48 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

eine Forderung zustehe, ist nicht dinglicher, sondern durchaus
obli;gationenrechtlicher Natur; Klagen Über obligationenrechtliche An-
sprüche bilden aber den typischen Fall der persönlichen Ansprache. Dieser
Auffassung steht selbstverständlich auch der Umstand nicht entgegen,
dass unter der Sache, von welcher die Art. 106
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 106 - 1 Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
1    Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
2    Dritte können ihre Ansprüche anmelden, solange der Erlös aus der Verwertung des gepfändeten Gegenstandes noch nicht verteilt ist.
3    Nach der Verwertung kann der Dritte die Ansprüche, die ihm nach Zivilrecht bei Diebstahl, Verlust oder sonstigem Abhandenkommen einer beweglichen Sache (Art. 934 und 935 ZGB222) oder bei bösem Glauben des Erwerbers (Art. 936 und 974 Abs. 3 ZGB) zustehen, ausserhalb des Betreibungsverfahrens geltend machen. Als öffentliche Versteigerung im Sinne von Artikel 934 Absatz 2 ZGB gilt dabei auch der Freihandverkauf nach Artikel 130 dieses Gesetzes.
/109
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 109 - 1 Beim Gericht des Betreibungsortes sind einzureichen:
1    Beim Gericht des Betreibungsortes sind einzureichen:
1  Klagen nach Artikel 107 Absatz 5;
2  Klagen nach Artikel 108 Absatz 1, sofern der Beklagte Wohnsitz im Ausland hat.
2    Richtet sich die Klage nach Artikel 108 Absatz 1 gegen einen Beklagten mit Wohnsitz in der Schweiz, so ist sie an dessen Wohnsitz einzureichen.
3    Bezieht sich der Anspruch auf ein Grundstück, so ist die Klage in jedem Fall beim Gericht des Ortes einzureichen, wo das Grundstück oder sein wertvollster Teil liegt.
4    Das Gericht zeigt dem Betreibungsamt den Eingang und die Erledigung der Klage an. ...226
5    Bis zur Erledigung der Klage bleibt die Betreibung in Bezug auf die streitigen Gegenstände eingestellt, und die Fristen für Verwertungsbegehren (Art. 116) stehen still.
SchKG sprechen, auch
solche Forderungen, die nicht in Wert:papieren verkörpert sind, verstanden
werden, da diese Interpretation der Sache" nur die gleichartige Behandlung
der Forderungen und der körperlichen Sachen im Einspruchsverfahren,
d. h. in der Betreibung selbst betrifft, im übrigen aber (und daher
auch in Zivilprozessen des betreibenden Gläubigers mit Dritten) die
rechtlichen Unterschiede zwischen Forderungen und körperlichen Sachen
nicht aufheben kann. Die vorliegende Widerspruchsklage ist daher seine
persönliche Ansprache, die gegen den Rekurrenten nur an seinem Domizil,
in Brugg, geltend gemacht werden kann.

Der Rekurs ist daher gutzuheissen und es muss die Wider"spruchsklage,
wenn sie prosequiert werden will, am Domizil der Beklagten neu angehoben
werden. Ob aber die Frist hier inzwischenzverwirkt sei, werden eventuell
die aargauischen Gerichtsbehörden zu prüfen haben.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

·Der Rekurs wird gutgeheissen und es wird demgemäss das Urteil der
II. Zivilkammer des Appellationsund Kassationshoses Des Kantons Bern
vom 12. November 1909 aufgehoben.49

Zweiter Abschnitt. Seconde section. Bundesgesetze. Lois fédérales. M

I. Interkantonale Auslieferung und Rechtshülfe in
Strafsachen.' -Extradition entre cantons et commissions rogatoires en
matière penale.

8. guten vom 16. gnam 1910 in Sachen äoljofljmrn gegen gun.

Aus Art. 1 des BG vom 2. Febr. 1872 betr. die Ergänzung des
Auslieferungsgesetzes abzuleitende Verpflichtung der Kantone zu ge-
genseitiger Rechtshülfe, wenn auch nicht bei Vollstreckungshandlungen,
so doch bei allen Untersuchungshandlungen in Strafsachen, und zwar nicht
etwa nur in Auslieferungsfdllen. Unzulässigkeit der Einwendung, es sei
das betreffende Delikt im requirierten Kanton nicht strafbar. Vorbehalt
in Bezug auf Pressoergehen und politische Delikte, sowie in Bezug auf
solche Vergehen, welche nicht im ersuchenden Kanton begangen wurden.

