518 A. Staatsrechiliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze.

beschränken, sondern er hätte die ihm zu Gebote stehenden Schrittes
unternehmen sollen, um den Egly zur Aufgabe des Aufenthalts in La Brévine
zu zwingen, dessen Rückkehr nach Luzern, als fein gesetzliches Domizil,
zu bewirken und damit der unhaltbaren Situation ein Ende zu machen,
dass Eeg dauernd in La Bx'évine fest niedergelassen ist, dort sogar ein
öffentliches Amt dekleidet und gleichzeitig in Luzern unter Vormundschaft
sieht. In der Unterlassung jeglichen Versuchs solcher Massnahmen seit
1903. bis heute liegt eine tatsächliche Duldung jenes Aufenthalts-,
die trotz der gelegentlichen Proteste in Prozessschriften nicht anders
denn als Billigung des Wohnsitzwechsels auszulegen ist.

Nach diesen Ausführungen sind die Luzerner Behörden, auch wenn Art, 4
Abs. 3 leg. cit. auf Eeg anwendbar ist, verpflichtet,. die Vormundschaft
aus die Neuenburger Behörden zu übertragen (ohne dass dabei der Einfluss
der Naturalisation des Egli) inNeuenburg auf diese Vormundschaftsfrage zu
prüfen gewesen wäre). Um so mehr muss natürlich jene Pflicht nach dein
das interkantonale Vormundschastsrecht beherrschenden Wohnortsprinzip
(Art. 10 ff. leg. cit.) gegeben sein, wenn angenommen wird,. Eeg habe
als nur in der Vermögensverwaltung und nicht in der Handlungsfähigkeit
beschränkt seinen Wohnsitz frei wählen können.

Aus der Gutheissung des Rekurses folgt für Luzern auch die
selbstverständliche Pflicht, Neuenburg den mit seinem Entscheide bezogenen
Betrag von 30 Fr. 60 (été. zurückzugeben.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird gutgeheissen.
Demgemäss wird der Regierungsrat von Luzern als verpflichtet erklärt,
dafür zu sorgen, dass die Vormundschaft über Egly den Behörden von
Neuenburg übertragen und dessen Vermögen unter

Rechnungsablage dem Regierungsrat von Neuenburg abgeliefertv
wird.Eingrifie kantonaler Behörden in garantielte Rechte. N° 86. 519

Dritter Abschnitt. Troisiéme section.

Kantonsverfassungen.

Constitutions cantonales.Bing-riffa kam'ssonaler Behörden in garantierte
Rechte. Atteintes portées par des autorités cantonaîes à des droits
garantie.

86. guten vom 8. Juli 1908 in Sachen Haber und Genossen gegen Kann-n
Helothum

Salathurnisches Gesetz vom 27.°Mai 1907 betr. die Aufhebung
der Ehehaften. Eingriff in wohlerworbene Privatrechte, Art. 15
sotoih. K V? Nachweis der entsclzdde'gungsbereshtigten Ekehaften;
Entschädagungsmodus.

A. Das solothurnische Wirtschaftsgesetz vom 28. November 1905 bestimmt
in s 4: Die Rechte der Ehehaften bleiben vorbehalten. Diese Rechte
erstrecken sich jedoch nicht auf die persönlichen Erfordernisse des
Wirtschaftsinhabers, die polizeiIichen Vorschriften dieses Gesetzes-,
sowie auf den Ausschank und Verfan gebrannter Wasser (§ 16). Bis zum
gesetz-mässigen Loskauf der Ehehaften sind die Inhaber solcher Rechte
von der Bezahlung der Gebührren, welche in § 33 für die Erwerbung die-s
Rechtes zur Veranstaltung öffentlicher Tanzbelufiigungen vorgesehen sind,
enthoben; es soll jedoch hierdurch keinerlei Prä-

-520 A. Staatsrechtliche
Entscheidungen. Ill. Abschnitt. Kantonsversassungen.

