A. STAATSREUHTLIGHE ENTSGHElDUNGEN ARRETS DE DROIT PUBLICErster
Abschnitt. Première section. '

Bundesversassung. Constitution fédérale..I. Rechtsverweigerungund
Gleichheit vor dem Gesetze.

Déni de justice et égalité devant la loi.

33. Zweit vom 8. mm 1908 in Sachen von stärker gegen Regierungsrat Yet-n.

Bernisches Erbschaftsund Schenkungssteuergesetz vom 26. Mai 1864, 58 21
Ziff. 1, 24 Abs 1 und 2. Kann ein fideikommz'ssarsiischer .Nacheröe zur
Versteuerung des ihm angefallenenFideilfommissvermägens angefaaltm werden,
wenn der Poe-ON s.Z . wegen Nichtäestehans eines Steuergesetzes keine
Steuer entrichtet hat? Bejahung der Frage durch den bem. Regierungsrat;
willkürliche Gesetzessiaustegung.

A. Im Jahre 1828 errichtete Rudolf Gabriel von Stürler Don Jegenstorf
eine letzte Willensverordnung, worin er sein ihm nicht verwandtes
Patenkind Eduard von Stärke-, des Werkmeister-s Sohn, zum Haupterben
seines Vermögens einsetzte: welcher dasfelbe zu Handen nehmen und bis
an sein seliges Ende unge-

AS 34 I _ 1908 13

188 À. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

hindert geniessen mag, das Kapital aber dennzumal unverändert, wie
er es bei meinem Hinscheid empfangen, an seinen erstgebornen Sohn,
mit Ausschluss seiner übrigen Kinder zu gleicher Benutzung überlassen
soll, welcher denn bei seinem Hinscheide .ebenfalls gehalten ist, es
mit Ausschluss seiner übrigen Kinder feinem Erstgebornen eigentümlich
zu überlassen Der Erblasser verstarb im Jahre 1882 und wurde vom
eingesetzten fideikommissarischen Erben Eduard von Stürler beerbt. Das
Fideikommissvermögen betrug 247,400 alte Franken

Im Jahre 1832 bestand in Bern keine Erbschaftssteuer. Eine solche
wurde erst eingeführt durch Gesetz vom 27. November 1852, an dessen
Stelle das Gesetz über die Erbschaftsund Schenkungssteuer vom 28. Mai
-1864 (mit Abänderung vom 4. Mai 1879) getreten ist. Nach den §§ 1 und
2 dieses Gesetzes, welche Bestimmungen unter dem Titel .,Umfang des
Steuerrechts und der Stenerpflicht stehen, ist von allen unbeweglichen
und beweglichen Sachen, die infolge Beerbung oder Schenknng die
Hand ändern, unter Vorbehalt der in § 3 festgesetzten Ausnahmen, die
Erbschaftsoder Schenkungssteuer zu bezahlen. Rach§ Z sind u. a. von
der Steuer befreit Erbschaften, Vermächtnisse und Schenkungen, die in
aufoder absteigender Linie aniallen. Die Höhe der Steuer bemisst sich
nach dem Verwandtschaftsgrad zwischen dem (Sieben, Vermächtnisnehmer
oder Beschenkten und Erblasser oder Schenker (è 4). Aus dem V. Titel:
Bezahlung der Steuer find folgende Bestimmungen hervorzuheben:

§ 21: Die Steuer ist zu entrichten: von einer Erbschaft, einer
sideikommissarischen Nacherbeinsetzung, einem Vermächtnis, einer
Nutzniessung, einer Leibrente oder einer Schenkung von Todes wegen durch
den Erben des Erblasser .

§ 23: Der Erbe, der die Steuer entrichtet, hat in der Regel das Recht, das
Bezahlte von dem einem jeden Beteiligten zugefallenen Vermögen abzuziehen
oder sich auf andere Weise zurückerstatten zu lassen, jedoch mit den in §
25 angegebenen Modifikationen.

§ 24t Wenn die Steuer von einer Erbschaft oder einer Sache bezahlt worden,
die einem Dritten sideikommissarisch verschrieben

ist, so kann der erste Erbe die Steuer dem fideikommissarischen .

I. Rechtsverweigerung und Gleichheit vor dem Gesetze. N° 33. 189

Nacherben oder Vermächtnisnehmer abziehen, wenn die Erbschaft oder Sache
an diesen übergeht.

