V. Petitionsrecht. Droit de pétition.
10. Izu-teil vom 6. Februar 1907 in Sachen Rächer-it und Genossen gegen
Regierungsrat Ebwatden und Gemeinderat {His-mic.
Vollmacht zum staatsrechtlichen Reàurs. Was ist Petition. im Sinne
von Art-. 57 BV? Inkompete-nz des Bundeàssssîere'chts (und Kompetenz
des Bundesrates) zussr Beurteilung von Beschwerdeu wegen Versetzung des
Im'tiatiwechtes in Gmeindengelegenheiéffl ; OG Art. 189 Abs. 3.
A. Im Jahre 1904 beschloss die Einwohnergemeindeversammlung Giswil den Bau
eines neuen "Schulhauses, in der Meinung, dass die Lösung der Platzfrage
speziell in welchem Gemeindebezirke es erstellt werden sollte einem
spätern Beschluss vorbehalten bleibe In der Einwohnergemeindeoersammlung
vom 14. Mai 1905 wurde die letztere Frage nach gewalteter Diskussion-
mit 219 gegen 127 Stimmen dahin entschieden, dass das Schulhaus im
Gemeindebezirk Grossteil, beim jetzigen Schulhaus, gebaut werden
sollte. Mit Eingabe vom August 1905 richteten die Bewohner der
Gemeindebezirke Rudenz und Kleinteil an den Gemeinderat zu Handen einer
einzuberufenden Gemeindeversammlung den Antrag, es sei im Hinblick aus die
obwaitenden besondern Verhältnisse der Gemeinde Giswil die Schulgemeinde
in der Weise zu trennen, dass der Bezirk Grossteil und die Bezirke
Kleintail und Rudenz zusammen je einen Schulkreis mit selbständiger
Verwaltung bilden. Am 1. September 1905 beschloss der Gemeinderat,
auf das Begehren sei, weil verfassungswidrig, nicht einzutreten. Eine
grössere Zahl Einwohner von Kleinteil und Rudenz bevollmächtigte hierauf
eine zwölfgliedrige Kommission, für den Bau eines-eigenen Schulhauses
für ihre Bezirke, verbunden mit einer rationellen Ausscheidung der
verwaltungsrechtlichen und finanziellen Verhältnisse der Gemeinde,
die geeigneten Schritte einzuleiten und durchzuführen, alle hiefür
geeignet scheinenden recht- lichen Massnahmen zur Anwendung zu bringen
und überhauptv. Petitionsrec'ht. N° m. · 77
alles zu tun, was die vollständige Erreichnng des erwähnten Zweckes
erfordere, mit voller Genehmhaltung aller Schritte zum voraus und mit
Substitutionsbesugnis. Die Vollmacht ist von 112 stimmberechtigten
Gemeindeeinwohnern unterzeichnet. Diese Kommission stellte im Oktober
1905 an den Gemeinderat zu Hemden einer demnächst einzuberufenden
Einwohnergemeinde den Antrag: 1. Es sei ohne Trennung der Schulgemeinde
für die Zwecke und Bedürfnisse der Gemeindebezirk-.Rudenz und Kleinteil
ein eigenes Schulhaus in Rudenz zu erstellen und das hiefür nötige
Lehrpersonal anzustellen. 2. Als Besuchsgrenze für dieses Schulhaus gelte
der jetzige Laus der Laui, beginnend beim Abensitli bis zum See. Der
Gemeinderat wies am 18. November 1905 das Gesuch ab, weil es durch den
rechts-kräftigen Beschluss der Einwohnergemeinde vom 14. Mai 1905 über
den Platz des neu zu erstellenden Schulhauses als erledigt zu betrachten
sei. Über diesen Beschluss beschwerte sich die erwähnte Kommission namens
ihrer Austraggeber beim Regierungsrat von Obwalden mit dem Antrag,
es sei der Gemeinderat Giswil zu verhalten, dem Gesuch der Petenten
zu willfahren. In der Begründung der Beschwerde wurde ausgeführt,
es wäre eine verfassungswidrige Verkümmerung des demokratischen
Rechts aus Initiative, wenn eine solche Petition durch Beschluss des
Gemeinderates der Behörden, an die sie in Wahrheit gerichtet sei, nämlich
der Einwohnergemeinde, entzogen werden könnte. Es sei nicht richtig,
dass das Gesuch der Petenten durch den Gemeindebeschluss vom 14. Mai