judiz für die Bestimmung des rechtlichen Umfangs der Ehehaften geschafsen
werden

Am 27. Mai 1907 erliess der Kantonsrat von Solothurn ein Gesetz betreffend
die Aufhebung der Ehehaften, das in der Volksabsiimmung vom 15. Dezember
1907 angenommen und vom Regierungsrat mit der amtlichen Publikation
des Abstimmungsresultates auf den 21. Dezember 1907 in Kraft erklärt
wurde. Aus diesem Gesetz sind hier folgende Bestimmungen hervorzuheben :

§ 1. Die im Wirtschaftsgewerbe den Besitzern von Ehehasten gewährten
Vergünstigungen und Vorrechte werden durch dieses Gesetz auf den 30. Juni
1910 anfgehoben.

§ 2. Bisherige Ehehaftenbesitzer, welche vom 1. Juli 1910 hinweg das
Wirtschaftsgewerbe weitersühren wollen, haben die gesetzlich vorgesehenen
Patente zu erwerben und die entsprechenden .Abgaben zu bezahlen.

§ 4. Sofern und soweit Ehehasten auf wohlerworbenen, unwiderruslichen
Privatrechten beruhen, leistet der Staat den Be- sitzern den Umständen
angemessene Entschädigung

Diese wird in der einmaligen Ausrichtnng einer Geldsumme ,bestehen. Jm
Falle eines Vergleiche-Z (g 5) kann jedoch die Fortsetzuug des
Wirtschaftsgewerbs in bisheriger Weise für die Dann von noch höchstens
16 Jahren gestattet werden

§ 5. Der Regierungsrat ist ermächtigt, auf Wunsch von ,Ehehaftenbesitzern,
deren Entschädigungsanspriiche durch Vergleich zu erledigen.

Derartige Abkonnnen unterliegen der Genehmigung durch den Kantonsrat.

§ 6. Wird von einem Ehehastenbesitzer der Vergleichstoeg .nicht betreten
oder führt dieser zu keinem Erfolg, so entscheiden auf Klage des Besitzers
die Gerichte.

Jeder Ehehaftenbesitzer hat seinen Anspruch gesondert geltend zu machen.

Art. 15 der KV von Solothurn lautet: Der Staat schützt wohlerworbene
Privatrechte. Ausnahmsweise kann gegen oolle Schadloshaltung des
Berechtigten aus Gründen der öffent.lichen Wohlfahrt die Abtretung eines
Privatrechtes durch dieEingriffe kantonalen Behörden in garantierte
Rechte. N° 86. 521

7,Gesetzgebung gefordert oder durch Beschluss der kompetenten Behörde
ver-fügt werden."

Bei der Beratung des Gesetzes betreffend die Aufhebung der Ehehaften im
Kantonsrat wurde der Ausdruck wohlerworbene, untviderrusliche Privatrechte
in § 4 der Vorlage von den Berichterstattern des Regierungsrates
und der Kommission damit begründet, dass im Kanton eine grosse Zahl
widerruflicher Ehe-

' haften vorhanden sei, die seinerzeit vom Lebens: oder Landesherr

so {ange es uns gefällt, aus Gefallen hin-O und in ähnlichen Wendnngen
verliehen worden seien, und dass die Inhaber solcher die Widerrufsklausel
enthaltenden Tavernenrechte nicht entschädigungsberechtigt sein
sollten. Von anderer Seite wurde bemerkt, dass das Wort unwiderrnslich
in § 4 eigentlich Überflüssig sei, weil es schon im Begriff des
wohlerworbenen Rechts liege, dass es nicht widerruflich sein könne;
immerhin diene hier das Wort unwiderruflich zur Klarlegung und
Verdeutlichnng. In Bezug auf die Bemessung {del: Entschädigungen
der Besitzer von Ehehasten wurde im Kantonsrat ein Antrag, eine dem
wirklichen Wert der Ehehafte entsprechende Entschädigung- zuzusicher11,
abgelehnt. Dabei wurde von den Berichterstattern des Regierungs-

