304 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

53. Zweit vom 13. am 1909 in Sachen Mahler und Hauses-ten gegen die
gilt-genossen der acht Gemeinen-en von geme, Hin-gän, Dritt-ertönen
Trübsee Duteriea Zinnnatn Hiernalp und Herr-am

Beschlusss einer Alpgenossenschaft, des Inhalts, dass gewisse eis dahin
nach Genessensehaftsanteilen ( Rinder-n ) verteilte Nebennutzungen
in Z Werft nach Kepftetlen bemessen werden sollen. Z iviiklage
einzelner Genossenschaft-erauf Aufhebung dieses Beschlusses. Prozess--
absta-ndserklärung der beklagten Genossenschaft. Neuer Beschluss der
Alpgenossenschaft mit ähnlichem Inhalt, wie der frühere. Zi'vilhlage
jener Genossenschaften auf Aufhebung dieses neuen Beschlusses. Ab-weisung
der Klage durch die kantonalen Gerichte, weit die Genossen- schaft in
Bezug auf die Verteilung der Nutzungen souverän set. Liegt hierin eine
offensichtliche Missachtung des in der ZPO aufgestellten Grundsatzes, dass
der Prozessabstaud die Wirkung eines rechthräftigen Urteils habe? eine
sonstige Rechtseerwetgerung? eine Verletzung der Eigentu-msgarantie?

A. Im Kanton Unterwalden nid dem Wald bestanden neben der Alp Niederbauen
acht Gemeinalpgenossenschaften, welche sich im 18. Jahrhundert zu einer
allgemeinen Alpgenossew schaft verbunden haben. Nach § 1 des Gesetzbuches
für die acht im Jngress aufgezählten Gemeinalpen, welches am 19. Januar
1888 von der ordentlichen Alpgenossenversammlung revidiert worden iii,
sind diese acht Gemeinalpen (Eigentum aller derjenigen, welche laut
Alpkapitalbuch für sich zugeschriebene Alp besitzen". Diese Bestimmung
trägt den Titel Eigentumsund Nutzniessungsrechte. Für die Anteile,
Rindern, werden Urkunden, in § 25 des Alpgesetzes als Namenanteilscheine
bezeichnet, ausgestellt, die unter Kantonsbürgern unter bestimmten
Voraussetzungen übertragbar sind. Unter dem Titel Benutzungsrechte und
Steuerpslicht" bestimmt § 3 des genannten Gesetzbuchs für die acht Alpen:
Die von der Alpgenossengemeinde jeweilen dekretierenden Nutzungen, mögen
sie in Holzteil oder am Geld bestehen, sollen auf sämtliche Alpgenossen,
nach Verhältnis des Gemeinalpbesitzes jedes Einzelnen verteilt und nach
gleichem Verhältnis auch die von der Alpgenosfen-[. Rechtsverweigerung. _
3. Mater-iene. N° 53. 305

gemeinde nllfällig dekretierenden Steuern entrichtet werden. Gerichtliche
Urteile machen hievon Ausnahmen.

B. Als an der ordentlichen Alpgenofsengemeinde am 18. Januar 1906 von
der Mehrheit beschlossen worden war, die Alpsteuern in Zukunft nach dem
Verhältnis der nutzungsberechtigten Alpgenossen oder nach dem Verhältnis
des Alprindernbesitzes anzulegen, erhob Major Flühler für sich und die
Mitrekurrenten Protest und reichte beim Friedensrichteramt Hergiswil
folgendes Rechtsbegehren eint Der Beschluss der Alpgenossenversammlung
vom 18. Januar 1906 betreffend Benutzungsrechte und Steuerpflicht
der Alpgenossen sei aufzuheben und der bisher geltende Grundsatz,
wonach die von den Alpgenossenversammlungen der einzelnen Gemeinalpen
zu dekretierenden Nebennutzungen mögen sie in Holz oder Geld bestehen
auf sämtliche Alpgenossen nach Verhältnis des Gemeinalpbesitzes des
Einzelnen verteilt und nach gleichem Verhältnisse auch allfällige
Steuern entrichtet werden sollen, sei gerichtlich zu bestätigen
unter Kostenfolge. In der ausserordentlichen Alpgenossenversammlung
vom 5. August 1906 wurde, statt der Erteilung einer Prozessvollmacht,
beschlossen: Die Alpgenossen erklären in diesem Prozesse ihrerseits den
Prozessabstand und bevollmächtigen den Herrn Präsidenten, Nationalrat
Niederberger, dem Rechtsbegehren des genannten Klägers gegenüber vor
dem Friedensrichteramt den Prozessabstand rechtssörmig zu Protokoll zu
erklären und damit das Prozessversahren zu beenden." Am 17. September
1906 wurde der Prozessabstand am Protokoll des Friedensrichteramtes
vorgemerkt und das Protokoll von den Parteivertretern unterzeichnet.

