488 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. Ill. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

dahin), dass der Regierungsrat die Einstellung des Rekurrenten in
seiner bürgerlichen Ehre nicht verfügt, sondern, eben weil es sich
dabei um eine schon von Gesetzes wegen eintretende Tatsachehandelte,
lediglich konstatiert und dann gestützt hierauf die Einstellung des
Rekurrenten in der Ausübung des Notariats und Amtsnotariats verfügt
hat. Diese Einstellung des Rekurrenten in der Ausübung seines Berufes,
bezw. der Entng des Notariatspatentes, qualifiziert sich nun aber
ebenfalls nicht als Strafe. Denn einerseits steht fest, dass im Kenton
Bern, wie überhaupt in allen Kantonen, der Besitz der bürgerlichen
Ehre eine Voraussetzung zur Ausübung des Notariatsberufes bildet, und
anderseits ist unbestritten, dass im Kanton Bern dem Regierungs-rate als
oberster Administrativbehörde die Aufsicht über die Notar-e obliegt.
Suspendiert also der Regierungsrat einen Notar in der Ausübung seines
Berufe-Z, weil derselbe in seiner bürgerlichen Ehre eingestellt sei und
daher eine zur Ausübung des Notariats erforderliche Eigenschaft momentan
nicht besitze, so tut er dies kraft des ihm zustehenden Aufsichtsrechtes,
und es qualifiziert sich somit diese Massregel ebensowenig als Strafe,
wie z. B. die Verweigerung der Ansstellung eines Notariatspatentes an
eine Person, welche die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.

4. Schliesslich mag gegenüber der Auffassung des Reimrenten, wonach
Sag. 17 Abs. 2 des ZGB durch das Strafgesetz und die Strafprozessordnung
ausser Kraft gesetzt worden sei, noch auf die entgegenstehende
Auffassung in Hubers Privatrecht, 1 S. 138, und in Stooss, Grundzüge des
schweiz. Strafrechts, t S. 365 ff., sowie namentlich auf die Tatsache
verwiesen werden,

dass Sag. 17 unverändert in die auf den 31. Dezember 1900 -

abgeschlossene revidierte amtliche Ausgabe der bernischen Gesetzessammlung
aufgenommen worden ist.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

Vergl. noch, betr. Übergriss in das Gebiet der richterlichen Gewalt:
Nr. 74 Erw. 3.H. Unverletzlichkeit des Eigentums. N° 73. 439:

II. Unverletzlichkeit des Eigentums. Inviolabilité de la. propriété.

72. guten vom 5. guat 1909 in Sachen gesellt-haft des Hotels Bucher-Yuna,
si.-®., gegen Theodor Yume-tim.

Zulässigkeit der Mota'uieru-ng eines zweitinstanzlichm Urteils durch
blosse Bezugnahme auf die Erwägungen der ersten Instanz. An-gebtéch
witllcürlicäe Geweîhremg eines Notwegrecttts behufs Betriebs einer
Fremde-npense'on, entgegen einer Vertragsbestimmung. An-gebliche
Verletzung der Eigefltumsgamntie durch Gewdhî'emg eines seinigen
N0twegreohtes, trotzdem weder eine bezùgiéche Gesetzeshestimmung, noch
ein bezùglz'ches Gewohnhettsrecht besteht. Erfordernisse an den Beweis
des Gewohnheitsrechtes; genügt Konstatierung seiner Existenz durch die
oberste kantonale Gericfatsbekörde?

A. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte die Firma
Vucher &: Durrer, Besitzerin des Hotels auf dem Bürgenstock, znr
Erstellung einer Zufahrt zu ihren Hotels eine private Fahrstrasse vom
Bürgenstock nach Ennetbürgen angelegt. Unter anderm hatte sie auch mit
dem Rechtsvorfahren des heutigen Rekursbeklagten, Clemens Barmettler,
einen Vertrag über die engeltliche Abtretung von Boden für die Strasse
abgeschlossen. Dieser Vertrag, vom 22. April 1875, enthält über die
Benützung der Strasse durch Clemens Barmettler und seine Nachfolger im
Besitz der Liegenschast Trogen folgende Bestimmung: Herr Barmettler oder
jeweilige Besitzer des obern Trogen sind berechtigt, die von Trogen aus
gegen Stansstad oder allfällig gegen StAntoni führ-enden Strassen für
die ländlichen Bedürfnisse und die Bedürfnisse der Sommerwirtschaft zu
Beträgen, ohne, sowohl an Ersteilung als an Unterhalt dieser Strassen
etwas beizutragen. Sollte auf dem obern Trogen, Hotel oder Pension
erstellt werden, so sind diese von diesem Fahrt-echt ausgeschlossen.

B. In der Mitte der achtziger Jahre wurde von Kehrsiten am
Vierwaldstättersee von der Firma Bucher & Durrer eine Drahtseilbahn
erstellt, welche schon 1886 im Betriebe war. Am 8. No-

440 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. lll. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

vember 1886 erliess Bucher-Durrer, der Rechtsnachfolger der Firma
Bucher & Durrer, eine öffentliche Provokation, worin er die Behauptung
aussiellte, dass auf der von ihm erstellten Strasse vom Sagentobel
bis zum Hotel keine öffentlichen oder privaten Fusswegrechte bestehen
ausser den durch schriftlichen Vertrag begründeren. Diese Provokation
blieb unangefochten. Am 9. Dezember 1889 erliess Bucher-Durrer abermals
eine gerichtliche Provokation, dass niemand ein Recht besitze, die von
ihm erstellte Strasse vom Ende des Gutes Trogen bis zum Breitholz in
Ennetbiirgen zu irgendwelchen Zwecken zu benutzen, ausser jenen, welche
ein vertragliches Benutzungsrecht erworben haben. Eine Einsprache der
Bezirksgemeinde Ennetbürgen, welche ein öffentliches Fuhrund Fahrwegrecht
für jedermann prätendierte, wurde vom Kantonszgericht von Unterwalden
nid dem Wald am 18. Juli 1891 abgewiesen.

G. Am 10/11. Juni 1906 kam zwischen Martin Barssmettler, dem Eigentümer
der obern Trogenalp (mit Hammerschwand), und der heutigen Rekurrentin ein
Kauf über die Hammetschwand zu stande. In diesem Kaufvertrag verpflichtete
sich die Käuferin, das auf der Hammeischwand lastende Streuerecht des
heutigen Rekursbeklagten demselben abzukausen oder abzulösen. Unterm
25. Februar 1908 stellte nun der heutige Rekursbeklagte gegen die
Rekurrentin beim Friedensrichteramt Ennetbiirgen solgendes Rechtsbegehren:
Die Gesellschaft des Hotels BucherDurrer, A.-G., Bürgenstock, als
Besitzerin sei gehalten, das zu Gunsten des Theodor Barmettler, Trogen,
aus der Hammetschwand bestehende Streuerecht abzulösen und ihm hiefür
eine Ablösungs-

summe von 7500 Fr. zu bezahlen, unter Kostenfolge. Die Refin-=--

rentin erhob das Gegenrechtsbegehren: Der Widerbeklagte als Besitzer
der Liegenschaft Trogen sei nicht berechtigt, die Privatstrasse der
Widerklägerin, A.-G. Bucher-Dutra, von Bürgensioek nach Ennetbürgen
für andere Bedürfnisse und Zwecke zu beniitzen, als für diejenigen
seines landwirtschaftlichen Betriebes und der Sommerwirtschaft, also
keineswegs für Hotels oder die gegenwärtig vom Widerbeklagten betriebene
Pension für Zweck: und Besdürfnisvermehrung anderer Art als sie bei der
Vertragsschliessung vom Jahre 1872 bestunden- Vor Kantonsgericht von
Nidwalden hat der Widerbeklagte beantragt: Das Widerklagebegehren sei
desll. Unverletzlichkeit des Eigentums. N° 72. 441

