150 A. Staatsrechiliche
Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

V. Gemeindeund. Korporationswesen. Communes et corporations.

25. "gettati vom 17. Februar 1909 in Sachen Yurgergemeinde Ellen-engen
gesen Regierungsrat des Franken-azera.

Verpflicätung eine? Burgm-gemeinde zmLeistung von Beiträgen an die
örtliche Afflwnpflege. Angeblicher Loskauf non ersten Ae-menlastm.
Angebliche Versetzung der Verfassungsbeste'mmung, wonach den
Gemeinden.,Burger-schaften und übrigen Korporationen ihr Vermögen
a-Zs Privateigentum gewdhrleistezî und die bisherigen Leistungen der
Burgerschaften mad der bee-mediche Korporationen an die Armenpflege
ihrer Angehörigen dem. Grundsatze nach beibehalten werden. Angebliche
Versetzung einer Verfass-ungsbest a'mm-zmg,wonach die Armenpflege Sacke
der Einwohnergemeimäen sei. Angeblicher Eingriff in wohlerworbene Rechte
der Rele-amenti", wobei jedoch die Existenz dieser wohlerworbenen Rechte
vom obersten Verwaltueegsriehter (Regierungsrat) verneint wurde.

A. Nach § 24 des bernischen Gesetzes über das Armenund
Niederlassungswesen, vom 28. November 1897, sind beitragspflichtig an
die Kosten ihrer aus die Etats der dauernd unterstützten Kinder und
Erwachsenen aufgenommenen Angehörigen die Nutzungsgtiter derjenigen
Burgergemeinden, welche entweder 1. vor Inkrafttreten des obigen Gesetzes
zur örtlichen Armenpflege übergeireten sind; oder 2. nach Inkrafttreten
desselben zur örtlichen Armenpflege übertreten oder zum Übertritt
verhalten werden .

Ausgenommen sind hievon die sogen. gemischten Gemeinden, sowie
diejenigen bürgerlichen Nutzungsforporationen, deren Nutzung infolge
reglementarischer Bestimmung nicht allen, sondern nur den ärmern Bürgern
zukommt.

Nach § 25 desselben Gesetzes werden die Beiträge in der Weise berechnet,
dass der Zins der laut Grundstenerregister und Gemeinderechnung
vorhandenen Burgergüter, zu 4 % gerechnet, durch die Zahl sämtlicher nach
der jeweiligen letzten eidgenössischenV. Gemeindeund Korporationswesen. N°
25. 151

Volkszählnng in der Gemeinde wohnenden Bürger geteilt wird. Das Ergebnis
ist das von der Verwaltungsbehörde des Burgergutes für jede burgerliche,
auf dem Etat der dauernd Unterstützten stehende Person an die verpflegende
Armenbehörde auszurichtende Betressnis. Bruchteile von Franken werden
für einen ganzen Franken gerechnet.

Nach § 19 können solchen Burgergemeinden, die vor Inkrafttreten des
Gesetzes eine burgerliche Armenverwaltung führten, dieselbe neben der
örtlichen der Einwohnergemeinde auch fernerhin beibehalten, wenn sie den
Nachweis leisten, dass sie ihre sämtlichen in: und auswärts wohnenden
Armen auch fernerhin hinlänglich zu unterstützen vermögen

B. Jnfolge der Weigerung der Rekurrentin, an die Kosten ihrer dauernd
unterstützten Angehörigen die nach § 25 des Armengesetzes berechneten
Beiträge zu leisten, erkannte der Regierungsstatthalter des Bezirkes
Oberhasle am 15. Mai 1908:

1. Die Burgergemeinde Meiringen bezw. deren Nutzungsgut wird gemäss §
24 ff. des Gesetzes über das Armenwesen an die Kosten ihrer auf die
Etats der dauernd unterstützten Kinder und Erwachsenen aufgenommenen
Angehörigen vom Jahre 1908 hinweg als beitragspflichtig erklärt.

2 Der zu leistende Burgergutsbeitrag wird aus 4 Fr. festgesetzt.

3. Die Burgergemeinde Meiringen hat die durch dieses Verfahren
entstandenen 17 Fr. 60 Ets. betragenden Kosten des Staates zu tragen.

Gegen diesen vom Regierungsrat des Kantons Bern und von der Rekurrentin
als Urteil bezw. Administrativurteil bezeichneten Entscheid ergriff die
Burgergemeinde Meiringen gemäss den Bestimmungen des Gesetzes vom 20. März
1854 über das Verfahren in Streitigkeiten über öffentliche Leistungen
den Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Bern, mit den Anträgen:

1. Das Nutzungsgut der Burgergemeinde Meiringen ist nicht verpflichtet,
gemäss § 24 ff. des Gesetzes über das Armenwesen an die Kosten ihrer aus
die Etats der dauernd unterstützten Kinder und Erwachsenen aufgenommenen
Angehörigen vom Jahre 1908 hinweg beizutragen

152 A. Staatsreehtliche
Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsveriassungen.

2. Die Dispositive Biff. 1 3 des Entscheides des Regierungsftatthalters
von Oberhasle d. d, 15. Mai 1908 sind aufgehoben.

Z. Der Staat hat die ergangenen Kosten, sowohl die eigenen, wie diejenigen
der Rekurrentin, Burgergemeinde Meiringen, zu tragen.

