712 A. staatsrechtlicheEntscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt: Der Rekurs wird abgewiesen

Bergl. auch Nr. 121.

II. Doppelbesteuerung. Double imposition.

114. guten vom 30. Oktober 1907 in Sachen gf. Aargenthaler & gie. und
Zuersenthaler gegen Stern und Dritten

Steue-rhoheit bei Vorliegen des allgemeinen Geschäftsdomizils im einen,.
eines besondrem Geschäftsdame'ze'ls in einem andern. Kanton. Kriterien
für ein steuerrechtliche-s Spezialdomize'l. Steuerpfiicht des am
letztem Ort damizilierten Gesellschafters. Verwirlmzeg des Rekurses
wegen Doppelbesteuer emg infolge Zahlung und Nichtanfech-si lung der
Steueraufissge innert Bekarsfrist.

A. I. Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 30. April 1907 haben die
Rekurrenten beim Bundesgerichl folgende Anträge gestellt:

1. Es sei zu erkennen, in der Besteuerung des Vermögens undEinkommens
der Rekurrenten, der Kollektivgesellschaft F. Mor-

genihaler & Cie. bezw. F. Morgenthalers Erben in Bern, und-

Crnst Otto Morgenthaler in Zurich, durch die Kantone Bem . und Zürich
und durch die Einwohnergemeinde der Stadt Bern und der Stadt Ztirich
für die Jahre 1902 bis und mit 1907,. liege eine bundesrechtswidrige und
deshalb unzulässige Doppelbesteuerung bezw. rechtsungleiche Behandlung
der Rekurrenten; eventuell: Das Bundesgericht möge bestimmen, ob und wo
bezw. zu welchen Teilen die Rekurrenten für die Zeit von 1902 bis 1907
und in Zukunft, für ihr bezügliches Einkommen undVermögen die Staatsund
Gemeindesteuern zu entrichten haben.. Il. Doppelbesteuerung NO 114. 713

L. Soweit in der Besteuerung des Vermögens und des Einkommens der
Rekurrenten für die Jahre 1902 bis Und mit 1907 eine unzulässige
Doppelbesteuerung liegt, sei dieselbe aufzuheben

3. Soweit die von den Rekurrenten an die Rekursbeklagten in den Jahren
1902 bis und mit 1906 bezahlten Einkommens-: undVermögenssteueru von
diesen zu Unrecht bezogen wurden, seien sie zur Rückerstattung anzuhalten

H. Die Regierungsräte von Bern und Zürich haben beantragt, es sei der
Nekurs, soweit er sich jeweilen gegen ihren Kanton richtet, zu ver-werfen

B. In tatsächlicher Beziehung ergibt sich aus den Akten:

Die Kollektivgesellschaft F. Morgenthaler & Cie., die seit 1902 die
Rechtsnachfolgerin der Firma F Morgenthalers Witwe ist, betreibt in
Bern die Fabrikation von Billards und der dazu gehörigen Utensilien und
besorgt auch Reparaturen von Billards. Zn Zürich hat die Firma in einem
Ladenlokal ein ständiges Lager von Billards, dessen Inventar für zirka
100,000 Fr. gegen Feuer versichert ist. Der eine Gesellschafter-, Otto
Morgenthaler, der zu Geschäftsabschlüssen berechtigt ist, hat seinen Sitz
in Zurich, von wo aus er die Nordund Ostschweiz für die Firma bereist. Das
Lager in Zürich ist in der Hauptsache Musterlager; nur in dringenden
Fällen werden daraus Villan-ds abgegeben, im Jahre etwa 2 bis 4 bei einem
Gesamt-Jahresverkauf der Firma von 70 bis' 100 Stück. Ausserdem werden
in Zürich Utensilien, namentlich Billardstöcke und Kreide, verkauft
und in kleinem Masse auch Reparaturen besorgt. Die Bestellungen, die
Otto Morgenthaler in Zürich auf Grund des Musterlagers entgegennimmt,
werden also meistens von Bern ans ausgeführt Auch die Fakiuren werden
meist von Bern aus aus-gestellt In Zürich werden Zahlungenfür das
Geschäft entgegengenonimen; doch wird, nach den Angaben der Firma, der
Jnkasso für Billardslieferungen von Beru aus besorgt, abgesehen von
kleinen Lieferungen aus dem Zürcher Lager. Soweit es die Bedürfnisse
des zürcherischen Geschäftsbetriebe- erfordern, wird dort eine eigene
Buchhaltung geführt. Ein weiteres Personal als der Gesellschafter Otto
Morgenthaler befindet sich daselbst nicht. Die von Otto Morgenthaler
in Zürich und auf seinen Reisen erzielten Geschäftsabschlüsse betragen
jeweilen zirka 50 0/0 des Gesamt-Jahresumsatzes der Firma.