C. Zn der ordentlichen Alpgenosfenversammlung vom 24. Januar 1907
wurde nun neuerdings ein Antrag auf Abänderung des § 3 des Alpgesetzes
eingebracht, mit folgendem Wortlaut: Die von der Alpgenossengemeinde
jeweilen dekretierten Nutzungen, bestehen dieselben in Holzteilen
oder Geld, werden auf die im Alpprotokolle der betreffenden Gemeinalp
eingetragenen Alpgenossen, sofern ihnen wenigstens ein halbes Rindern
zugeschrieben ist, gleichmässig und ohne Rücksicht auf die Zahl der
Rändern, welche sich in ihrem Besitze befinden, verteilt und nach
gleichem Verhältnis die von der Alpgenossengemeinde beschlossenen
Steuern repartiert.

306 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Dieser Antrag wurde mit Stimmenmehrheit angenommen Die zur Minderheit
gehörigen heutigen Rekurrenten beschritten hieraus den Rechtsweg, mit
dem Begehren: Der Beschluss der Alpgenossenversatnmlung vom 24. Januar
1907 betreffend Beniitzungsrechte und Steuerpslicht der Alpgenossen sei
aufzuheben und der von der Beklagtschaft durch Prozessabstandserklärung
vom 5. August 1906 anerkannte Grundsatz, wonach die von den Alpgenosfen:
versammlnngen der einzelnen Gemeinalpen zu dekretierenden Nebennutzungen,
mögen sie in Holz oder Geld bestehen, aus sämtliche Alpgenosfen,
nach Verhältnis des Gemeinaipbesitzes jedes Einzelnen verteilt und
nach gleichem Verhältnis auch allfällige Steuern entrichtet werden
sollen, sei gerichtlich zu bestätigen." Das Kantonsgericht von
Nidwalden hat mit Urteil vom 1. April und 4. September 1908 die Klage
abgewiesen, und das Obergericht des Kantons Nidwalden hat mit Urteil
vom 17. November/ò. Dezember 1908 das kantonsgerichtliche Erkenntnis,
ohne eigene Begründung, in Motiven und Dispositiven vollinhaltlich
bestätigt. Aus der Begründung des erftinstanzlichen Urteils ist
folgendes hervorzuheben: Die Alpgenossenschaften seien Korporationen
des kantonalen Rechtes. Nach Art. 14 der KV vom Jahre 1877 werde den
Korporationen die Befugnis, innert den Schranken der -Kantonsverfassung
und der Bundesgesetze ihr Vermögen selbst zu verwalten und zu benutzen,
garantiert; Beschränkungen der freien Verfügung durch Landesgesetze seien
nicht vorhanden. Für die Nutzungen an der Alp, welche nicht mit dem
Weidgange zusammenhängen, sei von jeher das persönliche Genossenrecht
und nicht die Austriebsberechtigung nach Rindern massgebend gewesen,
während die Nutzungen aus dem Weidgang den Rindern zugut gekommen und
Steuern auf die Rindern gelegt worden seien. Im Jahre 1888 habe die
Alpgenosseuversammlung die historischen persönlichen Rechte der Genossen
in Bezug aus Nebennutzungen durch Mehrheitsbeschluss beseitigt, im Jahre
1907 habe die Alpgenossenschaft, ebenfalls durch Mehrheitsbeschluss, diese
persönlichen Rechte wieder hergestellt und dafür die auf historischer
Übung beruhenden Ansprüche der Alpanteile an dem aus dem Weidgange
fliessenden Übernutzen aufgehoben: beide Beschlüsse seien gefasst worden
kraft der den Alpgenossenschasten gewährleistetenI. Rechtsverweigerung_
3. Materielle. N° 53. 307