Diese Anträge wurden laut dem sub c hienach erwähnten Entscheide des
Regierungsrates im wesentlichen begründet wie folgt:

a) Die Burgergemeinde Meiringen sei nicht zur örtlichen Armenpflege
übergegangen

b) Durch Ausscheidttngsverträge vom 15, März 1838 und Z. und 4. Juni
1861 und 10. September 1864 habe sich die Burgergerneinde Meiringen
von jeder Leistungspslichi an die Einwohnergenteinde losgekauft. Diese
Verträge seien bis heute geachtet worden. Unter der Herrschaft des
Armengesetzes vom 1.Juli 1857 sei die Burgergemeinde Meiringen nie zu
Beiträgen angehalten worden. Und doch habe § 16 des angeführten Gesetzes
das bewegliche und unbewegliche Vermögen der burgerlichen Korporationen
beitragspflichtig erklärt für Angehörige ohne Burgernutzung, die in
irgend einer Gemeinde als Notarme verpflegt werden.

c) Die Staatsverfassung, Art. 68, gewährleiste den Bürgergemeinden ihr
Vermögen als Privateigentum Sie verpflichte in Absatz 2 des angeführten
Artikels die Burgergemeinden nur zu den bisherigen Leistungen an die
Armenpflege Die Rekurrentin habe aber seit den Ansscheidungsverträgen nie
etwas an die Armenpflege geleistet. Ferner stelle die Staatsverfassung,
Art. 91, den Grundsatz auf, dass die Armenpflege gemeinschaftliche
Aufgabe der organisierten freiwilligen Tätigkeit, der Gemeinden und des
Staates sei. Unter dem Ausdruck Gemeinden seien nur die Einwohnergemeinden
verstanden. Auch aus diesem Artikel ergebe sich, dass die Burgergemeinden
von den Aufgaben der Armenpflege entbunden seien, soweit nicht Art. 68,
Abs. 2, zutreffe.

C. Durch Administrativurteil vom 12· September 1908 hat der Regierungsrat
des Kantons Bern obigen Entscheid des Regierungsstatthalters von Qberhasle
bestätigt, mit wesentlich folgender Begründung: Unter dem Übertritt
einer Burgergetneinde zu der örtlichen Armenpflege sei zuverstehen,
dass die But-gergemeinde aufgegeben hat, ihre armen Angehörigen zu
unterstützen,V. Gcmeindeund Korporaiionswesen. N° 25. 15,3

wo sie sein mögen, sondern die Armenpflege nun denjenigen
Einwohnergemeinden uberlässt, auf deren Gebiet die Burger Wohnsitz
haben. Dass die Burgergemeinde Meiringen diesen Übergang bereits vor
langen Jahren vollzogen habe, sei offenkundig und ergebe sich überdies
aus folgendem Passus der Rekursschrift:

Im Gegensatz zu den unbewiefenen Behauptungen des Regierungsstatthalters
von Oberhasle stellt die Burgergemeinde fest, dass sie seit dem
Ausscheidungsvertrag zwischen der Burgergemeinde d. d. 15. März 1838
überhaupt keine Armenpflege mehr besitzt

Demnach sei die Burgergemeinde Meiringen grundsätzlich beitragspflichtig;
denn die in § 24 Abs. 2 des Armengesetzes vorgesehene Ausnahme treffe
nach den Feststellungen des Regierungsstatthalters nicht zu, wie
die Rekurrentin übrigens stillschweigend anerkenne. Streng genommen
sei hiermit die Unbegründetheit des Rekurses bereits dargetanz denn
der Regierungsrat dürfe nicht untersuchen, ob Verträge zwischen der
Burgergemeinde und der Einwohnergemeinde etwas anderes festsetzen, da
das Gesetz einederartige Befreiung nicht vorsehe; ebensowenig dürfe der
Regierungsrat prüfen, ob die Verfassung dem Gesetz entgegenstehe; er sei
an das Gesetz gebunden ohne Rücksicht auf dessen Verfassungsmässigkeit.
Immerhin sei folgendes beizufügen: Die Armenpflege sei eine öffentliche
Aufgabe des Gemeinwesens. Im Gebiete desöffentlichen Rechtes könne aber
jederzeit der Rechtszustand durch Gesetz verändert werden, ohne dass
frühere Verträge gegen das neugeschaffene Recht aufzukommen vermöchten
Eine öffentlich-rechtliche Leistungspslicht könne weder durch Verzicht
noch durch Verjährung Untergeben. Der Umstand, dass bis anhin von
der Burgergemeinde Meiringen Beiträge nicht gefordert wurden, sei
Unerheblich Dass die Burgergemeinde Meiringen sich von jeder Leistung
losgekauft habe, sei nicht richtig; dies schon deshalb nicht, weil
beim Abschluss der Ausscheidungsverträge eine Mitwirkung der andern
Einwohnergemeinden nicht stattgefunden habe. Aber auch im Verhaunis
zwischen Burgergemeinde und Einwohnergemeinde habe ein Loskauf nicht
stattgefunden Durch den Ausscheidungsvertrag von 1888 sei nichts weiter
bewirkt worden, als der Ubergang des Armenguts der Burgergemeinde auf die
Einwohnergemeinde. Später, als sich allgemein erwiesen habe, dass die Ein-