rates und der Kommission für die Gesetz gewordene Fassung der

Vorlage, wonach der Staat den Besitzern den Umständen angemessene
Entschädigung leistet, angeführt, dass die vorhandenen Ehehaften sehr
verschiedenartig seien, sodass bei Zumessung der Entschädigungen jeweilen
den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falles Rechnung getragen
werden müsse. Doch wurde von anderer Seite auch betont, dass es sich
bei dieser Frage um einen Streit um Worte handle, weil materiell kein
Unterschied bestehe zwischen einer dem wirklichen Wert der entzogenen
Sache entsprechenden und einer den Umständen angemessene Entschädigung

B. Gegen das Gesetz, betreffend die Aufhebung der Ehehaftenit haben am
17. Februar 1908 Robert Huber-Zepfel zur Krone" in Solothurn und 114 in
einer Beilage zum Rekurs namentlich aufgefüiprte Personen als Inhaber
von Ehehaften den staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht ergriffen
mit dem Begehren: Das Bundesgericht möge erkennen, es sei § 4 des in
der solothurnischen Volksabstimmung vom 15. Dezember 1907 angenom-

522 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. III. Abschnitt
Kantansverfassungen.

menen und Vom Regierungsrat des Kantons Solothurn auf den 21. Dezember
1907 in Kraft erklärten Gesetzes betreffend die Aufhebung der Ehehaften
als verfassungswidrig aufgehoben, eventuell es sei die Bestimmung im
Sinne der nachftehenden Ansführungen mit Art. 15 der Verfassung des
Kantons Solothurn in redaktionelle Übereinstimmung zu Bringen. Die
Beschwerdepunkte werden wie folgt formuliert:

a.) dass nur diejenigen Ehehaftem welche auf wohlerworbenen
unwiderruflichen" Privatrechten beruhen, entschädigt werden sollen,
stait dass einfach mit dem Wortlaut der Verfassung nur von wohlerworbenen
Privatrechten gesprochen wird;

b) dass den Ehehaftenbesitzern gnam Staate nur eine den Umständen
angemessene Entschädigung geleistet werden soll, statt, wir die Verfassung
sagt, volle Schadloshaltung, und

c) dass im Falle eines Vergleiches den betreffenden Ehehastenbesitzern die
Fortsetzung des Wirtschaftsgewerbes noch für eine Dauerbis zu 16 Jahren
gestattet werden farm, während einerseits diese Vergänstigung ausdrücklich
ausgeschlossen ist, wenn der Ehehafteubesitzer seine Entschädigung durch
den Richter festsetzen lässt, und anderseits alle Rechte, welche sonst
mit den Ehehaften verbunden sind, nach Massgabe von § 1 des Gesetzes
auf den 30. Juni 1910 aufgehoben sein sollen.

Zur Begründung wird ausgeführt: Nach den Beratungen im Kantonsrat
müsse wohl als Wille des Gesetzgebers angenommen werden, dass gemäss
dem Wort unwiderruflich in § 4 die für das materielle Recht höchst
wichtige Bestimmung in das Gesetz habe aufgenommen werden wollen,
dass nur diejenigen Ehehaften wohlerworbene Privatrechte bedeuten,
welche als unwiderrufliche verliehen worden seien, diejenigen aber,
welche bei der Verleihung als widerrufliche konstituiert worden seien,
als wohlerworbene Privatrechte im Sinne des Gesetzes und der Verfassung
nicht augesehen werden follen. Wenn man nun auch zugeben wollte, dass
bei der Verleihung von Ehehaften durch Klauseln, wie: so lange es uns
gefällt und dergl., Wirtschaftsgerechtigkeiten entstanden sein möchten,
bei welchen der Landesherr oder die damalige Regierungsgewalt das Recht
gehabt hatte, ohne weiteres die Gerechtigkeit wieder rückgängig zu machen,
so sei damit die Frage nochEingriffe kantonaler Behörden in garantierte
Rechte. N° 86. 523

