294 A. staats-rechtliche Entscheidungen. I. Absehmtt. Bundesverfassung.

Frage sich auf Art. 158 der kantonalen Zivilprozessordnung stützt,
worin diese Kompetenz dem Obergericht zugewiesen ist, nicht gefunden
werden. Ebensowenig kann es als offenbar rechtswidrig und willkürlich
bezeichnet werden, dass der Rechtsöffnungsrichter von Amtes wegen
prüfte, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der provisorischen
Rechtsöffnung vorliegen, und dass er sich nicht auf die vom Vetriebenen
selbst erhobenen Einwendungen beschränkte: Einwendungen des Schuldner-s
kommen im Rechtsöffnungsverfahren nach Art.82
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 82 - 1 Beruht die Forderung auf einer durch öffentliche Urkunde festgestellten oder durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung, so kann der Gläubiger die provisorische Rechtsöffnung verlangen.
1    Beruht die Forderung auf einer durch öffentliche Urkunde festgestellten oder durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung, so kann der Gläubiger die provisorische Rechtsöffnung verlangen.
2    Der Richter spricht dieselbe aus, sofern der Betriebene nicht Einwendungen, welche die Schuldanerkennung entkräften, sofort glaubhaft macht.
SchKG überhaupt erst dann
in Betracht, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung der
Rechtsöffnung im übrigen gegeben sind, während der Rechtsöffnungsrichter
beim Fehlen der allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen die Rechtsöffnuug
immer zu verweigern hat. Es bleibt sonach nur noch zu pri'xfen, ob der
kantonale Rechtsöffnungsrichtet die allgemeinen Voraussetzungen für die
Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung zum Nachteil des Rekurrenten
in willkürlicher Weise bestimmt habe. Nun kann die Auffassung des
angefochtenen Urteils, dass durch den Erlass eines gerichtlichen Urteils
eine Novation des ins Recht gesetzten Anspruches stattfinde, ja gewiss
nicht als die heute herrschende bezeichnet werden (vergl. Negelsberger,
Pandekten I S. 700 Ziff. III); aber sie war, im Anschluss an römische
Quellen, in der gemeinrechtlichen Doktrin immerhin vertreten. Und wenn
nun auch in der gemeinrechtlichen Gerichtspraris diese Auffassung nicht
durchgeführt wurde, wo der Kläger durch dieselbe Schaden erlitten hätte
(vergl. Windscheid-Kipp, Pandekten, 9. Aufl. 1906 Bd. I S. 650 oben),
so kann darin, dass der zugerische Rechtsöffnungsrichter sich an
diese Beschränkung nicht gehalten hat, vielleicht eine unrichtige
Rechtsanwendung, aber doch jedenfalls kein Verstoss gegen klares
Recht und somit auch keine Willkür gefunden werden. Darnach ist
aber auch die Auffassung, dass das blosse Vorliegen eines Urteils
den Mindesttatbestand für die Annahme einer Novation des ins Recht
gesetzten Anspruches begründe, keine willkürliche, und wäre es Sache des
Gläubiger-Z gewesen, durch Feststellung des kompetenten Gerichts des
Obergerichts, nicht der Kanzlei darzutun, dass das betreffende Urteil
im Kanton Zug nicht vollftreckbar sei und daher überhaupt der Wirkungen
einesI. Rechîsverweigerung. 3. Materielle. N° 52. 295

solchen Urteils entbehre. Selbstverständlich steht es ihm frei, in einer
neuen Betreibung das Versäumte nachzuholen.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen.

52. Entei! vom 13. Mai 1909 in Sachen Ysilîer gegen Hchaffneu

Stirrfiseehtiiehe Verfolgung wegen eines in einem andern Kanton angeblich
vernetzten Deliktes, in Bezug auf welches in eile-sein unsern Kan- ton
übrigens bereits ein free'spreckendes Urteil gegangen ist. -Dadurch,
begangene Verletzung mez weideutz'gm' gesetzt toner Bestimmemgen des
eigenen Kantons, wonach wegen eines ausserhalb des Kantons begangenen
Vergehen-e im Kanton keine strafrechtliche Verfolgung stattfinden
darf. Versuch, den offensichtlich gesetzwidrige-n Kompetenzentscheid
durch Herbee'ziehung von Tatsachen zu motivieren, welche teils erst
nach Erhebung der Strafanzeige sich ereignet haben, teils sogar erst
nach Erlass des angefochten-en Entscheiries vom Ste-afktäger allegiert
worden sind.

