236 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung.

V. Glaubensund Gewiasensfreiheit. Libertéde conscienceet de croyance.

43. guten vom 25. Zllai 1910 in Sachen c%ciz gegen Yasellladt

Angebliche Willkür und Verletzung der Glaubensund Gewissensfreiheit
durch Bestrafung des Kollektierens für religiöse Zwecke, wenn dasselbe
ohne die gesetzlich vorgeschriebene polizeiliche Bewilligung stattfindet.

A. Durch Urteil des baselstädtischen Polizeigerichtspräsideuten vom
7. März 1910 ist die Rekurrentin wegen verbotenen Kollektierens nach §
113 PStrG zu 10 Fr. Geldbusse, eventuell 2 Tagen Haft verurteilt worden.

§ 113 des Polizeistrafgesetzes lautet:

Verbotenes Kollektieren Wer ohne polizeiliche Bewilligung zu andern
Zwecken, als zu Gunsten von hiesigen öffentlichen, wohltätigen oder
gemeinnützigen Anstalten eine Sammlung von Geld oder andern Beiträgen,
oder von Unterschriften hiezu von Haus zu Haus veranstaltet, wird mit
Geldbusse bis zu Hundert Franken bestraft. Das gesammelte Geld kann
kon.fisziert werden

Das Urteil ist nicht motiviert; doch ergaben die Akten als Tatbestand,
dass die Rekurrentin im Auftrag der Jnternationalen Traktatgesellschaft,
welche ihren Sitz in Hamburg und eine Filiale in Basel hat, verschiedene
religiöse Schriften im Laden der Frau M. Eggenberger in Basel zum Kauf
ausgeboten und schliesslich gesagt hatte, Frau Eggenberger solle nur ein
Blättchen nehmen. Auf die Frage, was es koste, antwortete die Rekurrentin,
Frau Eggenberger könne geben, was sie wolle. Nach Angabe des anzeigenden
Polizisten gab dann Frau Eggenberger 20 Cts.

B. Gegen das angeführte Urteil des Polizeigerichtspräsideuten hat Marie
Heiz wegen Willkür und Verletzung der Glaubensund Gewissensfreiheit
den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen, mit dem
Antrag auf Aufhebung des Urteils, unter Auferlegung der Kosten an den
RekursbeklagtenV. Glaubensund Gewissensfreiheit. N° 43. 237

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Von einer willkürlichen Anwendung der einschägigen Bestimmung des
Basler Polizeistrafgesetzes kann keine Rede sein. Unter Kollektieren
wird in der Tat allgemein der Ausdruck kommt in mehreren schweizerischen
Gesetzen vor die von Haus zu Haus erfolgende Sammlung von Geldbeiträgen
zu irgend einem Zwecke verstanden, und zwar insbesondere dann,
wenn die Höhe des Geldbeitrages in das Ermessen des Gebers gestellt
ist. Dieser Tatbestand lag aber bei der Rekurrentin unbestrittenermassen
vor, und es trafen bei derselben auch die andern in § 113 des Basler
Polizeistrafgefetzes vorausgesetzten Tatbestandsmerkmale zu, nämlich das
Fehlen einer Polizeibewilligung und das Sammeln zu einem andern Zwecke
als zu Gunsten einer baselstädtischen öffentlichen, wohltätigen oder
sonst gemeinnützigen Anstalt. Es war daher jedenfalls nicht willkürlich,
die mehrerwähnte Bestimmung des Polizeistrafgesetzes auf die Rekurrentin
anzuwenden.

2. Was die behauptete Verletzung der Glaubensund Gewissensfreiheit
betrifft, so ist davon auszugehen, dass nach Art. 49 Abs. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 49 Vorrang und Einhaltung des Bundesrechts - 1 Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
1    Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
2    Der Bund wacht über die Einhaltung des Bundesrechts durch die Kantone.
BV die
Glaubensansichten von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten, und also
insbesondere von der Beobachtung

· allgemein gültiger Polizeivorschriften, nicht entbinden, weshalb

denn auch, in Art. 50 Abs. 1, die Kultusfreiheit, um die es sich freilich
im vorliegenden Falle direkt nicht handelt, ausdrücklich nur innerhalb
der Schranken der öffentlichen Ordnung gewährleistet ist. Es erscheint
daher durchaus zulässig, die Erlaubnis zum Kollektieren für religiöse
Zwecke, ebenso wie diejenige zum Kollektieren für irgendwelche andere
Zwecke, von der Einholung einer polizeilichen Bewilligung abhängig zu
machen, gerade wie es stets (vgl. z. B. BGE 12 S. 108) als zulässig
erachtet wurde, auf die Mitglieder der religiösen Gesellschaften auch
die Bestimmungen der Hausiergesetzgebung anzuwenden.