Autonomie. Es sei unzweifelhaft, dass die Alpgenossenversammlung
berechtigt sei, über die Verwaltung und Benutzung der Gemeinalpen für
die Alpgenossen verbindliche Beschlüsse zu fassen und dieselben wieder
abzuändern. Der Richter habe die Atpgesetze zu respektieren, soweit
sie nicht Verfassung oder Landesgesetze oder Rechte Dritter verletzen
Keiner dieser Fälle liege vor. Es mangle daher dem Richter die Kompetenz,
die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses vom Jahre 1907 zu verfügen;
blosse Billigkeitsgründe berechtigten-den Richter nicht, ordnungsgemäss
zustandegekommene Verfügungen aufzuheben. Über der Alpgenossenversamtnlung
stehe in internen Angelegenheiten einzig der Gesetzgeber, welcher das
Recht besitze, deren Verfügungsgewalt durch Verfassung und Gesetz zu
beschränken. Der Beschluss der ordentlichen Alpgenossenversammlung vorn
Jahre 1906 falle heute nicht mehr in Betracht, da er nicht aufrecht
erhalten worden sei. Zn Bezug auf ihn habe deshalb der Prozessabftand
Gültigkeit erlangt. Eine weitergehende Bedeutung könne aber dem
Prozessabstand nicht beigemessen werden; denn das Gesetzgebungsrecht der
AlpgenossenVersammlung sei verfassungsgemäss garantiert, und dieses
Gesetzgebungsrecht habe der zufällig an einer ausserordentlichen
Versammlung erlangte Prozessabstand nicht beschränken können.

D. Gegen das Urteil des Obergerichts von Nidwalden vom 17. November
," 5. Dezember 1908 haben die Rekurrenten am Z. Februar 1909 den
staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht ergriffen. Die Rekurrenten
beschweren sich wegen Rechts-verweigerung und Verfassungsverletzung
unter Berufung aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV, Art. 13 und 14 KV und § 33 des nidw. ZRV
in Verbindung mit § 4 Ziff. 2 und 4 der Aussührungsverordnung zur
Gerichtsorganisation; sie verlangen aus diesen Gründen Aufhebung des
obergerichtlichen Urteils vom 5. Dezember 1908. Die Rekursbeklagten
haben Abweisung des Rekurses beantragt. Die wesentliche Begründung der
Anträge beider Parteien ist aus den nachftehendeu Erwägungen ersichtlich.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Das nidwaldnerische Zivilrechtsverfahren bestimmt in § 33: Der
Abstand vom Prozesse hat die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils und
verpflichtet denjenigen, welcher den Abstand

308 A. Slaalsrechlliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

erklärt, zur Tragung aller Kosten, über die nicht bereits rechts-

kräftig erkannt is . Die Rekurrenten behaupten nun, dass die
Alpgenossen am 5. August und l7. September 1906 in Bezug auf das
gleiche Rechts-begehren rechtsförmlich den Prozessabstaud erklärten;
wenn auch die die Abänderung des § 3 des Alpgesetzes beschlagenden
Beschlüsse der Alpgenossenversammlung vom 18. Januar 1906 und der
Versammlung vom 24. Januar 1907 sich inhaltlich nicht vollständig
decken, so sei doch ausschlaggebend, dass die Alpgenossen am
24. Januar 1907 einen Beschluss gefasst hätten, wodurch die kurz
vorher beschlossene Prozessabstandserklärung rundtveg aufgehoben
worden sei; an den Prozessabstaud seien die Genossenschaften so gut
wie Privatpersonen gebunden, und habe der Richter, indem er sich zu
Gunsten der Genossenschaft über den § 33 hinwegsetzte, sich der Willkür
schuldig gemacht.