A.Jnfolge einer von der Synodalkommission der proteftantischen Kirche
des Kantons Freiburg gegen den Rekursbeklagten geführten Untersuchung
wurde die Rekurrentin am 24. August 1906 von den Delegierten der
Synodalkommission, Präsident Liechti und Pfarrer Denon, an ihrem damaligen
Wohnort Amsoldingen im Kanton Bern zu Protokoll einvernommen. Sie
deponierte in dieser Einvernahme, dass der Rekursbeklagte sie Ende Juli
oder Anfangs August 1905 ins Pfarrhaus in Kerzers habe rufen lassen und
ihr dort unsittliche Anträge gemacht und sie unfittlich habe betasten
wollen, welch letzteres thn aber wegen ihrer Abwehr nicht gelungen sei.

B. Nachdem der Rekursbeklagte von diesen Aussagen der Rekurrentin
Kenntnis erhalten hatte, reichte er am 24. September 1906 beim Oberamt
Murten folgende Strafklage ein: Der Unterzeichnete macht hiemit gegen
Louise Pfister, Friedrichs, von Kerzers wegen unwahrer verlenmderischer
Äusserungen eine Straf-

296 A. staatsrechtliciie Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

klage. Louise Pfister soll behauptet haben, ich hätte gegen sie im
Pfarrhaus zu Kerzers oder in Bern unmoralische Handlungen begehen wollen
und lege ich gegen diese unwahre Behauptung hiemit Strafklage ein. Wollen
Sie die weitern Schritte tun." Auf diese Klage antwortete die Rekurreutin
in der Einvernahme vor dem Oberamtmann von Murten vom 3. Oktober 1906:
Ich beharre auf den Aussagen, die ich in Gegenwart des Synodalpräsidenten
Herrn Liechti gemacht habe, nämlich dass Herr Schassner letztes Jahr im
Pfarrhause zu Kerzers mich zu unerlaubtem Umgang veranlassen wollte.

(E. Am 3. Oktober 1906 erhob der Rekursbeklagte wegen der erwähnten,
von der Reknrrentin in Amsoldingen gemachten Äusserungen beim
Regierungs-Statthalter in Thun Strafklagez die im Rechtsinittelweg
angerufene Polizeikammer des Appellationsund Kassationshofes des
Kantons Bern wies mit Urteil vom 11.Mai 1907 die Klage Schaffners ab
und verurteilte diesen. zu den Kosten.

D. -Am 12. Oktober 1906 klagte die Louise Pfister beim Oberamt des
Seebezirkes in Murten gegen Pfarrer Schaffner wegen Notzuchtsversuches
resp. Angriffs aus die Schamhaftigkeit. Wegen Verjährung wurde die
Überweisung dieser Strassache aus Gericht mit Beschluss vom 19.0ktober
1907 von der Anklagekammer des Kantons Freiburg abgelehnt.

E. In dem Eingangs erwähnten, am 24. September 1906 '

beim Oberamt von Murren angehobenen und nachher ans Zuchtgericht des
Seebezirks geleiteten, mit Rücksicht auf die andern Strafprozesse einige
Zeit siftierten Jnjurienprozesse des Rekursbeklagten Schaffner als Klägers
gegen die Louise Pfister als Beklagte machte die letztere geltend, die
Freiburger Gerichte seien unzuständig, weil die eingeklagten Äusserungen
von ihr in Amsoldingen im Kanton Bern gemacht worden seien und im Kanton
Bern eine gerichtliche Freisprechung erfolgt sei,was gemäss Gesetz und
der Übereinkunft zwischen den Kantonen Bern und Freiburg eine nochmalige
Beurteilung durch die Gerichte des Kantons Freiburg ausschliesse. Das
Zuchtgericht beschloss zuerst, es stehe nur der Anklagekammer zu, über
die Kompetenzsrage zu entscheiden. Die Anklagekammer erklärte aber mit
Entscheid vom 21. November 1908 diese Auffassung als rechtsirrtümlich und
wies die Sache ans Zuchtgericht Rechtsverweigerung. _ 3. Materielle. N°
52. 297

