arrét du 2 mars 1911, dans la cause Vannay et sept consorts, contre
l'Eta/c. de Vaud. et 1a Oommuneäd'Aigle.

Double imposition intel-cantonale résultant du fait que l'impöt personnel
vaudois est réclamé à des ouvriers qui, domiciliés en Valais, gagnent
leur salaire dans une localité vaudoise où ils se rendent journellement
à cet effet, Caractère juridique de l'impöt personnel vaudois, d'une
part, et de l'impòt sur l'industrie, ainsi que de l'impöt du ménage
pergus en Valais, d'autre part.

A. En date du 10 décembre 1910fîssÎFerdinaud Vannay, Ladislas Vannay,
Joseph Fracheboud d'Ulrich, Joseph Fra.cheboud d'Onésime, Etienne Launaz,
Henri Perréaz, Louis Mariaux etCélestin Guérin, tous ouvriers du Molage
et de la Parqueterie ä. Aigle (Vaud), mais habitant à CollombeyMuraz
et à Vionnaz (Valais), ont adresse au Tribunal federal un recours de
droit public dans lequel ils exposent que la. commune d'Aigle leur
"a réclamé à chacun 5 fr. d'impòt personnel pour l'année 1910. Les
recourants soutiennent qu'ils.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 37 I 35
Datum : 20. Januar 1911
Publiziert : 31. Dezember 1911
Quelle : Bundesgericht
Status : 37 I 35
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 34 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. Bestimmung


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
regierungsrat • bundesgericht • doppelbesteuerung • frage • bundesverfassung • niederlassungsfreiheit • unternehmung • verwaltungsrat • entscheid • hauptniederlassung • sicherstellung • niederlassungsbewilligung • angewiesener • einwendung • adresse • gemeinde • gemeinderat • weiler • ermessen • mais