nicht entschieden, ob mit der im Kantonsrat geltend gemachten Auffassung
die Aufhebung heute noch ohne irgendwelche Entschädigungspflicht vor
sich gehen könne. Es fehle schon jeder sichere Nachweis darüber, dass es
dem Landesherrn wirklich zugestanden habe, solche einmal begründeten
Wirtschaftsgerechtigkeiten ohne weiteres, auf blossen Widerruf,
dahin fallen zu lassen. Abgesehen hievon aber bestehe die Tatsache,
dass diejenigen Wirtschaftsgerechtigkeiten, welche nach der Auffassung
der Regierung prekärer Natur seien, sich auf eine, in einzelnen Fällen
mehrere Jahrhunderte, sicherlich aber in den weitaus meisten Fällen
auf mehr als ein Jahrhundert zurückgehende Anerkennung seitens des
Staates berufen können, dadurch feste rechtliche und unwiderrufliche
Gestalt angenommen hätten und zu unwiderruflichen Privatrechten geworden
seien. Dann bedeute aber die Beschränkung der Entschädigungspflicht
des Staates in § 4 auf die unwiderruflich (bestellzen) Ehehasten eine
Verletzung von Art. 15 der KV, der alle wohlerworbenen Privatrechte
entschädigt wissen wolle. Ein Widerspruch zu ein. 15 liege schon darin,
dass nur ein Teil der Privatrechte, die unwiderruflichen, Anspruch auf
Entschädigung haben sollen. Zum Begriff der wohlerworbenen Privatrechte
gehöre die Unwiderruflichkeit nicht. Es brauche in dieser Beziehung
nur an die heutigen Konzefsionen erinnert zu werben, bei welchen
Widerruflichkeit, Heimfallsrecht des Staates, zum regelmässigen Jnhalt _
gehören, und gleichwohl kein Zweifel darüber bestehe, dass aus diesen
Konzessionen für die Konzessionäre wohlerworbene, im ordentlichen
Prozessweg verfolgbare Privatrechte erwachsen. Es dürfe deshalb bei den
Ehehaften in Hinsicht auf die Anwendbarkeit des Art. 15 der KV überhaupt
nicht unterschieden werben, ob sie als unwiderruflich oder widerruflich
erteilt worden seien. Die Beifügung unwiderruflich in § 4 des Gesetzes
bedeute zudem formell eine verfassungswidrige Vorschrift, indem sie
eine unzulässige authentische Interpretation des Art. 15 KV enthalte,
und stelle sich ferner als Übergriff der gesetzgebenden in das Gebiet der
richterlichen Gewalt und mithin als eine Verletzunques Art. 4 der KV dar,
der die Gewaltentrennung proklamiere. Uber die Entschädigungsansprüche
der Returrenten könne nämlich im Prozessfall nur der Richter entscheiden
(% 6 des Gesetzes). Dabei

524 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. III. Abschnitt
Kantonsverfassungen. i .

müsse der Richter frei prüfen können, welche Rechte den Reinerenten als
Ehehaftenbesitzern aus Art. 15 der Verfassung zustehen, d. h. ob sie in
ihren Ehehaften wohlerworbene Privatrechte besitzen, und in dieser freien
Prüfung werde der Richter durch § 4 des Gesetzes, insofern dieser nur die
wohlerworbenen unwiderruflichen Ehehaften als entschädiguugsberechttgt
erkläre, beschränkt