von Murren zurück. Am 15. Januar 1909 beschloss nun das Zuchtgericht in
Murten sich über die ihr anhängig gemachte Strafklage vom 24. September
1906 des Pfarrers Schaffner gegen Fräulein Louise Pfister als zuständiges
Gericht zu erfennen, mit der Begründung:

dass heute der Kläger Schafsner erkärt, dass die Tatsachen, die er
gegen Fräulein Louise Pfister als verleumderisch eingeklagt, m der durch
die heutige Beklagte gegen ihn eingereichten Strafklage angeführt und
behauptet sind, über welche die Anklagekammer die Einfteclung verfügt hat;

dass die von der Beklagten seiner Zeit eingelegte Klage wegen Vergehen
gegen die Sittlichkeit in diesem Bezirk anhängig gemcxcht, folglich hier
der Tatort des behaupteten Vergehens anzusehen is . si

F. Gegen diesen Kompetenzentscheid erhob die Rekurrentin Pfister
Beschwerde bei der Anklagekammer und beantragte vor dem Zuchtgericht
in Murten die Sistierung des Prozesses bis zur Erledigung dieser
Beschwerde Mit Entscheid vom 22. Januar 1909 wies das Zuchtgericht das
Sistierungsbegehren ab. Aus dem Tatbestande des Entscheides vom 22. Januar
1909 ist folgendes hervorzuheben: Aus die Jnterpellation des Vertreters
des Beklagten erklärt Herr Pfarrer Schaffner, er stütze seine Klage
auch auf die Aussagen in der Klage und darauf, der Vater der Beklagten
Louise Pfister habe die Aussagen seiner Tochter gegen den Pfarrer auch im
Bahnhofsrestaurant in Kerzers und in der Umgebung ausgestreut Er sagt,
dies sei schon vor der Einlage der Klage geschehen, beifiigend, es sei
gesagt worden, es wäre genügend, damit der Pfarrer Schafsner nicht mehr
auf die Kanzel steigen dürfe. Bezüglich der Klage in Thun erklärtHerr
Pfarrer Schaffner, dass er schon damals, als ihm die Synodalkommission
von Murten Mitteilung machte über die Aussage der Louise Psister vor
dieser Kommission, gesagt habe, er wolle gegen dieses Klage einlegen.

Zur Begründung der Abweisung des Sistierungsbegehrens bemerkt sodann
das Zuchtgericht:

Z. Dass dem vorerwähnten anidentalurteil (sc. vom 15. Jamm 1909)
hauptsächlich die sub Nr. 5 und 6 und 7 (sc.Nr.7

its 35 I 1909 20

298 A: Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

gibt die Kompetenzeinrede der Beklagten wieder) desselben angeszührten
Erwägungen zu Grunde liegen und dass heute Herr Pfarrer Schaffner diese
Begründungen noch bekraftigt, indem er beifügt, dass der Vater der
Beklagten Louise Pfister die Aussagen seiner Tochter über den Pfarrer
auch un Bahnhofrestanrani von Kerzers und in der Umgebung ausgestreut
habe und zwar schon vor der Einlage der gegenwartigen Klage ,

4. dass somit auch unter der Voraussetzung, dass die von Louise Pfisier
gemachten verleumderischen Aussagen _ teilweise im Kanton Bern behauptet
wurden, kein Zweifel besteht, dass dieses teilweise ausserhalb unseres
Kantons begangene Delikt "mit in unserm Gerichtsbezirk konneren Tatsachen
verbunden ist, nber welche Tatsachen noch keine Untersuchung stattgefunden
hat;

5. dass die Zuständigkeit des Zuchtgerichtes des Seebezirks liber: die ihm
anhängig gemachte Klage vom 24.September9190t) nunmehr eine abgeurteilte
Sache ist, die nur mehr auf dem Wege der Kassation angefochten werden
kann und m den durch Art. 491 StrPO vorgesehenen Fällen . .