A. Am 25. August 1909 wurde beim Richteramt Solothurn-Lebern gegen Xaver
Furrer in Sisikon Strafanzeige eingereicht, weil er in der Stadt Solothurn
ein Zirkular mit der Einladung zum Erwerb von Losen der Kirchenbaulotterie
Wetzikon verbreitet habe. Das Richteramt Solothurn-Lebern sandte nun
im Verlaufe der Strafuntersuchung die Akten an das Verhöramt von Uri,
mit dem Ersuchen, den Beklagten darüber einzuvernehmen. Diesem Ersuchen
gab der Verhörrichter in Altdorf jedoch keine Folge und sandte die Akten
dem Richteramt Solothurn zurück. Eine Beschwerde des Regierungsrates des
Kantons Solothurn wurde vom Regierungsrat des Kantons Uri mit Schlussnahme

AS 36 I 1910 4

50 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

vom 25. Oktober 1909 abgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen:
Es handle sich um eine im Kanton Uri staatlich konzessionierte Lotterie
und werde daher der Verkauf der Lose mit Recht betrieben. Es widerspreche
demgemäss dem Rechtsgefuhl der Regierung von Uri und wäre eine Negation
ihrer staatlichen Kompetenzen, wenn sie nun Hand bieten würde, diejenigen
Burger, die von diesem ihnen eingeräumten Rechte Gebrauch machen,
ftrafrechtlich zu verfolgen. ' _

Jn zwei früheren Fällen, in denen es sich um die Kirchenbanlotterie
Flüelen-Bristen handelte, hat der Regierungsrat des Kantons Uri mit
Schreiben vom 27. Januar 1909 einem Gefuche des Regierungsrates von
Solothurn um Einvernahme der Beklagten entsprochen, wenn auch bloss
ausnahmsweise und ohne Präjudiz für später.

B. Gegen die Schlussnahme des Regierungsrates des Kantons Uri vom
25. Oktober 1909 hat der Regierungsrat des Kantons Solothurn am
20. Dezember 1909 den staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht
ergriffen. Er macht geltend: Es handle sich um die Rechtshülfe bezüglich
eines Deliktes, gegenwelches nach folothurnischem Strafrecht die
Strafverfolgung zulässig set. Die Kantone seien nun zur Rechtshülfe
insoweit verpflichtet, als nötig sei, um dem Strafrichter des
requirierenden Kantons die Ausfällung eines korrekten Urteils zu
ermöglichen, und zwar auch dann, wenn das in Frage stehende Delikt nach
dem Rechte des requirierten Kantons nicht strafbar sei. Diese Auffassung
ergebe sich zunächst aus dem Bundesgesetze über die Erganzung des
Auslieferungsgesetzes, vom 2. Februar 1872, welches die Unentgeltlichkeit
der interkantonalen Rechtshülfe festgestellt habezdie Un- entgeltlichkeit
habe aber offenbar die Anerkennung der Rechtshulfepflicht überhaupt zur
Voraussetzung (ebenso BGE 12 S. 45 ff.). Diese Auffassung sei auch in der
juristischen Literatur die herrschende (vergl. Burckhardt, Komm. d. BV,
S. 674; BlumerMorel, Bundesstaatsrecht, 3. Auft Bd. I S. 317; G. Vogt
in Schlatters Rechtskalender, 1895, S. 16 Ziff. 3).

C. Der Regierungsrat des Kantons Uri beantragt Abweisung des Rekurses. Das
Bundesgesetz vom 24. Juli 1852 normiere ausschliesslich die Frage der
Auslieferung; das Bundesgesetz vom 2. Februar 1872 sei eine Ergänzung
zum Auslieferungs-I. Interkantonale Auslieferung und Rechtshülfe n
Strafséchen. N° 8. 5]

