730 A. Staatsreehtliche Enischeidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze,

III. Zivilrechtiîehe Verhältnisse der Niedergelassenen und
Aufenthalt-,er. Rapports de droit civil des citoyens établis ou en séjour.

112. Eli-teil vom 25. Yevember 1908 in Sachen Halfter und Genossen gegen
Regierung-rat Art und Einwannergemeinderat grasen-.

Art. 17 leg. cit., Uebertragung der Vormundschaft. Bewilligung des
Wohnsiézwechsels.

Das Bundesgericht hat da sich ergeben:

A. Die im Jahre 1844 geborene, taubstumme Ursula Walker steht in
Erstfeld unter Vormundschaft. Im Dezember 1907 zog sie unter Milnahme
ihres Hausrates zu ihrer Tochter, Frau Jmhos-Walker in Ziegelbrücke,
um in deren Hause zu leben. Seither sendet ihr der Vormund jeden Monat
regelmässig das Zinsbetrefsnis ihres unter der Verwaltung des Waisenamtes
Erstseld stehenden Vermögens-. Am 3. Januar 1908 ersuchte das Waisenamt
Niederurnen den Einwohnergemeinderat Erstfeld als Vormundschaftsbehbrde
um Übertragung der Vormundschaft über Ursula Walker, da diese nunmehr
in Niederurnen wohne. Die letztere Behörde antwortete am 14. Januar
1908, dass sie auf das Gesuch nicht eintreten könne, weil Ursula
Walker unter der Vormundschast des Waisenamtes Erstseld stehe und
von diesem auf unbestimmte Zeit bei der Tochter, Frau Jmhof-Walker
in Ziegelbrücke verkostgeltet worden sei. Ein erneutes Gesuch des
Waisenamtes Niederurnen wurde vom Einwohnergemeinderat Erstfeld
abgewiesen in Erwägung, dasz die Ursula Walker ohne Erlaubnis und
jedenfalls auf Veranlassung ihrer obgenannten Tochter die Gemeinde
Erstfeld verlassen hat; dass mithin der vom Gesuchsteller allegierte
Art. 17 BG betr. zivilr. V. d. N. u. A. auf vorliegenden Fall keine
Anwendung finden farm,Ill. Zivilrecht]. Verhältnisse der Niedergelassenen
u. Aufenthalter. N° 11a 731

weil die Vormundschastsbehörde Ert eld um ' bevormundeten Person
niemals ein:fEinivilliTEthngkeinliZfelbktetf Ben-erba} des Waisenamtes
Niederurnen gelangte hieran am 14: Mai 1908 der Regierungsrat
Glarus an-den Regierungsrat Uri mit dem Ersuchen, die Übertragung
der fraglichen Vormundschast veranlassen zu wollen Der Regierungsrat
von Uri beschloss am 4. Jul! 1908: Es sei die Vormundschaft für die
taubstumme Ursula Walker in der Gemeinde Erstfeld auszuüben Und beten
Vermogen in dortiger Waisenlade zu belassen. Dieser Beschluss ist damit
begründet: 1· Dass die seit zirka 30 Jahren bevormundete taubstumme
Ursula Walker ohne irgendwelche Einfrage und Erlaubnis des Vormunds
oder der Vormundschaftsbehorde, dagegen wahrscheinlich auf Veranlassung
ihrer illegitimen Tochter, Frau Marie Jmhof-Walker in Ziegelbrücke mit
derselben nach dorten gezogen ist und deshalb Art. 17fdes obenerwahnten
Bundesgesetzes nicht in Anwendung gebracht werden farm; _2. dag, obwohl
der Einwohnergemeinderat Erstfeld mit lkZuschr1ft rom 14. Januar 1908
an das Waisenamt Niederurnenvzugtbt, dass Ursula Walker vom Waisenamte
Erstfeld aus unbestcmmte Zeit bei ihrer Tochter Marie Jmhof verkostgeltet
worden set, ein wirklicher Wohnungswechsel im Sinne von Ari. 3und 17 des
BG betr. zivilr. V. d. N. u. A. doch nicht konstatiert werden kann und
zwar umsoweniger als der Gememderat Erstfeld der Tochter Marie Jmhof
ssfreiwilîig eine Kostenvergütung verabfolgte, in der Meinung, dass
es sich nur nur einen vorübergehenden Aufenthalt der Bevormundeten in
Ztegelbrucke handle, wie dies früher schon der Fall war.

B. Mit staatsrechtlichem Rekurs vom 14. Juli 1908 haben Ursula Walker,
ihre Tochter, Frau Freihof-Walten und das Waisenamt Niederurnen beim
Bundesgericht den Antrag gestellt Es sei der Einwohnergemeinderat
von Erstfeld zu verpflichten die Vormundschast über Ursula Walker dem
Waisenamte Nieder: Ist-neu zu übertragen und demselben das Vermögen
zur VerwalWQtung auszuhändigen. Zur Begründung wird ausgeführt dass die
Vormundschaftsbehörde von Erstfeld der Ursula Walker den Wohnntzwechsel
nach Ziegelbrücke gestattet habe und dass deshalb die Voraussetzungen
zur Übertragung der Vormundschaft nach

732 A. staats-rechtliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

dem neuen Wohnort nach Art. 17
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 17 Medienfreiheit - 1 Die Freiheit von Presse, Radio und Fernsehen sowie anderer Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen ist gewährleistet.
1    Die Freiheit von Presse, Radio und Fernsehen sowie anderer Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen ist gewährleistet.
2    Zensur ist verboten.
3    Das Redaktionsgeheimnis ist gewährleistet.
BV belr. zivilr. V. d. N. u. A.
gegeben seien.