G.Mit Eingabe vom B.,/4. Februar 1909 erhebt die Beklagte Louise
Psister gegen den Kompetenzentscheid des Zuchtgerichtes des Seebezirks
in Murren vom 15.Jannar 1909 die staats-rechtliche Beschwerde wegen
Rechtsverweigernng (Ar-1.4 BV und San-1.72 der bernischen Verfassung)
und wegen Verletzung derGarantie des verfassungsmässigen Nichters
(Art. 58
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
1    Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2    Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
3    Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18
BV, Art-o der freiburgischen und Art. 75 der bernischen
Kantonsverfafsung)szZur Begründung des Rekurses macht die Rekurrentin
im wesentlichen folgendes geltend: _

Gemäss Art. 294 und 407 des freiburgischen Strafgesetzbuches seien
Delikte gegen die Ehre nicht krimineller, sondern zuchtgerichtlicher
Natur. Das freiburgische Strafgesetzbuch finde, nach feinem Art. 3, aber
nur Anwendung auf Vergehen, die im Kanton Freiburg verübt worden seien,
und es sei die Anwendung auf Delikte, die Von Inländern ausserhalb
des Kantons begangen werden, nur hinsichtlich Verbrechen (nicht
Vergehen) zulässig Ebenso seien nach am. 7 der Strafprozessordnung
nur die aus dem Kantonsgebiet verübten Vergehen strafrechtlich
verfolgbar, wahrenddie Ausdehnung der Verfolgung auf ausserhalb des
KantonsgebietsI. Rechtsverweigemng. 3. Materielle. N° 52, 299

vorgenommene ftrafbare Handlungen sich auf Verbrechen beschränke.
Dementsprechend bestimme auch die zwischen den Kantonen Berti

und Freiburg am 11. Oktober 1895 abgeschlossene Konvention:

Les gouvernements des hauts cantons de Berne et de Fribourg admettent
comme for compétent des délits et des contraventîons le juge du
territoire où le délit a eu lieu (forum delicti). Nur in tvillkürlicher
Hinwegsetzung über die einschlägigen Bestimmungen habe sich deshalb das
Zuchtgericht in Bezug auf die Klage vom 24. September 1906 kompetent
erklären können. In Wirklichkeit habe nach dem Willen des Klägers die
Beklagte wegen der Amsoldinger Äusserungen zur Rechenschaft gezogen
werden sollen. Wenn es sich um eine auf freiburgischem Gebiete gefallene
mündliche Äusserung gehandelt hätte, würde Kläger nicht gezögert haben,
schon in seiner Klage darauf hinzuweisen, und würde demgemäss die Beklagte
nicht ausschliesslich über den Jnhalt ihrer Zeugenaussage befragt worden
sein. Der Kläger selbst sei in der Andienz vom 15. Januar 1909 nicht
in der Lage gewesen, eine andere der Beklagten auf freiburgischem Boden
zur Last fallende Handlung namhaft zu machen, als die in der Klage vom
12. Oktober 1906 liegende falsche Anzeige. Eine falsche Anzeige bilde
aber das Delikt des Art. 365 des Strafgesetzes des Kantons Freiburg,
das als Vergehen gegen die öffentliche Irene, nicht als Vergehen gegen
die Ehre erscheine. Es sei übrigens geradezu widersinnig, anzunehmen,
dass Schaffner mit seiner Klage vom 24. September 1908 die Falschheit
der Anzeige der erst 19 Tage später eingelegten Strasklage der Louise
Pfister im Auge gehabt habe. Nun wolle das Gericht seine Kompetenz
damit begründen, dass die in Amsoldingen gemachte Zeugenaussage auf
freiburgischem Boden verbreitet und die dem Schaffner zur Last gelegten
Handlungen in Kerzers begangen worden seien. Indessen habe Schaffner keine
Tatsache namhaft gemacht, aus der sich ergäbe, dass Louise Psister dem
tatsächlichen Inhalt der Klage in anderer Form als durch ihre Klage vom
12. Oktober 1906 auf freiburgischem Gebiete Ausdruck verliehen hatte. Es
kennzeichne sich demnach als Willkürakt, dass und wie das Gericht der
Klage einen andern Tatbestand unterschiebe.