Jst der fideikommissarische Nacherbe oder Vermächtnisnehmer mit dem
Erblasser in einem entferntern Grade verwandt als der erste (Erbe, so
hat derselbe dem Staat die daherige höhere Steuer bei dem Übergange der
Erbschaft oder des Vermächtnisses an ihn nachzubezahlen.

Jm Jahre 1905 starb Eduard von Stürler, der sideikommissarische Erbe
des Rudolf Gabriel von Stürler. Gemäss dem Testament des letztern
wurde Nacherbe in Bezug aus das Fideikommissvermögen der Rekurrent als
ersigeboruer Sohn des ersten Erben. Laut Urteil des Appellationsund
Kassationshofes des Kantons Bern vom 24. Mai 1905 stand dem Rekurrenten
als fideikommissarischem Nacherben weder ein dingliches Recht an der
Erbschaft, noch ein obligatorischer Anspruch gegen die übrigen Erben
aus Auslieferung von Erbschastssachen, sondern nur eine Forderung auf
Auszahlung des Schatzungswertes des Fideikommisses (358,000 Fr.) zu.

Die bernischen Steuerbehörden forderten vom Nekurrenten gestützt auf das
Gesetz über die Erbschaftsund Schenkungssteuer vom 26. Mai 1864 51,318
Fr. 53 Ets. Erbschaftssteuer von dem ihm eingefallenen Fideikommiss. Sie
gingen hiebei von der Auffassung aus, dass der Rekurrent als zweiter
Erbe die seinem Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser entsprechende
Erbschaftssteuer zu bezahlen habe, weil der erste Erbe s. Z., im Jahre
1832, keine Erbschastssteuer bezahlt habe. Gegen dieses Ansinnen beschritt
der Rekurrent den Weg des Administrativprozesses, indem er geltend machte,
dass er nach den klaren Bestimmungen des Gesetzes als zweiter Erbe keine
Erbschaftssteuer zu bezahlen habe, weil er mit dem Erblasser nicht in
einem entferntern Grade verwandt sei, als sein Vater, der erste Erbe
(g 24), und dass er nicht verhalten werden könne, die Erbschaftssteuer
nachzuzahlen, die sein Vater im Jahre 1832 mangels eines bezüglichen
Gesetzes nicht entrichtet habe; eventuell verlangte der Rekurrent eine

Reduktion der Steuer, weil das Fideikommissvermögen nicht mehr

vollständig vorhanden sei. Der Rekurrent wurde erstinstanzlich vom
Regierungsstatthalter von Fraubrunnen und zweitinstanzlich

190 A. Staatsrechtlîche Entscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

durch den Regierungsrat (Cntscheid vorn 13. November 1907) abgewiesen. Der
Entscheid des Regierungsrates ist im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Frage, ob ein fideikommissarischer Nacherbe von dem ihm angefallenen
Fideikommissvermögen die Erbschaftssteuer zu bezahlen habe, wenn der
Vorerbe f. Z. wegen Nichtbestehens einer bezüglichen Steuervorschrift
keine Steuer entrichtet habe, sei nicht lediglich auf Grund der §§ 21
und 24 des Gesetzes Von 1864 zu beurteilen. Die letztern Bestimmungen
stünden unter dem Titel Bezahlung der Steuer- (gg 19 25), handeln-n also
nicht von der Steuerpflicht im Prinzip, sondern vom Zahlungsmodus und
den Regressansprüchen desjenigen, der bezahlt habe. Zahlungspflicht
und Steuerpflicht seien aber durchaus nicht identisch. So laste
z. B. die Steuerpflicht auf verschiedenen Miterben pro rata ihrer
Anteile, die Zahlungspflicht dagegen treffe den einzelnen ganz (§ 21
des Gesetzes); die Steuerpflicht laste aus dem Erben und dem Legatar,
die Zahlungspflicht zunächst nur auf dem Erben. Die Steuerpslicht sei
unter dem Titel Umsang des Steuer-rechtes und der Steuerpflicht" in
den §§ 1 und 2 leg. cit. festgestellt Die folgenden Vorschriften kämen
diesen prinzipiellen Normen gegenüber nur als Ausführungsbestimmungen
in Betracht. Sodann bezögen sich die §§ 19 bis 25 auf Vorgänge, welche
von Anfang an unter der Herrschaft des Gesetzes sich abwickelten. Die
Regelung der Fälle, in denen bloss der Übergang auf den Nacherben unter
die Herrschaft des Gesetzes falle, wäre Aufgabe von Übergangsbestimmungen
gewesen. Bedauerlicherweise fehle es an solchen. Diese Lücke auf
Grund der prinzipiellen Bestimmungen des Gesetzes und der Intentionen
des Gesetzgebers auszufüllen, sei Sache der urteilenden Behörde. Wie
aus dem Ausdruck Nacherbe hervorgehe, bezeichne die Terminologie den
Fideikommissar auch als eine Art Erben, die Nacherbsolge daher auch als
eine Art Erbfolge. An diese allgemeine Terminologie schliesse sich auch
das Gesetz an, indem es in § 24 den Fiduziar als ersten Erben bezeichne,
woraus folge, dass es den Fideikommissar als zweiten Erben betrachte.
Der Ausdruck Er-be iu § 21 passe daher nicht nur auf ben Fiduziar,
sondern auch aus den Fideikommissar, obschon zuzugeben sei, dass darunter
in erster Linie der erste Erbe gemeint sei. TrotzI. Rechtsverweigerung
und Gleichheit vor dem Gesetze. N° 33. 191