714 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung.

Die Firma F. Morgenthaler & (Sie. wird in Zürich für 20,000
Fr. Geschäftsvermögen und 2400 Fr. Geschäftseinkommen, und der
Gesellschafter Otto Morgenthaler daselbst für 3000 Fr. Einkommen
besteuert. Die Steuern sind bezahlt bis auf diejenigen von 1906. Berti
besteuert das gesamte Vermögen und Einkommen der Firma, und zwar
im Jahre 1905 Fr. 32,120 und im Jahre 1906 Fr. 80,700 Reinvermögen
und in beiden Jahren 25,000 Fr. Reineinkoininen; zurzeit sind noch
ausstehend die Staats-Einkommens-steuer pro 1905 und 1906 und die
Gemeinde-Einkommenssteuer pro 1906. Was die Besteuerung in Bern pro 1907
anbetrissi, so schweben zurzeit noch Unterhandlungen über die Höhe des
Geschäftseinkommens der Rekurrentinz die Steueranlage für das Vermögen
hatte zur Zeit der Einreichung des Rekurses noch nicht stattgefunden

Die Rekurrentin verlangte seinerzeit in Berti eine Reduktion ihrer
Einschätziing pro 1905, mit Rücksicht darauf, dass sie in Zürich
gleichfalls besteuert werde, wurde aber mit diesem Begehren durch
Entscheide des Regierungsrates von Bern vom 16. Februar und 2. Mai 1906
abgewiesen mit der Begründung, es liege kein Nachweis dafür vor, dass
die Rekurrentin in Zürich ein Geschäftsdomizil habe und dort für einen
Teil ihres Geschäftseinkommens mit Recht besteuert werden könne; sie
habe daher ihr gesamtes Geschäftseinkommen in Berti zn versteuern. Für
die Staatssteuern pro 1905 und 1906 und die Gemeindesteuern pro 1906 ist
die Rekurrentin in Bern am 8. März und 24. April 1907 betrieben worden.

Gestützt auf die erwähnten bernischen Entscheide suchten die Rekurrenten
in Zürich Befreiung von der dortigen Besteuerung zu erwirken, jedoch
ohne Erfolg.

C. Die Rekurrenten vertreten in ihrem Rekurse die Auffassung, dass sie
kein Steuerdomizil in Zürich haben und nur in Bern zur Steuer herangezogen
werden können, eveiituell verlangen sie, dass das Bundesgericht bestimme,
in welcher Weise sie an beiden Orten unter Vermeidung bundesrechtswidriger
Doppelbesteuerung besteuert werden können.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung: t. Nach den Feststellungen sub
Fakt. B muss ein Spezialdomizil steuerrechtlicher Natur der Firma
F. Morgenthaler & Cie."II. Doppelbesteuerung-. N° 114. 715