1905 erledigt sei, abgesehen davon, dass der Antrag einer grossen Zahl
stimmfähiger Bürger auf Wiedererwägung eines Gemeindebeschlusses nicht
einfach ignoriert werden dürfe. Jener Beschluss befasse sich mit dem
Neuban eines Schulhauses für die ganze Gemeinde und der bezüglichen
Platzfrage, während von den Petenten die neue Frage aufgeworfen
merde, ob nicht für die Bezirke Kleinteil und Rudenz ein besonderes
Schulgebäude zu erstellen sei. Es handle sich bei der Beschwerde um
die Lösung der verfassungsrechtlichen Frage, ob die Petenten zu einer
solchen Antragstellung an die Gemeinde grundsätzlich befugt seien und der
Gemeinderat nicht die Pflicht habe, den Antrag einer Gemeindeversammlung
zu unter-breiten
78 A. Staatsrechtliche Entscheidungen, !. Abschnitt. Bundesverfassung.
Der Regierungsrat wies die Beschwerde durch Entscheid vom 14. Mai 1906
ab. Hiebei wurde der Standpunkt des Gemeinderates gebilligt, dass die
von den Rekurrenten ausgeworfene Frage der Ersiellung eines besondern
Schulhauses für Kleinteil Und Rudenz durch den Gemeinde-beschluss
vom 14. Mai 1905 in verneinendem Sinne erledigt sei. Die Rekurrenten
bezweckt-en also in Wahrheit eine Wiedererwägung jenes Beschlusses. Nun
gebe es aber in Gemeindeangelegenheiten nach Obwaldner Verfassungsrecht
kein Recht der Initiative. Deshalb könne eine Gemeindebehörde nicht
gezwungen werden, einen Antrag von Gemeindeeinwohnern auf Wiedererwägung
eines definitiven Gemeindebeschlusses vor die Gemeinde zu bringen.
B. Gegen den Entscheid des Regierungsrates hat die mehrfach
erwähnte Kommission von Einwohnern der Gemeinde Giswil den-
staatsrechtlichen Rekurs ans Bundesgericht ergriffen mit dem Antrag,
es sei der Entscheid aufzuheben und es sei der Regierungsrat zu Handen
des Gemeinderates von Giswil anzuweisen, die Petition der Rekurrenten der
Gemeindeversammlung zur Beschlussfassung vorzulegen. Aus der Begründung
ist lediglich hervorzuheben, dass behauptet wird, der angefochtene
Entscheid verletze die Gewährleistung des Petitionsrechts (Art. 57
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 57 Sicherheit - 1 Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung. |
|
1 | Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung. |
2 | Sie koordinieren ihre Anstrengungen im Bereich der inneren Sicherheit. |
sowie das Recht auf Initiative, das aus der Kantonsverfafsung, als auch
für Gemeindeangelegenheiten bestehend, gefolgert wird.
C. Der Regierungsrat Von Obwalden und der Einwohnergemeinderat von Giswil
haben auf Abweisung des Rekurses angetragen. In der Vernehmlassung des
Einwohnergemeinderates wird auch der formelle Einwand erhoben, dass die
der Kommission von Einwohner-: der Giswiler Gemeindebezirke Kleinteil
und Rudenz von den letztern ausgestellte Vollmacht sich nicht auf die
Erhebung einer staatsrechtlichen Beschwerde beim Bundesgericht erstrecke.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Der vom Einwohnergemeinderat Giswil erhobene formelle Einwand ist
unbegründet. Die Vollmacht, die von 112 Einwohnern von Giswil einer
Kommission von 12 Mitgliedern ausgestellt worden ist, um den Bau eines
eigenen Schulhauses für die Gemeindebezirke Kleinteil und Rudenz zu
betreiben, gilt ausdrück-V. Petitionsrecht. N° 10. 79
lich für alle gutscheinenden rechtlichen Massnahmen und überhaupt alle
zur Erreichung des vorgesetzten Zweckes erforderlichen Schritte. Jhrer
ganz allgemeinen Formulierung nach ist sie auch aus das Rechismittel
des staatsrechtlichen Rekurses zu beziehen.