dieser Terminologie behandle das Gesetz den Nacherben mehr als Legataren,
denn als eigentlichen Erben. Die Konsequenz einer zweimaligen Erbfolge
wäre nämlich auch eine zweimalige Besteuerung gewesen, und eine solche
wolle das Gesetz gerade nicht. Es liege kein Grund vor, anzunehmen,
das Gesetz habe den Nacherben noch günstiger behandeln wollen als einen
Legataren Obschon für den Legataren in erster Linie der Erbe die Steuer
bezahle, erkläre das Gesetz den Legataren direkt steuerpflichtig,
sodass wenn der Erbe aus irgend einem Grunde nicht bezahlt habe, der
Legatar zahlen müsse. Die prinzipielle selbständige Steuerpslicht des
Legatars stehe darnach fest. Möge man daher den Nacherben als einen
wirklichen Erben oder nur als einen Legataren ansehen, so treffe ihn eine
selbständige Steuerpflicht, die sich nach seinem Verwandtschaftsgrad zum
Testator richte und die er dadurch erfüllen müsse, dass er entweder direkt
zahle oder sich den vom Vor-erben bezahlten Betrag vom Fideikommissgut
abziehen lafse, gleich wie sich der Legatar den vorn Erben bezahlten
Betrag vom Legat abziehen lassen müsse. Auch die Entstehungsgeschichte des
Gesetzes biete keinen Anhaltspunkt Dafür, dass man nur den ersten Erben
als grundsätzlich steuerpflichtig angesehen habe. Fernerhin sei auf die
Systematik des Gesetzes hinzuweisen. § 21 gehöre nicht in die Gruppe der
nachfolgenden Paragraphen, sondern bilde mit den vorhergehenden §§ 19 und
20 eine Gruppe von Beimmungen, welche festsetztenmo, respektive an wen,
wann und von wem die Zahlung zu leisten sei, während andererseits die
gg 22 25 zusammen gehörten und die Regressrechte desjenigen kegelten,
der bezahlt habe ($ 22 Nutzniessung, § 23 Miterben und Legatare, § 24
Nacherben und § 25 Leibrenten). Voraussetzung dieser Bestimmungen sei
somit immer eine bereits erfolgte Zahlung. Da wo, wie hier, eine solche
fehle, fielen sie überhaupt ausser Betracht. Wenn auch zuzugeben sei,
dass chronologisch und daher auch regelmässig die Zahlungspslicht des §
21 den ersten Erben treffe, und dass der Nacherbe dann infolge dieser
Zahlung nichts mehr, oder nur noch die in § 24 Abs. 2 erwähnte Differenz
zu bezahlen habe, so erleide diese Regel schon dann eine Ausnahme,
wenn der erste Erbe infolge naher Verwandtschaft überhaupt nicht
steuerpflichtig sei. In diesem Falle