Die in Frage stehende strasrechtliche Verfolgung wegen des an-

300 A. Staatsreciitliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

geblich verleumderischen Inhalts der Zeugenaussage verbiete sich
übrigens auch deshalb, weil über den Jnhalt dieser Aussage ern bernisches
Strafurteil vorliege; nach Art. 7 der freiburgischen Strafprozessordnung
falle nämlich die Bestrafung weg, wenn die auswärtigen Gerichte wegen
des Verbrechens schon ein in Rechtskraft erwachsenes Urteil gefällt haben.

Jn der willkürlichen Bejahung der Kompetenz durch das Zuchtgericht des
Seebezirks liege weiter ein Entng des verfassungsmässigen Richters,
und würden dadurch die Art. 58
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
1    Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2    Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
3    Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18
BV, Art. 5 der freiburgischen und 75 der
bernischen Verfassung verletzt.

H. -Der Kläger Schaffner macht in der Rekursvernehmlassung geltend:
Die Rekursbeschwerde gründe sich ausschliesslich auf die Annahme,
dass die in Murten am 24. September 1906 angehobene Klage die gleichen
Tatsachen ins Auge fasse wie die in Thun erhobene Klage. Diese Auffassung
sei vollständig unrichtig. Als Pfarrer Schaffner am 24. September 1906
in Murten Klage erhoben, habe er Gerüchte im Auge gehabt, die in der
Umgebung von (.hietres bestanden und deren Urheberschaft er, mit Recht
oder Unrecht, der Louise Pfister zuschrieb. Dafür sei Kläger Schaffner
beweispflichtig, und zwar auch hinsichtlich der Kenntnis dieser Tatsachen
vor dem 24. September 1906. Es sei ganz klar, dass das Gericht in Marien
sich mit der Antsoldinger Angelegenheit nicht befassen könne, mangels
örtlicher Zuständigkeit und wegen des im Kanton Bern darüber ergangenen
Urteils. Was die falsche Anzeige betreffe, welche die Louise Psister in
Marken wegen Notzuchtversuches resp. Angriffs auf die Schamhaftigkeit
erhob, so könne diese nach freiburgischem Recht höchstens eine Klage
wegen falscher Anzeige, nicht aber eine Jnjurienklage rechtfertigen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der vorliegende staatsrechtliche Rekurs richtet sich gegen einen
Erkass einer Gerichts-behörde des Kantons Freiburg; es ist somit
nur zu prüfen, ob die für das Verhalten dieser freiburgischen Behörde
verbindlichen Verfassungsbestimmungen Von ihr verletzt worden seien, also
die Bundesverfassung und die freiburgische Kantonsverfassung, während
die hernische Kantonsverfastng nicht zur Anwendung kommen Yann. Was nun
die als Beschwerdegrund geltend gemachte Verletzung der Garantie des
verfassungsmässigenl. Rechtsverweigerung. 3. Maierielle. N° 5). 301

Richters betrifft, so ist hier zu bemerken, dass durch die
verfassungsmässige Garantie des natürlichen Richters die kantoualen
Gesetzesnormen über die Zuständigkeit der Gerichte nicht zu
Verfassungsnormen, und die bezüglichen Rechte der Bürger nicht zu
verfassungsmässigen Rechten erhoben werden. Da es nun aber nicht in der
Aufgabe des Bundesgerichtes als staatsrechtlicher Beschwerdeinstanz
liegt, die richtige Anwendung des kantonalen Gesetzesrechtes durch
die kantonalen Behörden zu über-prüfen und zu garantieren, so kann es
sich hinsichtlich der gesetzlichen Zuständigkeitsnormen nur fragen,
ob dieselben in geradezu willkürlicher Weise missachtet worden seien,
weshalb im konkreten Falle dieser Beschwerdegrund materiell in demjenigen
der Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV aufgeht.