C. Der Regierungsrat Uri hat auf Abweisung des Rekurses eingetragen und
zwar in erster Linie mangels Legitimation der Rekurrenten und im übrigen
wesentlich aus den im Beschlusse des Einwohnergemeinderais Erstfeld vom
20. Februar 1908 und im Regierungsbeschluss vom 4· Juli 1908 angeführten
Gründen; -

in Erwägung:

Art. 17 BG betr. zivilr. V. d. N. u. ax. bestimmt: Bei-ilItgt die
Vormundschaftsbehörde dem Bevormundeten einen Wohnsitzwechfel, so geht
das Recht und die Pflicht zur Führung der Voru1undschaft auf die Behörde
des neuen Wohnsitzes über und ist das Vermögen des Bevormundeten an
diese zu verabfolgen.

Ein Begehren aus Art. 1? um Übertragung der Vormundschaft zu stellen,ist
jedenfalls die Vormundschaftsbehörde legitimiert, an welche die
Vormundschaft übergehen foll, desgleichen der (willensfähige) Mündel
selber. Ob hier auch die Tochter des Mündels als nächste Verwandte hiezu
legitimiert erscheint, kann, da die Legitimation der übrigen Rekurrenten
feststeht, unerörtert bleiben.

Nach den Umständen ist anzunehmen, dass die Vormundschaftsbehörde
von Erstfeld der Ursnla Walker den Wohnsitzwechsel nach Ziegelbrücke
im Sinn von ent. 17 leg. cit. bewilligt hat. Entscheidend hiefür ist
vor allem die Erklärung des Einwohnergemeinderates Erstfeld an das
Waisenamt Niederurnen vom 14. Januar 1908, wonach Ursula Walker vom
Waisenami Erstfeld auf unbestimmte Zeit bei ihrer Tochter in Ziegelbrücke
verkostgeldet worden ist. Darnach war die Vormundschaftsbehörde von
Erstfeld mit der unter Mitnahme der Möbel erfolgten Übersiedelung des
Mündels nach Ziegelbrücke nicht nur stillschweigend einverstanden,
sondern sie hat geradezu daran mitgewirkt, und es hatte dabei die
Meinung, dass es sich nicht nur um einen Besuch von begrenzter Dauer,
sondern um einen Aufenthalt, der unbestimmte Zeit dauern sollte, handle,
wie es ja auch den natürlichen Verhältnissen entspricht, dass die alte,
taubstumme Mutter bei ihrer Tochter lebt, zumal nicht behauptet ist, dass
sie daselbst nicht gutHI. Zivilrecht}. Verhältnisse der Niedergelassenen
u. Aufenlhalter. N° 112. 733

aufgehoben sei oder dass sonstige Bedenken ihrem Verweilen in der Familie
der Tochter entgegenstünden. Dass die Vormundschaftsbehörde von Erstfeld
gegen den dauernden Aufenthalt des Mündels in Ziegelbrücke im Grunde
nichts einzuwenden hat, ergibt sich auch daraus, dass ihr regelmässig und
vorbehaltlos der Zins ihres Vermögens dahin geschickt wurde, was nicht
ohne Kenntnis und Einverständan der Vormundschaftsbehörde geschehen sein
kann, und dass die letztere niemals den geringsten Schritt unternommen
hat, um die Rückkehr des Mündels nach Erstfeld zu veranlassen Die Behörde
von Erstfeld war nach alledem damit einverstanden, dass die Urfula Walker
in Ziegelbrücke Beziehungen begründe, wie sie bei einer handlungsfähigen
Person einen Wohnsitz konstituieren würden (Art. 3 Abs. 1 leg. cit.),
d. h. dass sie dort in der Meinung dauernden Verbleibens wohne. Dann
muss aber die Behörde auch die rechtliche Konsequenz ihres

"Verhaltens auf sich nehmen, dass es als Bewilligung zum Wohn-

sitzwechfel im Sinn von Art. 17 leg. cit. gedeutet wird. Dieser
Auffassung steht auch nicht die Art der Unterbringung der Urfula Walker in
Ziegelbrücke entgegen, da sie ja nicht in einer Anstalt, sondern in einer
verwandten Familie versorgt ist (Art. 3 Abs. 2 leg. cit.). Nachträglich
hat die Einwohnergemeinde Erstfeld freilich behauptet, dass die Ursuia
Walker ohne Erlaubnis Erftfeld verlassen habe, und auch im Entscheid
des Regierungsrates Uri vom 4. Juli 1908 und in dessen Vernehmlassung
wird dies geltend gemacht. Allein diese Behauptung steht durchaus im
Widerspruch mit jener ersten Erklärung, die mehr Glauben verdient,
weil sie offenbar spontan zu einer Zeit abgegeben wurde, als der
Einwohnergemeinderat sich über deren rechtliche Tragweite für die Frage
der Ubertragung der Vormundschaft noch nicht klar war, während die
nachträgliche Bestreitung auf eine inzwischen eingetretene Belehrung
hierüber zurückzuführen sein dürfte; erkannt:

Der Rekurs wird gutgeheissen und der Regierungsrat des Kanitons Uri
eingeladen, dafür Sorge zu tragen, dass die Vormundschaft über Ursula
Walker dem Waisenamt Niederurnen übertragen wird.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 34 I 730
Datum : 25. Januar 1908
Publiziert : 31. Dezember 1908
Quelle : Bundesgericht
Status : 34 I 730
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 730 A. Staatsreehtliche Enischeidungen. ll. Abschnitt. Bundesgesetze, III. Zivilrechtiîehe


Gesetzesregister
BV: 17
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
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3    Das Redaktionsgeheimnis ist gewährleistet.
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