2. Petition im Sinne des Art. 57
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 57 Sicherheit - 1 Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung. |
|
1 | Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung. |
2 | Sie koordinieren ihre Anstrengungen im Bereich der inneren Sicherheit. |
eine Bitte sein, die von aussen an eine Behörde gerichtet wird, sie
möchte eine in ihren Geschäftskreis fallende Amtshandlung vornehmen,
eine Verfügung, einen Erlass treffen. Dagegen erscheint ein Antrag,
der ans dem Schosse einer Behörde, eines Organs selber gestellt wird,
nicht als Petition. In der Eingabe der Rekurrenten an den Gemeinderat
Giswil vom Oktober 1905 mag vielleicht insofern eine Petition gefunden
werden, als darin diese Behörde von Gemeindegenossen eingeladen wurde,
in bestimmter Richtung tätig zu werden nämlich den Antrag der Rekurrenten
betreffend Erstellung eines besondern Schulhauses für die Gemeindebezirke
Kleinteil und Rudenz der nächsten oder einer besonders einzuberufenden
Gemeindeversammlung zu unterbreiten. Doch kann bei dieser Auffassung von
einer Verletzung des Art. 57
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 57 Sicherheit - 1 Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung. |
|
1 | Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung. |
2 | Sie koordinieren ihre Anstrengungen im Bereich der inneren Sicherheit. |
Eingabe vom Gemeinderat entgegengenotnmen und aus materiellen Gründen
abgewiesen worden ist. Die Garantie des Petitionsrechts hat nur die
Bedeutung, dass Petitionen ohne Hindernisse und Rechtsnachteile bei
den Behörden eingereicht werden dürfen, und die Petenten, falls nicht
etwa die Form der Petition im Wege steht, in solcher Weise angehört
werden müssen. Ein Recht aber darauf, dass einer Petition Folge gegeben
oder auch nur, dass sie einlässlich behandelt werde, kann daraus nicht
gefolgert werden.
3. Richtigerweise wird man in der Eingabe der Rekurrenten nicht
sowohl eine Petition an den Gemeinderat, sondern einen Antrag von
Gemeindegenofsen zu Handen der Gemeindeversammlung also von Gliedern eines
Gemeindeorgans an das Organ, erblicken. In dieser Beziehung ist durch den
Rekurs die Frage ausgeworfen, ob in Obwalden für Gemeindeangelegenheiten
ein ähnliches Jnitiativrecht der Gemeindegenossen besteht, wie es Art. 26
KV auf kantonalem Boden dem Stimmfähigen gut-tmtiert. Die Rekurrenten
behaupten, dass das von ihnen aus der KV gefolgerte Jnitiativrecht in
Gemeindesachen durch den regie-
80 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.