gänzlichen abzuweisen, eventuell sei dem Kläger und Widerbeklagten auf der
Strasse Bürgenstock-Ennetbürgen, soweit nicht bereits ein vertragliches
Strassenbenützungsrecht vorhanden, zum Fortbetrieb der Pension Trogen
ein Notwegrecht einzuräumen, und zwar gegen eine Entschädigung von 1
Fr. 50 W. pro Jahr und pro Fremdenbett. Mit Urteil vom 9. September-Z
Oktober 1908 hat das Kantonsgericht von Nidwalden das Klagebegehren
gänzlich und das Eventualbegehren des Widerbeklagten in dem Sinne
gutgeheissen, als demselben für seine Pensionsbedürfnisse ein Notweg
zu und von der Station Bürgenstock gegen eine jährliche Vergütung von
4 Fr. per Fremdenbett eingeräumt wurde. Das Obergericht von Nidwalden
hat mit Urteil vom 10. Dezember 1908,; der Rekurrentin zugestellt am
16. Dezember 1908, die Appella: tion der heutigen Rekurrentin abgewiesen
und das Urteil des Kantonsgerichtes, ohne eigene Begründung, in Motiven
und Dispositiven vollinhaltlich bestätigt. Aus der Begründung des
Urteils des Kantonsgerichtes ist hinsichtlich des Eventualbegehrens
des Widerklägers, das nach der Substantiierung des Rekurses durch
den Rekurrenten allein in Frage steht, folgendes hervorzuheben: Ein
Verbot, auf der Liegenschaft Ober-Bogen ein Hotel oder eine Pension
zu erstellen, bestehe nicht. Aber ebensowenig bestehe zur Zeit ein
Recht des Klägers, für eine Pension oder ein Hotel ohne Entschädigung
die Strasse nach der Station Bürgenftock zu benutzen. Dagegen könne
nach Gewohnheitsrecht in gewissen Fällen ein Notwegrecht bewilligt
werden. So habe das Kantonsgericht am 10. November 189? in Sachen
Bucher-Durrer, Bürgenstock, gegen Maria Odertnatt und am 8. April 1903
in Sachen Blättler, Roggern, gegen Blättler, Benzenhalten-Hergiswil,
Notwegrechte zugesprochen Die Verbindung mit der Bahnsiation sei nun
für die Pension des Klägers ein dringendes Bedürfnis Ihm sei nur durch
ein Notwegrecht Genüge zu leisten. Die Entschädigung sei nach ähnlichen
Grundsätzen wie bei der Expropriation zu bemessen: für den Unterhalt
der Strasse sei ein jährlicher Betrag von 3200 Fr. ausreichend; der
Bürgenstock zähle zur Zeit etwa 800 Fremdenbettenz es sei daher billig,
dem Kläger per Fremdenbett eine anteilmässige Entschädigung, von 4 Fr.,
an die-Beklagt.Wait aufzuerkegem , ; AS 35 I 1909 29

442 ? A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungen,

e en das angeführte Urteil des Obergerichts hat die Beläge Rgukrentin
am 12. Februar 1909, also rechtzeitig, den staatsrechtlichen Rekurs
ans Bundesgericht ergriffen, mit dein Electrag, das angefochtene Urteil
aufzuheben, aus folgenden Grun en.

1. Eine Rechtsverweigeruug liege darin, dass. das angefochtene Urteil des
Obergerichts der selbständigen Motive entbehre. Die blosse Bezugnahme
auf die Motivierung der Vorinstanz sei ebetnso unzulässig als bei der
Berufung (vergl. Weiss, Berufung, S.t08 Biff. 3) die blosse Bezugnahme
aus die kantonalen Rechtsstris ett. Des Fehlen der Motive schliesse aber
einen Akt der Wi urlinL sich (Curti, Entsch. d. B. @ Bd. 1 Nr. 92, 93,
94; Neue Fo ge