154 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

wohnergetneinden nicht genügend mit Stammvermögen ausgestattet
worden waren, seien vielerorts zwischen den Burgergemeinden und den
Einwohnergemeinden neue Ausscheidungsverträge abgeschlossen worden. So in
Meiringen in den Jahren 1861 1864. Dadurch seien aber nur die Stammgüter
definitiv verteilt worden; über gegenwärtige oder zukünftige gesetzliche
Beiträge an die Armenpflege sei damals nichts bestimmt worden. Ziff. 3
des Vertragseinganges laute allerdings-: soll die Burgergeineinde von
Inkrafttretung dieses Vertrages an von allen obigen Beiträgen und Lasten
und sonstigen auf ihren Gütern lastenden örtlichen Verpflichtungen
gänzlich befreit sein"; unter jenen obigen Beiträgen seien aber solche
an die Armenpflege nicht angeführt Aus den Ausscheidung-sverträgen
könne somit ein Befreiungsgrund nicht hergeleitet werden. -- Art. 91 der
Kantonsverfassung könne die von der Rekurrentin behauptete Tragweite schon
deshalb nicht haben, weil sonst die Tätigkeit einer ganz erheblichen
Anzahl bernischer Burgergemeinden, welche die Armenpflege für ihre
Angehörigen selbst besorgen, verfassungswidrig ware. Art. 68 sodann
bestimme nicht, dass von den Burgergetneinden nicht mehr Verlangt werden
dürfe,als bisher, sondern nur, dass von ihnen grundsätzlich mindestens
soviel verlangt werden könne, als sie bisher leisten-n Da im übrigen das
Mass der Beiträge nicht beanstandet werde, so sei der Rekurs abzuweisen
und der Entscheid des Regierungsstatthalters zu bestätigen.

D. Gegen dieses Administrativurteil hat die Burgergemeinde Meiringen
rechtzeitig den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen
mit den Anträgen:

1. Es sei der Rekurs gutzuheissen.

2. Es sei der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern
d. d. 12. September/1. Oktober 1908 in allen Teilen aufzuheben.

Z. Es sei mithin das Nutzungsgut der Burgergemeinde Meirjngen als nicht
verpflichtet zu erklären, gemäss § 24 ff. des Gesetzes Über das Armenwesen
an die Kosten ihrer aus die Etats der dauernd unterstützten Kinder und
Erwachsenen aufgenommenen Angehörigen vom Jahre 1908 hinweg beizutragen.

Die Begründung dieser Anträge ist aus den Erwägungen 2 5 hienach
ersichtlichV. Gemeindeund Korporationswesen. N° 25. 135

E. Der Regierungsrat des Kantons Bern hat in seiner Vernehmlassung
Abweisuug des Rekurses beantragt und diesen Antrag eingehend begründet,
insbesondere die Entwicklung des bernischen Armenwesens und das Verhältnis
zwischen Vurgerund Einwohnergemeinden geschichtlich dargestellt

Aus dieser Darstellung sind folgende Punkte hervorzuheben:

Bis zum Jahre 1831 habe es im alten Teil des Kantons weder
Einwohnergemeinden, noch eine örtliche Armenpflege gegehen. Erst durch
die Verfassung vom 8. Juli 1831 und das Gesetz vom 20. Dezember 1833 über
die Organisation und die Geschäftsführung der Gemeindebehörden sei die
Möglichkeit der Bildung von Einwohnergemeinden geschaffen worden. Darauf
sei am 19. März 1834 vom Grossen Rate die Teilung der Landschast Oberhasle
(welche bis dahin eine einzige grosse Burgergemeinde gebildet hatte) in
6 Burgerund 6 Einwohnergemeinden beschlossen worden. Über die dadurch
nötig gewordene Verteilung habe der Regierungsrat am 13. Januar 1836
folgende Grundsätze ausgestellt: Das sämtliche der Landschast Oberhasle
gehörende Vermögen soll nicht länger unverteilt bleiben, sondern in
seinem Kapitalbestande auf die 6 Gemeinden verteilt werden, und zwar

a.) das Einwohnergemeindegut nach Verhältnis der Kopfzahl der Einwohner,
und

b) das Burgergut, mit Inbegriff aller Armengäter, nach Verhältnis der
Kopszahl der Burger.

Diesem Grundsätze entsprechend sei sodann ein Teilungsreglement erlassen
worden, wonach zu verstehen sei:

a) Unter dem Einwohnergemeindegut: das Schulgut;

b) unter dem Burgergut mit Inbegriff aller Armengüter: das gegenwärtig
von einem Landseckelmeister verwaltende Vermögen, denne das Bergwerkund
Militärund das Armenund Siechengut.

Über die zukünftige Armenunterhaltungspslicht sei bestimmt worden: ss

gebe Gemeinde soll ihre eigenen burgerlicheu Armen nach Gesetzesvorschrift
selbst unterhalten ohne wegen mehrerer oder minderer Last von andern
Gemeinden eine Entschädignng zu beziehen noch eine solche zu bezahlen.