in Zürich anerkannt werden. Der Geschäftsbetrieb der Firma inZürich stellt
sich nach seiner tatsächlichen Organisation und seiner wirtschaftlichen
Bedeutung als relativ selbständiger Betrieb dar, der nach der Praxis
einen Spezialsteuerwohnsitz für den daraus erzielten Erwerb und das darin
investierte bewegliche Kapital zu begründen vermag (s. AS 31 I S. 76 und
die dortigen Zitate). Die zürcherische Niederlage der Firma steht unter
durchaus selbständiger Zeitung: Der ihr vorstehende, in Zürich wohnhafte
Gesellschafter ist allgemein zur Vertretung der Firma und speziell zu
Verkaufsabschlüssen und auch zur Entgegennahme von Zahlungen befugt. Jn
Zürich spielt sich ein wesentlicher Teil der Absatztatigkeit und damit
der gewerblichen Tätigkeit der Firma überhaupt ab. Abgesehen vom Verkauf
von Uteusilien aus dein dortigen Lager und der Besorgung von Reparaturen,
werden in Zurich auf Grund des Lagers von dessen Leiter in zweifellos
erheblichem Masse Verkaufsabschlüsse erzielt. Dass die Bestellungen
in der Regel nicht aus dem Lager in Zürich, sondern aus der Fabrik in
Bern ausgeführt werden, kann hie-gegen nichts verschlagen; denn das
entscheidende für den Absatz ist der Abschluss von Verkauer und nicht
die Lieferung der Ware. Endsich könnte der Zürcher Geschäftsbetrieb
auch ohne wesentliche Änderung vom Hauptgeschäft losgetrennt und mit
rechtlicher Selbstandigkeit ausgestattet werden; man braucht sich
nur vorzustellen, dass der Leiter der Niederlage nicht Gesellschafter,
sondern selbstandiger Verkaufskommissionär oder -Agent ware. · ... 2. Jst
somit Zürich grundsätzlich berechtigt, die Firma is. Morgenthaler öd
Cie. für den Erwerb aus ihrem zurcherischen Geschäftsbetrieb und das
darin investierte Kapital-. zu besteuern, so könnte hier von einer
bundesrechtlich nnzulassigen Doppelbesteuerung nur die Rede sein, wenn
anzunehmen ware, dass gut den zürcherischen Taxationen Geschäftseinkommen
2400 gr. und Geschäftsvermögen 20,000 Fr. -in Wahrheit Erwerbssaktoren
und Vermögen mitbesteuert werden sollen, die. dem Hauptgeschäft in
Bern angehören. Hiefür liegen nun keine Zinhaltspunkte vor. Wenn auch
die Taration des Vermögens gegenuberodem Betrag, für welchen das Lager
versichert ist (rund 10,000 {gr.}, als etwas hoch erscheint, so ist doch
nicht ersichtlich, dass Zurich die Firma in dieser Beziehung für etwas
anderes besteuern will,

716 A. Staatsrechtliche Entscheidungen. l. Abschnitt. Bundesverfassung.

als für das wirkliche Kapital, das in der Niederlage investiert ist Die
Frage, ob diese Einschätzung richtig sei, ist daher keine solche der
interkantonalen Doppelbesteuerung, sondern eine kantonale Taxationssrage
Und zu einem Einschreiten des Bundesgerichts aus dem Gesichtspunkte
der Doppelbesteuerung gegen die Vermögenseinschätzung liegt um so
weniger Veranlassung vor, alsdie Taration des auf das Geschäft in Zürich
entfallenden und dort steuerpflichtigen Erwerbs, der nicht einmal 1... des
bisher in Bern oersteuerten Gefamteinkommens ausmacht, allem Anscheine
nach eher bescheiden ist.