355, 3373 . _ ZBÎssNîcî) Art. 67) der Kantonsversassung von
lJnterwalden nid dem Wald Und Art. 12 des Verfassungsgesetzes fur die
Gerichts-, organisaiion seien alle bürgerlichen Sireitsachen,"bevor
sie an eine höhere Instanz gezogen werden können, im Suhneverfahlren
Tor dem Friedensrichter geltend zu machen. Das Protokoll ubei Bett
Vermittluiigsvorstand müsse enthalten: das klagerische Rechts egehren,
die Erklärung der beklagten Partei uber Bestr·eitung,g:ilnzliche oder
teilweise Anerkennung der Klage und eine allsa ige Widerklage. Nun
enthalte das Weisungsschema nurtdas Begehren der Rekurrentin
um Feststellung, dass Barmettler die Strasse sur Pensionszwecke
nicht benutzen dürfe; von einem Begehräti în? Einräumung eines
Notwegrechtes sei nirgends dre. Rede: Ju fi Beurteilung dieses letzteren
Begehrens liege eine willkurlichengsk achtung des in den Art. 12 des
Verfassungs-gesetzes uber die EUR: richtsorganisation, in Art, 6 der
bezugltchen Ausfnhrungsveror -

nung und in den Art. 44
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 44 Anleihensobligationen - Die örtliche Zuständigkeit für die Ermächtigung zur Einberufung der Gläubigerversammlung richtet sich nach Artikel 1165 OR29.
, 118
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 118 Umfang - 1 Die unentgeltliche Rechtspflege umfasst:
1    Die unentgeltliche Rechtspflege umfasst:
a  die Befreiung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen;
b  die Befreiung von den Gerichtskosten;
c  die gerichtliche Bestellung einer Rechtsbeiständin oder eines Rechtsbeistandes, wenn dies zur Wahrung der Rechte notwendig ist, insbesondere wenn die Gegenpartei anwaltlich vertreten ist; die Rechtsbeiständin oder der Rechtsbeistand kann bereits zur Vorbereitung des Prozesses bestellt werden.
2    Sie kann ganz oder teilweise gewährt werden.
3    Sie befreit nicht von der Bezahlung einer Parteientschädigung an die Gegenpartei.
und 122
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 122 Liquidation der Prozesskosten - 1 Unterliegt die unentgeltlich prozessführende Partei, so werden die Prozesskosten wie folgt liquidiert:
1    Unterliegt die unentgeltlich prozessführende Partei, so werden die Prozesskosten wie folgt liquidiert:
a  die unentgeltliche Rechtsbeiständin oder der unentgeltliche Rechtsbeistand wird vom Kanton angemessen entschädigt;
b  die Gerichtskosten gehen zulasten des Kantons;
c  der Gegenpartei werden die Vorschüsse, die sie geleistet hat, zurückerstattet;
d  die unentgeltlich prozessführende Partei hat der Gegenpartei die Parteientschädigung zu bezahlen.
2    Obsiegt die unentgeltlich prozessführende Partei und ist die Parteientschädigung bei der Gegenpartei nicht oder voraussichtlich nicht einbringlich, so wird die unentgeltliche Rechtsbeiständin oder der unentgeltliche Rechtsbeistand vom Kanton angemessen entschädigt. Mit der Zahlung geht der Anspruch auf den Kanton über.
ZPO enthaltenen Prin

zipes der Verhandlungsmarime und eine Verletzung von Art. é r. 67
KV. VTULdieAGteioährung des Notwegrechtes an den Rekursbeklagten
widerspreche dem Vertragswillen der Parteien, da durch den Veri trag
ein Fahrwegrecht für Pensionszwecke ausdrucklich ansagschlossen worden
sei. Die Einräumung des Notwegrechtes wure sogar dann als unzulässig
erscheinen,n wenn der Vertrag das Fah; recht für Pensionszwecke nicht
ausdrucklich ausgeschlossen h&m? nach allgemeiner deutschschweizerischer
und deutschrechtlicher uff -H. Unverletzlichkeit des Eigentums. N° 72. 443