Diese Bestimmung habe nur bedeuten können, dass keine Burger:

156 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. W. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

gemeinde wegen der Armen etwas von einer andern Burgergemeinde zu fordern
habe; an die Einwohnergemeindeu habe nicht gedacht werden können, weil
sie bei der Armenpflege gänzlich ausser Betracht fielen. In den Jahren
1837 und 1838 sei nun die Teilung des landschaftlichen Vermögens unter
die 6 Burger: und die 8 Einwohnergemeinden durchgeführt worden. Durch die
Verträge vom Maimarkt 1837 und vom 25. April 1838 sei das Armengut den
Burgergemeinden zugeschieden worden, weil nachder damaligen Rechtslage
ihnen die Armenpflege ihrer Burger obgelegen habe. Es scheine nun
allerdings am 15. März 1838 zwischen der Burgergemeinde und der
Einwohnergemeinde Meiringen noch ein besonderer Ausscheidungsvertrag
abgeschlossen worden zu sein, bei welchem jedoch der Regierungsrat nicht
mitgewirkt habe. Von da an sei in Meiringen das Armengut zwar von der
Einwohnergemeinde verwaltet, aber zunächst ausschliesslich zur Pflege der
armen Burger verwendet worden. In der Entwicklung, die sich von 1838 bis
1864 Vollzogen habe, sei der Übergang der Burgergemeinde Meiringen zur
örtlichen Armenpflege zu finden. In diese Zeit falle auch das Armengesetz
vom 1.Juli 1857, welches die gesamte Armenpflege den Einwohnergemeinden
auferlegt, anderseits aber Beiträge der Burgergiiter, nicht nur der
Armengüter, eingeführt babe. Was den Ausscheidung-satt von 1861/1864
betreffe, so sei derselbe deshalb nötig gewesen, weil sich in Meiringen,
wie auch anderswo, ergeben habe, dass bei der frühern Ausscheidung
grosse Stammgiiter der Burgergemeinde zugeteilt worden waren, welche
ihrer Zweckbestimmung nach eigentlich der Einwohnergemeinde gehört hätten.

F. Bei den Akten befindet sich u. a. der mehrerwähnte Ausscheidungsvertrag
von 1861/1864 mit regierungsrätlicher Genehmigung vom 9. November
1864. Aus demselben sind folgende Stellen hervorzuheben:

Ziffer 1 der Eingangsbestimmnngen:

. ergibt sich:

a,) Hat die Burgergemeinde, das Burgerrechtseinkaufsgeld des Herrn
Professor Kohler in Bern von 1000 Fr bezogen das der Einwohnergemeinde
herauszugeben ist mit . . Fr. 1,000 .

b) Leistete die Burgergemeinde, an Schultehrerbesoldungsbei-VGemeindeund
Korporatiouswesen. N° 25. 157

trägen, jährlich eine Summe von 122 Fr. 93 Cis Für das entsprechende
Kapital à, 40/0 berechnet, war die Einwohnergemeinde

·zu entschadigen mit . . . . ..Fr 3,073 25

e) Hat die Burgergemeiude nacb alter Übung, für Schiller-amerigelder
an die Kinder, in den Ortsschulen Beitrage geliefert, welche die
letzten Jahre durchschnittlich auf 50 Fr. das Jahr sich beliefen. Das
entsprechende Kapital 'à 40/0 berechnet, also der fünfundszwanzigfache
Belan derselben, ist der Einwohnergemeinde, zu Handen dem Schulgut
auszurichten mit . . . . Fr. 1,250 .

d) Leistete die Burgergemeinde im Jahre 1858 einen Beitrag an
die Nähschule Meiringen von 40 Fr., was auf die letzten fünf Jahre
verteilt, durchschnittlich auf das Jahr 8 Fr. bringt. Auch hiefür ist
das entsprechende Kapital nach 40/O berechnet, zu Handen dem Schulgut
der Einwohnergemeinde auszurichten mit. . ..Fr 200 --

e) Da endlich das zu seiner Zeit, in der landschaftlichen Teilung der
Burgergemeindc Meiringen zugeteilte Vermögen, teilsweise zugleich einen
munizipalen Charakter, mithin eine gemischt-.Natur an sich getragen
hatte, indem dasselbe schon seiner Entstehung, und nrsprünglicheu, oder
später gegebenen Zweckbestimmung gemäss, keineswegs zu Nutzungen, oder
andern persönlichen Vorteilen, der einzelnen Landleute, sondern wenn
nicht ausschliesslich, doch grösstenteils zu Bestreitung allgemeiner
landschaftliche-, oder nach heutiger Bezeichnung örtlicher Ausgaben,
der verschiedensten Art diente, so ist aus diesem Vermögen nach dem
obenangeführten Entscheid des Regierungsrat-s ein entsprechendes Kapital
der Einwohnergemeinde von der Burgergemeinde herauszugeben und zwar in
den Summen, wie sie in diesem Entscheid sich befinden.

Ziffer 2: Ist bisher die Unterhaltung des obern Mühlebachbrückleins
zu Stein-, der Bürgergemeinde abgelegen. Diese rein örtliebe Pflicht,
soll nun von der Einwohnergemeinde ertragen werden.

Ziffer 3: Soll die Bürgergemeinde von Jnkrafttretung dieses Vertrages an,
von allen obigen Beiträgen und Lasten, und sonstigen auf ihren Gütern
lastenden örtlichen Verpflichtungen gänzlich befreit sein. Dagegen aber
in Vollziehung des mehrerwähnten regierungsrätlichen Entscheides an die
Einwohnergemeinde leisten:

a) Zu Spandau des Schulguts, eine Dotationssumme, in allem zusammen,
von. . .Fr 35, 000 --

158 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

b) Zu Handen des allgemeinen Ortsguts, eine Dotation, von
. . . . . . . . Fr. 20,000 _. Ziffer 2 der Schlussbestimmungen:

Erklären die Einwohnerund die Burgergemeinde Meiringen, durch die
Aufstellung und Feststellung der obigen Etats, sich jeder gegenseitigen
fernem Pflichten enthoben,und nichts weiteres mehr an einander zu
reklainieren haben, als was dieser Vertrag selbst stipuliert.