3. Auch die Besteuerung des Otto Morgenthaler in Zürich für ein
Einkommen von 3000 Fr. ist aus dem bundesrechtlichen Verbot der
Doppelbesteuerung nicht anfechtbar. Otto Morgenthalers ist in Zürich
domiziliert und mithin daselbst einkommenssteuerpflichtig Allerdings
ist nach der Praxis der Geschäftsanteil des Kollektivgesellschafters
nicht an seinem Wohnort, sondern von der Kollektivgesellschaft am
Gesellschaftssitz zu versteuern (s. AS 14 S. 401). Ob ein entsprechender
Satz auch für den Anteil des Kollektivgesellschafters am Geschäftsgewinn
der Gesellschaft im allgemeinen bundesrechtlich anzuerkennen wäre,
kann hier dahingestellt bleiben, da Zürich ja nach den Ausführungen in
Erwägung 1 vom steuerrechtlichen Standpunkt aus Spezial-Gesellschaftsfitz
undda Otto Morgenthaler Leiter dieses Spezialsitzes ist. Dazu kommt,
dass der Betrag von 3000 Fr. Einkommen, für den Otto Morgenthaler in
Zürich besteuert wird, steuerrechtlich jedenfalls, unbedenklich als
Gehalt, d. h. Entgelt für seine Arbeitsleistungen als Leiter der Zürcher
Niederlage und Reisender der Firma, und nicht als eigentlicher Anteil am
Geschäftsgewinn der Gesellschaft betrachtet werden kann, und zwar selbst
dann, wenn es sich nach dem internen Verhältnis der Gesellschafter nur
um Anteil am Geschäftsgewinn handeln weirde; denn wirtschaftlich muss
doch ohne Frage die Tätigkeit des Otto Morgenthaler für die Gesellschaft,
für welche Tätigkeit er seinen Ersatz in seinen Gesellschaftsbezügen zu
suchen hat, mindestens auf die genannte Summe bewertet werden, die daher
steuerrechtlich und zwar auch im interkantonalen Verhältnis -sehr wohl
als Arbeitseinkommen behandelt werden darf. · --

4. Da nach dem gesagten gegen die zürcherische
BesteuerungII. Doppelhesteuerung. N° 114. 717

der Rekurrenten aus dem Verbot der Doppelbesteuerung nichts einzuwenden
ist, bedarf die Frage keiner Erörterung, welche einzelnen zürcherischen
Steueransprüche aus formellen Gründen überhauptnoch angefochten werden
könnten.

5. Was die Besteuerung der Firma F. Morgenthaler & Cie. an ihrem Hauptsitz
in Bern anbetrisst, so ist Bern behufs Vermeidung bundesrechtlich
unzulässiger Doppelbesteuerung grundsätzlich verpflichtet, darauf
Rücksicht zu nehmen, dass die Firma und der Gesellschafter Otto
Morgenthaler auch dem Kanton Zur-ich gegenüber steuerpflichtig sind:
das Einkommen und das Vermögen, wofür die Firma und Otto Morgenthaler in
Zürich steuerpflichtig sind, dürfen in Bern nicht nochmals zur Steuer
herangezogen werden. Soweit indessen die Firma in Bern die Steuern
bezahlt hat, ist eine Anfechtung ausgeschlossen, einmal weil in der
Bezahlung eine Anerkennung liegt, und sodann weil eine Anfechtung
zweifellos längst verspätet wäre (Art. 178 Ziff· 3 OG). Aber auch in
Bezug auf die noch nicht bezahlten Steuern pro 1905 und 1906, für welche
die Firma betrieben ist, erscheint der Rekurs als unzulässig; denn die
betreffenden Steuerentscheide sind nach kantonalem Recht zweifellos
in Rechtskraft erwachsen und auch die 601ägige Reknrsfrist ist ihnen
gegenüber nicht gewahrt; wenigstens ist nicht behauptet und dargetan,
dass die betreffenden Entscheide nicht schon mindestens 60 Tage vor
Erhebung des Rekurses erlassen worden seien (vergl. AS 30 I S. 613

.Erw. 4). Hinsichtlich der bernischen Steuern pro 1907 liegt noch

keine definitive Veranlagung vor. Es ist anzunehmen, dass die bernischen
Steuerbehörden, nachdem sie vom vorliegenden Urteil Kenntnis genommen
haben, bei der Steueranlage der Firma pro 1907 dem Steuerrechte des
Kantons Zürich ohne weiteres in gebührender Weise Rechnung tragen werden,
und es dürfte nicht notwendig sein, in dieser Beziehung im Dispositiv
eine grundsatztiche Verfügung zu treffen. Demnach hat das Bundesgericht
erkannt: Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 33 I 712
Datum : 30. Oktober 1907
Publiziert : 31. Dezember 1908
Quelle : Bundesgericht
Status : 33 I 712
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : 712 A. staatsrechtlicheEntscheidungen. I. Abschnitt. Bundesverfassung. Demnach hat


Gesetzesregister
OG: 178
Stichwortregister
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