Ebenso verletze der § 4 des Gesetzes mit seiner Bestimmung, dass eine
den Umständen angemessene Entschädigung zu leisten sei, den Art. 15
KV. Dieser verlange volle Entschädigung- und das bedeute etwas
anderes als den Umständen angemessene Entschädigung. An Stelle der
unbeschränkten und sier Entschädigungspflicht nach Erpropriationsrecht
trete eine eingeschränkteund variable, wie sie etwa Art. 51
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 51 - 1 Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet.
1    Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet.
2    Dabei trägt in der Regel derjenige in erster Linie den Schaden, der ihn durch unerlaubte Handlung verschuldet hat, und in letzter Linie derjenige, der ohne eigene Schuld und ohne vertragliche Verpflichtung nach Gesetzesvorschrift haftbar ist.
OR für den
privatrechtlichen Schadenersatz aus unerlaubter Handlung festsetze. Die
volle Entschädigung aber bedeute, dass das abzutretende Recht ganz,
hinsichtlich aller in ihm enthaltenen, vermögensrechtlich relevanten
Befugnisse entschädigt merde; dass ferner voraussetzungslos entschädigt
werde, d. h. ohne dass die Entschädigungspflicht von andern Bedingungen
abhängig gemacht werde und dass endlich der bisher Berechtigte für allen
und jeden Schaden, der ihm aus der Abtretung erwachse, den direkten und
indirekten Schaden, einen Ersatz in Geld erhalte. Das freie richterliche
Ermessen in der Zubilligung dieser vollen Entschädigng wolle offenbar
(woft'ir wiederum die kantonsrätliche Beratung herangezogen wird)
auch durch den angesochtenen Entschädigungsmassstab beschränkt und
eingeengt werden. Der § 4 enthalte deshalb auch in dieser Beziehung
eine unzulässige authentische Interpretation des Art. 15 KV und einen
nach Art. 4 KV unzulässigen Eingriff der gesetzgebenden in das Gebiet
der richterlichen Gewalt-

Die Bestimmung des § 4 endlich, wonach im Falle eines Vergleichs die
Fortsetzung des Wirtschaftsgewerbes in bisheriger Weise für die Dauer
von noch höchstens 16 Jahren gestattet werden fiume, möge ein siskalisch
geivandter Schachng sein, dagegen enthalte sie eine Überschreitung der dem
Gesetzgeber verfassungsgetnäss gesetzten Schranken. Nur die öffentliche
Wohlfahrt ermögliche dem Gesetzgeber die Aufhebung der Ehehasten,

und nur diese könne für die Frage massgebend sein, ob diese Aus-Eingriffe
kantonaler Behörden in garantierte Rechte. N° Sb. 525

hebung sofort zu erfolgen habe, oder ob es angehe, die Ausübung der
Ehehasten noch während einer gewissen Übergangszeit zu gestatten, sei es
aller dieser Rechte, sei es eines Teils von ihnen. Eine solche Rücksicht
der öffentlichen Wohlfahrt sei der angefochtenen Bestimmung fremd
und deshalb zu streichen oder aber allen Ehehaftinhabern gleichmässig
einzuräumen Das Gegenteil verstosse gegen die Rechtsgleichheit und gegen
Art. 15 der Verfassung, insofern nämlich, als-alle Ehehaftinhaber so
lange ein Recht auf das Bestehen ihrer Rechte hätten, als die öffentliche
Wohlfahrt nichts gegenteiliges gebiete, bezw. sie einzelnen Inhabern
innerbehalten gestatte-.

C. Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat auf Abweisuug des Rekurses
angetragen In der Vernehmlassung wird anerkannt, dass Art. 15 Abs. 2
KV nicht nur aus die Fälle der Expropriation Bezug habe, sondern auch
auf die Aufhebung eines Privatrechts durch die Gesetzgebung Aus Art.15
KV kann gesolgert werden, dass der Gesetzgeber nicht berechtigt ist,
durch Aufhebung von Privatrechten das Bei-mögen des einzelnen Bürzgers
zu schädigen, d. h. Privatrechte ohne Gewährung voller Schadloshaltung
aufzuheben, bezw. wenn das Prinzip oder das Mass bestritten ist, der
Entscheidung der zuständigen Behörde hierüber vorzugreifen und den
angeblich in ihren Rechten Ge.kränkten den Rechtsweg in der einen oder
in der andern Richtmig zu verschliessen.