192 A. staatsrechtlicheEntscheidungen. 1. Abschnitt. Bundesverfassung.

treffe § 21 den zweiten Erben. Dieser zahle dann kraft § 21 und nicht
etwa kraft § 24. § 24 stelle nicht eine Zahlungspflicht auf, sondern
einen Regress dessen, der bezahlt habe, und die Folgen dieses Regresses
auf den Umfang der Steuerpflicht des Nacherben. Habe der Vorerbe mangels
eigener Steuerpflicht, sei es infolge naher Verwandtschaft oder aus
andern Gründen (wie z. B. der vorliegende) nichts bezahlt, so sei die
Zahlung des Nacherben keine Nachzahlung mehr, sondern es werde die
ganze Steuerpflicht des Nacherben erst mit dem Moment des Überganges
des Fideikommissgutes an ihn fällig. Auch der Einwand des Rekrurenten,
dass ihm die Erbschaft schon mit dem Tode des Erblassers

im Jahre 1832, nicht erst des Vorerben im Jahre 1905, ange_

fallen sei, und deshalb schon der Erbschaftsanfall hier nicht besteuert
werden dürfe, sei unbehelflich. Nach wie vor bleibe die Tatsache bestehen,
dass der Nacherbe die Erbschaft erst erhalte, wenn beide Zeitpunkte,
der dies cedens und der dies veniens, eingetroffen seien. Mit dem dies
cedens erhalte der Fideikommissar allerdings einen Rechtsanspruch,
den er weiter vererbe, und der ihn gegenüber dem Fiduziar zu gewissen
Sicherung-sanspriichen berechtige; seine Forderung auf Herausgabe des
Fideikommissgutes und damit auch die Voraussetzung einer Handänderung
werde aber immer erst mit dein dies Yenieus fällig. Das Erbschaftsund
Schenkungssteuergesetz besteuere nun aber nicht die Rechtsansprüche
als solche, sondern die Handänderungen, die infolge derselben
erfolgten. Ausgeschlagene Erbschaften und Legate verpflichteten den
ausschlagenden Erben oder Legatar nicht zur Steuer, indem es in diesem
Falle an einer Handänderung zu ihren Gunsten fehle.

B. Gegen den Entscheid des Regierungsrates hat Eduard von Stärker den
staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung
ergriffen. Es wird ausgeführt: Der angefochtene Entscheid sei nicht
nur nnrichtig, sondern willkürlich; ausser dem hier nicht in Betracht
kommenden § 24 besiehe im bernischen Erbschaftssteuergesetz keine
Bestimmung, die den Staat berechtige, von einem fideikommissarischen
Nacherben eine Erbschaftsfieuer zu beziehen. Die Motive, mit denen der
Regierungsrat den Steueranspruch begründe, seien zwar geschickt redigiert,
I. RechtsverWeigerung und Gleichheit vor dem Gesetze. N° 33. 193

aber deshalb doch nichts anderes, als bewusste Trugschlüsse, dazu
bestimmt, jenen klaren Tatbestand zu verdunkeln und den geplanten
Willkürakt zu verschleiern. Es sei durchaus falsch, dass § 21 des
Gesetzes von 1564 nicht die Steuerpflicht, sondern nur den Zahlungsmodus
normiere. Zu jedem Steneranspruch gehöre ein Steuerobjekt und ein
Steuersubjekt Eine grundsätzliche Steuerpflicht ohne diese beiden
Reauisite gebe es nicht. Die §§ 1 und 2 behandelten ganz offenbar die
Steuerobjekte, § 21 hie Steuersubjekte Diese Bestimmungen ergänzten sich
notwendigerweise; nur wo die Voraussetzungen beider zusammentreffen, könne
von der Steuerpflicht eines Jndividuums die Rede sein. Eine Verpflichtung
zur Versteuerung der in §§ 1 und 2 angegebenen Objekte treffe nur die in
§ 21 als Steuersubjekte bezeichneten Personen. Es sei sodann unrichtig,
dass das Gesetz eine Lücke aufweise. Die Regelung des Falles ergebe sich
klar aus den §§ 21 und 2 1. Übrigens wären die administrativen Behörden
gar nicht befugt, eine solche Lücke im Wege der Analogie auszufüllen.
Bei dem klaren Wortlaut des § 21 seien die Versuche der Motive, eine
Steuerpflicht des Fideikommissars aus der Analogie mit dem Legatar
abzuleiten, mässige. Sie seien aber auch ganz unzutreffend. Ganz falsch
und direkt gesetzwidrig sei sicher der Schluss, dass nach dem bestehenden
Gesetze den Fideikommissar eine selbständige Steuerpflicht treffe. Das
Gesetz gehe von der klaren Voraussetzung aus, dass die Erbschaftssieuer
bereits vom Haupterben bezahlt worden sei; denn diesen halte es,
seitdem es in Kraft sei, dazu an. Auch das Verhältnis von § 21 zu §
24 sei in den Motiven ganz willkürlich entstellt. Richtig sei einzig,
dass die §§ 23 25 den Rückgriff normierten, das Recht des zahlenden
Erben, unter gewissen Voraussetzungen die von ihm bezahlte Steuer von
einem andern zurückzufordern oder abzuziehen. Aber das sei ein internes
Rechtsund Rechnungsverhältnis zwischen den verschiedenen an der Erbschaft
Berechtigten, das daran, wer dem Staate gegenüber steuerpflichtig sei,
nichts andere. Im Gegenteil gehe gerade aus den Regressbestimmungen
mit aller wünschbaren Deutlichkeit hervor, dass der Staat sich an den
Erben und nur an diesen halten wolle und dürfe und es diesem überlasse,
sich mit seinem Regresspflichtigen auseinanderzusetzen. Möge