Die Rekursbeklagten wenden ein, dass es sich um eine Frage des kantonalen
Prozessrechtes handle, welche nicht Gegenstand des staatsrechtlichen
Rekurses sein könne; die Frage sei von den kantonalen Gerichten aber
auch richtig gelöst worden; an der ausserordentlichen Versammlung hätte
übrigens gar nicht gültig auf das Gesetzgebungsrecht verzichtet werden
können.

Jn rechtlicher Hinsicht ist dazu folgendes zu bemerken: Die Frage nach der
Rechtswirkung des Prozessabstandes ist jedenfalls im vorliegenden Fall,
wo auch das materielle Streitverhältnis vom kantonalen Recht beherrscht
wird, ausschliesslich nach kantonalem Rechte zu lösen. Es kann sich im
staatsrechtlichen Rekursverfahren daher nur fragen, ob die kantonalen
Gerichte in willkiirlicher Weise das kantouale Recht ausgelegt oder den
konkreten Tatbestand willkürlich dieser Bestimmung nicht unterstellt
haben. Nun möchte das Verhalten der kantonalen Gerichted ann gewissen
Bedenken rufen, wenn aus dem durch Prozessabstand vom 5. August 1906
anerkannten Rechts-begehren der Rekurreuten klar ersichtlich wäre,
dass die Rekurrenten ein wohlerworbenes Recht an den bisherigen und
künftigen Erträgnissen geltend gemacht halten, da dann dieses Sonderrecht
der Rekurrenten durch den Prozessabstand ganz gleich wie in einem
rechts-kräftigen Urteil festgestellt worden wäre. Dass aber ein solches
Sonderrecht geltend gemacht werde, ist im betreffenden Rechts-begehren
nicht gesagt und auch!. Rechtsverweigemng. 3. Materielle. N° 53. 309

nach der Sachlage nicht ohne weiteres anzunehmen, da das betreffende
Rechtsbegehren ja sich nicht nur auf die Erträgnisse, sondern auch an die
Verteilung der Steuern bezieht. Jst aber die Auffassung, dass das durch
Prozessabstand anerkannte Rechts-begehren der Rekurrenten deren Ansprüche
nicht als Sonderrechte geltend machen wollte, nicht willkürlich, so ist
es auch staatsrechtlich nicht anfechtbar, dass die kantonalen Jnstanzen
dem im Rechtsbegehren enthaltenen Verteilungsgrundsatze rechtlich
keine weitergehende Bedeutung zuerkannten als einem entsprechendem
ordnungsgemäss gefassten Beschlusse der Alpgenossenversammlurig. Ein
solcher Beschluss kann aber durch einen spätern abgeändert werden. Die
Einrede der rechtskräftig abgeurteilten Sache steht daher auch dem
Beschlusse vom 24. Januar 1907 nicht entgegen, und ist daher nicht
zu prüfen, ob die Genossenversammlung auf den Erlass künftiger
sachbezüglicher Beschlüsse überhaupt hätte verzichten können.

2. Als Beschwerdegrund machen die Rekurrenten weiter geltend, es hätten
die kantonalen Gerichte ihnen dadurch den Rechtsschutz verweigert, dass
sie in den Urteilsrnotiven die Kompetenz verneintenz die Kompetenz der
Gerichte sei aber zu besahen, gleichviel ob die Alpgenossettschaften
Korporationen des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts seien. Die
Rekursbeklagten weisen daran hin, dass die kantonalen Gerichte in
Wirklichkeit die Streitsache genau geprüft und die Klage abgewiesen,
also materiell beurteilt hätten. Hier ist zu bemerken: Es kann in der Tat
unerörtert bleiben, ob den kantonaleu Gerichten eine Zivilstreitigkeit
oder eine bffentlichrechtliche Streitigkeit unterbreitet worden sei,
da im konkreten Falle, trotz der von den Rekurrenten angerufenen
Erwägung, die kantonalen Gerichte ihre Kompetenz zur Beurteilung gar
nicht verneint haben. Sie sind nicht auf die Klage nicht eingetreten,
sondern haben die Klage materiell geprüft und haben sie im Dispositiv
abgewiesen. Die Begründung aber ist dahin zu versieheu, dass der Beschluss
auf gesetzlicher Grundlage beruhe. Auch der Sinn einer einzelnen
Erwägung ist unter Berücksichtigung des Zusammenhangs mit der ganzen
Urteilsbegründung zu bestimmen. Im Zusammenhang gelesen, insbesondere mit
der Begründung, es könne wegen Billigkeitsrücksichten ein gesetzmässig
erlafiener Beschluss nicht aufgehoben werden, kann die Bemerkung