Zu dem Beschwerdepunkt betreffend den Zusatz der Unwiderruflichkeit der
Ehehaften in § 4 wird bemerkt, es habe damit keineswegs angedeutet werden
wollen, dass die wohlerworbenen Privatrechte nicht geschützt seien. Der
Staat anerkenne vielmehr ausdrücklich die Entschädigungspflicht gegenüber
wohlerworbenen Privatrechten an und habe sich dieser Pflicht nicht
dadurch entziehen wollen, dass er erkläre, nur die unwiderruflichen
entschädigen zu wollen, denn widerrufliche Privatrechte gehörten eben
nicht zu den wohlerworbenen. Welche Rechte widerrufliche und welche
unwiderruflich-te seien, das Unterstehe in jedem einzelnen Falle der
richterlichen Kognition. Würde § 4 des angefochtenen Gesetzes einfach
von den Ehehaftenrechten als wohlerworbenen Privatrechten schlechthin
gesprochen haben, so hätte der Staat riskiert, dass ihm

526 A. Siaatsrechtliche Entscheidungen. III,
Abschnitt. Kantonsverfassungen.

in den Entschädigungsprozessen der Ehehaftenbesitzer entgegengehalten
worden wäre, er hätte sich seines Rechtessich auf die Widerrussklausel
zu berufen, dadurch einfach begeben, dass er in dem Aufhebungsgesetz
diese Widerrufsklausel mit Stillschweigen übergangen habe. Dies habe
mit der Fassung des § 4 verhindert werden wollen. ss

Was den Beschwerdepunkt betreffend die Bemessung der Entschädigung
anbetrtfft, so wird vom Regierungsrat ausgeführt, es genüge je nach
den Umständen zum doilen Ersatz aller Vermögensnachteile gemäss den
Einzelheiten des besondern Falls eine grössere oder kleinere Summe. Das
habe mit der Wendung den Umständen angemessene Entschädigung gesagt werden
wollen und nicht mehr. Die vom Gesetze geforderte Berücksichtigung des
einzelnen Falls wolle also keineswegs bedeuten, dass die wohlerworbenen
Rechte nicht voll entschädigt werden sollen.

Der Regierungsrat bestreitet sodann, dass in der Bestimmung des § 1,
wonach im Falle eines Vergleiches die Fortsetzung des Wirtschaftsgewerbes
in bisheriger Weise für die Dauer von noch höchstens 16 Jahren gestattet
werden kann, eine ungleiche Behandlung der Rekurrenten liege. Diese
Belassung des Wirtschaftsbetriebes auf bisheriger Ehehaftgrundlage
solle der Entschädigung für die sofortige Ablösung der Ehehaft
gleichkommen. Jeder Ehehaftinhaber könne sich aus diese Weise entschädigen
lassen; glaube er sich damit nicht voll entschädigt, so könne jeder auf
dem Prozesswege eine Geldentschädigung verlangen.

Am Schluss der Antwort wird bemerkt, dass das Bundesgericht sich daraus
beschränken dürfte, von den Erklärungen des Regierungsrates Akt zu nehmen,
die resümierend dahin gingen, dass das Gesetz in keiner Weise dem durch
Art. 15 der KV proklamierten Schutz wohlerworbener Privatrechte Abbruch
tun wolle, und dass dem Zivilrichter in Ansehung der Auslegung und
Anwendung des Begriffes wohlerworbener Privatrechte und der Bemessung
der Entschädigung durch das Gesetz nicht vorgegriffen merde.

D. In der Replik haben die Rekurrenten an ihren Anträgen festgehalten
"Eingriffe kantonaler Behörden in garantierte Rechte. N° 86. 527