194 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

die Steuer ferner an den Erbschaftsanfall oder die Handänderung anknüpfen,
so dürfe sie Unter allen Umständen nur von demjenigen erhoben werden,
der im Gesetz als Steuersubjekt bezeichnet, als solcher passiv
legitimiert sei. Und wenn es auch richtig sei, dass die Steuer eine
Handänderungssieuer sei, so könne sie den Nacherben, abgesehen von
§ 24 des Gesetzes, gerade deshalb nicht treffen, weil er gar keinen
Anspruch auf Aushändignng der Erbschaft, sondern, wie der Appellationshof
speziell bezüglich der Erbschaft von Stürler erkannt habe, einzig eine
obligatorische Forderung auf Bezahlung des Schatzungswertes besitze. Eine
Handänderung an der Erbschaft finde also nur bei ihrem Übergang vom
Erblasser auf den Fiduziar, nachher aber nicht mehr statt.

C. Der Regierungsrat des Kantons Bern hat aus Abweisung des Rekurses
angetragen. Die Vernehmlasfung verweist auf dieBegründung des
angesochtenen Entscheides. Ausserdem wird bemerkt: Es stehe nicht im
Belieben der Regierung, den Bürgernihre Steuern zu erlassen, wenn sie
der Ueberzeugung sei, dass. dieselben nach Gesetz und Recht geschuldet
seien. Sie sei vielmehr von Amtes wegen verpflichtet, die genaue Erfüllung
der öffentlichen Leistungen durch den Einzelnen einzufordern, auch wennes
dieser als unbillig und hart empfinden sollte. Die Titelüberschriften
des Gesetzes liessen deutlich erkennen, dass dessen Syste- matik nicht
aus dein Unterschied Von Steuerobjekt und Steuersubjekt aufgebaut sei,
und dass man letztere daher da suchen muffe, wo man sie finde. Als
Steuersubjekte finde man konsequent bezeichnet (è 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2, §
10, § 12 Biff. 2; vergl. auch§ 2 des Gesetzes vom 4. Mai 1879) den Erben,
den Vermächtnisnehmer und den Beschenkten. Statt nun die Steuer von jedem
einzelnen Steuerpflichtigen nach Massgabe seiner Steuerpflicht einzu-

kassieren, halte sich der Staat einfach an den Erben und überlasse

es diesem, die andern Verpflichteten zum Ersatze anzuhalten. Zu letzterem
Zwecke rüste ihn das Gesetz mit den nötigen Regressrechten aus. Dies
sei die Bedeutung des § 21 im Zusammenhang mit den übrigen Bestimmungen
des Titels V. Umgekehrt enthielten die §§ 1 und 2 durchaus nicht nur
die Aufzählung dev' Steuerobjekte, sondern was viel wichtiger sei, die
Bezeichnung derjenigen objektiven Vorgänge des Wirtschaftslebens, durch
welcheI. Rechtsverweigerung und Gleichheit vor dem Gesetze. N° 33. 195