sung der Eigentümer des dienenden Grundstückes nicht verpflichtet sei,
bei veränderter Benutzungsweise des herrschenden Grundstück-es die
vermehrte Beschwerde zuzulassen. Die kantonale Instanz erblicke nun einen
Grund, ein bisher nicht bestehendes Notwegrecht zu begründen, in dein
Umstande, dass in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine
Drahtseilbahn von Kehrsiten nach dem Bürgenstock ersiellt worden sei,
die als öffentliches Verkehrsmittel sämtlichen Liegenschaftsbesitzeru
auf Obbürgen, sowie dein Verkehr überhaupt, dienen solle. Dieser
Umstand könne aber den Liegenschastsbesitzer nicht verpflichten, einen
entserntern Besitzer den be- stehenden Privatweg benutzen zu lassen,
und ebensowenig könne davon die Rede sein, dass etwa der Erfieller der
Bahn verpflichtet mare, in der beanspruchten Weise für Kommunikationen
besorgt zu sein. Es könne der betreffende Umstand aber auch nicht ein
Notwegrecht begründen, weil mit dem Bedürfnis der Benützung des Weges
für Pensionen ja im voraus gerechnet wurde und das Wegrecht trotzdem
ausgeschlossen worden sei. Übrigens bestehe im Kanton Nidwalden gar
kein solches Notwegrecht, und seien die drei Entscheidungen, welche
das Kantonsgericht anrufe, nicht massgebend; eine beziehe sich zudem
gar nicht auf die Begründung, sondern auf die Anerkennung eines schon
bestehenden Wegrechtes Nur, um den Schein zu wahren, sei im konkreten
Falle statt eines unbeschränkten unentgeltlichen Fahrrechtes gegen eine
Bagatelle ein sogenanntes Notwegrecht eingeräumt worden: die kantonale
Instanz habe aus unhaltbare, bloss vorgeschobene Gründe hin sich einer
Beugung des Rechts zu Ungunsten der Rekurrentin schuldig gemacht; darin
liege eine Verfassungsverletzung

E. Der Reknrsbeklagte beantragt Abweisung des Rekurses und macht im
wesentlichen folgendes geltend:

1. Die blosse Berufung auf die Motive der ersten Instanz entspreche
einer feststehenden Gerichtspraxis im Kanton Nidwaldenz diese Praxis
sei übrigens im Rekursfalle Wyrsch gegen das Obergericht von Nidwalden
vom Bundesgericht als verfassungsmässig anerkannt worden.

2. Die Einrede, Sass das Eventualbegehren des Widerbeklagten vor
Friedensrichter hätte geltend gemacht werden müssen, sei vor den
kantonalen Jnstanzen nicht erhoben worden. Sie sei auch un-

444 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. Ill. Abschnitt. Kantonsverfassungen,

zutreffend. Die Berufung auf Art. 67 KV sei ohne Belang, weil
mit dem Inkrafttreten der Gerichtsorganisation (1. Juli 1901) die
Vermittlungsgerichte abgeschafft worden seien. Festznstellen sei sodann,
dass der Widerbeklagte durch eine, in der Folge wegen .Ablehnung seitens
der Gegenpartei freilich hinfällig gewordeneOfserte vor Friedensrichteramt
den Willen geltend gemacht habe, die Strassenbenützung auf Pensionszwecke
auszudehnen. Gegenüber der Widerklage habe übrigens Widerbeklagter vor
Friedensrichteramt dieses Gegenrechtsbegehren noch gar nicht als Begehren
geltend machen müssen, weil das Zivilprozessverfahren von Nidwalden auf
eine schon gestellte Widerklage keine zweite Widerklage kenne; es genuge
daher der bezügliche Antrag vor Kanionsgericht.

3. am. 13 KV garantiere zwar die Unverletzlichkeit des Privateigentumsz
der Inhalt des Privateigentums werde aber durch die Verfassung nicht
bestimmt. Es sei daher Sache der Gesetzgebung und der Rechtsprechung, die
mit dem Eigentum verbundenen Befugnisse festzustellen Nidwalden besitze
nun kein kodifiziertes Sachenrecht. Schon im allgemeinen Gesetzbuch vom
Jahre 1857 sei (Art. 7) ein Fahr-, Tränk-, Fussund Rühr-Notwegrecht
vorgesehen; ebenso in § 11 des Baugesetzes, das für Neubauten ein
Notwegrecht gewähre, und bestimme: Für die Gestattung eines Notweges
ist der Eigentümer des zu belastenden Grund- stückes angemessen zu
entschädigen. Gemäss diesen Grundsätzen habe das Kantonsgericht von
Nidwalden im Jahre 1896 der Stadt Luzern für ihren Bürgenstockwald
ein Notwegrecht eingeräumt; ferner mit Urteil vom 11. November 1897
dem Nachbarn Odermatt auf der heute vom Streit betroffenen Strasse für
den Betrieb