Der Ausscheidungsvertrag vom 25. April 1838 konnte von keiner Partei
produziert werden

Gr. Die einschlägigen Bestimmungen der bernischen Verfassung vom 4. April
1893 lauten:

Art. 68. Den Gemeinden, Burgerschaften und übrigen Korporationen ist ihr
Vermögen als Privateigentum gewährleistet Ihnen steht ausschliesslich
die Verwaltung desselben zu.

Der Ertragldieses Vermögens wird ferner seiner Bestimmung gemäss
verwendet. Die bisherigen Leistungen der Burgerschaften und der
bürgerlichen Korporationen an die Armenpflege ihrer Angehörigen werden
dem Grundsatze nach beibehalten.

Alle Korporationsgüter stehen unter der Oberaufsicht des Staates.

Art. Il. Die öffentliche Armenpflege ist gemeinschaftliche Aufgabe der
organisierten freiwilligen Tätigkeit, der Gemeinden und des Staates.

Der Staat wird für möglichste Beseitigung der Ursachen der Verarmung, für
Ausgleichung der Armenlast und für die Entlastung der Gemeinden sorgen.

Soweit die aus den ordentlichen Einnahmen des Staates für das Armenwesen
verwendbaren Mittel nicht genügen, kann behufs Deckung der Mehrausgaben
eine besondere Armensteuer bis zu einem Viertel der direkten Staatssteuer
erhoben werden.

Die Ausführung dieser Grundsätze und die Ordnung der Armenpflege ist Sache
der Gesetzgebung Das Gesetz kann die Erhebung der besondern Armensteuer
in die Kompetenz des Grossen Rates stellen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Zunächst ist in formeller Beziehung zu bemerken, dass dem dritten
Rekursbegehren (vergl. oben Fakt. D) jedenfalls schon deshalb feine
Folge gegeben werden kann, weil das BundesgerichtV. Gemeindeund
Korporationswesen. N° 25. 159

nicht in der Lage ist, über die daselbst aufgeworfene Frage des
kantonalen Verwaltungsrechtes einen materiellen Entscheid zu treffen,
sondern im Falle einer Verfassungsverletzung lediglich kompetent wäre,
den angefochtenen Entscheid des Regierungsrates aufzuheben.

2. Die grundsätzliche Interpretation von § 24 Ziff. 1 des kantonalen
Armengesetzes durch den Regierungsrat wird von der Rekurrentin
nicht angefochten Darnach sind die Bedingungen des Ubertrittes einer
Burgergemeinde zur örtlichen Armenpflege dahin zu verstehen, dass die
Burgergemeinde aufgehört hat, ihre armen Angehörigen zu unterstützen, wo
sie sein mögen, sondern die Armenpflege nun denjenigen Einwohnergemeinden
überlässt, auf deren Gebiet die Burger Wohnsitz haben. Der Übertritt
einer Burgergemeinde zur örtlichen Armenpflege setzt also nicht voraus,
dass die Burgergemeinde die örtliche Armenpflege selber ausübe, sondern
nur, dass sie die burgerliche Armenpflege nicht mehr ausübe.

Trotzdem nun die Rekurrentin zugibt, dass sie schon seit vielen Jahren
aufgehört hat, ihre armen Angehörigen zu unterstützen, bestreitet
sie doch, dass die zitierte Gesetzesbeftimmung auf sie, Rekurrentin,
anwendbar sei; denn, führt sie aus da sie schon seit dem Jahre 1838 keine
Armenpflege mehr besessen habe, so habe sie auch seither zu keinem andern
Systeme übergehen können; da ferner die örtliche Armenpflege erst im Jahre
1857 eingeführt worden sei, so könne sich s 24 Biff. 1 des Armengesetzes
von 1897 doch offenbar nur auf solche Burgergemeindeu beziehen, welche
nach 1857 zur örtlichen Armenpflege übergegangen seien, nicht aber auch
auf solche, die ihr Armemoesen schon lange vor 1857 abgegeben hatten und
aus diesem Grunde tatsächlich nicht übergehen konnten-( Die Anwendung der
zitterten Gefetzesbestimmung auf die Rekurrentin sei somit willkürlich
und stelle sich als eine materielle Rechtsverweigerung dar.