die Steuerpflicht grundsätzlich erzeugt merde. Die nähere Bezeichnung
der Steuerobjekte und Subjekte usw. sei dann nur die Ausführung dieses
den Angelpunkt des Gesetzes bildenden Grundsatzes. Die ratio legis,
welche in diesen fundamentalen Bestimmungen des Gesetzes zum Ausdruck
komme, sei nun deutlich und klar. Wie der Staat bei der Vermögens-,
Kapitalund Einkommenssteuer vom Bürger einen Teil der ihm als Grundrente,
Kapitalzins, Unternehmergewinn oder Arbeitslohn zukommenden Einnahmen
abverlange, so wolle er mit der Erbschaftssteuer einen Teil desjenigen
Vermögens erhalten, welches dem Bürger infolge erbrechtlicher Bestimmungen
zufliesse. Diesem Grundsatz entsprechend ergebe sich ohne weiteres,
dass derjenige Steuersubjekt sein müsse, zu dessen Gunsten ein solcher
Vermögenszuwachs stattfinde, also eben der Erbe, der Vermächtnisnehmer
und der Beschenkte. Wenn das Gesetz dabei den Nacherben nicht auch noch
speziell erwähne, so habe das seinen Grund offenbar darin, dass der
Nacherbe immer entweder ein Erbe oder ein Vermächtnisnehmer sei. Auch die
weitere Behauptung des Rekurrenten, es finde nur bei Universalsukzefsion
eine Handäuderung im Sinne des Gesetzes statt, sei unrichtig, wie
sich schon daraus ergebe, dass ja auch der Vermächtnisnehmer nicht
Universalsukzessor sei. Ob der dem Bürger zukommende Vermögenszuwachs
durch einen dinglichen oder einen obligatorischen Anspruch, ob durch
einen solchen auf Naturalerfüllung oder auf Wertersatz bewirkt werde,
sei bei der erwähnten rat-So legis vollständig gleichgültig Ziehe man
in Betracht, dass das Gesetz lediglich den Fall behandle, wo sowohl der
Vorerbe wie der Nacherbe unter der Herrschaft des Gesetzes die Erbschaft
antreten, so lasse sich nicht bestreiten, dass man es hier mit einem
Übergangsfall zu tun habe. Auch der Rekurrent bestreite dies im Grunde
nicht. Dann erstreckte sich das Gesetz entweder gar nicht auf diesen
Fall, oder er sei an Hand der allgemeinen grundlegenden Bestimmungen
des Gesetzes zu Beurteilen, und nicht an Hand von Bestimmungen, die
ausdrücklich eine Steuerpflicht und auch eine Steuerleistung des Vorerben
zur Voraussetzung hätten.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Das bernische Erbschaftsund Schenkungssieuergesetz vom

196 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Jahre 1864 enthält für die Besteuerung der fideikommissarischen
Nacherbeneinsetzung in seinen durchaus klaren Vorschriften folgendes
System: Die Erbschaftssteuer wird nur einmal erhoben und zwar vom
ersten Erben (Fiduziar) beim Übergang der Erbschaft auf ihn und gemäss
seinem Verwandtschaftsgrad zum Erblasser (g 21 Biff. 1); die bezahlte
Erbschaftssteuer vermindert dann das Fideikommissvermögen (% 24 Abs. 1);
der zweite Erbe (Fideikommissar) hat beim Übergang des Vermögens an
ihn lediglich eine Art ergänzende Erbschaftssteuer zu entrichten,
falls er in einer für die Berechnung der Erbschaftssteuer wesentlichen
Weise entsernter mit dem Erblasser verwandt ist als der Fiduziar {g 24
Abs. 2). Nach diesen nnzweideutigen Bestimmungen des Gesetzes kann kein
Zweifel sein, dass der wirtschaftliche und rechtliche Vorgang, an den
beim Fideikommiss die Erbschaftssteuer grundsätzlich animipr der Übergang
des Vermögens auf den Fiduziar ist, womit sich auch wirtschaftlich und
rechtlich die Gestaltung des Vermögens zu einem Sondergut vollzieht-;
dass in Ansehung dieser Erbschastssteuer der Fiduziar Steuersubjekt,
d. h. gesetzlich zur Zahlung der Steuer verpflichtet ist; dass,
abgesehen vom Falle des § 24 Abs. 2, der Übergang des Fideikommisses vom
Fidnziar auf den Fideikommissar nicht besteuert wird, der letztere in
Bezug auf die Erbschaftssteuer nicht Steuersubjekt, sondern höchstens,
zusammen mit dem Fiduziar, Steuer-träger ist insofern die vom Fiduziar
bezahlte Steuer das Fideikommiss dauernd vermindert Das Gesetz legt sich
keine rückwirkende Kraft bei (ob und wie weit dies vor dem Grundsatz
der Rechtsgleichheit überhaupt zulässig ware, kann dahingestellt
bleiben). Es will nur diejenigen Tatbestande steuerrechtlich erfassen,
die sich seit seinem Inkrafttreten ergeben und kann auf frühere Vorgänge
nicht angewendet werden. Für den Übergang eines Fideikommissvermögens
Vom Erblasser auf den Fiduziar, der vor diesem Zeitpunkte stattgefunden
hat, kann nach der deutlichen Ordnung des Gesetzes nicht nachträglich
Vom Fideikommissar die Erbschaftssteuer beansprucht werden, weil der
massgebende Vorgang vor die zeitliche Herrschaft des Gesetzes fällt
und der Fideikommissar nach dem Gesetz auch nicht Steuersubjekt ist in
Bezug auf diese Steuer. Die Erbschaft-Hierin,v die der Regierungsrat im
angesochtenenI. Rechtsverweigerung und Gleichheit vor dem Gesetze. N°
33. 197