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

ssl. Die Rekurrenten, die als Ehehaftenbesitzer zum Rekurse zweifellos
legitimiert sind, beschweren sich nicht darüber-, dass durch das Gesetz
betreffend Aufhebung der Ehehasten diese Gerechtigkeiten als aufgehoben
erklärt werden, sondern ausschliesslich darüber, dass durch s 4 Abs. 1
des Gesetzes der Kreis der entschädigungsfähigen Ehehaften und das Mass
der Entschädigung in Widerspruch mit Art. 15 (und andern Bestimmungen)
der KV eingeengt werde, sowie darüber-, dass die Bestimmung in § 4 Abs. 2
betreffend Gesiattung der Fortdauer der Ehehaften im Vergleichsdveg
den Grundsatz der Rechtsgleichheit verletze. Anderseits anerkennt der
Regierungsrat namens des Kantons, dass Art. 15 KV, der für die Abtretung
wohlerworbener Privatrechte volle Schadloshaltung zusichert, auch für
die Aufhebung der Ehehasten massgebend ist, und ferner, dass mangels
einer Verständigung sowohl über die grundsätzliche Entschädigungspflicht,
wie über das Mass der Entschädigung der Richter zu entscheiden hat.

2 Frägt es fich, ob § 4 Abf. 1 des Gesetzes-, insofern darnach der Staat
für die auf wohlerworbenen unwiderruflichen Privatrechten beruhenden
Ehehaften den Umständen angemessene Entschädigung leistet, mit am. 15
KB in Widerspruch sieht, so ist nicht zu verkennen, dass die von am. 15
bewusst abweichende Formulierung der Bestimmung in Verbindung mit der
Beratung im Kantonsrat, insbesondere den Äusserungen der Berichterstatter
des Regierungsrates und der Kommission, die Vermutung erwecken könnte,
man habe mit den Ausdrücken wohlerworbene unwiderrufliche Privatrechte"
und den Umständen angemessene Entschädigung die Verpflichtung des
Staates gegenüber Art. 15 KV beschränken wollen. Betrachtet man jedoch
die Vorschrift des § 4 Abs. 1 als solche, ohne Rücksicht auf die
Entstehungsgeschichte, so kann nicht gesagt werden, dass sie an sich
schon gegen Art. 15 KV verstosse; denn das Wort unwiderruflich kann
sehr wohl lediglich als eine zwar überflüssige, aber vor Art. 15 KV
nicht unzulässige Erläuterung des Begriffs wohlerworbenes Privatrechi
verstanden werden in der Bedeutung, dass ein rein prekariftisches, vom
Staate jederzeit nach Belieben und ohne Entschädigung widerrusliches
Wirtschafts-recht nicht als wohlerworbenes

AS 34 L 1908 35

"28 A Staatsrechtliche
Entscheidungen. III. Abschnitt. Kantonsverlassungeu, o .

' ' twird, und in der den Umständen angePntherkethtgtntsgägilgung
braucht keineswegs etwas anderes alsTitelsifee Schadloshaltung gefunden
$ werden, da ja eine nicht volle-, Entschädigung doch wohl auch nicht
als eine den Umstanseen gngemessene erscheint. Die Gefahr-dass § 4
Abs. lbvotxieilenichh::, der im Streitfakt die Entschadigungsfrage zu
'me s... La: anders gehandhabt werden wird, durfte umxd' geringer e
(fa nach allgemeiner Jukerpretationsrvegeif eine Bestimmng Zu Zssen so
ans-gelegt werden muîz, dass ne tm Rahmen dei;J : eg: fing verbleibt, und
als der Regierungsrat als Vertreter es 4 Anb 1 nach seinen Erklärungen in
der Vernehmlassung den § itî'w. ebenfalls dahin auffasst, dass dadurch in
Ubereinstimmung tm md KV für alle Ehehaften, die wohkrworbeite Prixatrech
ersdssÎ volle Entschädigung zugesichert ist. Jst aber dama ) em -