Hier ist zunächst zu bemerken, dass, wie der Regierungsrat mit Recht
hervorhebt, § 24 Biff. 1 des kantonalen Armengesetzes für den Ubertritt
zur örtlichen Armenpflege, auf den daselbst abgestellt wird, nach
rückwärts keine zeitliche Grenze setzt, und dass daher nicht untersucht
zu werden brauchte, ob die Rekurrentin nach oder vor 1857 zur örtlichen
Armenpflege übergetreten

160 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

' ondern nur, ob dieser Übertritt vor Inkrafttreten-des Bisses-es von
1897, bezw. ob er überhaupt (ber-91.5 24 ggf.?) stattgefunden habe. Diese
Frage konnte aber jedenfalls ohne-Willkür bejaht werben. Denn es war
gewiss die Annahme naheliegend, das Gesetz habe die Beitragspflicht
der Btirgergemeinden nicht davon abhängig machen wollen, dass sie die
ortltche Armenpflege ausüben, sondern davon, dass sie die burgerlivche
Armenpflege nicht ausüben. Andernfalls würde ja das Gesetz gerade
denjenigen Burgergemeinden neue Pflichten auferlegen, welche schon sonst
Armenlasten zu tragen haben, dagegen diejenigen Burgergemeinden befreien,
welche bisher an die Armenunterstutznng nichts leisteten. Es ist aber
flat, dass dies nicht der Sinn des Gesetzes sein farm, sondern dass der
Grundgedanke desselben der ist: es seien alle Burgergemeinden in dieser
oder jener Form zu Leistungen an die Armenpflege oerpflichtetzberuhe
die Armenpflege noch auf dem Heimatprinzip," und werde sie daher von
der Burgergenietnde besorgt, so könne dieses System beibehalten werben,
sofern seine Gewähr für ausreichende Unterstützungsfähigkeit gegebensei
(§·t9); beruhe die Armenpflege dagegen auf dem Territorialitatsprinzip,
und sei sie infolgedessen auf die Einwohnergemeinde ubergegangen, so
sei die Burgergeineinde beitragspflichtig. '

Die dem § 24 des kantonalen Armengesetzes vom Regierungsrat des
Kantons Berti gegebene Auslegung erscheint somit jeden' s ni t als
willkürlich Talli. Dcihe Rekurrentin behauptet sodann, sie habe sich
durch Verträge, welche sie mit der Einwohnergetneinde abgeschlossen,
fur immer von jeglichen Armenlasten losgekauft. Ein erster Loskauf
habe im Jahre 1838 stattgefunden, da sie damals ihr gesamtes Armengut
der Einwohnergemeinde abgetreten habe. Obwohl schon diese Abtretung
des Armengutes naturgemäss den Ubergang der Armenlasten auf die
Einwohnergemeinde zur Folge gehabt habe, so habe dann im Jahre 1864
doch nochmals eine Ausscheidung stattgefunden, gemäss welcher sie der
Einwohnergemeiiide weitere Kapitalien im Betrage von 55,000 Fr. abgetreten
habe, mit der ausdrücklichen Bestimmung, dass ste, Rekurrentin, dadurch
von allen Beiträgen, Lasten und sonstigen aus ihren Gutern lastenden
örtlichen Verpflichtungen gänzlich befrext sein solle; die Ar-

menpflege gehöre aber zweifellos zu den örtlichen
VerpflichtungeniizV. Gemeindeund Korporationswesen. N° 25. 161

es hätten sich denn auch in Art. 2 der Schlussbestimmungen jenes
Aiisscheidnngsaktes die Einwohnerund die Burgergemeinde ausdrücklich
jeder gegenseitigen fernern Pflichten enthoben. Wenn der Regierungsrat in
seinem Entscheid erkläre, im Gebiete des öffentliches Rechtes könne der
bestehende Rechtszustand jederzeit durch Gesetz verändert werden, so könne
sich die Rekiirrentin demsgegeiiüber auf Art. 68 der Kaiitonsverfassung
berufen, welcher den Burgerschaften, d. h. den Burgergemeinden, ihr
Vermögen als Privateigentum garantiere und dieselben nur zur Leistung

Ihrer bisherigen Beiträge an die Armenpflege verpflichte. Dieser

durch die Verfassung garantierte Rechtszustand habe durch das
Gesetz nicht abgeändert werden können, und es sei auch unrichtig,
wenn der Regierungsrat davon ausgehe, er sei nicht koinpetent, die
Verfassungsmässigkeit des Gesetzes zu prüfen. Da er letzteres unterlassen
habe, und da nach der zitterten Verfassungsbestimmung eine Aufhebung
der Ausscheidungsverträge von 1838 und 1861/ 1884 durch § 24 des neuen
Armengesetzes nicht möglich gewesen sei, so erscheine die Anwendung
dieser Gesetzesbeftimmung auf den vorliegenden Fall als verfassungswidrig

Demgegenüber macht der Regierungsrat vor allem geltend, dass den
Burgergemeinden in Art. 68 der Kantonsverfassung nicht der bisherige
Rechtszustand habe garantiert werden wollen, sondern dass es sich
damals nur darum gehandelt habe, einerseits den Burgergeineinden den
Fortbesitz ihrer Kapitalieii zu gewährleisten, anderseits dieselben zu
verpflichten, mindestens ihre bisherigen Leistungen für öffentliche Zwecke
fortzusetzen. Was den angeblichen Loskauf von der Armenlast betreffe,
so müsse mit aller Entschiesdenheit daran festgehalten werben, dass
eine öffentlich-rechtliche Leivstungspflicht durch Vertrag nicht für
alle Zukunft aufgehoben werden könne und dass es ebensowenig angehe,
derartige Pflichten durch Vertrag auf andere überzuwälzen. Übrigens
sei es gar nicht ·richtig, dass sich die Rekurreiitin im Jahre 1838 von
denjenigen Beiträgen losgekaiist habe, die sie von ihren Nutzungsgütern
(im Gegensatz zum Mittenqu an die Armenpflege zu leisten habe. Was aber
den Ausscheidung-satt von 1861/1864 betreffe, so habe es sich damals
nur um eine endgültige Verteilung der Stamm-

