298 B. Strafrechtspflege.

Unzurechnungssähigkeit an. Sie tun es ersahrungsgemäss unter Umständen
da, wo ihnen eine Verurteiluiig zu hart erscheint.

6. Auf Grund der vorstehenden Ausführungen gelangt man allerdings zu
dem Resultate, das v. Kries (Rechtsmittel, S. 254) dahin formuliert: Von
selbst versteht sich .. ., dass gegen die freisprechenden Verdikte der
Geschwornen wegen Verletzung des materiellen Rechts Revision überhaupt
nicht eingelegt wer-den kann. Denn aus dem Wahrspruch ist in keiner Weise
erkennbar, aus welchem Grunde die Freisprechung erfolgt, ob deshalb, weil
die Geschwornen die Tatumstände nicht fur eriviesen hielten oder weil
sie glaubten, dass sie nicht unter das Strasgesetz zu subsumieren seien,
oder endlich, weil sie irgendeinen die Verurteilung ausschliessenden
Grund, z. B. Unzurechnungsfähigkeit, annahinen. Damit ist das Urteil
der Kritik eines höheren Gerichts entzogen. Es ist der Assisenkammer
zuzugeben, dass die Zulassung der Kassation in einem so weiten Umfang,
wie der Kassationskläger sie will, dem Institut der Schwurgerichte
nicht entspricht; das eidg. Rechtsinittel der Kassation bricht sich an
diesem Institut Denn die Kassation muss doch, ihrem Wesen nach, auch die
Gründe des angesochtenen Urteils überprüfen können; das ist aber eben
beim Wahrspruch der Geschwornen nicht möglich. Eine wirksame Kassation
lässt sich nur dann denken, wenn aus der Fragestellung und den von der
Assissenkammer (dem juristischen Element des Schwurgerichts) zurAnwendung
gebrachten Strafgesetz anzunehmen ist, dass eine Verletzung eidg. Rechts
stattgefunden hat. Dies aber ist hier, wie ausgeführt, nicht der Fall.

Demnach hat der Kassationshof erkannt:

Die Kassationsbeschwerde wird abgewiesen.III. Organisation der
Rundesrechtspflege. N° 54. 299

54. genen vom 10. Mai 1910 in Sachen Yrevsuh & gie. gegen gimme-:
und Vögeln

Begriff des mit der K assationsbeschwerde des Art. 160 OG anfechtbaren
Endurteils : als solches qualifiziert sich nicht ein Entscheid über
die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Geschädigten, der
nach Art.27
SR 232.11 Bundesgesetz vom 28. August 1992 über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (Markenschutzgesetz, MSchG) - Markenschutzgesetz
MSchG Art. 27 Übertragung und Lizenz - Die Übertragung der Garantie- oder Kollektivmarke sowie die Erteilung von Lizenzen an Kollektivmarken sind nur gültig, wenn sie im Register eingetragen sind.
MSchG eine Strafklage angestrengt hat, die Stellung einer
eigentlichen Prozesspartez' zukomme.

A. Am 9. Januar 1909 reichte die Kassationsklägerin,
dieKollektivgesellschaft Dreyfuss & Cie., Uhrensabrik, in Pery bei
Biel, gegen die Kassationsbeklagten, den Uhrenfabrikanten Kummer in
Bettlach und seinen Werkführer Vögeli in Grenchen, Strafanzeige ein
wegen Vergehens nach Art. 24
SR 232.11 Bundesgesetz vom 28. August 1992 über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (Markenschutzgesetz, MSchG) - Markenschutzgesetz
MSchG Art. 24 Genehmigung des Reglements - Das Reglement muss vom IGE genehmigt werden. Die Genehmigung wird erteilt, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 23 erfüllt sind.
des Bundesgesetzes betr. den Schutz der
Fabrikund Handelsmarken vom 26. September 1890 (MSchG) und behielt
sich gleichzeitig das Recht vor, in dem Verfahren als Zivilpartei
aufzutreten. Durch Verfügung der Untersuchungsbehörde vom 8./29. März
1909 wurden die beiden Kassationsbeklagten wegen Anstiftung zur
Markennachahmung und wegen Jnverkehrsetzens von Erzeugnissen mit der
nachgemachten Marke dem korrektionellen Einzelrichter von Viel zur
Bestrafung überwiesen. Im ersten gerichtlichen Hauptverhandlungstermin vom
30. September 1909 trat die Kassationsklägerin als Strafund Zivilklägerin
auf, gab jedoch die Erklärung ab, dass sie, mit Rücksicht auf einen
gegen den Kassationsbeklagten Kummer imsKanton Solothurn eingeleiteten
Zivilprozess, eine Geldentschädigung nicht verlange. Hierauf stellten die
Kassationsbeklagten im folgenden Verhandlungstermin vom 25. November 1909
das Begehren: Es sei zu erkennen, dass die Firma Dreisuss & Cie. nicht
berechtigt sei, in dem von ihr durch die Strafanzeige vom 9. Januar 1909
eingeleiteten Strafverfahren aufzutreten und Parteirechtes auszuüben,
sondern aus diesem Verfahren auszuweisen sei. DurchEntscheid vom gleichen
Tage wies der korrektionelle Einzelrichter dieses anidentbegehren ab. Aus
Appellation der Kassationsbeklagten gegen diesen Entscheid aber erkannte
die erste Strafkammerr des Obergerichts des Kantons Bern am 10. März 1910:

Der Entscheid des korrektionellen Richters von Biel vomsi

300 B. Strafrechtspflege.

. iber 1909,sowie die demselben voransgegangeneii Ver-

äknzleiktlixteln bis und mit der Hauptverhandlung vom 30. September 1909,
werden von Amtes wegen kassiert und die Sache in analoger Anwendung
der Art. 476 StrV zu neuer BehandIIlung an den Gerichtspräsidenten
von Aarberg ge·wiesen.· Die Begründung dieses Urteils geht, kurz
gefasst, dahin: Nach Vorschrift des bernischeii Strafprozesses könne
der Geschadigselim Strafverfahren als Prozesspartei nur austreten,
wenn era bezug ich seiner Zivilinteressen Anträge stelleIdsph einen
Entschadiguiligsanspruch geltend mache. Dieser Vorschrift, welche
innErinansgeunlg abweichender buiidesrechtlicher Bestimmungen auch sur
die erfo . gung von Zuwiderhandlungen gegen das Bundesmarkenschntzgesetz
Anwendung finden müsse, sei aber die Firma Dreyfuss & Eie. nicht
nachgekommenz sie könne deshalb im eingeleiteten Strafprozesse nicht
als Partei austreten und Parteirechtef ausüben. _

B. Gegen den vorstehenden Cntscheid des bernischen Ostergerichts hat die
Firma Dreyfuss & Cie. gemass Artsp160 ff. Db? die Kassationsbeschwerde
an das Bundesgericht ergriffen und e-

' tI . antigags Urteil der ersten Strafkarnmer des beruischen Obergerichts
vom 10. März 1910 sei zu kassieren Und die Angelegenheit zu neuer
Behandlung an die kantonale Instanz zuructzuweisen ·

Die Kassationsklägerin beschwert sich materiell aber Verletzung der
Vorschrift des MSchG, welche dem Jnhabereiner geschutzten Marke das Recht
verleiht, auf dem Wege des Zwilund Straf; prozesses gegen Verletzungen
seines Markenrechtes aufzutreten, und macht in forineller Hinsicht
geltend, der angesochtene EntschEi0 stelle sich ihr gegenüber als End
urteil lm. Sinne des Art. 1
SR 232.11 Bundesgesetz vom 28. August 1992 über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (Markenschutzgesetz, MSchG) - Markenschutzgesetz
MSchG Art. 24 Genehmigung des Reglements - Das Reglement muss vom IGE genehmigt werden. Die Genehmigung wird erteilt, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 23 erfüllt sind.
OG dar, weil er sie endgültig als Partei
aus dem Verfahren wegweise.

Der Ka "atioiis o" ieht in Erwägung:

Nach Arsst.160hOst ist in Strafsachen eidgenhssischen Rechts die
Kassationsbeschwerde an das Bundesgericht zulgssig gegen d: Entscheide
der kantonalen Uberweisungsbehorden . Unter gesr Kompetenzbestimmung
fällt die vorliegende Beschwerde nicht-.l · it damit angefochtene
Entscheid des bernischenvaefrgerichts quallstztzrss sich weder als
Überweisungsentscheid, da 1a die Angelegenheit e-III. Organisation der
Bundesrechtspflege. N° 54. 301