spruch des § 4 des Gesetzes zu Art. 15 KV nicht anzunehmen,

so kann natürlich auch keine Rede davon sein, dass diese Vorschrift
eine unzulässige authentischeInterpretation bee KV oder einenEingriff
des Gesetzgebers in richterliche Befugnisse enîÈzîîteî mg??? " ' ' 4
. u e Rekurs ist daher, soweit er sich gegen § . ' Tier Sinne dieser
Erwägungen abzuweisen, immerhin mit. dem Vorbehalt dass den Rekurrenten
gegen eine aklsallige, Art to KVverletzende Anwendung der Bestimmung
durch den kautonalgn Richter das Recht der staatsrechtlichen Beschwerde
gewahrt blett 3 Nach § 4 Abf. 2 des Gesetzes in Verbindung mit è? ist
der Regierungsrat befugt, in Vergleichen mit Ehehastenbesttzgn über
die Entschädigng als Leistung des Staate-.hbgstkäx Le6 ' "' die Dauer
von o messung der Entschadtgung sur [fen Die Bestim' die Gere tigkeit
noch sortdaueru zu n . Îîîîxîînmaq insoîîn einigermassen befremden,
alshdgdxtrch enthgin ss ' E e a ten a e week des Gesetzes, die Aufhebung
von , Linn sZnur für eine verhältnismässig beschrankte Zahl von eJahrgn
-ghinausgeschoben werden kann. Eine Verletzung der Recht gleichheit
den Rekurrenten gegenüber· kann aber darin nicht ;;! blickt werden
Denn jener Entschädigunginsodns tsltl $$$th ' ' leicher eie sur a e
l en Voraussetzungen und m g . · _ : goîgîsehen. Jeder Besitzer einer
Ehehaften kann in Vergleichs

unterhandlnngen mit dem Regierungsrat treten und hat dabei--Eingriffe
kantonaler Behörden in garantierte Rechte. N° 86. 529

die Wahl, ob er auf einen diese Absindungsart enthaltenden
Vergleichsvorschlag des Regierungsrates eingehen oder behufs Regelung der
Entschädigungsfrage den Rechtsweg beschreiten will. Denkbar wäre freilich,
dass § 4 Abs. 2, ber, wie viele andere Verwaltungsvormen, dem Ermessen der
Behörden einen gewissen weiten Spielraum lässt, verschieden gehandhabt
würde, indem der Regierungsrat bei den Vergleichsunterhandlungen sich
den einen Besitz-ern von Ehehaften gegenüber entgegenkommender, als
andern gegenüber zeigt, dem einen den Fortbestand der Gerechtigkeit
für 16 Jahre ermöglicht, dem andern nicht. Allein etwas derartiges darf
nicht vermutet werden, und die blosse Möglichkeit, dass eine Bestimmung
in einer vor dem Grundsatz der Rechtsgleichheit nicht zu billigenden
Weise angewendet werden könnte (wogegen dein Betroffenen unter Umständen
der staatsrechtliche Rekurs offen stehen würde), gibt noch kein Recht,
die Bestimmung selber als gegen

Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV verstossend anzufechten

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen, mit dem Vorbehalt,
dass den Rekurrenten gegen eine den Art. 15 KV verletzende Auslegung und
Anwendung des § 4 Abs. 1 des Gesetzes betreffend Aufhebung der Ehehaften
durch den kantonalen Richter der staatsrechtliche Rekurs gewahrt bleibt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 34 I 519
Datum : 08. Juli 1908
Publiziert : 31. Dezember 1908
Quelle : Bundesgericht
Status : 34 I 519
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 518 A. Staatsrechiliche Entscheidungen. II. Abschnitt. Bundesgesetze. beschränken,


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
OR: 51
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 51 - 1 Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet.
1    Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, sei es aus unerlaubter Handlung, aus Vertrag oder aus Gesetzesvorschrift dem Verletzten für denselben Schaden, so wird die Bestimmung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam verschuldet haben, entsprechend auf sie angewendet.
2    Dabei trägt in der Regel derjenige in erster Linie den Schaden, der ihn durch unerlaubte Handlung verschuldet hat, und in letzter Linie derjenige, der ohne eigene Schuld und ohne vertragliche Verpflichtung nach Gesetzesvorschrift haftbar ist.
Stichwortregister
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kv • regierungsrat • angemessene entschädigung • verfassung • kantonale behörde • bundesgericht • mass • dauer • kantonsverfassung • frage • berichterstattung • stelle • zahl • berechnung • ermessen • weiler • wohlerworbenes recht • wille • erwachsener • wert
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