einer Pension. Das Urteil in Sachen Mahler, Roggern, gegen-

Alois Blättler in Hergiswil, vom Jahre 1903, zeige, dass die Nidwaldner
Gerichte in Notwegrechtssachen keine engherzige Praxis befolgten. Das
angefochtene Urteil beruhe daher durchaus auf einer gesetzlichen Praxis.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. In Bezug auf den Inhalt des gerichtlichen Urteils bestimmt H 121
ZPO von Nie-weitem dass jedes Urteil die Entscheidungsgründe enthalten
soll. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass diese Vorschrift auch
für die Urteile des Obergerichts gilt, wie das insbesondere auch aus
der Bezugnahme in § 125II Unverletzlichkeii des Eigentums. N° 72. 445

hervorgeht Fraglich kann daher nur sein, ob dieser Vorschrift nicht auch
die blosse Berufung auf die Motive der Vorinstanz Genüge leiste. Mit
Rücksicht ans die auch bei obern Gerichten anderer Ramone verbreitete
Übung, im Falle der Übereinstimmung der obern und der untern Instanz
hinsichtlich der Motive im zweitinsianzlichen Urteileinfach auf
die Begründung im vorinstanzlichen Urteil zu verweisen, kann in der
entsprechenden Praxis des Obergerichtes von Nidwalden jedenfalls keine
willkürliche Auslegung des Gesetzes gefunden werden. Ebensowenig, wie eine
materielle Rechtsverweigerung, liegt eine formelle Rechtsverweigerung vor,
da aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV keine besondere Form der Bekanntgabe der Urteilsmotive
gefolgert werden farm. In Übereinstimmung mit der bisherigen Praxis
(Urteil des Bundesgerichts in Sachen Gebrüder Wyrsch in Buochs gegen
das Obergericht von Nidwalden vom 24. Februar 1909) ist daher dieser
Beschwerdegrund zurückzuweisen.

2. Nach Art. 12 des Verfassungsgesetzes Über die Gerichtsorganisation
des Kantons Unterwalden nid dem Wald vom 20. März 1901 müssen
ordentlicherweise alle bürgerlichen Streitigkeiten, ehe sie an eine höhere
Instanz gezogen werden können, im Sühneverfahren vor dem Friedens-richtet
gewaltet haben. In § 6 Ziff. 3 der Ausführungsverordnung ist bestimmt,
dass das Protokoll über den Vermittlungsvorftand enthalten solle: eine
allfällige Widerklage und die entsprechende Erklärung der widerbeklagten
Partei. Nach diesen allgemein gehaltenen Vorschriften möchte es in der
Tat Bedenken rufen, ob dann, wenn nach der Zivilprozessordnung von
Nidwalden gegenüber einer ersten Widerklage des Hauptbektagten eine
zweite Widerklage des Hauptklägers überhaupt zulässig sein sollte,
diese zweite Widerklage nicht auch schon im Sühnevorstand erhoben
werden müsse. Entscheidend im Rekursverfahren ist aber der Umstand,
dass gemäss den amtlichen Bescheinigungen der Präsidenten beider
kantonalen Gerichte die Rekurrentin vor den kantonalen Gerichten gegen
die prozessrechtIiche Zulässigkeit der Widerklage des Hauptklägers
(Rekursbeklagten) gar keine Einwendung erhoben hat. Es folgt daraus,
dass die an die Verhandlungsmaxime gebundenen Jnstanzen diese Erweiterung
des Rechtsbegehrens des Klägers (Rekursbeklagten) ohne Bedenken hinnehmen
konnten, da die Formulierung der Rechts-