gesetz und regle demgemäss den Kostenpunkt in den Auslieferungsfällen. Es
könne daraus nicht an die Pflicht zur Rechtshülfe auch in andern Fällen
geschlossen werden. Auch das Urteil des Bundesgerichts in der AS Bd.12
S. 45 ff. habe sachlich ausschliesslich auf die Kostenfrage Bezug,
denn die Pflicht zur Rechtshülfe sei gar nicht bestritten gewesen,
und es habe zudem das Bundesgericht damals festgestellt, dass das
eingeklagte Vergehen auch nach dem Rechte des requirierten Kantons als
Strafsache behandelt werde. In Paternitätssachen werde von den Kantonen,
in denen der Code Napoléon gelte, jedwede Einvernahme des Schwängerers
oder der Geschwächten verweigert, ohne dass deswegen über Verweigerung
der Rechtshülfe geklagt würde. Die Literatur werde vom Regierungsrat von
Solothurn mit Unrecht für seine Auffassung angerufen: Blumer-Morel handle
a.a.O. von den Kosten, und G. Vogt verweise auf Art. 150
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 109 - 1 Beim Gericht des Betreibungsortes sind einzureichen:
1    Beim Gericht des Betreibungsortes sind einzureichen:
1  Klagen nach Artikel 107 Absatz 5;
2  Klagen nach Artikel 108 Absatz 1, sofern der Beklagte Wohnsitz im Ausland hat.
2    Richtet sich die Klage nach Artikel 108 Absatz 1 gegen einen Beklagten mit Wohnsitz in der Schweiz, so ist sie an dessen Wohnsitz einzureichen.
3    Bezieht sich der Anspruch auf ein Grundstück, so ist die Klage in jedem Fall beim Gericht des Ortes einzureichen, wo das Grundstück oder sein wertvollster Teil liegt.
4    Das Gericht zeigt dem Betreibungsamt den Eingang und die Erledigung der Klage an. ...226
5    Bis zur Erledigung der Klage bleibt die Betreibung in Bezug auf die streitigen Gegenstände eingestellt, und die Fristen für Verwertungsbegehren (Art. 116) stehen still.
OG, habe also
die Anwendung eidgenössischer Rechtsnormen im Auge. Auch Generalanwalt
Kronauer habe im Schweizerischen Juristenverein erklärt, dass nach
Ansicht der Erpertenkommission zum Schweizerischen Strafgesetzentwurf
Rechtshülfe nur gewährt werden solle, wenn es sich um Bundesstrafresp.
Polizeirecht handle.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Streitfache ist eine ftaatsrechtliche Streitigkeit zwi-

schen Kantonrn, zu deren Beurteilung das Bundesgericht nach

Art. 175 Ziff. 2 QG zuständig ist und wobei ihm die freie Prüfung der
Anwendung auch des Gesetzesrechtes zusteht.

2. Die Frage, ob der Regierungsrat des Kantons Uri zur Gewährung der
Rechtshülfe verpflichtet sei, ist an Hand des Art.1 BG vom 2. Februar
1872 betreffend die Ergänzung des Auslieferungsgesetzes zu lösen. Dieser
Artikel bestimmt: Wenn in Strafsachen die Behörden eines Kantons von den
Behörden eines andern Kantons zur Vornahme von Untersuchungshandlungen,
Vorladung von Zeugen usw. angesprochen werden, so dürfen die Behörden
des requirierten Kantons für diesfällige Verrichtungen von den Behörden
des requirierenden Kantons keinerlei Gebühren noch Auslagen beziehen
. . . Es fragt sich, ob diese Bestimmung sich nur auf Auslieferungsdelikte
beziehe. Für diese Auffassung möchte der Titel des Gesetzes sprechen,
wonach es sich um eine blosse Ergänzung des Auslieferungsgesetzes,

52 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze.