reits dem Strafrichter überwiesen war, noch, entgegen der Auffassung
der Kassationsklägerin, als gerichtliches Endurteil. Der Begriff
des Endurteils in einer Strafsache setzt einen Entscheid voraus,
der den zur Beurteilung stehenden Strafanspruch des Staates oder
eines Privatstrafklägers endgültig erledigt, d. h. über den Bestand
oder Nichtbestand dieses Strafansprnchs rechtskräftig abspricht. Das
strafrechtliche Endurteil wird daher in der Regel entweder ein
verurteilender oder ein freisprechender Sachentscheid sein; doch ist
die endgültige Erledigung eines Strafanspruches unter Umständen auch
auf dem Wege der Behandlung einer blossen Prozessvoraussetzung, durch
Jnkompetenzentscheid, möglich, wenn beispielsweise der angegangene
Strafrichter seine Zuständigkeit deswegen verneint, weil die Straftat
im Auslande begangen worden ist und dem Jnlaiidstaate deshalb ein
Strafanspruch nicht zusteht (vergl. BGE 251 Nr. 47 Erw. 1 S. 282 f.;
Th. Weiss, Kassationsbeschwerde, in der Schweiz. Zeitschrift für
Strafrecht, 1900, S. 132 ff.). Vorliegend aber ist der eingeklagte
Strafanspruch noch keineswegs erledigt, er soll vielmehr kraft des
angefochtenen obergerichtlichen Entscheides in einem neuen Hauptverfahren
erst beurteilt werden. Der Entscheid der Strafkammer beschlägt lediglich
die prozessuale Frage, ob der Kassationsklägerin im Hauptverfahren
zur Durchführung ihres eingeklagten Privatstrafanspruches Parteirechte
zukommen oder nicht, und diese Frage deckt sich nicht etwa mit derjenigen,
ob jener Privatstrafanspruch überhaupt bestehe oder nicht. Denn es
kann jemand einen Privatstrafanspruch besitzen, ohne ihn selbst als
Prozessparte auf dem Wege des Strafprozesses durchsetzen zu können. Wenn
der Staat dem Parteistrafkläger die staatlichen Strafverfolgungsund
Strafgerichtsorgane in der Weise zur Verfügung stellt, dass er nur
einen Antrag des Strafberechtigten auf Strafverfolgung verlangt, um
alsdann den Strafprozess selbständig, d. h. ohne weitere Mitwirkung des
Antragstellers, durchzuführen, so wird der Privatstraskläger dadurch in
seinem materiellen Rechtsan-

·sprnche nicht verkürzt, sondern es wird lediglich der Umfang seiner

prozessualen Befugnisse beschränkt. Auf dem hier in Betracht

fallenden Gebiete des Markenschutzes aber hat sich der Bundesge-

setzgeber darauf beschränkt, bestimmte Privatstrafansprüche einzuAS 36
I 1910 20

B. Strafrechtspflege.

räumen, und hat die prozessuale Durchführung diesfer AIE???
vollständig den Kantonen überlassen Das MSchG git t figa e ,un; gewissen
Privatpersonen lediglich das Recht, eine {© ra în Tiber zustrengen,
es enthält jedoch vkeine weitern Vesimmxng andie prozessualen
Kompetenzen dieser Personeu,1nsbefon ere g arte-Î tiert es ihnen
nicht die Stellung einer eigentlichen ProzeerW und regelt auch
nicht die Voraussetzungen, Unter denen einilcmj vatstrafkläger zur
adhäsionsweisenvGeltendmachurig non?)Traité sprüchen im Strafverfahren
berechtigt-ist (vergl. Uxxuräzundesdes marques de fabrique, etc., S. 390
9er. 237). er 71mm gesetzgeber hatte daher auch keine Veranlassung,
diese Erozestionz Rechtsverhältnisse der Aufsicht der bundesgerichtlichen
assaes·ual-e instanz zu unterstelleu, und ein Entscheid uber die proz
steht Rechtsstellung des Privatstrafklägers, wie er hier in Frage cf;
kann, weil er nach dem Gesagten den, materiellen Strcixèiltmtspr160
selbst nicht berührt, nicht als Endurteil tin-Sinne des 'd r .me...
OG betrachtet werden. Die vorliegende Kassationsbeschwet e er sich somit
als prozessualisch unzulässig. Demnach hat der Kassationshof erkannt:

Auf die Kassationsbeschwerde wird nicht eingetreten.

30255. guten vom 28. Juni 1910 in Sachen Bunde-bahnen gegen gir-culi
und Genossen-

in Art. 162 DG vorgesehenen Kassattonshesehwerde gegenüber Entscheiden,
welche nach hantonalem Rechte mitteijbzstätzk ordentlichen Rechtsmittets
weitergezogen werden konnen, gez-mpr dere im Kanton Zürich gegenüber
der dre Ernleztung Jenes [ he Verfahrens ablehnenden Verfügung eines
Gmnetnderatels, an 350 gehörden fügnngen nach demäGesetz über die
Orgamslatzon der Bezu s

an den Statthalter weitergezogen werden konnen.