446 A. Sfaatsrechtlicue
Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

begehren, und folglich auch deren Erweiterung oder Beschränkung,
regelmässig der Disposition der Parteien anheimgestellt ist Aber selbst
wenn es sich bei den oben angeführten Vorschriften um zwingeudes Recht
handeln würde, so wäre dieser Beschwerdegrund doch zurückzuweisen, weil
er vor den kantonalen Justanzen nicht geltend gemacht worden ist, und das
Bundesgericht in Rechtsverweigerungssachen sich immer das Recht gewahrt
hat, zuerst die Anrufung und Erschöpfung des kantonalen Jnftanzenzuges
zu fordern.

3. In materieller Hinsicht kommen die Beschwerdegründe der Willkür und
der Verletzung der Garantie des Privateigentums in Betracht. Nun haben die
Gerichte von Nidwalden das Notwegrecht nicht etwa aus Grund des Vertrages
vom 22.April1875 geschützt, sondern ohne Rücksicht auf diesen Vertrag,
gestützt auf Gewohnheitsrecht, das die Gewährung eines Notwegrechtes gegen
Entschädigung erlaube. Es könnte sich zunächst fragen, ob der Vertrag die
Anwendbarkeit des Gewohnheitsrechtes ausschliesse. Indem die kantonalen
Gerichte das verneinten, haben sie sich keiner Willkür schuldig gemacht,
denn der Vertrag lässt sich ohne Willkür so verstehen, dass er nur
bestimme, wie weit dem Klager das Recht zustehe, ohne Entschädigung
die betreffende Strasse zu benützen, und somit die Geltendmachung
des entgeltlichen Notwegrechtes nicht ausschliesse. Das genügt aber,
um die Interpretation der kantonalen Gerichte als staatsrechtlich nicht
anfechtbar erscheinen zu lassen, ganz gleichgültig, ob das Bundesgericht
bei selbständiger Vertragsauslegung zum gleichen Resultate gelangen
würde wie die tantoualen Instanzen, oder ob dies nicht der Fall mare.

4. Eine weitergehende Kognition steht dem Bundesgerichte

als staatsrechtlicher Beschwerdeinstanz zu bei der Frage, ob das .

angefochtene Urteil die Garantie des Privateigentums verletze: hier
ist zu prüfen, ob die im Notwegrechte liegende Beschränkung des
Privateigentums im objektiven Rechte eine Stütze finde, da durch
Art. 13 KV, welcher bestimmt: Die Unverletzlichkeit des Eigentums
und der Rechtsame ist gewährleistet, das Eigentum in dem durch
Gesetzgebung und Gewohnheitsrecht bestimmten Umfang unter den Schutz
des Verfassungsrechtes gestellt wird. Hinsichtlich des Bestandes eines
bestimmten Gewohnheitsrechtes ist aber ein strikter Beweis nicht zu
fordern. Der Beweis kann geleistet werden durch die Literatur, durch
die Rechtsprechung undll. Unverletzlichkeit des Eigentums. N° 72. 44?