also um die Ergänzung der Normen über das Verfahren in
Auslieferungsfällen, zu handeln scheint. Indessen hat das Bundesge-
richt schon im Urteil vom 19. Februar 1886 in Sachen Bern gegen
Schaffhausen (AS 12 S.48 Erw. 1) darauf hingewiesen, dass bekanntlich in
Auslieferungsgesetze und Auslieferungsverträge häufig auch Bestimmungen
über gegenseitige Rechtshülfe aufgenommen werden, welche sich nicht
unmittelbar auf die Auslieferung beziehen (ebenso Liszt, Völkerrecht,
4. Ausl., 1906, S. 267 V1). Angesichts dieser Tatsache kann der Titel
des Gesetzes in dieser Frage nicht entscheidend sein Es ist daher
abzustellen auf den Wortlaut und den Zweck des Gesetzes. Der Wortlaut
des Gesetzes ist ein allgemeiner, der in keiner Weise speziell auf
Auslieferungsdelikte Bezug nimmt. Er schliesst sich, wie der Botschaft
des Bundesrates zum Gesetzesentwurf (Bundesblatt 1871 Bd.III S. 578) zu
entnehmen ist, an die Auslieferungsverträge mit Frankreich und Belgien
an, welche die Pflicht zur Rechtshülfe im Untersuchungsverfahren (im
Gegensatz zur Auslieferung und Urteils-vollstreckung) ebenfalls ganz
allgemein aussprechen. Dieser Wortlaut wurde gewählt, um eine Kongruenz
zwischen dem internationalen und dem interiantonalen Strafprozessrecht
herzustellen (Botschaft a. a. O. S. 577/78). Auch die Regelung des
Gebührenersatzes in Art. 1 des BG vom 2. Februar 1872 ist daher nach
dem Zwecke des Gesetzes auf alle Rechtshülfehandlungen, nicht nur auf
diejenigen in Auslieferungssachen, zu beziehen. Viel wichtiger als die
übereinstimmende Regelung des Kostenund Gebührenersatzes ist aber die
übereinstimmende Regelung der Rechtshülfepflicht selbst, auf welche
die Kostenund Gebührenfreiheit sich bezieht. Die Bestimmung, dass die
Rechtshülfehandlungen kostenund gebührenfrei zu erfolgen haben, wäre
nur von ganz problematischem Werte, wenn es ins Belieben des ersuchten
Kantons gestellt wäre, ob er die nachgefuchte Rechtshülfe Überhaupt
leisten wolle. Eine Bestimmung, welche die Kostenund Gebührenfreiheit der
Rechtshülfehandlungen für den ersuchenden Kanton anordnet, setzt deshalb
vernünftiger Weise die Rechtshülfepflicht als gegeben voraus. Die Annahme,
dass auch das Gesetz vom 2. Februar 1872 auf dieser Voraussetzung beruhe,
liegt umso näher, als die Rechtshülfepflicht in Straffachen, wie das
Konkordat über die gegenseitige Stellung es Fehlbaren in Polizeifällen
vom 7. Juni 1810 (f. Snell,[. Interkantonale Auslieferung und Rechtshülfe
in Strafsachen. N0 8. 53

Schweiz. Staatsrecht, I S. 225) besagt, aus alt-eidsgenössischer
Übung- hervorgegangen ist. Wird nun Berùckstchtigt, dass die Pflicht
zur Rechtshülfe bei Juformativhandlungen und Rogatorien (also in
der Untersuchung,aber abgesehen von der Auslieferung), gestützt
auf das Gesetz vom 2. Februar 1872, im Urteil des Bundesgerichts
vom 19. Februar 1886 ausdrücklich als zu Recht bestehend anerkannt
worden ist (AS 12 S. 49 Erw. 2), dass die herrschende juristische
Doktrin, unter Berufung auf dieses Urteil, die gleiche Auffassung
vertritt (vergl. Burckhardt, Kommentar der Bundesverfassung, S. 674;
Blumer-Morel, Bundesstaatsrecht, 3. Aufl. Bd. l S. 317; G. Vogtjin
Schlatters Rechtskalender, 1895, S. 16 Ziff. 2) und dass, wie aus der
grossen Seltenheit solcher Anstände zu schliessen ist, gewiss die
Grosszahl der kantonalen Strafuntersuchungs-Behörden sich auf eine
entsprechende Praxis eingerichtet haben, so wäre von der bisherigen
bundesgerichtlichen Praxis nur dann abzugeben, wenn diese letztere sich
als unhaltbar erwiese. Das ist aber, nach den vorstehenden Erörterungen,
keineswegs der Fall; sie ist vielmehr sachlich wohl begründet.

3. Steht sonach die Pflicht zur Rechtshülfe bei Informativhandlungen
in Strafsachen fest, so fragt es sich weiter, ob eine Ausnahme von der
Pflicht zur Rechtshülfe dann besteht, wenn die strafrechtlich verfolgte
Handlung im ersuchten Kanton nicht strafbar ist. Es ist freilich
zweifelhaft, ob die hier verfolgte Handlung nach urnerischem Recht, wie
der Regierungsrat des Kantons Uri behauptet, wirklich ftraflos sei: denn
die Autorisation der urnerischen Regierung lässt doch darauf schliessen,
dass auch im Kanton Uri Lotterien der behördlichen Ermächtigung bedürfen;
für den Vertrieb der Lose im Kanton Solothurn bestand aber keine
solche Ermächtigung, da der Regierungsrat des Kantons Uri nur bezüglich
des eigenen Kantonsgebietes dazu kompetent war. Wie immer aber diese
Frage zu entscheiden wäre, so ist doch die betreffende Ausnahme, wie im
erwähnten Falle Bern gegen Schaffhausen vom Bundesgerichte ausdrücklich
ausgesprochen worden ist (s. AS 12 S. 47/48 litt. C und D und S. 49
Erw. 2), nach dem Bandes-gesetz vom 2. Februar 1872 nicht begründet,
und ist es darum unerheblich, ob der betreffende Tatbestand vorliege. Der
Wortlaut des Gesetzes bietet für die vom Regierungsrat des Kan-