2. Sinn und Bedeutung der in Frage stehenden Kompetenznormen, des
Art. 3 des Strafgesetzes und des am. 7 des Strafprozessgesetzes des
Kantons Freiburg, sind nach ihrem Wortlaute klar und unbestritten:
ein ausserhalb des Kantons Freiburg verübtes Vergehen darf im Kanton
Freiburg nicht strafrechtlich verfolgt und das freiburgische Strafgesetz
darf nicht darauf angewendet werden. Unbestritten ist auch, dass das
Delikt der Verleumdung nach freiburgischem Rechte als Vergehen, nicht
als Verbrechen zu bezeichnen ist. Der Streit dreht sich daher lediglich
datum, ob die Annahme des Zuchtgerichtes, die Klage vom 24.September 1906
beziehe sich auf einen im Kanton Freiburg verwirklichten Tatbestand, eine
willkürliche sei. Nun ist nach den von Pfarrer Schasfner aufgestellten
Behauptungen seine Ehre durch drei örtlich verschiedene Äusserungen,
für welche die Beklagte verantwortlich sein soll, verletzt worden: durch
die Äusserungen der Beklagten selbst in Amfoldingen, ferner durch die
Erhebung der Strafklage wegen Notzuchtsversuches beziehungsweise wegen
Angriffes auf die Schamhaftigkeit, und endlich durch die Verbreitung der
Amsoldinger Äusserungen auf dem Gebiete des Kantons Freiburg durch den
Vater Pfister. Demgemäss kann die Klage, welche am 24. September 1906
angehoben isf, Ort und Zeit der Begehung der strafbaren Handlungen aber
nicht angibt, sich jedenfalls auf keinen andern Tatbestand beziehen.

3. Nun ist die Strafklage wegen Notzuchtoersuches von der Louise Pfister
erst nach dem 24. September 1906 angehoben

302 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

worden; die in dieser Anzeige liegende Ehrverletzung konnte die
Verleumdungsklage vom 24. September 1906 daher selbstverständlich
nicht im Auge haben. Es könnte sich nur fragen, ob im frei-
burgischen Strafprozessrecht entsprechend den Bestimmungen mancher
Zivilprozessrechte and; solche Tatumstände berücksichtigt werden dürfen,
die erst im Verlanfe des Prozesses eintreten. Jndessen fällt eine
solche Ergänzung des Klagefundamentes deshalb ausser Betracht, weil
die Parteien im staatsrechtlichen Rekursverfahren darüber einig sind,
dass nach dem freiburgischen Strafgesetz die Erhebung einer falschen
Strafanzeige nur als falsche Anzeige, nicht als Verleumdung strafbar
sei. Wird vom Rekursbeklagten selbst nicht daran festgehalten, dass
die Verleumdungsklage sich auf die Strafanzeige wegen Notzuchtsversuches
beziehe, und erscheint die Verfolgung der falschen Anzeige als Verleumdung
zudem als rechtlich unzulässig, so wäre es willkürlich, wenn der Richter
diesen Tatbestand der" Klage vom 24. September 1906 zu Grunde gelegt
hätte.

4.Aber auch die Verbreitung der Amfoldinger Äusserungen im Kanten
Freiburg, welche nach der Behauptung des Pfarrers Schasfner in der
Rekursbeantwortung schon vor dem 24· September 1906 stattgefunden haben
foll, kann der Verleumdungsklage nicht zum Klagefundament dienen, und
zwar deshalb nicht, weil der Kläger vor dem Erlass des angefochtenen
Urteils vom 15. Januar 1909 diese Tatsache gar nicht behauptet hat. Das
ergeben die Gericht-Falten welche bis und mit dem 15. Januar 1909 diese
Behauptung nicht enthalten, und die Erwägung 3 des Siftierungsentscheides
vom 22. Januar 1909, worin gesagt ist, dass Pfarrer Schaffner heute",
am 22.Januar, also nach dem Kompetenzentscheid vom 15. Januar 1909,
die frühere Begründung bekräftige, indem er beifüge, dass der Vater
der Beklagien Louise Pfister ihre verleumderischen Aussagen auch im
Bahnhofrestaurant in Kerzers und in deren Umgebung ausgestreut habe. Eine
Berücksichtigung von Tatsachen, welche erst nach Erlass des betreffenden
Urteils als Klagefundament geltend gemacht werden, ist aber mit einem
prozessualen Verfahren schlechthin uuvereinbar. Diese vom Kläger Schaffner
behauptete neue Tatsache hätte vom Gericht daher höchstens dann gewürdigt
wer-1. Rechtsverweigerung. 3. Materielle. N° 52. 303