310 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

im Urteil des Kantonsgerichts, es mangle dem Richter die Kompetenz,
die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zu verfügen, aber nicht
dahin verstanden werden, es wäre der Richter auch nicht kompeteut, einen
gesetzwidrig en Beschluss aufzuheben, sondern es soll damit offenbar
nur gesagt werden, es sei der betreffende Beschluss anzuerkennen, weil
er dem objektiven Recht entspreche Der zweite Beschwerdegrund beruht
daher auf einer unrichtigen Auffassung des angefochtenen Urteils, das
einen juristisch-technischen Ausdruck in einem nicht-technischen Sinne
verwendet, und ist somit ebenfalls hinfällig.

3. Eine Rechtsverweigerung erblicken die Rekurrenten sodann
in der Tatsache, dass das Obergericht die Übergriffe einzelner
Alpgenossenschaften in die vermögensrechtlichen Verhältnisse anderer
Alpgenosfenschasten stillschweigend genehmigt habe: wie ans den
bei den Prozessakten liegenden Abrechnungen hervorgehe, führe jede
Alpgenossenschaft eine gesonderte Vermögensund Kassarechnung; es erzeigten
die Rechnungen, dass nur drei Alpgenossenschaften, Ami, Lutersee
und Steinalp, in der Lage seien, von Zeit zu Zeit Geldverteilnngen
vorzunehmen; indem nun im angefochtenen Beschluss die Genossen der andern
Alpen den Alpgenossen von Ami, Lutersee und Steinalp vorschrieben, wie
die Geldverteilungen vorzunehmen seien, hätten sie sich eines Übergrifses
schuldig gemacht, der im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren aufgehoben
werden müsse. In rechtlicher Hinsicht ist hier zu bemerken, dass es
sich im staatsrechtlichen Rekursverfahren nur darum handeln kann,
zu untersuchen, ob der angefochtene Entscheid ein willkürlicher sei,
also vor allem, ob er gegen klares Recht versiosse Das letztere ist
nun zu verneinen Der Beschluss osll für alle acht Alpen gelten, nicht
nur fur die drei nach Behauptung der Reimrenten heute finanziell besser
gestellten Einzelgenosfenschaftenz der Erlass allgemeiner Verordnungen
fällt aber nach § 5 des Gesetzbuchs für die acht Gemeinal [nen in die
Kompetenz der allge-

meinen Alpgenossenversammlung. Für die Frage, ob ein Übergriff
der allgemeinen Alpgenossenversammlung in die Kompetenz einer
einzelnen Alpgenossenschaft stattgefunden habe, ist es aber
unerheblich, ob die allgemeine Alpgenossenversammlung dieses oder
jenes Verteilungsprinzip aufstellte; es kommt hiebei vielmehr
nurI. Rechtsverwcigerung. 3. Materiche. N° 53. 31].

darauf an, ob sie überhaupt zur Aufstellung eines allgemein verbindlichen
Grundsatzes befugt sei, was nach § ö des Alpgesetzes als gegeben erscheint
Es mag auch darauf hingewiesen werden, dass die Rekurrenten in ihrem
Rechtsbegehren vor den kantonalen Gerichten nicht nur die Aufhebung des
am 24. Januar 1907 aufgestellten Verteilungsgrundsatzes verlangen, in
der Meinung, dass die Aufstellung von Verteilungsgrundsätzen Sache der
einzelnen Alpgenofseuschasten fei, sondern dass sie fnr das von ihnen
selbst vertretene Verteilungsprinzip ebenfalls allgemeine Gültigkeit
beanspruchen und dieses Prinzip daher gegenüber der allgemeinen
Genossenschaft geltend machen. Unter diesen Umständen kann es gewiss
nicht als willkürlich angesehen werden, wenn die kantonalen Gerichte die
in Frage stehende Kompetenz der allgemeinen Alpgenoss eitvetsatnmlung
bejahten