Entscheid dem Reknrrenten für das im Jahre 1832 vorn Erblasser auf
seinen Vater als Fiduziar übergegangene, im Jahre 1905 vom Rekurrenten
angetretene Fideikommissgut ausschliesslich aus § 21 Ziff. 1 (nicht
etwa aus § 24 Abs. 2) auferlegt hat, verstösst darnach gegen klares
Recht: entgegen dem unzweideutigen Wortlaut und System des Gesetzes
wird der Übergang des Vermögens vom Fiduziar auf den Fideikommissar
als steuerpflichtiger Vorgang und der Fideikommissar als Steuersubjekt
behandelt; es wird in Wahrheit dem Gesetz rückwirkende Kraft beigelegt
und für einen Vorgang, der nach damaligem Rechte steuerfrei war, vom
Fideikommissar nachträglich die Steuer erhoben.

2. Die Argumente, mit denen der Regierungsrat seinen gesetzwidrigen
Entscheid zu stützen versucht, sind denn auch augenscheinlich
unzutreffend;sie können nicht als Ausdruck einer wirklichen, innern
Rechtsüberzeugung, als eine objektive und unbefangene Auslegung des
Gesetzes gelten, sondern scheinen dem Bestreben entsprungen zu fein, unter
allen Umständen zu einem vom fiskalischen Standpunkte aus erwünschten
Resultat zu gelangen.

Bei der Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung ist in erster Linie
aus deren klaren Jnhalt und nicht auf eine Titelüberschrift, die in
ihrer Kürze verschieden aufgefasst werden kann, abzustellen. Scheint
sich die letztere nicht mit dem Inhalt der Bestimmung zu decken, so ist
selbstverständlich der Titel nach dem Jnhalt zu berichtigen und darf
nicht der Inhalt ans dem Titel sozusagen in sein Gegenteil verkehrt
werden, wie es hier seitens des Regierang States geschieht. Die §§
21 Ziff. 1 und 24 des beruischen Erbschaftsftenergesetzes regeln
aber nach ihrer deutlichen Fassung in grundsätzlicher Weise die
Erbschaftssteuer beim Fideikommiss überhaupt, indem sie den für die
Erhebung der Steuer massgebenden Vorgang und das Steuersubjekt bestimmen,
und sie ordnen keineswegs nur die mehr äusserlichen Modalitäten der
Zahlung Das Verhältnis der genannten Vorschriften zu den @@ 'l und 2 ist
dasjenige von nähern Ansführungsbesiimmungen für besondere Fälle zu den
allgemeinen Normen. Es ist flat, dass der Einzelfall zunächst nach der
ihn betreffenden Spezialbestimmung entschieden werden muss und dass es
nicht angeht, sich über die letz-

198 A. staats-rechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

tere gestützt aus die allgemeine Norm oder gar die generelle ratio des
Gesetzes hinweg zu setzen. Dies hat aber der Regierungsrat getan, wenn er
entgegen den §§ 21 und 24 die Erbschaftssieuerpflicht des Rekurrenten aus
den §§ 1 und 2 und dem allgemeinen Zweck des Gesetzes herleitet. Es ist
auch durchaus nnrichtig, dass das Gesetz in Bezug auf die vorliegende
Frage eine Lücke aufweisen würde, die vom Regierungsrat als der
erkennenden Behörde durch Analogie ausgefüllt werden könnte. Die dem
Gesetze entsprechende Lösung des Falles ergibt sich ohne weiteres aus den
§§ Li und 24 in Verbindung damit, dass das Gesetz keine rückwirkende Kraft
hat. Was der Regierungsrat eine Lücke im Gesetz nennt, ist keine Lücke
de lege lata, sondern vielleicht ein Mangel de lege ferenda. Der Fall
kann aus dem Gesetz direkt entschieden werden, ohne dass die erkennende
Behörde das Gesetz durch Findung eines neuen Rechtssatzes ergänzen müsste;
dagegen mag es denkbar sein, dass der Gesetzgeber, wenn er sich s. Z.
über die Konsequenzen klar gewesen wäre, anders disponiert hätte. Es ist
selbstverständlich unzulässig, bei der blossen Anwendung des Gesetzes eine
klare Bestimmung zu korrigieren, insbesondere eine im Gesetze zweifellos
nicht enthaltene Steuerpslicht im Wege der Analogie aufzustellen Damit
fallen denn auch alle Erwägungen des angefochtenen Entscheides als
gänzlich unbehelflich dahin, die mit der Analogie von Vermächtnis und
der sideikommissarischen Nacherbeneinsetzung argumentieren oder sonstwie
die Steuerpslicht des Rekurrenten durch Analogie zu begründen versuchen.