den können, wenn es ihm freigestanden hätte, auf den Kompetenzentscheid
vom 15. Januar 1909 zurückzukommen, ihn aufzuheben und durch einen
neuen, mit andern Tatsachen begründeten, zu ersetzen; nun sagt aber das
Zuchtgericht in der Erwägung 5 des Sifiierungsenischeides vom 22. Januar
1909, dass die Zusiändigkeitsfrage eine abgeurteilte Sache sei, die nur
auf dem Wege der Kassation angefochten werden könne: damit ist aber
die Verwendung der erst nach dem Erlass des Kompetenzentscheides vom
15. Januar 1909 aufgestellten Behauptung als Klagefundament ausgeschlossen
Übrigens kann auch die Erwägung, dass die Tochter Louise Pfister wegen
der dem Vater Pfister zugeschriebenen Verbreitung der ehrenrührigen
Behauptungen strasrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden soll,
kaum ernst genommen werden; die Behauptung, dass die Tochter selbst das
Gerücht verbreitet habe, ist aber vom Kläger erst im staatsrechtlichen
Rekursverfahren aufgestellt worden.

5. Kann sich die Klage sonach nur auf die in Amsoldingen, im Kanton Bern,
aufgestellten Äusserungen der Beklagten beziehen, so steht die Bejahung
der Kompetenz des Zuchtgerichtes in Murten in offenbarem Widerspruch mit
den Kompetenzbeftimmungen des am. 3 des Strafgesetz-es und des Art. 7 des
Strafprozessgesetzes: sie verletzt die örtliche Kompetenzausscheidung und
den Grundsatz, dass die vom kompetenten Richter rechtskräftig beurteilte
Strafsache nicht neuerdings zum Gegenstand eines Strafverfahrens
gemacht werden darf. Mangels einer irgendwie haltbaren Erklärung für die
Bejahnng der Kompetenz drängt sich daher die Überzeugung auf, es habe
das Zuchtgericht bei Erlass des angefochtenen Urteils sich Von andern
als sachlichen Erwägungen leiten lassen, und es hält sein Entscheid
daher vor Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV nicht stand.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs ist geschützt und der
Kompetenzentscheid des Zuchtgerichtes des Seebezirks des Kantons Freiburg
vom 16. Januar 1909 aufgehoben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 35 I 295
Datum : 13. Mai 1909
Publiziert : 31. Dezember 1909
Quelle : Bundesgericht
Status : 35 I 295
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 294 A. staats-rechtliche Entscheidungen. I. Absehmtt. Bundesverfassung. Frage sich


Gesetzesregister
BV: 4 
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
58
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
1    Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.
2    Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
3    Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18
SchKG: 82
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 82 - 1 Beruht die Forderung auf einer durch öffentliche Urkunde festgestellten oder durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung, so kann der Gläubiger die provisorische Rechtsöffnung verlangen.
1    Beruht die Forderung auf einer durch öffentliche Urkunde festgestellten oder durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung, so kann der Gläubiger die provisorische Rechtsöffnung verlangen.
2    Der Richter spricht dieselbe aus, sofern der Betriebene nicht Einwendungen, welche die Schuldanerkennung entkräften, sofort glaubhaft macht.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • murten • bundesverfassung • ausserhalb • vater • frage • anklagekammer • bundesgericht • weiler • ehre • strafanzeige • pfarrhaus • wiese • thun • kenntnis • strafprozess • verfassung • strafgesetzbuch • provisorische rechtsöffnung • beschwerdegrund
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