4. Als letzten Beschwerdepunkt machen die Rekurrenten geltend, es
verletze das angefochtene Urteil die in Art 13 KV aufgestellte Garantie
des Privateigentum-Z und der Rechtsamen, indem den Inhabern mehrerer
Alptitel ein Teil des Nutzungsrechts willkürlich entzogen werde, wenn
dem Inhaber eines oder mehrerer Titel im ganzen der gleiche Geldnutzen
zukomme wie dem Inhaber nur eines halben Titels. Indem die kantoualen
Gerichte die Kompetenz der allgemeinen Alpgenofseugemeinde nach Art 14
KV bejaht hatten sei auch diese Verfassungsbestimmung, welche nur auf
die Urtegeineinden Bezug habe, unrichtig angewendet und verletzt.

Jn grundsätzlicher Hinsicht ist nun zu bemerken, dass gegenuber Urteilen
von Zivilgerichten die verfassungsmässige Garantie des Privateigentums
nur angerufen werden kann, wenn der Richter in geradezu willkürlicher
Weise ein wohlerworbenes Privatrecht beiseite setzt. Der Schutz des
Privateigentums gegen (Eingriffe der Behörden oder Privaten wird vom
Staate durch Einsetzung der Zivilgerichte gewährt: dem staatsrechtlichen
Grundsatze der Unverletzlichkeit wohlerworbener Rechte wird daher
gerade durch das Tätigwerden der Zivilgerichte Geltung verschafft Da
aus dem verfassungsmässigen Prinzipe der Garantie des Privateigentums
aber keine Regeln über Entstehung, Inhalt, Veränderung und Untergang
der Privatrechte gefolgert werden können, so hat die Entscheidung der
Zivilgerichte in Privatrechtsstreiiigkeiten nach

312 A. Staatsrechiliche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

Massgabe der Privatrechtsnormen zu erfolgen, deren richtige Auslegung und
Anwendung sich der Nachprüfung des Bundesgerichts als staats-rechtlicher
Beschwerdeinstanz einzieht Ein Einschreiten des Bundesgerichts gegenüber
Urteilen von Zivilgerichten über den Bestand oder Inhalt von Privatrechten
ist daher nur zulässig, wenn der Schutz, den die Zivilgerichte dem
Privateigentum gewähren sollen, wegen Willkür versagt (vergl. AS 16
S. 716f.).

Willkür könnte nun bloss dann angenommen werden, wenn ein Verstoss gegen
klares Recht vorliegen würde. Das setzt voraus, dass überhaupt allgemein
anerkannte Grundsätze über die in Frage stehende rechtliche Ordnung der
Alpgenossenschaften existieren. Die Grundlage der Alpgenossenschaften
ist eine persönliche und eine kapitalistische; die Grenze zwischen
dem Herrschastsbereich der beiden daraus abgeleiteten Prinzipien, dem
Prinzip der Geltung der Mitglieder nach Massgabe der kapitalistischen
Beteiligung und dem Prinzip der gleichen Geltung aller Genossen, ist
aber keineswegs klar gezogen (vergl. dazu Gierke, Deutsches Privatrecht,
Bd. 1 S. 576 fi. und die dort zitterte Literatur, insbesondere Wyss in
der ZschwR Bd. 1 S. 20; Heusler, ebenda Bd. 10 S. 44; Miaskowski, Die
schweizerische Allmend, Leipzig 1897; Haber-, Schweizerisches Privatrecht,
Bd. 4 S, 261 fs., S. 769 fs.; ferner Zelger, Die Alpgenossenschasteih in
den Beiträgen zur Geschichte Nidwaldens, 1889, I. Heft S. 1 40; Stebîer,
Alpund Weidewirischast, S. 27 fs., S. 37 ff. und S. 60 ss.). Dass im
Recht der Alpgenossenschasten von Nidwalden das Prinzip der Beteiligung
nach Auteilscheinen nicht in aller Strenge gezogen ist, zeigt schon
die Bestimmung des § 6 des Alpgesetzes vom 19. Januar 1888, wonach das
Stimmrecht abgesehen von mehreren Brüdern die samtnenhaft zugeschriebene
Alpig besitzen nach Köpfen, nicht nach Anteilrechten ausgeübt wird. Und
ebensowenig bestehen, selbst in kodifizierten Rechten, allgemein
anerkannte Grundsätze darüber, welche Rechte durch Mehrheitsbeschluss
der Genossen abäuderliche Mitgliedschaftsrechte, sogen. Sozialrechte,
und welche Rechte Sonderrechte seien (vergl. Bachtnann, Die
Sonderrechte des Aktionärs, 1901, S. 15). Beim Anspruch auf den
Anteil an den Geldverteilungen handelt es sich nun, verglichen mit
dem Recht aus Benutzung der Alpen, um Nebennutzungen von geringer
wirt-l. Rechtsverweigerung. 3. Materielle. N° 54. 313