Jm vorliegenden Falle handelt es sich nun in der Tat um eine für alle
Bürger verbindliche Polizeioorschrift; denn § 113 des baselftädtischen
Polizeistrafgesetzes richtet sich nicht etwa speziell gegen die Mitglieder
religiöser Sekten oder gar einer bestimmten Sekte, sondern er ist auf
alles und jedes Kollektieren

AS 36 I 1910 16

238 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

anwendbar, mit einziger Ausnahme des Kollektierens für innerkantonale,
öffentliche, wohltätige oder sonst gemeinnützige Anstalten; und es liegt
auch nichts dafür vor, dass diehier verlangte polizeiliche Bewilligung
etwa bestimmten Religiousgefell: schaftcn prinzipiell und zum Zwecke der
Erschwerung ihrer religiösen Propaganda verweigert würde, worin allerdings
eine Verletzung der Glaubensund Gewissensfreiheit erblickt werden müsste.

Z. Gegenüber der Berufung der Rekurrentin auf das Urteil des
Bundesgerichts vom 17. November 1909 in Sachen Freiwillige Mission gegen
Zürich (AS 35 I S 685 ff.) istv hier zunächst zu konstatieren, dass in dem
angefuhrten Falle den Anhängern einer bestimmten Religionsgenossenschaft
das-Kollettieren schlechthin untersagt worden war, dieselben also nicht,
wiedie Reknrrentin, nur zur Einholung einer polizeilichen Bewilligung
angehalten wurden, Ferner war die Bestrafung wegen Bettels erfolgt,
während doch dieser Tatbestand (Bitte um Gemahl-ng eines Geschenkes
wegen der Bediirftigkeit des Bittenden personlich)s offensichtlich nicht
vorlag. Endlich war damals. aktemnasstg erstellt, dass den Angehörigen
einer andern Religionsgenossenschaft (den Mitgliedern der Heilsarmee)
das Kollektteren gestattet worden war, sodass also die angefochtene
Verfügung sich alsaeme wirkliche Ausnahmemassregel qualifizierte alles
Umstande, welche im heutigen Falle nicht vorliegen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird abgewiesen.Vl. Gerichtsstand. N° 44. 239

VI. Gerichtsstand. For.

Vergl., ausser den nachstehenden Urteilen, auch noch Nr. 49 Erw. 2. -Voir
en outre n° 49 consid. 2.

44. Sentenza del 17 marzo 1910 nella causa Bertschinger c. Delmenico.

Pretesa violazione dell'art. 59 CF in seguito all'ammissione d'un
domicilio giuridico accessorio, in caso in cui si tratti d'un negozio
con deposito di mercanzia esercito sotto un controllo più o meno diretto
della sede principale da un impiegato che essa qualifica di agente,
ma che nei rapporti col pubblico gerisce il negozio con attributi suoi
propri senza riserva di ratifica della sede principale.

A. La Ditta A. Bertschinger, in Zurigo, commerciante in istrumenti
musicali, tiene un deposito 0 negozio in Bellinzona, alla cui testa
trovasi il di lei impiegato Antonio Venturi. Con contratto 21 febbraio
1909 questi vendeva ad Auguste Delmenico, in Giubiasco, un verticale
automatico, che dopo qualche tempo, essendosi, a quanto affermasi,
ap-palesato difettoso, veniva rifiutato dal compratore, il quale azionava
davanti il Tribunale distrettuale di Bellinzona l'Antonio Venturi, quale
rappresentante della Ditta Bertschinger, chiedendo la rescissione della
vendita e la restituzione del prezzo sborsato. Il Venturi sollevava
in via incidente l'eccezione di cui all'art. 59 CF, pretendendo che il
contratto era stato stipulato a nome della Ditta A. Bertschinger, la quale
avendo il suo domicilio a Zurigo, doveva essere colà azionata. Statuendo
su questa eccezione, il Tribunale civile distrettuale di Bellinzona
respingeva l'eccezione di incompetenza e ciò perchè il negozio della Ditta
Bertschinger in Bellinzona rappresentava una sede giuridica secondaria
(filiale succursale) a sensi dell'art. 765 CO. Il Tribunale di Bellinzona
desumeva questo criterio dal fatto che il negozio gerito
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 36 I 236
Date : 25. Januar 1910
Published : 31. Dezember 1910
Source : Bundesgericht
Status : 36 I 236
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : 236 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. [. Abschnitt. Bundesverfassung. V. Glaubensund


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