güter und die Liquidiernng etwaiger Privatlasten gehandelt. Wenn

AS BSI 1909 H

162 A Staatsrechtliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

' die em Vertra e von einer gänzlichen Befreiung der BurTcxkgxnitxnde
svon allen ists ihren Gütern last-enden örtlichen Verpflichtungen-' die
Rede sei, so könne sich dies unmöglich auf die heute streitigen Beiträge
an die Armenpflege beziehen, ganz abgesehen davon, dass diese Beiträge
nach dem Armengesetze von 1897 nur für die Burger auszurichten seien
(ebenso wie dies schon unter der Herrschaft des Gesetzes von 1'857 der
Fall gewesen sei), und dass dieselben daher gar keine ortlichen Verpflich-

eien.

Wigan sist zunächst zu bemerken, dass anlässlich des vorliegenden Falles
die Frage nicht entschieden zu werdenbraucht, ob der Regierungsrat
des Kantons Bern befugt set, die kantonalen Esesetze auf ihre
Verfassungsmässigkeit zu prufenz denn jedenfalls ist das Bundesgericht
kompetent, zu untersuchen, ob die Anwendung von § 24 des kantonalen
Armengesetzes auf den vorliegenden Fall, bezw. die ihm vom Regierungsrat
gegebene Auslegung, eine Verfassungsverletzung in sich schliesse. Diese
Frage ist zu verneinen. Wenn Art. 68 der Kantonsverfassung den
Vurgergenieinden th Vermögen als Privateigentum gewährleistet-O so wird
dadurch die Auferlegung von Beiträgen an die dffentlichen Lasten,zumal von
Beiträgen, welche, wie hier, nach dem Ertrage bemessen werden, ebensowenig
verboten, wie z. B. durch die in vielen Verfassungen enthaltene allgemeine
Eigentumsgarantie die Einfuhruug von Steuern. Auch das von der Verfassung
garantierte Eliecht der Burgergemeinden, ihr Vermögen selbstazu verwalten,
wird durch die Erhebung von Beiträgen nicht beruhrt, und ebenso sann
ferner nicht gesagt werden, die Leistung von Beitragen cui-die Unter-
stützung der ortsansässigen Burger (nur solche Beitrage werden ja den
Burgergemeinden in §§ 24'und 25 des Armengesetzes auferlegt) sei keine
bestimmungsgemäsze Verwendung des Vermogens der Burgergemeinde, eine
Behauptung, welche ubrigens die Rekurrentin in diesem Zusammenhange
selber nicht aufgestellt hat. Was aber die Bestimmung betrifft, wonach
die bisherigen lLeistungen der Bürgerschaften, usw., dem Grundsatzemach
beibehalten werden, so lässt sich dghrinfiigi der Tat ein Verbot der '
un neuer Leistungen ni t n en. · XYZ? esg sich im weitern, ob wirklich,
wie die Itekurrentin behauptet, durch die im Jahre 1888 erfolgte Abtretung
des Armen-V. Gemeindeund Korporationswesen. N° 25. 163

gutes, sowie durch den Ausscheidungsakt von 1861,J1864, ein Loskauf
der Burgergenieinde von allen Armenlasten bewirkt worden ici, so ist
diese Frage bezüglich des Abkommens vom Jahre 1838 schon deshalb zu
verneinen, weil dieses Abkommen vom Staate nicht genehmigt worden
ist, eine Gemeinde sich aber selbstverständlich von gesetzlichen
Verpflichtungen (d. h. solchen, die ihr vom Staate auferlegt werden)
nicht durch Vereinbarung mit einer andern Gemeinde loskaufen fami. Wie
es sich in dieser Beziehung mit dem vom Regierungsrate genehmigten
Ausscheidungsakt von 1861/1864 verhalten würde, wenn derselbe einen
Los-kan von den Armenlasten bezweckt hatte, kann hier dahingestellt
bleiben; denn jedenfalls ist die Erklärung des Regierungsrates, dass
jener Ausscheidungsakt nur die definitive Verteilung der Stammgüter
bezweckt habe, und dass die streitigen Beiträge nicht unter die örtlichen
Verpflichtungen- zu subsumieren seien, die damals der Burgememeinde
abgenommen wurden, nichts weniger als willkürlich Es handelt sich hier,v
wie übrigens auch bei der Interpretation des Ausscheidungsaktes von
1838, um einen sorgfältig motivierten, auf einemeingehenden Studium der
Entwicklung des bernischen Gemeinde: und Armenwesens beruhenden Entscheid
der obersten kantonalen Verwaltungsbehörde, dessen materielle Richtigkeit
das Bundesgericht nicht zu überdrüer hat.

4. Die Rekurrentin beschwert sich ferner über eine angebliche Verletzung
von Art. 91 der Kantonsverfassung. Unter den Gemeinden, welchen nach
dieser Verfassungsbestimmung ein Teil der öffentlichen Armenpflege
obliegt, seien nämlich, wie sich aus der Vergleichung mit andern Artikeln
der Kantonsverfassung ergebe, nur die Einwohnergemeinden, nicht auch die
Burgergemeinden, zu verstehen. Als Burgergemeiude hätte die Rekurrentin
somit überhaupt zu irgendwelchen Leistungen an die öffentliche Armenpflege
nicht herangezogen werden dürfen.