schastlicher Bedeutung Dass die kantonalen Gerichte die Verteilung der in
Frage stehenden Nebennutzungen nicht einfach dein kapitalistischen Prinzip
der Bemessung nach Anteilen unterstellten und dass sie der allgemeinen
Genossenversammlung hinsichlich des Verteilungsprinzipes Freiheit liessen
und ihren Beschluss respektierten, also die betreffenden Genossenrechte
nicht als Sonderrechte behandelten, bildete bei der Unvollkommenheit
der herrschenden Gesetzgebung gewiss nicht einen Verstoss gegen klares
Recht; es handelt sich vielmehr um eine Rechtsauffassung, die mag sie
richtig oder unrichtig sein sich wenigstens mit sachlichen Gründen
vertreten l&szt, wie es im angefochtenen Urteil geschehen ist. Es ist
daher für das Schicksal des staatsrechtlichen Rekurses unerheblich, ob
die Auffassung der kantonalen Gerichte auch in Art. 14 KV eine Stütze
finde, da die betreffende Rechtsaufsassung auch ohne Art. 14 KV nicht
als willkürlich erscheint. Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der
Rekurs wird abgewiesen.

54. get-teil vom 3. Juni 1909 in Sachen Zeitlwiller und Haupttext gegen
Regierungsrat des Franken-gt. Hallen

A ngebliche VVill/cür durch W iedererwägung eines wrwaltungsrcchtlichen
Entscheide seitens der Regierung, unter analoger Anwendung der
zieiéprozessuaäen Ge'zmdszîize über die Voraeessetzungen van
Revisio-nsgesuchen.A. Die drei Rekurrenten sind Eigentümer von
Liegenschasten an der neu erstellten Lindenstrasse, die in der Nähe des
Laufes der Steinach von der politischen Gemeinde St. Gallen nach der
Gemeinde Tablat führt. Diese Strasse ist als Nebenstrasse erklärt;
die Erstellungskosten der Nebenstrassen sind nach st. gallischem
Strassengesetz von den Eigentümern der Grundstücke der beteiligten Gegend
zu tragen. Die beitragspflichtige Zone ist

AS 35 [ _ 1909 21
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 35 I 304
Datum : 13. Januar 1909
Publiziert : 31. Dezember 1909
Quelle : Bundesgericht
Status : 35 I 304
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 304 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. 53. Zweit


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
frage • sonderrecht • kv • zivilgericht • genossenschaft • nidwalden • rechtsbegehren • bundesverfassung • bundesgericht • benutzung • geld • kantonsgericht • richtigkeit • kantonales recht • entscheid • verfahren • verfassung • persönliches recht • nebenstrasse • holz • wohlerworbenes recht • gemeinde • beschwerdegrund • begründung des entscheids • zahl • privatperson • rechtskraft • gesetzmässigkeit • sachverhalt • bruchteil • prozessvertretung • autonomie • richterliche behörde • willkürverbot • änderung • abrechnung • distanz • errichtung eines dinglichen rechts • kantonsverfassung • eigentum • verhalten • regierungsrat • nationalrat • 18. jahrhundert • geschichte • literatur • politische gemeinde • weiler • beklagter • weisung • minderheit
... Nicht alle anzeigen