Nach dem gesagten stellt sich der angefochtene Entscheid als willkürlich
dar und muss daher wegen Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV aufgehoben werden.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird gutgeheissen und
demgemäss der angefochtene

Entscheid des Regierungsrates des Kantons Bern vom 13. November 1907
aufgehoben.I. Rechtsverweigerung und Gleichheit vor dem Gesetze. N°
34. 199

34. Ali-teil vom 8. zweit 1908 in Sachen Magnet-gehengegen Thurgantsehe
Hypothekenbank (@bergericht Thurgau).

Bedeutung der Eigentumsgarantie (5 1 i theory. E V), insbesondere bei
Strait-igm Bechtsverhdlmissen (Bauinhibition). Willkîirliche Auslegung
der Zhurgeeuischm Bestimmungen über Baurecht?

Das Bundesgericht hat auf Grund folgender Tatsachen:

A. Die Thurgauische Hypothekenbank errichtete im Jahre 1903 in Kreuzlingen
auf einem vom Rekurrenten J. Brugger-Schoop erworbenen Bauplatz, der nach
einer Seite hin an anderweitigen Grundbesitz des Rekurrenten angrenzt,
ein Filialgebäude. Das hiefür aufgestellte Bauvisier hatte auf jener
Seite die rechtmässige Bauentfernung von 10 Fuss, gleich 3 M. von der
Eigentumsgrenze eingehalten; bei der Ausführung des Baues aber war die
Visierlinie überschritten worden, indem einerseits das Gebäude selbst,
dessen Flucht der fraglichen Eigentumsgrenze nicht parallel läuft,
an der einen, dieser Grenze zugewandten Ecke auf eine Länge von 70
Cm. mit einem dreieckiörmigen Abschnitt von 14 Cm. grösster Breite (die
vollständig auf den Sockelvorsprung entfällt), und anderseits eine weiter
einwärts an der betreffenden Gebäudeseite angebrachte Aussentreppe um
15 bis 79 (Em. in die von rechtswegen baufreie Zone hineingebaut wurde.
Nach Vollendung des Gebäudes, im Jahre 1905, erhob BruggerSchoop gegen die
Hypothekenbank Klage mit dem Rechtsbegehren, die Beklagte sei im Sinne der
Klagebegründung pflichtig zu erklären, die betreffende (nordwestliche)
Seite ihres neuen Bankgebäudes bis auf mindestens 10 Fuss von seinem
Grundeigentum zurückzusetzen In der Klagebegründung behauptete er
zunachsi doloses oder mindestens fahrlässiges Verhalten der Beklagten:
betonte jedoch später, dass der Klageanspruch nicht etwa persönlicher-,
sondern dinglicher Natur sei, und das thurgautsche Obergertcht trat dieser
Auffassung bei, indem es die Klage durch Rekursentscheid betreffend den
Gerichtsstaud als dingliche, nachbarrechtltche
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 34 I 187
Datum : 08. Januar 1908
Publiziert : 31. Dezember 1908
Quelle : Bundesgericht
Status : 34 I 187
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : A. STAATSREUHTLIGHE ENTSGHElDUNGEN ARRETS DE DROIT PUBLICErster Abschnitt. Première


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
erbe • nacherbe • regierungsrat • erblasser • treffen • bundesverfassung • analogie • fideikommiss • steuerobjekt • vorerbe • weiler • verwandtschaft • zahl • bundesgericht • norm • regress • frage • vater • hypothekenbank • beschenkter
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