Abgesehen davon, dass die Auffassung des Regierungsrates, wonach unter den
Gemeinden auch die Burgergemeinden zu verstehen sind, jedenfalls nicht
als willkürlich bezeichnet werden kann, sondern im Gegenteil dem Sinne
der Verfassung zu entsprechen scheint, ist hier zu bemerken, dass aus
obiger Verfassungsbestimmung keine subjektiven Rechte auf Befreiung von
den öffentlichen Armenlasten hergeleitet werden können, sondern dass darin

164 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsverfassungen.

lediglich, wie sich speziell aus Absatz 4 ergibt, ein allgemeines
Gesetzgebungsprogramm enthalten ist· Wäre übrigens die Auslegung der
Rekurrentin richtig, so wäre dieselbe, ebenso wie ihre Auffassung über
am. 68 KV, bei der Beratung des Armengesetzes von 1897 doch zweifellos
zur Sprache gekommen. Dass aber dies geschehen sei, wurde weder dargetan,
noch auch nur behauptet.

5. Endlich erblickt die Rekurrentin in § 24 des Armengesetzes, oder
doch in dessen Anwendung auf sie, die Verletzung eines wohlerworbenen
Rechtes, nämlich des von ihr durch die Ausscheidungsverträge von 1888
und 1861X1864 erworbenen Rechtes auf Befreiung von jeglichen Armenlasten.

Dieser Rekursgrund erledigt sich schon mit dem Hinweis darauf, dass
die Existenz des beanspruchten wohlerworbenen Rechtes von dem dazu
kompetenten staatlichen Rechtsschutzorgan, dem Regierungs-rate des
Kantons Bern, verneint worden ist. Gerade wie nun der Grundsatz der
Unverletzlichkeit wohlerworbener Privatrechte (insbesondere des Eigentums)
durch das Tätigwerden des zur entgültigen Entscheidung privat-rechtlicher
Streitigkeiten eingesetzten staatlichen Organs, nämlich des Zivilrichters,
gewahrt wird (vergl. BGE 16 S. 716 f. Erw.2), so wird im öffentlichen
Recht der entsprechende Grundsatz durch das Tätigwerden des obersten
Verwaltungsrichters gewahrt. Als solcher fungiert aber im Kanton Bern
der Regierungsrat, was die Rekurrentin dadurch anerkannt hat, dass sie
gegen das im vorliegenden Falle eingeschlagene Verfahren keinen Einspruch
erhoben hat.

Gegen das Urteil des obersten Verwaltungsrichters könnte eine

staatsrechtliche Beschwerde daher nur aus dem Gesichtspunkte der
Rechtsverweigerung (Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV) erhoben werden, um eine angeb-

liche Verletzung wohlerworbener Rechte zu rügen. Eine Rechtsverweigerung
aber liegt, wie ausgeführt, nach keiner Richtung hin vor. Demnach hat
das Bundesgericht erkannt : Der Rekurs wird abgewiesen.

Vergl. auch Nr. 23.staatsvertkäge über zivilrechtl. Verhältnisse. Mit
Frankreich. N° 26. 165

Fünfter Abschnitt. Ginquième section.

Staatsrat-träge der Schweiz mit dem Ausland.

Traités de la Suisse avec l'élranger.

ù 4-

St-aatsverträg'e über zivilrechbl. Verhältnisse. Rapport-s de droit civil.

Vertrag mit Frankreich vom 15. Juni 1869. Traité avec la France du 15
juin 1869.

26. Eli-teil vom 17. gum 1909 in Sachen Fluch gegen Deuenbergen

Bewilligung eines Arms-tes entgegen der
Vorschrift von Art. 1 des Staatsveî'tmges mi;
Frankreich. Beweis der französischen Staatsangehöriglceiä des
Amssestschesszldners. Unterscha'iftenbcgiaube'gung der zu diesem Zwecke
produzierten Urkunden nicht unbedingt erferdy-Micia.A. Der Rekursbeklagte
erwirkte am 30. Oktober 1908 beim Gerichispräsidenten II des Bezirkes Bern
für eine Forderung von 5688 Fr. 25 W. einen Arrest gegen den in Nogent-sur
Marne (Frankreich) domizilierten Rekurrenten. Als Forderungsurkunde oder
Grund der Forderung-i gab er an Bescheinigung des Betreibungsbeamten
Berti-Stadt vom 23. Oktober 1908, Geschäftsbeforgung und Verlustschein
vom 22. Juli 1908; als Arrestgrund wurde angenommen Ari. 271 Ziff. 1 II
und4 BKD. Dieser Arrest wurde am 31. Oktober 1908 vom Betreibungsamt
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 35 I 150
Datum : 17. Februar 1909
Publiziert : 31. Dezember 1909
Quelle : Bundesgericht
Status : 35 I 150
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 150 A. Staatsrechiliche Entscheidungen. IV. Abschnitt. Kantonsverfassungen. V. Gemeindeund.


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
regierungsrat • gemeinde • burg • kantonsverfassung • verfassung • weiler • wohlerworbenes recht • bundesgericht • frage • inkrafttreten • richtigkeit • stelle • frankreich • erwachsener • landschaft • bescheinigung • treffen • bezirk • verhalten • verhältnis zwischen
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