Unzulässtgheit der

A Am 28. Februar, 5. und 23. März 1910 erstatteten

Kondukteure des Zuges 2091 Zürich-Chur der schweizerssskherli
Bundesbahnen gegen Karl Streuli, Ernst Gallmann, Ba e-Ill. Organisation
der Bundesrechtspflege. N° 55. 303

meister Suier und Heinrich Huber, alle in Oberrieden (Kanton Zürich), an
den dortigen Gemeinderat bahnpolizeiliche Strafanzeige wegen Vergeheus
nach § 2 des Transportreglements und Art. 6 des Bahnpolizeigesetzes,
weil die Beanzeigten aus dem erwähnten Zuge während seines blossen
Diensthaltes auf der Station Oberrieden trotz Abmahnung des Zugpersonals
ausgestiegen seien. Mit Zuschrist vom 14. April 1910 erkundigte sich
die Kreisdirektion III der Bundesbahnen beim Gemeinderat Oberrieden
nach der Erledigung der Strafanzeige. Hieran verwies der Gemeinderat mit
Antwortschreiben vom 18. April 1910 lediglich auf seine Abwandlung einer
früheren gleichartigen Strafanzeige durch seine Verfügung vom 15. Januar
1910, worin er es abgelehnt hatte, den Beauzeigten zu büssen, weil eine
den fraglichen Tatbestand beschlagende rechtsgültige Strafbestimmung nicht
bestehe. Auch nahm er die schon in dieser frühern Verfügung enthaltene
Bemerkung wieder auf, dass auf Anzeigen wegen Aussteigens aus Zug 2091
hierorts nicht mehr eingetreten werde und weitere Anzeigen gleicher
Natur in den Papierkorb wandern".

B. Gegen diesen Bescheid des Gemeinderates Oberrieden vom 18. April 1910
hat die Kreisdirektion III der Bundesbahnen mit Zuschrift vom 25. April
an den Gemeinderat und mit motivierter Eingabe vom 4. Mai 1910 an das
Bundesgericht bei diesem Straf-Kassationsbeschwerde erhoben und beantragt:
die gemeinderätiiche Schlussnahme sei aufzuheben und die Sache zu neuer
Entscheidung an den Gemeinderat zurückzuweisen mit der bestimmten Weisung,
die Fehlbaren gemäss den Vorschriften des Bahnpolizeigesetzes mit Busse
zu belegen und zu den Kosten zu verurteilen.

Der Kassationshos zieht in Erwägung:

Gemäss Art. 162
SR 232.11 Bundesgesetz vom 28. August 1992 über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (Markenschutzgesetz, MSchG) - Markenschutzgesetz
MSchG Art. 24 Genehmigung des Reglements - Das Reglement muss vom IGE genehmigt werden. Die Genehmigung wird erteilt, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 23 erfüllt sind.
OG ist die Kassatiousbeschwerde an das Bundesgericht
in Strafsachen zulässig gegen die zweitinstanzlichen, fowie gegen
diejenigen Urteile, in Bezug aus welche nach der kantonalen Gesetzgebung
das Rechtsmittel der Berufung (Appellation) nicht stattfindet,
und gegen ablehnende Entscheide der letztinstanzlichen kantonaleu
Überweisungsbehörde. Die Kasfationsbeschwerde setzt danach einen
kantonalen Entscheid voraus, der kantonalrechtlich nicht durch ein,
die gleichartige Kognition-s-
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 36 I 299
Datum : 10. Mai 1910
Publiziert : 31. Dezember 1910
Quelle : Bundesgericht
Status : 36 I 299
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 298 B. Strafrechtspflege. Unzurechnungssähigkeit an. Sie tun es ersahrungsgemäss


Gesetzesregister
MSchG: 24 
SR 232.11 Bundesgesetz vom 28. August 1992 über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (Markenschutzgesetz, MSchG) - Markenschutzgesetz
MSchG Art. 24 Genehmigung des Reglements - Das Reglement muss vom IGE genehmigt werden. Die Genehmigung wird erteilt, wenn die Voraussetzungen nach Artikel 23 erfüllt sind.
27
SR 232.11 Bundesgesetz vom 28. August 1992 über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (Markenschutzgesetz, MSchG) - Markenschutzgesetz
MSchG Art. 27 Übertragung und Lizenz - Die Übertragung der Garantie- oder Kollektivmarke sowie die Erteilung von Lizenzen an Kollektivmarken sind nur gültig, wenn sie im Register eingetragen sind.
OG: 1  160  162
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
weiler • gemeinderat • strafprozess • strafanzeige • bundesgericht • frage • strafsache • verurteilung • rechtsmittel • markenschutz • wiese • biel • einzelrichter • kassationshof • entscheid • kantonales rechtsmittel • strafantragsteller • weisung • prozessvoraussetzung • bundesrechtspflegegesetz
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