durch Konstatierung der mit dem Rechte vertrauten Behörden. Ein Nachweis
durch Literatur ist nun im konkreten Falle nicht versucht worden; es
wäre dies auch kaum möglich gewesen, da nach der deutschrechtlichen
Rechtsentwicklung (vergl. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 2 S. 436
ff.; Huber, Schweizerisches Privat-recht, Bd. 3 S. 310 ff.) Notwegrechte
in der Regel nur für landwirtschaftliche Bedürfnisse begründet werden
können. Auch die Berufung auf § 11 des Baugesetzes von Nidwalden könnte
das streitige Notwegrecht nicht stützen, da diese Gesetzessielle
von Notwegrechten handelt, welche der auszuführende Bau mit sich
bringt-; dazu könnten Wegrechte nach einer entfernten Bahnsiation,
die im Interesse des Betriebes einer Fremdenpension gefordert werden,
kaum gerechnet werden. Dagegen besteht immerhin eine Konstatierung
des obersten kantonalen Gerichtshofes, dass im Kan{ron Unterwalden nid
dem Wald entgeltliche Notwegrechte nicht nur für ländliche Bedürfnisse
bestellt werden können. Diese Feststellung verdient umsomehr Beachtung,
als sie nicht erst im angefochtenen Urteile, sondern schon in einem
Urteile vom 11. November 1897 (in Sachen Odermaiî/Bucher) erfolgt, also
nicht etwa erst für den heutigen Prozess gemacht und vorgeschoben worden
ist, um den Mangel einer objektivrechtlichen Grundlage zu verdecken. Würde
dieses Erkenntnis vom 11. November 1897 nebst den vom Rekursbeklagten, im
Anschluss an das obergerichtliche Urteil, angeführten beiden Entscheiden
aus den Jahren 1896 und 31903 als Rechtsquelle auch kaum eine ausreichende
Grundlage für einen allgemein verbindlichen Rechtssatz bilden, so bilden
sie in Verbindung mit dem angefochtenen Urteil doch eine genügende
Erkenntnisquelle für das in Frage stehende Gewohnheitsrecht derart,
dass es nun der Rekurrentin obgelegen hätte, einen Beweis für die
Nichteristenz eines solchen Gewohnheitsrechtes zu erbringen. Für einen
solchen Gegenbeweis liegen aber gar keine AnTbaltspunkte vorDemnach hat
das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 35 I 439
Datum : 05. Januar 1909
Publiziert : 31. Dezember 1909
Quelle : Bundesgericht
Status : 35 I 439
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 488 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. Ill. Abschnitt. Kantonsverfassungen. dahin),


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
ZPO: 44 
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 44 Anleihensobligationen - Die örtliche Zuständigkeit für die Ermächtigung zur Einberufung der Gläubigerversammlung richtet sich nach Artikel 1165 OR29.
118 
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 118 Umfang - 1 Die unentgeltliche Rechtspflege umfasst:
1    Die unentgeltliche Rechtspflege umfasst:
a  die Befreiung von Vorschuss- und Sicherheitsleistungen;
b  die Befreiung von den Gerichtskosten;
c  die gerichtliche Bestellung einer Rechtsbeiständin oder eines Rechtsbeistandes, wenn dies zur Wahrung der Rechte notwendig ist, insbesondere wenn die Gegenpartei anwaltlich vertreten ist; die Rechtsbeiständin oder der Rechtsbeistand kann bereits zur Vorbereitung des Prozesses bestellt werden.
2    Sie kann ganz oder teilweise gewährt werden.
3    Sie befreit nicht von der Bezahlung einer Parteientschädigung an die Gegenpartei.
122
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 122 Liquidation der Prozesskosten - 1 Unterliegt die unentgeltlich prozessführende Partei, so werden die Prozesskosten wie folgt liquidiert:
1    Unterliegt die unentgeltlich prozessführende Partei, so werden die Prozesskosten wie folgt liquidiert:
a  die unentgeltliche Rechtsbeiständin oder der unentgeltliche Rechtsbeistand wird vom Kanton angemessen entschädigt;
b  die Gerichtskosten gehen zulasten des Kantons;
c  der Gegenpartei werden die Vorschüsse, die sie geleistet hat, zurückerstattet;
d  die unentgeltlich prozessführende Partei hat der Gegenpartei die Parteientschädigung zu bezahlen.
2    Obsiegt die unentgeltlich prozessführende Partei und ist die Parteientschädigung bei der Gegenpartei nicht oder voraussichtlich nicht einbringlich, so wird die unentgeltliche Rechtsbeiständin oder der unentgeltliche Rechtsbeistand vom Kanton angemessen entschädigt. Mit der Zahlung geht der Anspruch auf den Kanton über.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
notwegrecht • nidwalden • bundesgericht • eigentum • widerklage • buch • trogen • kantonsgericht • weiler • kantonsverfassung • wegrecht • rechtsbegehren • kv • benutzung • frage • ehre • provokation • vorinstanz • notar • begründung des entscheids
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