54 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. Il. Abschnitt. Bundesgesetze.

tons Uri vertretene Auffassung keinen Anhaltspunkt. Aber anch die Doktrin
zwingt nicht dazu, eine solche Ausnahme zu machen. Die Rechtshülfepflicht
hat ihren innern Grund in der Solidarität der Staaten gleicher
Rechtskultur hinsichtlich der Bekämpfung der Verbrechen (vergl. Ullmann,
Völkerrecht, in Marquardsens Handbuch, 2. Aufl., S. 253 ff. und S. 269;
FlORE, Droit pénal, 2. Aufl., ins französische übersetzt von ANTOINE,
Bd. II S. 789 Nr. 483; ähnlich BERNARD, De l'extmdition, S. 642, und
BONFILS, Lehrbuch des Völkerrechts, ins deutsche übersetzt von Grah,
3. Ausl., S. 154 oben). Die Ausnahmen von der Rechtshülfepflicht beruhen
auf dem Misstrauen des einen Staates in die Gerechtigkeit der Rechtspflege
des andern Staates. Die hier in Frage stehende Ausnahme wird in der
Doktrin schon für das internationale Recht als ungerechtfertigt bekämpft
(fo BERNARD, a. a. O. S. 642, FIORE, a. a. O. S. 739). Gerade auf dem
Gebiete des Bundesstaates darf aber für solches Misstrauen kein Raum
sein, und zwar auch dann nicht, wenn materielles und formelles Strafrecht
der einzelnen Glieder inhaltlich miteinander nicht übereinstimmen, wie
es in der Schweiz der Fall ist. Dabei ist zu beachten, dass auch durch
die Verweigerung der Rechtshülfe die Strafverfolgung nicht rückgängig
oder unwirksam gemacht werden könnte; dagegen wird das Resultat der
Untersuchung unter der Verweigerung der Rechtshülfe leiden, und es wäre
möglich, dass auf Grund der mangelhaften Untersuchung z. B. ein anderer
als der wirklich Schuldige verurteilt würde.

Freilich ist nicht zu verkennen, dass auch für die gegenteilige Auffassung
sachliche Erwägungen sprechen. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen soll
kein Gemeinwesen gezwungen werden, eine durch sein öffentliches Recht
reprobierte Rechtspflegehandlung vorzunehmen (z. B. auf dem Gebiete der
Zivilrechtspflege die recherche de la paternité im Geltungsbereich des
Code Napoléon). Es könnte nun gesagt werden, dass das Strafgesetz nicht
nur die Verfolgung der von ihm unter Strafe gestellten Handlungen gebiete,
sondern dass die Bestrafung anderer Handlungen dem öffentlichen Recht
zuwider sei Und weiter möchte darauf hingewiesen werden, dass noch nach
dem Erlass des angeführten Urteils des Bundesgerichts vom 19. Februar
1886 Kantone Konkordate über die Rechtshülfe in Strafsachen abschlossen,
worinI. Interkantonale Auslieferung und Rechtshülfe in Strafsachen. NO
8. 55

Delikte, die im ersuchten Staat nicht strafbar sind, von der
Rechtshülfe ausgenommen werden, z. B. Freiburg und Bern am 11. Okkober
1895. Diese Vereinbarung setzt voraus, dass die Rechtshülfepfticht bei
strafprozessualen Informationen nicht schon durch das eidgenössische
Recht geboten sei. Geht auch das Bundesrecht dem kantonalen Recht vor,
so könnten diese Erwägungen doch dazu führen, das Bundesgesetz vom
2. Februar 1872 im Sinne der Auffassung des Regierungsrates des Kantons
Uri auszulegen.