rungsrätlich geschützten Gemeinderatsbeschluss vom 18. November 1905
verletzt sei. Ein solches Jnitiativrecht würde mit der politischen
Stimmberechtigung aufs engste zusammenhängen, von der s es ein
Ausfluss ware. Es würde daher nach Art. 189
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 57 Sicherheit - 1 Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung. |
|
1 | Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung. |
2 | Sie koordinieren ihre Anstrengungen im Bereich der inneren Sicherheit. |
unter dem Schutz nicht des Bundesgerichts, sondern des Bundesrates (und
eventuell der Bundesversammlnng) stehen. Die genannte Bestimmung wird
vom Bundesgericht und vom Bundesrat Übereinstimmend dahin ausgelegt,
dass darnach alle mit der Ausübung der politischen Stimmberechtigung und
mit kantonalen Wahlen und Abstimmungen zusammenhängenden Beschwerden in
die Zuständigkeit des Bundesrates fallen, wobei es nach feststehender
Praxis auch keinen Unterschied macht, ob es sich um das Stimmrecht, um
Wahlen und Abstimmungen in kantonalen oder Gemeindeangelegenheiten handelt
(s. AS 27 I S. 488; 28 I S.156 und die dort. Bit. sabweichend 25 IS. 71],
Entsch. d. Bunde-states vom 11. Januar 1907 i. S. Wolff und Gen.). Auf
die Beschwerde einer Verletzung des Jnitiativrechts kann deshalb wegen
Jnkompetenz des Bundesgerichts nicht eingetreten werden.
Demnach hat das Bundesgericht erkannt:
Auf die Beschwerde betreffend Verletzung des Jnitiativrechts wird nicht
eingetreten Im Übrigen wird der Rekurs abgewiesen.
VI. Gerichtsstand. Du for.
:1. Verfassungsmässiger Gerichtsstand. Unzulässigkeit von
Ausnahmegerichten. For natural. Inadmissibilité de tribunaux
exceptionnels.
Vergl. Nr. 21 n. 22.VI. Gerichtsstand. 2 Des Wohnortes. N° 11. 81
2. Gerichtsstand des Wohnen-tes. Por du domicile.
111. gute-il vom 27. Februar 1907 in Sachen "gliene; gegen gote-h.
Reis-WS wegen Rechtswrweigeremg : Erscköpfung des Mitleiter-ten I
Metanzeeezuges ist Vom-eessetzung. Art. 59 BP'g/Gere'chtssäand des Weim-
ortes) ist nicht verletzt, wen-n ein Prezess ledigiich als Fm'tsetz-ung
eines frééhe-rn Prozesses erscheint, für dessen. Beurteilung die
Zuständigkeit anerkannt war.
A, Am 13. Februar 1903 veranlasste der Rekurrent Franz Anton Meyer,
geboren am 24. August 12584, von Wohleuschwil (Kanton Aargau), in Waffen
(Kanton Uri), der Stiefsohn des Lehrers Z. Dörig daselbst, den Knaben
Kaspar Gamma, eine Kapsel, die er ihm gegeben Batte, zu zerschlagen. Bei
dieser Manipulation erlitt der damals 11jährige Rekursbeklagte Josef
Loretz eine Verletzung des einen Auges, die dessen Verlust zur Folge
hatte. Deswegen wurde Franz Anton Meyer in Strafuntersuchung gezogen. Jm
Strafverfahren machte der Vater des verletzten Ioses Loretz für diesen
adhäsiousweise eine Entschädigungssorderung von 6000 Fr. geltend. Durch
Urteil vom 4. Januar 1904 sprach das Kreisgericht Uri den Angeklagten
Meyer von Schuld und Strafe frei und wies gleichzeitig die Forderung des
Zivilklägers Loretz ab. Auf Appellation dieses Letztern aber erkannte
das Obergericht des Kantons Uri am 10. Februar 1904: Die Appellation
sei in der Weise begründet erklärt, dass die Entschädigungspflicht
grundsätzlich ausgesprochen, dagegen die Ausmittlung des Masses der
Entschädigung auf den Zivilprozessweg verwiesen wird. In diesem Prozesse
war Franz Anton Meyer vertreten durch seinen Stiefvater Dörig. In der
Folge, am 17. Februar 1904, liess Vater Loretz namens seines Sohnes
den Lehrer Dörig als Stiefvater des Franz Anton Meyer zum Sühneversuch
vorladen über das Rechtsbegehren, der Beklagte habe die grundsätzlich
gutgeheissene Entschädigungsforderung des Klägers in der Höhe von 4500
Fr., nebst Zins zu 50/0 seit dem Tage des
AS 33 I 1907 6