Nun handelt es sich aber keineswegs um eine erstmalig zu beurteilende
Rechtsfrage, sondern um eine solche, die schon vor mehr als zwei
Jahrzehnten vom Bundesgericht entschieden worden ist, und es ist, wie
oben erörtert wurde, anzunehmen, dass die Praxis der grössern Anzahl
der Kantone sich darauf eingerichtet habe. Schon deshalb dürfte von
der im angefochtenen Präzedenzfall anerkannten Rechtsauffassung nicht
ohne Not abgewichen werden. Mit dem Wachsen des modernen Verkehrs ist
das Bedürfnis nach allgemeiner Rechtshülfe viel dringender geworden,
als es zur Zeit des Erlasses des angeführten Urteils der Fall
war. Auch dieses Moment verbietet es, das Gesetz nachträglich enger
auszulegen, als es bisher, aus sachlichen Erwägungen und im Einklang
mit der Doktrin, geschehen ist. Dabei soll aber ausdrücklich bemerkt
sein, dass sich die Rechtshülfepflicht der Kantone hinsichtlich der
Verfolgung von Delikten, die nicht Auslieferungsdelikte sind, nur auf
Jnformativhandlungen und Rogatorien in der Untersuchung, keineswegs
aber auf die Urteilsvollstreckung bezieht; ebenso soll die Frage offen
gelassen sein, ob auch für politische und Pressvergehen und für solche
Delikte, die nicht im ersuchenden Kanton begangen worden sind, in der
Untersuchung unter den Kantonen Rechtshülfe gewährt werden müsse

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen und demgemäss der Regierungsrat des Kantons
Uri pflichtig erklärt, dem Regierungsrat des Kantons Solothurn die
anbegehrte Rechtshülfe zu gewähren.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 36 I 49
Datum : 16. Januar 1910
Publiziert : 31. Dezember 1910
Quelle : Bundesgericht
Status : 36 I 49
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 48 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung. eine Forderung


Gesetzesregister
OG: 150
SchKG: 106 
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 106 - 1 Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
1    Wird geltend gemacht, einem Dritten stehe am gepfändeten Gegenstand das Eigentum, ein Pfandrecht oder ein anderes Recht zu, das der Pfändung entgegensteht oder im weitern Verlauf des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist, so merkt das Betreibungsamt den Anspruch des Dritten in der Pfändungsurkunde vor oder zeigt ihn, falls die Urkunde bereits zugestellt ist, den Parteien besonders an.
2    Dritte können ihre Ansprüche anmelden, solange der Erlös aus der Verwertung des gepfändeten Gegenstandes noch nicht verteilt ist.
3    Nach der Verwertung kann der Dritte die Ansprüche, die ihm nach Zivilrecht bei Diebstahl, Verlust oder sonstigem Abhandenkommen einer beweglichen Sache (Art. 934 und 935 ZGB222) oder bei bösem Glauben des Erwerbers (Art. 936 und 974 Abs. 3 ZGB) zustehen, ausserhalb des Betreibungsverfahrens geltend machen. Als öffentliche Versteigerung im Sinne von Artikel 934 Absatz 2 ZGB gilt dabei auch der Freihandverkauf nach Artikel 130 dieses Gesetzes.
109
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 109 - 1 Beim Gericht des Betreibungsortes sind einzureichen:
1    Beim Gericht des Betreibungsortes sind einzureichen:
1  Klagen nach Artikel 107 Absatz 5;
2  Klagen nach Artikel 108 Absatz 1, sofern der Beklagte Wohnsitz im Ausland hat.
2    Richtet sich die Klage nach Artikel 108 Absatz 1 gegen einen Beklagten mit Wohnsitz in der Schweiz, so ist sie an dessen Wohnsitz einzureichen.
3    Bezieht sich der Anspruch auf ein Grundstück, so ist die Klage in jedem Fall beim Gericht des Ortes einzureichen, wo das Grundstück oder sein wertvollster Teil liegt.
4    Das Gericht zeigt dem Betreibungsamt den Eingang und die Erledigung der Klage an. ...226
5    Bis zur Erledigung der Klage bleibt die Betreibung in Bezug auf die streitigen Gegenstände eingestellt, und die Fristen für Verwertungsbegehren (Art. 116) stehen still.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
regierungsrat • uri • bundesgericht • strafsache • frage • doktrin • strafuntersuchung • beklagter • auslieferungsdelikt • bundesverfassung • zahl • wert • leben • blume • strafverfolgung • persönliche ansprache • literatur • richterliche behörde • zivilprozess • ersuchter staat
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